Читать книгу Die Fälle des Kommissar Morry - 10 legendäre Krimi Leihbücher in einem Band - Cedric Balmore - Страница 18
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ОглавлениеAm nächsten Morgen saß Inspektor Hester in seinem Dienstzimmer des Sonderdezernats und las mit mürrischer Miene die Protokolle durch, die die Mordkommission über den Tod Lissy Blacks angelegt hatte. Wachtmeister Swan stand neben ihm und blickte stirnrunzelnd auf das Photo der Toten.
„War ein hübsches Mädchen“, meinte er nachdenklich. „Schade, daß sie ihr Leben nicht anders einzurichten verstand. Sicher hängt ihr Tod mit ihrem leichtfertigen Treiben zusammen.“
Inspektor Hester zuckte niedergeschlagen mit den Achseln. „Das wissen wir nicht, Swan“, sagte er müde. „Sergeant Waldram war ein ordentlicher, pflichtbewußter Beamter. Er hatte eine glänzende Karriere vor sich. Sein Ruf war makellos. Und dennoch traf auch ihn eine abgefeilte Patrone. Er stand mit Lissy Black in keiner Verbindung . . .“
„Doch!“, warf Wachtmeister Swan heftig ein. „Als wir unser Herbstfest im Saalbau am Mardon Place feierten, entfernte er sich schon nach kurzer Zeit. Er stattete Moncktons Kellerbar einen Besuch ab. Dort setzte er sich zu Lissy Black, wie drei Zeugen einwandfrei bestätigten. Er hat sie nachher sogar heimbegleitet.“
„Na und?“, fragte Inspektor Hester mit gerunzelten Brauen. „Was hat das zu besagen? Er verabschiedete sich doch gleich an der Haustür von ihr. Als ihn die Kugel des Mörders traf, stand er ganz allein auf der Straße. No, Swan, so kommen wir nicht weiter. Wir müssen das Pferd von der anderen Seite her aufzäumen. Unsere Frage muß lauten: Standen die beiden Opfer mit Mack Rupper in irgendeiner Verbindung? Verstehen Sie, Swan? Wir müssen uns an Mack Rupper halten. Für mich ist dieser Mann nicht getürmt. Kein Mensch kann dieses blödsinnige Gerücht beweisen. Ich glaube, daß dieser Teufel noch immer in der Nähe ist.“
„Von Sergeant Waldram wissen wir, daß er unerbittliche Jagd auf Mack Rupper machte“, sagte Wachtmeister Swan gedehnt. „In diesem Fall wäre also ein Mordmotiv gegeben. Mack Rupper wollte sich seinen gefährlichsten Verfolger vom Hals schaffen. Es ist mir aber nicht bekannt, daß Lissy Black Beziehungen zu Mack Rupper unterhielt. Ich glaube, sie kannte ihn nicht einmal. Er hat ja seit Jahren eine andere Braut. Ich meine diese Maud Ruby . . .“
„Wir werden später in Moncktons Kellerbar gehen“, sagte Inspektor Hester grübelnd. „Wir werden diesen Dirnen, die dort versammelt sind, gehörig auf den Zahn fühlen. Sicher können sie uns eine klare Auskunft geben. Sie können sich bestimmt erinnern, ob Mack Rupper einmal in diesem Lokal verkehrte oder nicht.“
„Jawohl, Sir“, sagte Wachtmeister Swan stramm. „Das werden wir tun. Ich bin jetzt schon gespannt, was uns diese Mädchen erzählen werden.“
Sie mußten ihr Gespräch unterbrechen, weil es an der Tür klopfte. Nach dem Herein ruf trat Sergeant Robinson vom Sittendezernat über die Schwelle. Er wirkte frisch und selbstbewußt, obwohl die Trauer um den Verlust seines besten Freundes sein Gesicht überschattete. Der blütenweiße Hemdkragen und das sorgfältig gebürstete Haar verrieten, daß er auch in seiner äußeren Erscheinung sehr auf Ordnung hielt.
„Ich bin ab sofort zum Sonderdezernat kommandiert, Sir“, meldete er dienstbeflissen. „Hier ist der Versetzungsbefehl des Sektionspräsidenten. Ich freue mich sehr, in Zukunft unter Ihnen arbeiten zu dürfen, Sir.“
„Was Sie nicht sagen“, brummte Inspektor Hester mit gutmütigem Spott. „Mir kommt diese Versetzung etwas spanisch vor. Haben Sie da nicht ein wenig nachgeholfen?“
„Doch, Sir“, gestand Sergeant Robinson ehrlich. „Sie wissen, daß Sergeant Waldram mein bester Kollege war. Ich bekenne, daß ich seinen Mörder gern zur Strecke bringen würde.“
„Na schön“, meinte Inspektor Hester. „Dem steht nichts im Wege. Sie können uns nachher in Moncktons Kellerbar begleiten. Halten Sie die Augen und Ohren offen, Sergeant! Sie kennen diese Frauenzimmer besser als wir. Sie hatten ja jahrelang mit ihnen zu tun, nicht wahr? Es soll mir nur recht sein, wenn wir einen Fachmann bei uns haben.“
Abends um fünf Uhr war es endlich so weit. Inspektor Hester räumte seinen Schreibtisch auf und verschloß die Protokolle im Aktenschrank. Anschließend nahm er Hut und Mantel aus dem Kleiderspind.
„Wir können gehen“, sagte er förmlich. „Fahren Sie den Dienstwagen vor, Swan! Halten Sie am dritten Seitentor!“
Fünf Minuten später begann die Fahrt. Es ging in den Osten hinüber. Das Stadtviertel Stepney tauchte aus dem Dunst auf. Die Dächer glänzten naß vom ewigen Regen. Auf der Straße verschwammen die verwaschenen Farben der Lichtreklamen. Vor dem Saalbau des Polizeivereins London Ost hielt Wachtmeister Swan den Wagen an.
„Wir sind da, Sir“, sagte er einsilbig. „Wollen Sie vorausgehen?“
Inspektor Hester übernahm wortlos die Führung. Er schritt als erster die ausgetretenen Stufen zur Kellerbar hinunter und räusperte sich abfällig, als ihm der Geruch des Lasters in die Nase stieg. Mit sichtlichem Widerwillen ging er in das schummerige Lokal hinein. Um diese frühe Abendstunde war noch nicht viel Betrieb. Sechs, sieben Venustöchter saßen in der Nähe des Büfetts und verzehrten ein billiges Eintopfgericht. Von Kavalieren war noch nichts zu sehen. Die beiden Kellner waren die einzigen Männer im ganzen Raum.
„Fragen Sie Sandra Bourdon“, murmelte Wachtmeister Swan gedämpft. „Sie war sehr häufig mit Lissy Black zusammen. Vielleicht kann sie uns etwas sagen.“
„Dieses Amt“, meinte Inspektor Hester, „soll Sergeant Robinson übernehmen. Er versteht mit diesen Damen besser umzugehen. Ich kann diese käuflichen Dirnen nicht leiden.“
Sergeant Robinson verstand es wirklich ausgezeichnet, seine langhaarigen Schäfchen zu behandeln. Er brauchte Sandra Bourdon nur einen Wink zu geben, da kam sie auch schon angetrippelt.
„Wenig Freier heute“, meinte er grinsend. „Da ist es nur gut, wenn wir Ihnen etwas Unterhaltung bieten. Haben ein paar kleine Fragen an Sie. Es handelt sich um Lissy Black. Sie kannten sie doch gut?“
„Und ob“, sagte Sandra Bourdon mit heiserer Raucherstimme. „Wir waren wie Schwestern, Sergeant. Es gab keine Geheimnisse zwischen uns.“
Sergeant Robinson musterte sie verstohlen, während sie sprach. Sie war früher einmal Zirkusreiterin gewesen und jahrelang mit einem Stallburschen gegangen. Anscheinend war ihr dieses traute Glück zu langweilig geworden. Jedenfalls hatte sie die freie Liebe einer ehelichen Bindung vorgezogen.
„Haben Sie einen Verdacht, wer Lissy Black getötet haben könnte?“, forschte er gespannt. „Sie brauchen keine Hemmungen zu haben. Sprechen Sie sich offen aus.“
Sandra Bourdon nahm ihre lange Zigarettenspitze zwischen die Lippen und blies blaue Rauchwolken vor sich hin.
„Ich kann Ihnen leider nicht helfen, Sergeant“, sagte sie bedauernd. „Ich habe keine Ahnung, wer Lissy Black nach dem Leben trachtete. Sie hatte keinen festen Freund. Sie hatte auch keine Feinde. Sie ist ihrem Mörder sicher ahnungslos in die Arme gelaufen. Und bestimmt hat sie bis zuletzt nicht geglaubt, daß sie sterben sollte.“
„Etwas anderes“, warf Sergant Robinson hastig ein. „Kennen Sie einen gewissen Mack Rupper?“ „Natürlich“, meinte Sandra Bourdon schaudernd. „Wer kennt ihn nicht. Ich las die Berichte über seine dreckigen Morde in den Zeitungen. Das muß ein wahrer Teufel sein, Sergeant!"
„Hm. Das ist er. Wir würden ihm noch heute nacht das Handwerk legen, wenn wir könnten. Ein winziger Tip würde uns genügen. Ich hoffte, diesen Tip von Ihnen zu bekommen.“
„Von mir?“
„Ja, von Ihnen. Wenn Lissy Black kein Geheimnis vor Ihnen hatte, so müssen Sie auch wissen, ob sie früher einmal mit Mack Rupper befreundet war.“
„Um Gotteswillen!“, fuhr Sandra Bourdon entgeistert auf. „Was sind das für Scherze. Wer nimmt sich schon einen Mörder zum Freund?“
„War Mack Rupper nie hier im Lokal?“
„Nein, niemals, Sir!“
„Wissen Sie das bestimmt?“
„Ja, ganz bestimmt.“
Sergeant Robinson zuckte entmutigt mit den Achseln und kehrte zu Inspektor Hester und Wachtmeister Swan zurück.
„Leider nichts zu machen“, murmelte er ergrimmt. „Ich glaube, wir sind auf der falschen Fährte. Was kann Mack Rupper bewogen haben, Lissy Black zu töten, wenn er sie nicht einmal kannte?“
„Glauben Sie, daß Sandra Bourdon die Wahrheit sagt?“, fragte Inspektor Hester zweifelnd.
„Ja, das glaube ich“, meinte Sergeant Robinson in überzeugtem Ton. „Sandra Bourdon hätte keinen Anlaß, einen Mörder zu decken. Sie hat mich bestimmt nicht belogen.“
„Na gut“, brummte Inspektor Hester bedrückt. „Dann können wir hier unsere Zelte abbrechen. Es war eben mal wieder eine Pleite. Habe mir fast so etwas gedacht.“
Sie wollten sich schon dem Ausgang zuwenden, da trat plötzlich ein Kellner zu ihnen heran. Er hatte einen verschmutzten Zettel zwischen den Händen. Unsicher blickte er auf die Beamten.
„Hier“, meinte er mit betretenem Lächeln. „Vielleicht interessiert Sie das. Ich fand diesen Wisch eben an der Tür. Glaube, daß Ihnen irgendein Unbekannter eine Botschaft zukommen lassen wollte.“ „Geben Sie her“, knurrte Inspektor Hester rasch. Mit einer nervösen Bewegung nahm er dem ändern den Zettel aus der Hand. Gespannt studierte er die schlechte Schrift. Die Buchstaben waren verstellt. Sie sahen aus, als wären sie von Kinderhand geschrieben.
„Wenn Sie Mack Rupper finden wollen“, las Inspektor Hester halblaut, „dann brauchen Sie nur nach Islington in die Dane Street zu kommen. Er bewohnt dort eine Mansardenkammer im Haus Nr. 14. Nachts treffen Sie ihn bestimmt in seiner Wohnung an.“
Inspektor Hester reichte den Zettel kopfschüttelnd an seine beiden Untergebenen weiter.
„Was halten Sie davon, meine Herren?“, fragte er gedehnt. „Haben Sie das Gefühl, daß uns ein glücklicher Zufall zu Hilfe kommen will? Oder glauben Sie, daß man uns in eine Falle locken will?“ Wachtmeister Swan wiegte zweifelnd den Kopf hin und her.
„Die Sache riecht nach einem neuen teuflischen Trick Mack Ruppers“, murmelte er dann. „Ich traue diesem Zettel nicht, Sir! Wenn Sie auf meinen Rat hören wollen, so werfen Sie den Wisch in den nächsten Papierkorb.“
Sergeant Robinson dagegen war völlig anderer Meinung.
„Wir müssen jede Chance nützen, Sir“, sagte er eifrig. „Wie soll man uns denn in eine Falle locken, wenn wir alle drei eine Waffe tragen. So hilflos sind wir auch wieder nicht. Überdies ist Mack Rupper ein schlechter Schütze. Ich bin überzeugt, daß er gegen uns den kürzeren ziehen würde.“
„Na gut“, meinte Inspektor Hester schließlich. „Die Fahrt kostet uns ja nichts. Wir werden uns das Haus auf alle Fälle einmal ansehen.“
Sie gingen nach draußen und stiegen in den Dienstwagen ein. Wachtmeister Swan setzte sich wieder ans Steuer. Er schlug nordwestliche Richtung ein.
„Die Adresse ist eigentlich gar nicht so dumm“, meinte er grübelnd. „In Islington war Mack Rupper seit jeher zu Hause. Auch seine Braut wohnt noch immer dort. Vielleicht will er versuchen, mit ihr wieder Verbindung aufzunehmen.“
Es war schon völlig dunkel, als sie in Islington ankamen. In der Dane Street schaukelten ächzend die Laternen im Wind. Die düstere Straße säumten zwei graue Häuserreihen. Meist handelte es sich um primitive Arbeiterwohnungen.
„Hier ist Nummer 14“, sagte Inspektor Hester flüsternd. „Kommen Sie! Wir wollen keine Zeit vertrödeln.“
Er trat an die Tür heran und drückte auf die Glocke der Hausmeisterwohnung. Wenig später kam ein biederer Mann in blauer Arbeitsschürze herangeschlurft. Er zuckte betroffen zusammen, als er die blitzende Messingmarke in der Hand des Inspektors sah.
„Kriminalpolizei in unserem Haus?“, fragte er beklommen. „Was wollen Sie hier? Wen suchen Sie?“
„Mack Rupper!“, sagte Inspektor Hester kurz.
„Mack Rupper? Und der soll hier wohnen? Sind Sie da nicht auf einen dummen Scherz hereingefallen?“
„Vielleicht“, murmelte Inspektor Hester. „Vielleicht aber auch nicht. Wer bewohnt die Mansardenkammer?“
Das Gesicht des Hausmeisters wurde nachdenklich.
„Moment mal“, sagte er gedehnt. „Lassen Sie mich überlegen, Sir! Ich kann mich an den Namen des Mannes im Moment gar nicht erinnern. Er ist erst vor ein paar Tagen hier eingezogen.“
Inspektor Hester pfiff leise durch die Zähne.
„Sie haben doch sicher einen Universalschlüssel für alle Wohnungen?“, fragte er dann hastig.
„Ja, Sir. Aber ich weiß nicht, ob ich . . .“
„Überlassen Sie uns ruhig die Verantwortung. Kommen Sie mit nach oben! Holen Sie Ihren Schlüssel!“
Unter der Führung des Hausmeisters stiegen sie schon kurze Zeit später nach oben. Die morschen Stufen knarrten bei jedem Tritt. Auch das Geländer ächzte in allen Tonarten. Es war eine grauenhafte Musik. Schnaufend kamen sie oben im Dachgeschoß an. Hier gab es nur eine einzige Tür. Daneben führte eine steile Stiege in den Bodenraum hinauf.
„Öffnen Sie!“, befahl Inspektor Hester rau.
Der Hausmeister gehorchte. Er führte den Schlüssel ins Schloß. Die Tür öffnete sich. Eine primitive Kammer tat sich vor ihnen auf. Inspektor Hester machte Licht und blickte sich neugierig in dem ärmlichen Raum um. Er sah ein mattgraues Bett, einen wackligen Tisch und einen Schrank. Neben ein paar zerfransten Rohrstühlen war das die gesamte Einrichtung. Es gab weder einen Spiegel noch eine Waschgelegenheit.
Wachtmeister Swan trat an den Schrank heran und öffnete die Tür. Der Innenraum gähnte ihm leer entgegen. Kein Anzug, kein Mantel hing an den Bügeln. Auch die Fächer waren leer.
„Entweder ist der Mann, der hier wohnt, ärmer als eine Kirchenmaus, oder er ist inzwischen wieder ausgeflogen“, sagte Inspektor Fiester enttäuscht. „Der Raum sieht völlig unbewohnt aus. Ich glaube nicht, daß dieser Herr noch einmal zurückkehren wird.“
„Das ist auch meine Meinung, Sir“, gähnte Wachtmeister Swan mißmutig. „Wir hätten uns den Weg sparen können. Der Zettel war ein faules Ei.“
Inspektor Hester drehte sich zu dem Hausmeister um. „Wann haben Sie diesen Mieter zum letzten Mal gesehen?“
„Da muß ich erst nachdenken, Sir! Ich glaube, es war vor drei Tagen. Ich kümmere mich nicht viel um die Junggesellen, die hier wohnen. Manchmal bleiben sie eine Nacht weg, manchmal eine ganze Woche.“
„Hm“, sagte Inspektor Hester und war nun wieder so klug wie zuvor. „Wir werden nach Hause fahren, meine Herren! Kommen Sie!“
Wachtmeister Swan schickte sich sofort zum Rückzug an. Aber Sergeant Robinson drückte sich noch immer in der Kammer herum. „Ich werde hierbleiben, Sir“, sagte er kurz entschlossen. „Es macht mir nichts aus, wenn ich mir eine Nacht um die Ohren schlage. Schließen Sie mich hier ein. Morgen früh um acht Uhr können Sie mich dann wieder abholen.“
„Wie Sie wollen“, brummte Inspektor Hester achselzuckend. „Ihre Waffe haben Sie ja bei sich. Ich lasse Ihnen auf alle Fälle meine Taschenlampe hier. Aber ich glaube, diese Überstunden sind völlig nutzlos. Auf so primitive Weise kann man Mack Rupper nicht zur Strecke bringen.“
„Nehmen Sie mir nicht alle Hoffnung, Sir“, bat Sergeant Robinson. „Schärfen Sie dem Hausmeister ein, daß er die Klappe halten soll. Auf keinen Fall darf er den Mieter dieser Kammer warnen.“
„In Ordnung, Sergeant!“, knurrte Inspektor Hester wortkarg. „Wünsche angenehme Ruhe! Morgen früh um acht Uhr sehen wir uns wieder.“
Das Zimmer wurde von außen abgeschlossen. Polternde Schritte stapften die Treppe hinunter. Gleichzeitig löschte Sergeant Robinson in seiner Bude das Licht. Er nahm seine Pistole aus der Tasche, repetierte und ließ eine Patrone in den Lauf gleiten. Er entsicherte die Waffe und hielt sie griffbereit. Dann ließ er sich auf das Lager fallen und schloß die Augen. In dem großen Haus waren noch die mannigfaltigsten Geräusche zu hören. Das Winseln eines Radios, ein paar plärrende Kinderstimmen und das Jaulen eines Hundes klang ziemlich deutlich an die Ohren Sergeant Robinsons. Auch auf der Straße war noch allerhand Betrieb. Dann und wann klang ein Hupton oder das Klingeln einer Fahrradglocke durch die Nacht. Ein paar Betrunkene taumelten schimpfend vorüber. Irgendwo klapperten ein paar Kehrichteimer. Dann war wieder für kurze Zeit Stille.
„Verdammt langweilig hier“, brummte Sergeant Robinson verdrießlich vor sich hin. „Ich glaube, die ändern werden mich morgen früh auslachen. Man sollte nicht immer so übereifrig sein.“
Er machte ein kurzes Nickerchen. Er konnte sich das ruhig erlauben. Sein Schlaf war so leicht, daß er im Unterbewußtsein jedes Geräusch registrierte. Das große Haus ging allmählich schlafen. Von den Kinderstimmen war längst nichts mehr zu hören. Auch der Hund hatte sich inzwischen beruhigt. Nur das Radio spielte immer noch. Ein Sprecher gab eben die Mitternachtsmeldungen durch. Um ein Uhr morgens stand Sergeant Robinson auf, trat ans Fenster und schaute eine Weile auf die düstere Straße hinunter. Anschließend wanderte er ruhelos von der Tür zum Fenster und wieder zurück. Es war eine eintönige Wanderung. Sechs Schritte her, sechs Schritte hin. Bis er dann plötzlich unvermittelt stehen blieb.
Er lauschte. Er horchte mit angehaltenem Atem. Seine Augen hefteten sich wie gebannt auf die Tür. Vom Stiegenhaus her erklangen Schritte. Es war auffallend, wie geräuschlos sich der Mann bewegte. Die morschen Stufen gaben kaum einen Laut. Auch das Geländer rührte sich nicht. Nun waren die Schritte auf dem oberen Absatz angelangt. Sie kamen auf die Tür zu. Kurz nachher drehte sich ein Schlüssel im Schloß. Die Tür öffnete sich. Eine Hand tastete nach dem Schalter. Hell flammte die Deckenbirne auf.
Sergeant Robinson hob die Waffe und hielt den Finger am Abzugsbügel. Aber schon im nächsten Moment ließ er die Pistole wieder sinken.
„Nanu?“, sagte er verwundert. „Mit allem hätte ich gerechnet, aber damit nicht. Wie kommen Sie hierher? Wollen Sie mich für den Rest der Nacht . . . ?“
Weiter kam er nicht. Ein dumpfes Plum riß ihm die Worte von den Lippen. Er spürte einen rasenden Schmerz in der Brust, noch ehe er den stechenden Blitz des Mündungsfeuers sah. Es ging alles unglaublich schnell. Bevor Sergeant Robinson überhaupt begriff, was mit ihm geschah, stürzte er auch schon schwerfällig zu Boden. Sein Anzug war über der Herzgegend im Nu von Blut durchtränkt. Auf dem Fußboden breitete sich eine schillernde Lache aus.
Sergeant Robinson starb, ohne daß er auch nur einen einzigen Hilferuf ausgestoßen hätte. Seine Lippen preßten sich fest zusammen. Sein Gesicht wurde starr. Als das Licht erlosch, und die Tür von außen versperrt wurde, war er längst schon tot.