Читать книгу Die Fälle des Kommissar Morry - 10 legendäre Krimi Leihbücher in einem Band - Cedric Balmore - Страница 36
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Ralph Condray erschrak unwillkürlich, als Maud Ruby auch an diesem Abend in der Blauen Taverne auftauchte. Wie immer setzte sie sich schüchtern und zaghaft an den kleinen Tisch neben der Tür. Ihre Blicke irrten scheu zu ihm herüber. In ihren dunklen Augen versteckten sich Kummer und Sorge.
Ralph Condray ging rasch zu ihr hin. „Ist denn schon wieder etwas passiert?“, fragte er beklommen. Maud Ruby schüttelte den Kopf.
„Nein“, sagte sie mit mattem Lächeln. „Ich möchte dich nur abholen. Es gefiel mir nicht mehr allein in der Wohnung.“
Ihre Stimme klang auf einmal weich und zärtlich. Auch ihre Augen blickten ganz anders als sonst. Es stand ein Ausdruck darin, den Ralph Condray noch niemals bemerkt hatte. „Du willst mich also abholen?“
„Ja“, sagte Maud Ruby leise. „Ich werde hier warten. Du brauchst dicht nicht weiter um mich zu kümmern. Ich werde ein paar Magazine lesen.“ „Leider muß ich dich enttäuschen“, sagte Ralph Condray bedauernd. „Ich habe heute länger Dienst. Nach der Sperrstunde gibt Ruth Bonfield in den Privaträumen ein kleines Fest. Eine kleine Vorfeier auf die baldige Hochzeit. Ich muß servieren helfen.“
„Kann ich nicht trotzdem bleiben?“, fragte Maud Ruby unsicher.
„Nein. Das geht nicht. Das Lokal wird geschlossen.“
„Dann muß ich also jetzt allein nach Islington laufen“, sagte Maud Ruby fröstelnd. „Mein Gott, was wird das für eine Nacht werden. Ich weiß jetzt schon, daß ich stundenlang wach liegen werde.“
„Warum denn?“, fragte Ralph Condray erstaunt. „Du brauchst doch keine Angst mehr zu haben. Mack Rupper sitzt seit vorgestern hinter Schloß und Riegel. Er wird dich nie wieder bedrohen.“
„Das weiß ich“, sagte Maud gehemmt. „Trotzdem komme ich nicht zur Ruhe. Ich weiß auch nicht, warum. Ich habe ganz einfach Angst. Es ist eine beklemmende, lähmende Furcht, die ich wahrscheinlich erst loswerde, wenn ich das Haus am Lofting Oval für immer verlassen habe.“
„Geh jetzt“, sagte Ralph Condray sanft. „Um diese Stunde sind die Straßen noch hell und belebt. Du wirst ungefährdet nach Hause kommen. Morgen früh sehen wir uns wieder.“
Maud Ruby zögerte noch immer. Es fiel ihr sichtlich schwer, das behagliche Lokal wieder zu verlassen. Widerstrebend ging sie auf die Tür zu. Einmal drehte sie sich noch um. Dann schritt sie durch den Windfang auf die Straße hinaus. Es war nicht so, wie Ralph Condray gesagt hatte.
Die Straßen waren weder hell noch belebt. Ein eiskalter Nordost fegte über die Gehsteige. Er trieb nadelscharfe Regentropfen vor sich her. Heulend und singend verfing er sich in ihrem Mantel. Maud Ruby mußte sich weit nach vorn beugen, um überhaupt vorwärts zu kommen. Ihre Ohren wurden taub von der scharfen Melodie des Sturmes. Die Augen hatte sie bis auf einen winzigen Spalt geschlossen. So ging sie ihrer Behausung zu. Dann und wann drehte sie sich um. Sie hatte das beängstigende Gefühl, als käme jemand hinter ihr her. Sie hörte zwar keine Schritte und sie konnte auch niemand erkennen, aber das beklemmende Gefühl blieb.
Sie beschleunigte ihre Schritte. Sie ging immer rascher. Zuletzt lief sie fast.
Das Lofting Oval tauchte vor ihr aus den Regenschauern. Das rote Backsteinhaus schälte sich aus dem trüben Dämmerlicht. Es war keine hundert Meter mehr entfernt.
Keuchend legte Maud Ruby die letzte Strecke zurück. Jetzt wußte sie plötzlich, daß sie wirklich verfolgt wurde. Ein Wagen fuhr hinter ihr her. Ein schwarzes, modernes Auto mit abgeblendeten Lichtern. Es kam langsam näher. Die Scheinwerfer glühten wie die funkelnden Augen eines hungrigen Tieres.
Der Abstand verringerte sich von Sekunde zu Sekunde. Zehn Schritte noch, fünf, noch drei. Maud Ruby zog hastig den Schlüssel aus der Tasche. Sie wußte, daß jetzt jede Sekunde entscheidend war. Wenn es ihr nicht gleich gelang, die Tür zu öffnen . . .
Der Wagen hielt in nächster Nähe an. Eine Scheibe wurde heruntergelassen. Das Magazin einer Pistole klickte. Es ist aus, dachte Maud Ruby entsetzt, als es ihren zitternden Händen einfach nicht gelang, den Schlüssel ins Schloß zu führen. Ihre Arme hingen wie gelähmt herab. Sie war nahe daran, den Kampf aufzugeben und sich dem Tod einfach in die Arme fallen zu lassen.
In diesem Moment äußerster Verzweiflung öffnete sich plötzlich die Tür vor ihr. Sie war gar nicht verschlossen gewesen. Zwei kräftige Arme zogen Maud Ruby in den dunklen Flur hinein. Sie schrie entsetzt auf. Sie wußte überhaupt nicht mehr, was mit ihr geschah. In ihrem Rücken prasselte der dumpfe Einschlag eines Geschosses. Singend bohrte sich ein Querschläger in die Hauswand. Das heisere Echo des bellenden Knalles drang bis in den Flur herein.
„Da hatten Sie gerade noch einmal Glück“, sagte eine sympathische Männerstimme in diesem Moment zu Maud Ruby. „Um ein Haar hätte der Mörder auch bei Ihnen sein Ziel erreicht. Sie hat er anscheinend besonders in sein Herz geschlossen.“
„Ach, Sie sind‘s, Kommissar“, sagte Maud Ruby mit einem befreiten Atemzug. „Wie gut, daß Sie hier waren. Ich hätte die Tür nicht mehr aufsperren können. Ich war einfach nicht mehr fähig dazu.“ Sie löste sich verlegen aus den Armen des Kommissars und suchte in ihrer Handtasche nach einer kleinen Stablampe.
„Wie lange soll das denn noch so weitergehen, Kommissar?“, fragte sie bang „Werden wir denn immer so ruhelos und gequält leben müssen?“
„Es dauert nicht mehr lange“, sagte Kommissar Morry tröstend.
„In spätestens drei Tagen wird alles vorüber sein. Darauf kann ich Ihnen mein Wort geben.“