Читать книгу Die Fälle des Kommissar Morry - 10 legendäre Krimi Leihbücher in einem Band - Cedric Balmore - Страница 21

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Ralph Condray bewies in diesen Tagen überzeugend, daß er keine Arbeit scheute und ohne jede Bitterkeit wieder ganz unten anfangen konnte. Er verrichtete seinen Dienst mit frohem Gesicht und heiterer Miene. Die Gäste in Ruth Bonfields Blauer Taverne fühlten sich sehr wohl unter seiner Obhut. Sie ließen sich gern von ihm bedienen. Sie fragten ihn oft, zu welchen Spezialitäten er ihnen raten könnte. Und er konnte ihnen immer einen guten Tip geben.

„Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen, Mr. Condray“, sagte Ruth Bonfield an diesem Abend. „Ich freue mich, daß ich gleich zugegriffen habe, als ich Sie zum ersten Mal sah. Meine Menschenkenntnis läßt mich nur selten im Stich. Ich wußte von vornherein, daß ich mit Ihnen einen guten Fang machen würde.“

Ralph Condray blickte respektvoll auf seine Chefin. Sie sah wieder reizend jung und rosig aus. Die blonden Haare waren sorgfältig frisiert. Alles an ihr strahlte vor Sauberkeit. Dann wurde sie plötzlich rot, als ein hochgewachsener Mann in den dreißiger Jahren aus der Küche mit raschen Schritten auf sie zukam. Er trug eine Brille und besaß ein kluges, etwas blasses Gelehrtengesicht.

„Entschuldigen Sie mich, Mr. Condray“, sagte sie hastig, und eine Blutwelle nach der ändern schoß in ihr Gesicht. „Mein Verlobter kommt.“

Sie wollte sich rasch abwenden, aber dann besann sie sich anders. „Na gut. Bleiben Sie, Mr. Condray. Eines Tages werden Sie es ja doch erfahren. Ich werde in ein paar Wochen heiraten. Darf ich die Herren miteinander bekanntmachen? Mr. Condray, seit einigen Tagen der beste Kellner meines Betriebs — und hier Mr. Guy Jaspers, von Beruf Privatdetektiv, mein Verlobter.“

Die beiden ungleichen Männer reichten sich die Hand. Ralph Condray spürte einen schlaffen, etwas feuchten Händedruck. Er wußte kein Wort zu sagen. Befremdet blickte er den ändern an. Was sie nur an ihm findet, dachte er verständnislos. Sie

scheint ganz vernarrt in ihn zu sein. Und dabei ist dieser Bursche doch ausgesprochene Dutzendware. Er wollte sich schon entfernen, da hielt ihn der Privatdetektiv mit ein paar schnarrenden Worten zurück.

„Moment mal, Mr. Condray“, näselte er. „Ich möchte Sie noch auf etwas aufmerksam machen. Leider ist es so, daß ich nie von meinem Beruf loskomme. Auch hier nicht. Ich bin eben mit Leib und Seele Detektiv. Seit einiger Zeit schon beobachte ich diese drei Burschen in Ihrem Rayon, die früher mit Mack Rupper befreundet waren. Mit diesen Männern stimmt etwas nicht. Ich bin bisher leider nicht dahintergekommen, welches Geheimnis sie verbergen. Ich habe nicht die Möglichkeit, sie unauffällig auszuhorchen. Für Sie ist das entschieden leichter. Sie brauchen nur den Zeitpunkt abzuwarten, bis ihnen der Alkohol die Zunge löst.“

„Hm“, sagte Ralph Condray kühl. „Glauben Sie, daß dieses Geheimnis so erschütternd ist? Halten Sie es für interessant?“

„Unbedingt!“, schnarrte Guy Jaspers eifrig. „Meine Braut hat hier bei Übernahme des Lokals gründlich Ordnung geschaffen. Früher ist das hier eine Bruchbude gewesen, in der das schmutzigste Gesindel ganz Hoxtons verkehrte. Diese Burschen mußten wir leider hierbehalten. Sie waren uns zu stark. Sie hatten Mack Rupper im Hintergrund. Sicher wissen Sie, was das bedeutet?“

„Hm“, sagte Ralph Condray. Weiter nichts.

Aber Guy Jaspers wollte auch gar keine Antwort hören. Er sprach schon wieder weiter. „Seit Mack Rupper geflüchtet ist und wir ihn nicht mehr fürchten müssen, sind mir diese drei Burschen ein Dorn im Auge. Ich möchte sie gern an die frische Luft setzen. Aber dazu brauche ich irgendeine Handhabe, verstehen Sie?“

Er machte eine kurze Pause und blickte scharf und wachsam in Richtung der drei verdächtigen Subjekte hin.

„Heutzutage“, fuhr er dann fort, „muß jeder Mensch schwer arbeiten, um sich durchs Leben zu bringen. Allein diese drei Burschen verstehen es, sich ohne jede Tätigkeit vergnügt durch dieses bunte Dasein zu schaukeln. Wovon leben sie? Woher beziehen sie ihr Geld? Das möchte ich gerne wissen.“

Ralph Condray wollte etwas sagen, aber in diesem Moment stand er schon allein an der Theke. Guy Jaspers hatte sich empfohlen. Er war mit stürmischen Schritten in die Küche hinausgegangen.

„Seltsamer Mensch“, murmelte Ralph Condray kopfschüttelnd. „Ich glaube nicht, daß er von mir viel hören wird. Schließlich ist er Detektiv und nicht ich. Wenn er etwas wissen will, soll er selbst nachforschen.“

Er warf ein paar Biermarken auf das Schankblech und trug wieder Getränke und Speisen auf. Er stand eben an einem Tisch, um ein paar eilige Gäste abzukassieren, da stutzte er plötzlich. Hope Bolton, Alban Vock und Bill Webster, die bisher sehr schweigsam und zugeknöpft gewesen waren, benahmen sich auf einmal merkwürdig laut.

Sie hatten Besuch bekommen. Ein hagerer Mensch mit dummem Gesicht und einem mächtigen Höcker saß mit fuchtelnden Armen zwischen ihnen. Die vier Leutchen schienen sich ausgezeichnet zu unterhalten. Sie lachten und wieherten in einem fort. Nach einigen Minuten winkten sie Ralph Condray an ihren Tisch heran. „Komm mal her“, rief Hope Bolton dröhnend. „Wollen dir einen alten Freund vorstellen. Ich glaube, du kennst ihn nicht mehr. Der Bursche heißt Frederick Lawes und ist noch fauler als wir. Er kann sich rühmen, noch keine zwölf Stunden gearbeitet zu haben. Trotzdem lebt er nicht schlecht. Er hat eben eine doppelte Schnapsrunde gestiftet.“

Frederick Lawes blickte mit wäßrigen Augen auf den neuen Kellner. „Das ist James Green, wie?“, fragte er hüstelnd. „Erkenne ihn noch, obwohl er sich mächtig verändert hat. Wie gehts, James? Habe dich nicht mehr gesehen, seit du damals getürmt bist.“

„Ich heiße Ralph Condray“, sagte der Kellner eisig. „Bitte das im Gedächtnis zu behalten, guter Mann. Und nun stören Sie mich bitte nicht länger in der Arbeit.“

„Er hat einen Tick“, grinste Hope Bolton prustend. „Er will nur noch als Mr. Condray angesprochen werden. Angeblich hatte er drüben in Südamerika eine große Mine, die ihn in wenigen Jahren zum Millionär machte..."

Wieherndes Gelächter am Tisch. Auch Frederick Lawes meckerte laut und schallend.

Als sie sich endlich wieder beruhigt hatten, stürzte der hagere Eckensteher drei scharfe Schnäpse hinunter. Er war schon ziemlich betrunken. Seine Augen glänzten wie im Fieber. Die Worte gingen nur schwer über seine Zunge.

„Habe euch etwas Wichtiges mitzuteilen, Boys“, murmelte er schleppend. „Könnte ein gutes Geschäft für uns alle werden. Allein traue ich mich an die Sache nicht recht heran. Alfred Glashill ist ein verdammt mißtrauischer Bursche. Er läßt mich Tag und Nacht nicht mehr aus dem Auge. Anscheinend wittert er bereits, daß ich ein Hühnchen mit ihm rupfen will.“

„Wovon redest du denn?“, brummte Hope Bolton aufhorchend. „Du mußt schon etwas mehr aus dir herausgehen. Wenn das Geschäft nicht viel Arbeit macht, sind wir dabei. Was meint ihr, Jungens?“

Die beiden anderen nickten stumpfsinnig. Sie hatten vorerst kein großes Interesse an der ganzen Sache. Aber als Frederick Lawes dann weitererzählte, bekamen sie auf einmal kugelrunde Augen. Hektische Flecken malten sich in ihren Gesichtern. Sie tuschelten und raunten in gehetzter Eile.

„Abgemacht“, beendete Hope Bolton schließlich die Debatte.

„Morgen Nacht schaukeln wir die Sache, Frederick! Um ein Uhr, verstanden? Bill Webster wird einen Wagen besorgen. Wir treffen uns an der Eisenbahnbrücke gleich hinter dem Lokal. Und nun kein Wort mehr darüber. Dieser verdammte Detektiv schnüffelt dauernd in unserer Nähe herum. Schluß, Boys! Bringt ein anderes Thema!“

Ralph Condray ahnte nichts von diesen Gesprächen. Er ging still und geschäftig seiner Arbeit nach. Noch eine Stunde bis Dienstschluß! Dann konnte er die müden Knochen ausruhen. Er war das ewige Herumlaufen noch nicht so richtig gewöhnt.

Als ein frischer Luftzug über sein Gesicht strich, wandte er den Kopf um. Er sah, daß sich die Tür geöffnet hatte. Maud Ruby trat herein. Sie warf ihm einen raschen Blick zu, dann ging sie zu einem Ecktisch, der in seinen Rayon gehörte. Sie zog ihren Mantel aus und setzte sich still auf den nächsten Stuhl.

Wie schön sie ist, dachte Ralph Condray in widerwilliger Bewunderung. Wenn sie in richtige Hände gekommen wäre, hätte man viel aus ihr machen können.

Sie war auch wirklich sehr reizvoll anzusehen. Das aparte Gesicht mit den schwarzen Locken und den großen, dunklen Augen mußte jedem im Gedächtnis bleiben, der es einmal gesehen hatte. Ein Wunder, daß sich Mack Rupper so leicht von ihr getrennt hatte. Manchem Mann wäre sie mehr wert gewesen als blinkende Silberlinge und schmutziges Papiergeld.

Ralph Condray ging langsam zu ihr hin. Er mußte sie bedienen. Es war seine Pflicht. „Was willst du trinken?“, fragte er ernst.

„Einen Gin, bitte!“

Er brachte ihr das Getränk. Da er im Augenblick nichts weiter zu tun hatte, setzte er sich ein Weilchen an ihre Seite. Er nahm zwei Schlüssel aus der Tasche und legte sie vor ihr auf den Tisch. „Ich brauche sie nicht mehr“, sagte er halblaut. „Ich kann jetzt hier schlafen. Du wirst erleichtert sein, nicht wahr?“

Maud Ruby sagte nichts. Sie nippte von ihrem Schnaps und blickte ihn dabei forschend an. Kurz nachher schob sie ihm die Schlüssel wieder zu.

„Behalte sie“, sagte sie leise. „Ich hätte es gern, wenn du nach Dienstschluß wieder zu mir kämst. Wenn es dir recht ist, werde ich bis zur Sperrstunde hier auf dich warten. Du kannst mich dann heimbegleiten.“

„Ach?“, sagte Ralph Condray erstaunt. „Woher denn diese plötzliche Zuneigung?“

„Es ist keine Zuneigung“, sagte Maud Ruby tonlos. „Es ist nur, weil ... ich habe . . . ich . . .“

„Na, was denn? Was hast du? Warum soll ich mit dir gehen? Fürchtest du dich allein?“

„Ja, das ist es“, sagte Maud Ruby mit erstickter Stimme. „Ich vergehe vor Angst. Ich schlafe nachts keine Stunde, wenn ich allein bin. Die ewige Furcht...“

„Vor wem hast du Furcht?“

„Vor Mack Rupper.“

„Wieso denn? Er ist doch weg.“

„Nein, er ist da. Ich habe ihn erst gestern nacht gesehen. Er stand unten am Lofting Oval und spähte zu mir herauf. Er rief sogar meinen Namen. Ich hörte seinen Pfiff. Einen dünnen, schneidenden Pfiff. Das kann niemand nachmachen. Er ist es gewesen. Ich weiß es.“

Ralph Condray nahm zaudernd die Schlüssel vom Tisch und ließ sie nach einer Weile in der Tasche verschwinden.

„Gut“, sagte er rasch atmend. „Ich komme mit. Warte hier auf mich, bis ich fertig bin.“

Es war nicht mehr weit bis zur Sperrstunde. Das Lokal leerte sich. Auch die einstigen Freunde Mack Ruppers waren schon gegangen. Eine Lampe nach der anderen erlosch.

„Schluß für heute“, verkündete schließlich Ruth Bonfield mit heller Stimme. „Ich brauche Sie nicht mehr, Mr. Condray. Sie können gehen.“

Ralph Condray half Maud Ruby in den Mantel und geleitete sie zur Tür. Ein stürmischer Herbstwind empfing sie auf der Straße. Kalt schlug ihnen der Regen ins Gesicht. In den Rinnsteinen gurgelte schmutziges Wasser.

„Wir haben nicht weit“, sagte Maud Ruby leise. „Komm! Du kennst ja den Weg. In fünf Minuten sind wir da.“

Sie gingen schweigsam nebeneinander her. Schon nach wenigen Schritten waren sie völlig durchnäßt. Der Wind drang durch die dickste Kleidung bis auf die Haut.

„In der Taverne hätte ich es gemütlicher gehabt“, seufzte Ralph Condray. „Bei diesem Wetter jagt man keinen Hund auf die Straße. Ich kann mir auch gar nicht vorstellen, daß Mack Rupper plötzlich wieder aufgetaucht ist. Und warum solltest du dich vor ihm fürchten? Früher bist du seine Liebste gewesen. Du hast ihm sicher manche Zärtlichkeit geschenkt. Warum läßt du ihn nicht einfach ein? Vielleicht will er nur einen Kuß von dir haben?“

Maud Ruby schwieg. Ihr Gesicht war blaß, ihr Mund schmerzlich verzogen. Man sah ihr an, wie sehr sie seine Worte quälten.

„Warum fürchtest du dich vor ihm? Sag doch endlich die Wahrheit! Du bist doch bis zuletzt seine treue Braut gewesen?“

„Nein“, flüsterte Maud Ruby scheu. „Das stimmt nicht.“

„Warum stimmt das nicht?“

„Ich habe ihn zuletzt gehaßt“, gestand sie mit brüchiger Stimme. „Ich haßte ihn mehr als den Teufel. Er wußte das auch. Er bedrohte mich immer wieder mit dem Tode.“

„Ach“, spottete Ralph Condray bitter. „Nun kommt das alte Märchen, wie? Ein herumgestoßenes Mädchen, das ohne Eltern aufgewachsen ist. Schlechte Freunde, Hunger und keine Arbeit. Da blieb dann als einziger Freund nur Mack Rupper übrig. Ausgerechnet ein Mörder mußte es sein.“

„Damals war er kein Mörder“, sagte Maud Ruby herb. „Ich hielt ihn für einen anständigen Mann. Er sagte mir nicht, welches Geschäft er betrieb. Ich glaubte seinen Worten. Ich hielt ihn für einen Vertreter.“

„Und als ihn dann die Polizei zu jagen begann?“

„Da wollte ich weg von ihm“, sagte Maud Ruby kummervoll. „Ich habe ihm ins Gesicht geschrien, wie sehr ich ihn verabscheue. Ich sagte ihm auch, daß ich ihn nicht decken würde. Ich wartete darauf, daß ihn die Polizei verhaften würde. Ich sehnte brennend diese Stunde herbei. Ich wäre dann endlich frei gewesen.“

„Du hättest doch auch so von ihm Weggehen können?"

„Nein“, seufzte Maud Ruby bedrückt. „Ein Zeichen, wie schlecht ihr alle Mack Rupper kennt. Er hätte mich getötet, noch ehe mir der erste Schritt in die Freiheit gelungen wäre. Er hätte mich nie weggelassen. Ich lebte wie eine Sklavin in meiner eigenen Wohnung.“

„Ich glaube kein Wort von dieser ganzen Geschichte“, warf Ralph Condray mürrisch ein. „Sie klingt so kitschig wie ein billiger Schundroman. Wollen wir nicht mehr davon reden. Es widert mich an.“

Daraufhin wagte Maud Ruby wirklich kein Wort mehr zu sagen. Sie ging schweigsam neben ihm her. Bitternis und Verlorenheit malten sich in ihrem aparten Gesicht.

Sie erreichten das rote Backsteinhaus am Lofting Oval in Islington. Maud Ruby schloß die Türe auf. Nebeneinander gingen sie auf die steile Treppe zu. Als sie oben angekommen waren und vor der Wohnung standen, hatte Ralph Condray wieder das beklemmende Gefühl, als hätte hinter dieser Tür sein Leben eine schicksalhafte Wende genommen. In dieser Wohnung hatte sein ganzes Unglück angefangen. Und dabei hatte er die dumpfe Ahnung, als stünde ihm das Schwerste noch bevor.

„Komm doch!“, sagte Maud Ruby drängend. „Komm herein! Das Wohnzimmer ist warm geheizt.“

Es war wirklich recht gemütlich in dem nett ausstaffierten Raum. Im Ofen knisterte das Feuer. Die Stehlampe spendete trauten Schein. Aus dem Radio kam schmeichelnde Musik. Ralph Condray setzte sich auf das Sofa und starrte mißmutig vor sich hin. Er war bei schlechtester Laune. Düstere Ahnungen bedrückten ihn.

„Willst du schon schlafen gehen?“, fragte Maud Ruby verlegen.

„Oder soll ich dir etwas zu trinken holen? Ich habe alles da. Wein, Bier, Whisky oder . . .“

„Nein, laß nur“, sagte Ralph Condray einsilbig.

„Ich bin müde. Ich werde wieder hier auf dem Diwan schlafen.“

Er sah, daß sich Maud Ruby zögernd umdrehte. Sie hätte gern noch etwas gesagt. Ganz langsam ging sie zur Tür. Bei jedem Schritt hoffte sie, daß er sie zurückrufen würde. Als es nicht geschah, wanderte sie niedergeschlagen in ihr eigenes Zimmer hinüber. Man hörte sie dort eine Weile herumhantieren. Dann wurde es still. Ralph Condray löschte das Licht und streckte sich zum Schlafen aus. Er schwebte schon zwischen Wachen und Träumen, da hörte er plötzlich die Tür gehen. Sofort stand wieder der Überfall der ersten Nacht vor seinen Augen. Die Erinnerung an den gemeinen Diebstahl ließ ihn jäh aus dem Schlaf fahren. Er richtete sich hastig auf.

„Wer ist da?“, fragte er heiser.

„Ich bins“, sagte eine scheue Stimme. „Maud Ruby. Ich kann nicht allein bleiben. Ich habe Angst. Ich weiß genau, daß ich drüben kein Auge zutun könnte. Ich werde mich hier auf einen Stuhl setzen. Es wird dir nichts ausmachen. Ich bin ganz still.“ Sie zog sich einen Stuhl an sein Lager und rückte so eng an ihn heran, daß er ihren Atem spüren konnte. Ihre Gestalt zeichnete sich wie ein verlockendes Schemen aus dem Dämmerlicht. Sie hatte fast nichts an. Ihre nackten Schultern leuchteten wie dunkle Bronze.

Zwei, drei Minuten lang spürte Ralph Condray sein Herz schneller schlagen. Er war auch nur ein Mann. Er hätte sie gern in die Arme genommen. Aber dann sagte er sich wieder, daß sie die Freundin eines Mörders gewesen war. Dieser Gedanke schreckte ihn ab. Er stieß ihn immer wieder von ihr zurück. Knurrend drehte er sich auf die andere Seite. Er war schon wieder in einem leichten Dämmerschlaf, da spürte er plötzlich, daß Maud Ruby nach seiner Hand tastete.

„Hörst du es?“, fragte sie mit hohler Stimme. „Horch doch!“

Ralph Condray warf die Decken zurück und starrte zum Fenster hin. Von der Straße kam ein dünner, schneidender Pfiff herauf. Ein Pfiff, der leise dreimal an und abschwoll. Dann hörte man deutlich den Namen ,Maud‘ rufen.

„Das ist er“, flüsterte Maud Ruby entsetzt. „Ich wußte ja gleich, daß er wiederkommen würde. Er steht drunten vor dem Haus. Er wartet.“

„Na und?“, fragte Ralph Condray gereizt. „Warum zögerst du so lange? Laß ihn doch ein. Er will eine Nacht bei seiner Braut verbringen. Genauso wie früher. Das ist alles.“

Er wußte, daß ihr seine Worte wehtun mußten. Aber er wollte es so. Sie sollte fühlen, wie er sie verachtete. Dann sah er plötzlich eine Träne in ihrem Gesicht. Eine Träne, die langsam über die blasse Wange rollte.

„Na schön“, meinte er brummig. „Ich werde unten nachsehen. Bleib du solange hier.“

Er kleidete sich flüchtig an, nahm die beiden Schlüssel aus der Manteltasche und ging aus der Wohnung. Maud Ruby wollte ihn flehend zurückhalten, doch er kümmerte sich nicht darum.

„Ich muß endlich wissen, was hier gespielt wird“, knurrte er ungeduldig. „Laß mich los!“

Er machte sich von ihrem verzweifelten Griff frei und stürmte die Treppe hinunter. Er machte kein Licht. Er wollte dem ändern in der offenen Tür keine Zielscheibe bieten.

Geräuschlos huschte er durch den Hausflur. Leise führte er den Schlüssel ins Schloß. Im nächsten Moment öffnete er die Tür. Wachsam und argwöhnisch spähte er auf die dunkle Straße hinaus. Er entdeckte einen dunklen Schatten, der sich von der gegenüberliegenden Hauswand löste.

„Hallo, Maud?“, fragte eine heisere Stimme. Der Schatten kam etwas näher. Scheu ging er dem Schein der Laternen aus dem Weg. Und dann noch einmal: „Hallo, Maud?“

„Ja, ich bins“, gab Ralph Condray mit verstellter Stimme zurück. „Was willst du?“

Die letzte Silbe seiner Worte war noch nicht im Wind verhallt, da stach ihm ein blendender Feuerblitz in die Augen. Der dumpfe Knall eines Schusses klang in den Flur herein. Das mörderische Geschoß schlug unmittelbar hinter Ralph Condray in die Mauerwand des Treppenhauses. Dort prallte es ab und fiel klirrend auf die Steinfliesen nieder. Ralph Condray warf augenblicklich die Tür zu, stemmte sich mit dem ganzen Körper dagegen und drehte den Schlüssel um. Schwer atmend starrte er in die Finsternis. Er knipste sein Feuerzeug an. Das flackernde Licht fiel blinkend auf den Hausschlüssel, den er eben aus dem Schloß zog.

„Es ist der Schlüssel zum Tode“, murmelte er zwischen verkniffenen Lippen. „Es ist genauso, als hätte mir auf der Waterloo Station der Tod damals ein Geschenk machen wollen. Von jener Stunde an steht mein Leben unter seinem Schatten.“

Er fuhr nervös herum, als er einen leichten Schritt neben sich hörte. Der Luftzug bewegte das kleine Flämmchen huschend hin und her. Gleich darauf stand Maud Ruby in dem kargen Lichtschein. „Mein Gott, was ist denn geschehen?“, fragte sie

mit bleichen Lippen. „Ich hörte einen Schuß fallen. Ich dachte schon, du wärst . . . man hätte dich . . . „

„Der Schuß hat dir gegolten“, sagte Ralph Condray in düsterem Grübeln. „Ich glaube, ich habe dir Unrecht getan. Dein Leben ist wirklich in Gefahr. Ich werde dich in Zukunft vor diesem Satan schützen müssen.“


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