Читать книгу Die Fälle des Kommissar Morry - 10 legendäre Krimi Leihbücher in einem Band - Cedric Balmore - Страница 37

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Es sah wirklich so aus, als begänne für ein paar Gestalten der Unterwelt der dramatische Untergang. Jedenfalls sahen auch Hope Bolton und Frederick Lawes verdammt düster in die Zukunft. Sie waren nur noch Schatten ihrer selbst. Die Blaue Taverne machte ein schlechtes Geschäft mit ihnen. Sie gaben bei dem Kellner keine Bestellung auf. Sie wollten weder etwas zu essen noch zu trinken haben.

„Worauf warten wir eigentlich noch!“, fragte Frederick Lawes mit unsteten Blicken. „Warum sitzen wir immer noch hier herum? Habe meine ganzen Ersparnisse in der Tasche. Von mir aus können wir noch heute nacht abreisen.“

„Meine Taschen sind leer“, murmelte Hope Bolton verdrossen.

„Mit ein paar Schillingen kann man keine Weltreise machen. Ich warte noch auf eine günstige Gelegenheit. Vielleicht kann ich eine Abfindung herausschinden.“

„Von wem?“, fragte jemand an seiner Seite in spöttischem Ton. Es war Kommissar Morry, der völlig unbemerkt an den Tisch getreten war.

„Von wem wollen Sie eine Abfindung herausschinden? Etwa von dem bedauernswerten Opfer, das Sie seit Monaten schamlos erpreßten?“

Hope Bolton brauchte einige Sekunden, bis er den jähen Schreck überwand. Seine Hände glitten fahrig über die Tischplatte. In seinem Gesicht zuckte und arbeitete es unaufhörlich. „Sie müssen mich falsch verstanden haben, Kommissar“, ächzte er schließlich. „Ich redete weder von einer Erpressung noch von einem Opfer. Das Geschäft, das ich meine, ist vollkommen reell.“

Kommissar Morry setzte sich an den Tisch und blickte lächelnd in die verstörten Gesichter. „Wo ist Alban Vock?“, fragte er plötzlich wie aus der Pistole geschossen.

Hope Bolton und Frederick Lawes wechselten einen unruhigen Blick. Keiner wußte eine vernünftige Antwort zu finden. Scheu wichen sie den forschenden Blicken des Kommissars aus. Sie stierten stumpfsinnig ins Leere.

„Wo ist Alban Vock?“, fragte Morry zum zweiten Mal.

„Wir wissen es nicht, Kommissar“, murmelte Hope Bolton mit dünner Stimme. „Er ist seit ein paar Tagen spurlos verschwunden. Anscheinend hatte er diese ewigen Morde satt. Wir müssen ja alle befürchten, daß wir eines Tages von einem unbekannten Teufel ins Jenseits befördert werden.“

„Darüber ließe sich manches sagen“, murmelte Morry zerstreut.

„Sie hätten nur rechtzeitig mit Ihren Erpressungen aufzuhören brauchen. Jetzt wird es zu spät sein. Ihre Uhr ist so ziemlich abgelaufen.“

„Wie meinen Sie das, Sir?“, fragte Frederick Lawes zitternd und schob ruhelos seinen Buckel hin und her.

„Sie wissen es ganz genau“, sagte Morry wortkarg. „Ich gebe Ihnen bis morgen Abend Zeit. Wenn Sie dann noch immer nicht wissen, was aus Alban Vock geworden ist, werde ich kurzen Prozeß mit Ihnen machen. Im Gefängnis Pentonville ist bereits eine Zelle für Sie reserviert.“

Noch ehe Hope Bolton und Frederick Lawes in ihrer Bestürzung eine Erwiderung fanden, hatte sich der Kommissar bereits entfernt. Sie sahen ihn straff und aufrecht durch den Windfang gehen. Kurz nachher schloß sich die Tür hinter ihm.

„Da haben wir den Salat“, knurrte Hope Bolton erschüttert.

„Dieser Bulle wird morgen abend sein Wort wahrmachen. Verlaß dich drauf! So gut kenne ich ihn immerhin. Er wird gleich die passenden Handschellen für uns mitbringen.“

„Welch ein Wahnsinn“, jammerte Frederick Lawes händeringend.

„Noch haben wir doch Zeit für eine rasche Flucht. Wir brauchen nur zur Waterloo Station zu fahren. Unterwegs könnten wir Alfred Glashill noch einen kurzen Besuch abstatten. Wir holen das dürre Männchen einfach aus dem Bett.“

„Ob das gehen wird?“, fragte Hope Bolton zweifelnd.

„Bah!“, sagte Frederick Lawes geringschätzig. „Nichts leichter als das. Alfred Glashill ist ein ganz erbärmlicher Feigling. Er wird auf die Knie fallen und um Gnade winseln, wenn er eine Pistolenmündung vor seiner Nase sieht. Er wird freiwillig und ohne großes Geschrei die Diamanten herausrücken . . .“

Hope Bolton überlegte eine Weile. Finster brütete er vor sich hin. „Na schön“, meinte er endlich. „Wir haben nichts mehr zu verlieren. Gehen wir also!“

Der Boden brannte derart unter ihren Füßen, daß sie noch in der gleichen Minute aufbrachen. Sie wußten genau, daß sie nie wieder in die Blaue Taverne zurückkehren würden. Es war ein Abschied für alle Ewigkeit. Sie gingen durch den Windfang und traten auf die Straße hinaus.

„Soll ich den Wagen holen?“, fragte Frederick Lawes halblaut.

„No, nicht nötig“, knurrte Hope Bolton. „Wir gehen zu Fuß. Es ist ja nicht weit. Später können wir uns dann eine Taxe nehmen.“

Sie schlugen unverzüglich die Richtung zum Canal Grove ein. Mühsam kämpften sie gegen den Wind an. Eine quälende Ungeduld trieb sie vorwärts. Die Furcht vor der Polizei saß ihnen drohend im Nacken. Kurz nach zehn Uhr erreichten sie die düstere Straße am Union Canal. Rasch gingen sie auf den schäbigen Laden Alfred Glashills zu. Sie schlichen wie immer in den Hinterhof und öffneten die rückwärtige Tür mit einem Sperrhaken.

Bereits fünf Minuten später standen sie vor der Schlafstube Alfred Glashills. Sie rissen ungestüm die Tür auf. Mit einer Blendlaterne leuchteten sie in den finsteren Raum hinein. Der tanzende Lichtkegel huschte über dürftige Möbel und über ein armseliges Bettgestell. Dann heftete sich das grelle Licht auf den mageren Schädel Alfred Glashills. Erschrocken blinzelte das spindeldürre Männchen in den grellen Schein.

„Wer ist da?“, fragte er mit piepsender Stimme. „Was wollen Sie von mir?“

„Mach kein langes Theater“, knurrte Hope Bolton ungeduldig.

„Steh auf! Zieh deine Klamotten an. Los, beeil dich!“

Jetzt auf einmal wußte Alfred Glashill, mit wem er es zu tun hatte. Er stammelte kreischend seine Angst heraus. Er bettelte mit Blicken und Worten.

„Ich habe doch nichts verraten“, jammerte er.

„Ich habe vor der Polizei immer dichtgehalten. Von mir erfuhren die Cops kein Sterbenswörtchen . . .“

„Darum geht es gar nicht“, warf Hope Bolton hastig ein. „Wir wollen den Lederbeutel sehen, kapiert? Du hast ihn ja auch nur geklaut. Na, mach schon!“

Frederick Lawes zog eine Kinderpistole aus der Tasche und fuchtelte damit drohend in der Luft herum. Ein beherzter Mann hätte laut darüber gelacht. Aber Alfred Glashill nahm sich gar nicht die Zeit, das schwarze Ding schärfer anzuschauen. Er wand sich wie ein getretener Wurm.

„Ich habe die Steine nicht gestohlen“, lamentierte er. „Sie sind mein rechtmäßiger Besitz. Das wißt ihr so gut wie ich. Mack Rupper schuldete mir . . .“

„Halt die Klappe“, zischte Hope Bolton scharf. „Bring den Lederbeutel! Sonst fällst du hier auf der Stelle um!“

Diese furchtbaren Worte schüchterten Alfred Glashill endlich ein. Er schlürfte gebückt in einen Winkel, kramte eine Zeitlang darin herum und kehrte schließlich mit einem braunen Ledersäckchen in die Mitte der Kammer zurück.

„Hier“, sagte er bebend. „Hier ist alles, was ich besitze. Wir wollen teilen, Boys! Jeder nimmt die Hälfte. Dann ist ein für allemal Ruhe. Soll das ein Wort sein?“

Hope Bolton riß ihm brutal den prallgefüllten Beutel aus der Hand. Er umkrallte ihn gierig mit gekrümmten Fingern, riß die Zugschnur auf und schüttete den Inhalt auf die Tischplatte. Ein begeisterter Aufschrei brach über seine Lippen. Wie ein Irrer wühlte er in den blitzenden Schätzen herum. Allein der Anblick war eine Pracht. Das sprühte und glitzerte wie tausend Sonnen. Es waren erbsengroße Steine dabei. Diamanten von mindestens zwanzig Karat.

„Das ist die Wucht“, grinste Hope Bolton in bester Stimmung.

„So etwas habe ich noch nicht einmal im Traum gesehen. Damit werden wir weit kommen, Frederick! Bis ans Ende der Welt, wenn es sein muß.“

Hartherzig überhörten sie das brüchige Gejammer des alten Trödlers. Sie stießen ihn grob zur Seite und traten den Rückweg an. Vorsichtshalber verrammelten sie von außen noch die Haustür. Der kurze Vorsprung würde ihnen ausreichen. Sie liefen die düstere Straße hinunter, gingen eine kurze Strecke am Union Canal entlang und hielten dann auf die Hoxton Brücke zu. Bisher war alles glatt gegangen. Sie konnten sich getrost als steinreiche Leute fühlen. Die Zukunft lag plötzlich wieder hell und rosig vor ihnen.

„Der Bursche wird mächtigen Krach schlagen“, brummte Hope Bolton atemlos vom raschen Laufen. „Er wird Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um die Diamanten wieder zu ergattern. Wahrscheinlich alarmiert er alle Polizeireviere von Hoxton. Die Cops werden scharfe Jagd auf uns machen. Wir können nicht in einen Londoner Bahnhof gehen. Wir müssen von einem kleinen Vorort abreisen.“

„Was schadet das?“, meinte Frederick Lawes optimistisch. „Auf zwei Stunden Fußmarsch soll es mir nicht ankommen. Los, wir machen uns sofort auf den Weg.“

„Dummkopf!“, zischte Hope Bolton verächtlich. „Wie willst du denn über die Grenze kommen, he? Wir müssen erst noch einmal in meine Bude zurück. Ich habe da ein paar tadellose falsche Pässe liegen. Der kurze Umweg kostet uns nicht viel Zeit. Komm!“

Sie schlichen an der Blauen Taverne vorüber und schritten durch mehrere dunkle Hinterhöfe. Zehn Minuten später hatten sie die Behausung Hope Boltons erreicht.

Es war ein umgebauter Pferdestall, der dürftig und mit brüchigen Mauern in die Nacht grinste.

„Warte hier auf mich. Ich bin gleich wieder da. Es wird keine fünf Minuten dauern.“

Ohne sich weiter um Frederick Lawes zu kümmern, stieg Hope Bolton hastig die Stufen zu seiner Wohnung hinauf. Er war entschlossen, es ganz kurz zu machen. Gepäck brauchten sie nicht. Sie konnten sich unterwegs einkleiden wie die Fürsten. Alles, was sie nötig hatten, waren die beiden Pässe. Er öffnete einen Schrank, hob die Bodenleisten ab und kramte ein paar verstaubte Papiere hervor. Mit vergnügtem Grinsen musterte er die falschen Pässe. Die Photos waren gelb und verblichen. Kein Mensch konnte erraten, wen diese Aufnahmen wirklich darstellten.

„Geht in Ordnung“, brummte Hope Bolton zufrieden. „Dies ist die Nacht meines Lebens.“

Es war jedoch die Nacht seines Todes. Während er noch die Pässe durchblätterte, hörte er plötzlich ein knarrendes Geräusch an der Tür. Er fuhr ruckartig herum. Mit verstörten Augen starrte er auf das schwarze Viereck. Er sah eine Pistole auf sich gerichtet. Jede Sekunde konnte eine abgefeilte Patrone sein Leben beenden. Aber Hope Bolton nahm die Situation nicht einmal so ernst. Er lachte sogar. Grinsend trat er ein paar Schritte auf die Tür zu.

„Spielen Sie doch kein Theater“, murmelte er gutmütig. „Denke, wir haben uns immer blendend verstanden. Sie haben gezahlt, und wir haben geschwiegen. War ein sauberes Geschäft. Oder nicht?“ Er sollte die Antwort auf seine Frage nie mehr erfahren. Ein trockener Knall zerriß die Stille. Stechend fuhr eine lodernde Flamme auf Hope Bolton zu. Er spürte ein rasendes Feuer in seiner Brust, das seinen ganzen Körper verzehrte und sein Blut zum Sieden brachte.

Sein Herz krampfte sich zusammen. Es verschwendete seine letzte Kraft in ein paar dünnen Schlägen. Dann stand es still.


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