Читать книгу Die Fälle des Kommissar Morry - 10 legendäre Krimi Leihbücher in einem Band - Cedric Balmore - Страница 27
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ОглавлениеAuch am nächsten Abend saßen Hope Bolton, Alban Vock und Bill Webster wie immer an ihrem Stammtisch in Ruth Bonfields Blauer Taverne. Sie aßen und tranken und rauchten große Zigarren. Ihre Gesichter glänzten vor Zufriedenheit. Es ging ihnen gut, das konnte jeder sehen. Nach einer Weile tauchte Frederick Lawes an ihrem Tisch auf. Er setzte sich auf den einzigen freien Stuhl, rieb seinen Buckel an der Rückenlehne und machte ein außergewöhnlich dämliches Gesicht.
„Mir wollen“, brummte er, „die Diamanten bei Alfred Glashill nicht aus dem Kopf. Bei diesem jämmerlichen Trödler liegen sie völlig nutzlos hinter einer Mauerwand. Denke, daß sie in unseren Händen viel besser aufgehoben wären. Wir könnten dann mal was anderes unternehmen. Oder wollt ihr etwa bis an euer Lebensende in diesem Lokal herumhocken?“
„Wollen schon“, knurrte Hope Bolton mürrisch. „Aber es wird nickt gehen. Dieser verdammte Privatdetektiv versucht uns das Leben sauer zu machen. Er möchte uns unbedingt an die frische Luft setzen. Der Teufel soll diesen Wichtigtuer holen.“ „Hm“, sagte nun auch Bill Webster gedankenvoll. „Von diesem Burschen droht uns Gefahr. Möchte nur wissen, warum er es gerade auf uns abgesehen hat. Wir tun ihm doch nichts. Wir sind ordentliche Bürger. Wir haben die gleichen feinen Manieren wie die Herzöge von York.“
„Moment mal“, warf Alban Vock hastig dazwischen. „Ich muß euch etwas zeigen. Kaufte heute Abend am Zeitungsstand neben der Hoxton Brücke die neueste Nachtausgabe. Da steht ein interessanter Artikel auf der ersten Seite. Neben Mack Rupper werden auch unsere Namen erwähnt . . .“
„Na, dann hol doch endlich dein Käseblättchen“, keifte Hope Bolton erbost. „Was faselst du denn so lange herum. Wollen selbst lesen, was man über uns geschrieben hat.“
Alban Vock ging zum Garderobenständer, holte die Zeitung aus seinem Mantel und kehrte wieder an den Tisch zurück. Als er das Blatt mit wichtiger Miene entfaltete, fiel plötzlich ein schmales Etwas heraus. Es war eine Visitenkarte. „G. E. Morry“, stand darauf zu lesen. „Kriminalkommissar“.
Sonst keine Zeile. Keine Botschaft, kein hinzugefügtes Wort. Also eigentlich eine recht harmlose Angelegenheit. Dennoch zogen die vier Männer am Tisch plötzlich die Köpfe ein, als hätte sich unmittelbar neben ihnen die Erde geöffnet. In ihren Augen flackerten unruhige Lichter, ihre Gesichter überzogen sich mit grauer Farbe.
„Was soll das heißen?“, fragte Bill Webster mit schwankender Stimme. „Hat man etwa diesen gefährlichen Schnüffler auf unsere Spur gehetzt? Weiß er bereits, von welchem Geschäft wir leben? Oder werden wir am Ende gar bereits von ihm beobachtet?“
Vier Augenpaare streiften argwöhnisch durch das Lokal, tasteten jeden Tisch ab, irrten lauernd bis zur Tür hin.
„No, nichts“, brummte Alban Vock erleichtert. „Er ist nicht hier. Er muß mir die verdammte Karte unterwegs zugesteckt haben. Wenn ich mich nicht täusche, sollte es eine Warnung sein.“
„Habe genau das gleiche Gefühl“, ächzte Hope Bolton und warf seine Zigarre in den Aschenbecher. „Weiß der Teufel, mir schmeckt das Rauchen auf einmal nicht mehr. Habe die abscheuliche Ahnung, als seien unsere Tage hier gezählt. Wir müssen uns in die Büsche schlagen, Boys! Je eher, desto besser. Mit diesem Morry ist nicht gut Kirschen essen.“
Frederick Lawes zitterte am ganzen Leibe. „Ich gehe mit euch“, murmelte er mit spröder Stimme. „Hoffe doch, daß ihr mich hier nicht zurücklassen werdet.“
Er machte eine kurze Pause und schielte ängstlich zu dem Privatdetektiv hinüber, der mit funkelnder Brille hinter der Theke stand.
„Wenn wir schon abmarschieren wollen“, nahm Frederick Lawes wieder den Faden auf, „dann könnten wir ruhig noch einmal bei Alfred Glashill vorbeischauen. Möchte den Lederbeutel nicht gern im Stich lassen. Er könnte uns gute Dienste tun. Als Reisegeld, sozusagen. Überlegt es euch!“
Es gab nicht viel zu überlegen. Ihnen allen brannte plötzlich der Boden unter den Füßen. Eine harmlose Visitenkarte hatte genügt, sie vollkommen aus dem Gleichgewicht zu werfen.
„Wir machen die Sache“, brummte Hope Bolton. „Und zwar noch heute nacht. Alban Vock wird wieder einen Wagen besorgen. Bill und ich, wir werden die Werkzeuge beschaffen. Um Mitternacht kann dann der Zauber losgehen. Seid ihr dabei?“ Bill Webster und Frederick Lawes waren sofort Feuer und Flamme für dieses letzte Unternehmen, das ihnen den Weg in eine neue Zukunft ebnen sollte.
Nur Alban Vock zögerte noch. Er tastete verstohlen über seinen Brustverband.
„Von mir aus könnt ihr das Ding drehen“, murmelte er gedehnt. „Aber das eine sage ich euch: Ich bleibe nicht wieder außen am Schaufenster stehen. Den Posten soll diesmal ein anderer übernehmen. Ich habe noch genug vom letzten Mal.“
»Mach nicht soviel Spektakel“, zischte Hope Bolton wachsam. „Wir werden von diesem Detektiv belauscht. Deinen Posten, Alban, wird diesmal Bill Webster übernehmen. Nun Schluß davon. Kein Wort mehr über unser Vorhaben.“
Sie redeten wieder über gleichgültige Dinge. Auch ihre Stimmung kam allmählich wieder in Schwung. Mit lachenden Gesichtern verfolgten sie Ralph Con- dray bei seiner Arbeit.
„Was ist das doch für ein Dummkopf“, brummte Bill Webster abfällig. „Schleppt sich hier mit Tellern und Gläsern ab und muß jedem Hansdampf um den Bart gehen. Er könnte es entschieden besser haben, wenn er wollte. Er brauchte keinen Finger zu rühren.“
„Wie kann man nur arbeiten, wenn es nicht nötig ist“, seufzte Frederick Lawes mit wäßrigen Augen. „Ich habe mein Leben lang immer nur an der Ecke des Canal Grove gestanden. Und es ist mir verdammt gut dabei gegangen, Boys. Das kann ich euch sagen.“
Kurz nach elf Uhr entfernte sich Alban Vock, um den Wagen zu beschaffen und an der Hoxton Brücke zu parken. Eine halbe Stunde später verließen auch die anderen das Lokal. Sie verabschiedeten sich höflich nach allen Seiten. Dabei gaben sie sich den Anschein, als wollten sie nun schnurstracks nach Hause gehen. Ihr ganzes Gehabe war das braver Bürger, die nicht imstande sind, auch nur ein Wässerchen zu trüben. Sie hatten aber kaum die Tür hinter sich zugedrückt, da verloren sie ihre vornehme Würde. Sie stürmten die Straße hinunter und keuchten schnaufend an die Hoxton Brücke heran. Der Wagen wartete schon auf sie. Alban Vock saß am Steuer und öffnete ihnen die Tür.
„Es kann losgehen!“, brummte er wortkarg. „Ich habe Sprit für hundert Meilen aufgetankt. Damit kämen wir notfalls bis an die Küste. Na, steigt schon ein, Boys!“
Die Fahrt konnte beginnen. Alban Vock löste die Bremsen und schaltete den Gang ein. Langsam schlich der Wagen vorwärts. Der Motor tuckerte in eintöniger Melodie.
Hinten im Wagen drückten sie sich ahnungslos aneinander und wußten nicht, daß der Tod sich bereits wieder ein Opfer unter ihnen ausgesucht hatte. Sie dachten nur daran, daß sie Jagd auf fette Beute machten. Wenn alles gut ging, brauchten sie Kommissar Morry nicht mehr zu fürchten. Alban Vock hielt am Eingang des Canal Grove. Er wendete noch den Wagen, bevor er ausstieg und ließ den Motor laufen.
Hope Bolton klirrte herausfordernd mit seinen Einbruchswerkzeugen. „Wollen es kurz machen, Freunde“, raunte er durch die Zähne. „Bill bleibt vor dem Fenster stehen, Frederick zeigt uns wieder den Weg. Alban und ich machen die Türen auf.“ Unauffällig drückten sie sich an den ärmlichen Häusern entlang. Sorgsam vermieden sie jedes Geräusch. Lautlos pirschten sie sich an den Laden Alfred Glashills heran.
Je näher sie an das armselige Geschäft herankamen, desto nervöser wurden sie. Wahrscheinlich war es die Visitenkarte Kommissar Morrys, die ihnen noch immer so schwer im Magen lag. Sie hatten keine rechte Zuversicht in dieser Nacht. Vor allem Alban Vock hatte ständig das Gefühl, als würde wieder etwas schiefgehen. Er machte den letzten. Zögernd ging er hinter den anderen her. Schwer und keuchend kam der Atem von seinen Lippen. Unmittelbar vor dem Laden hielten sie an. Sie trennten sich. Bill Webster blieb vor dem rechten Schaufenster stehen, um die Straße abzusichern. Die anderen gingen in den Hinterhof hinein, um die Tür auf der Rückseite des Hauses aufzubrechen.
„Dieser Esel“, brummte Frederick Lawes spöttisch. „Seinen Laden hat er mit schweren Gittern versehen lassen, aber die Tür, die geradewegs in den Hausgang führt, ließ er ungesichert. Vielleicht wird er das schon morgen früh schwer bereuen.“
Sie machten sich über die Treppe her. Leise klirrten die Sperrhaken aneinander. Das rostige Schloß ächzte in einem fort.
„Aufpassen!“, zischte Hope Bolton mißtrauisch. „Wenn der Alte wach wird, können wir einpacken.“ Es wollte einfach nicht klappen. Die Spezialhaken sperrten nicht. Das altertümliche Schloß widerstand allen Bemühungen.
„Was war das?“, fragte Alban Vock plötzlich. „Habt ihr nichts gehört? Mir ist, als hätte Bill Webster gepfiffen.“
Sie traten augenblicklich von der Hintertür zurück. Sie horchten. Keiner bewegte sich. Sie standen da wie zu Salzsäulen erstarrt. In diesem Moment fiel ein Schuß. Dumpf rollte das Echo über den düsteren Hof. Ein matter Widerschein des Mündungsfeuers zuckte die Mauern entlang. Kurz nachher hörten sie einen erstickten Aufschrei. Dann wurde es wieder still. Hope Bolton und Alban Vock wechselten einen raschen, verstörten Blick.
„Hier ist der Teufel im Spiel“, jammerte Frederick Lawes händeringend. „Wir müssen sofort nach vorn. Sonst könnte es für immer zu spät sein.“
Mit hastigen Schritten stürmten sie auf die Vorderseite des Hauses zu. Der schlauchförmige Hinterhof blieb in ihrem Rücken liegen. Vor ihnen dehnte sich der Canal Grove aus. Zur Rechten war der Laden Alfred Glashills.
„Hier liegt er!“, rief Alban Vock verstört. „Es ist genau die gleiche Stelle, wo es auch mich damals erwischte. Kommt! Helft ihm auf die Beine!“
Sie hatten sich kaum über Bill Webster gebeugt, da prallten sie auch schon erschreckt zurück., Sie hatten einen Toten vor sich liegen. Einen Mann, dessen Brust zerrissen war von einem Querschläger und dessen Gesicht wächsern und stumm zum Nachthimmel blickte.
„Was jetzt?“, fragte Alban Vock tonlos. „Was machen wir mit ihm? Wenn wir ihn liegenlassen, haben wir noch heute nacht die Cops auf dem Hals.“
Bis sie zu einer Entscheidung kamen, war es längst zu spät. In der Nachbarschaft hatte man den Schuß gehört. Auch der Todesschrei Bill Websters war nicht ungehört verhallt. In den gegenüberliegenden Häusern wurden zahlreiche Fenster hell. Zwei, drei Haustüren öffneten sich. Irgendwo schrie jemand nach der Polizei. Das Geschrei wurde immer lauter.
„Diesmal haben wir uns in die Nesseln gesetzt“, flüsterte Alban Vock mit kreideweißem Gesicht. „Hier kommen wir nicht mehr durch. Wir müssen auf geben.“
„No, noch lange nicht“, zischte Hope Bolton energisch. „Eh, Frederick! Du wirfst die Sperrhaken und Werkzeuge über die nächste Mauer. Nachher kümmerst du dich um Alfred Glashill. Wenn der Bursche Lärm schlagen will, gibst du ihm eins auf die Klappe. Er wird sofort schweigen, wenn er fürchten muß, daß man sein Geheimnis lüften könnte.“
Er hatte kaum ausgesprochen, da kreischten unmittelbar vor ihnen die Bremsen eines Streifenwagens. Drei uniformierte Konstabler stürmten auf die Straße heraus. Sie sahen auf den ersten Blick, was vorgefallen war. Zögernd näherten sie sich dem Tatort.
„Wer ist das?“, wollten sie wissen.
„Bill Webster“, murmelte Hope Bolton.
„Hm. Und was ist mit ihm?“
„Das sehen Sie doch“, keuchte Hope Bolton in verzweifeltem Grimm. „Er wurde ermordet. Wenn Sie die Wunde untersuchen, werden Sie auf eine Patrone mit abgefeilter Spitze stoßen. Ist Ihnen das etwas Neues? Oder haben Sie schon einmal von dieser Mordart gehört?“
Die Konstabler schwiegen betreten. Einer ging zum Wagen zurück und verständigte über Sprechfunk die Mordkommission Scotland Yards. Schon zehn Minuten später erschien Wachtmeister Swan mit dem Polizeiarzt und zwei Spurensicherern auf der Bildfläche. Die Herren traten rasch an den Toten heran. Während sich der Doktor an die Untersuchung machte, nahm Wachtmeister Swan Frederick Lawes, Alban Vock und Hope Bolton aufs Korn.
„Was hatten Sie hier zu suchen?“, fragte er schroff.
„Nichts Besonderes, Sir“, sagte Hope Bolton unterwürfig. „Wir hielten Ausschau nach einer Kneipe, die um diese späte Stunde noch offen hatte. Hier am Canal Grove, sagte man uns, sei eine tolle Nachtbar. Wir waren gerade auf dem Weg dorthin, da fiel dieser tückische Schuß . . .“
„Gestern Inspektor Hester, heute der Zuhälter Bill Webster“, murmelte Wachtmeister Swan kopfschüttelnd. „Der Mörder sucht sich seine Opfer aus den verschiedensten Kreisen. Er mordet Polizisten, Halunken und Freudenmädchen in wahllosem Durcheinander. Man könnte fast zu der Überzeugung kommen, daß es sich um einen Wahnsinnigen handelt. Nur ein Verrückter kann so grundlos und ohne jeden Plan morden.“
„Sprechen Sie mit Kommissar Morry“, raunte der Polizeiarzt. „Er hat seit gestern nacht den schwierigen Fall in Händen. Teilen Sie ihm mit, daß wir wieder ein Dumdum-Geschoß vom Kaliber 9 mm fanden. Sagen Sie ihm auch, wie und wo wir die Freunde Mack Ruppers antrafen. Vielleicht kann er sich einen Reim darauf machen.“
Ihr Gespräch verstummte, als ein spindeldürres Männchen mit wehenden Haaren und ängstlich verzerrtem Gesicht auf der Straße auftauchte.
„Das ist schon die zweite Scheibe, die ich in dieser Woche reparieren lassen muß“, jammerte er mit spitzer Stimme. „Möchte wissen, warum sich dieser verdammte Mörder gerade meinen Laden für seine Schießübungen aussucht . . .“
„Wer sind Sie denn überhaupt?“, fragte Wachtmeister Swan stirnrunzelnd.
„Ich bin Alfred Glashill, Sir“, keifte der Alte. „Mir gehört dieses Geschäft. Seit ein paar Nächten geht es hier zu wie in einem Zirkus. Erst vor drei Tagen wollten Einbrecher diesem Geschäft einen Besuch abstatten und . . .“
Er brach unvermittelt ab. Ein derber Stoß traf ihn in die Seite. Als er erschrocken aufblickte, sah er Frederick Lawes an seiner Seite stehen.
„Denk an den Lederbeutel, du Idiot“, zischte der Eckensteher bösartig. „Willst du den Cops die Geschichte unbedingt auf die Nase binden? Halte es für besser, du würdest die Klappe halten.“
„Was ist denn nun eigentlich?", fragte Wachtmeister Swan ungeduldig. „Wollen Sie eine Meldung machen? Haben Sie irgendetwas beobachtet? Sie sprachen doch eben von einem Einbruch . . . ?“ Alfred Glashill blickte sich fröstelnd um. Er sah die drohenden Gesichter Hope Boltons und Alban Vocks auf sich gerichtet. Furchtsam krümmte er sich zusammen.
„Entschuldigen Sie, Sir“, sagte er demütig zu Wachtmeister Swan. „Ich war eben noch im Halbschlaf. Da rede ich dann meist so wirres Zeug daher. Sie dürfen das nicht ernst nehmen. Jetzt bin ich wieder wach und bei klarem Verstand. Ich kann mich an nichts Besonderes erinnern.“
„Da soll sich einer noch auskennen“, knurrte Wachtmeister Swan verdrossen. „Man weiß überhaupt nicht mehr, was man in die Protokolle schreiben soll. Diesen Burschen hier ist überhaupt kein Wort zu glauben. Und was wir selbst ermittelt haben, ist praktisch gleich Null. Niemand hat den Mörder gesehen. Er hat wie immer keine Spuren hinterlassen. Nur diese abgefeilte Patrone, und die ist meines Erachtens ganz fauler Zauber. Sie soll uns absichtlich auf die falsche Fährte lenken.“
„Wenden Sie sich an Kommissar Morry“, sagte der Polizeiarzt zum zweiten Mal. „Er wird sicher Rat wissen.“