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Lesen aus Hass

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Manche Menschen lesen aus Hass. Es sind Schriftsteller, die eifersüchtig auf ihre Kollegen, oder Kritiker, die eifersüchtig auf jeden sind. Bei den Erstgenannten heißt es: »Man liest sich nicht gegenseitig, man überwacht sich.« Wie großzügig. Ich nehme an, diese Leute verachten Malraux, der sich, als er einmal das Manuskript eines jungen Autors las, das dieser an den Verlag Gallimard geschickt und das man an Malraux weitergeleitet hatte, auf die Schenkel klopfte und rief: »So ein Freundchen! So ein Freundchen!«. (So hat es zumindest Emmanuel Berl erzählt.) Dass dieser junge Autor genauso schlecht schrieb wie Pierre Drieu La Rochelle steht auf einem anderen Blatt. Drieu hatte eine Art, die Malraux gefallen konnte, zudem war er ein Kind seiner Zeit, und so etwas wirkt modern, wenn es erscheint. Malraux hat in Die Zeit der Verachtung geschrieben – man könne die Welt in Menschen einteilen, denen die bittere Genugtuung, jemanden zu verachten, Freude bereitet, und Menschen, die nicht einmal daran denken. Die Letzteren leben in Gefahr. Man kann sie auch in Malraux-Hasser oder -Nichthasser einteilen. Der Hass auf Malraux war lange Zeit symptomatisch für einen bestimmten Typus Mensch. Irgendwann war es damit wieder vorbei. Wie bei Camus. Camus nicht zu mögen, konnte 1955 bedeuten, dass man unmenschlich war (Faschist oder Stalinist). Im Jahr 2010, da der politische Streit, in dem Camus Position bezogen hatte, längst vergangen ist, gilt das höchstens noch in den Köpfen derer, die diese Zeit miterlebt haben und daran festhalten, weil sie sich keinen literarischen Grund vorstellen können, der gegen Camus spräche. Obwohl, es gibt auch kluge 85-Jährige.

Welch ein Klüngel, diese Schriftsteller! Ein Fußbad der Missgunst. Ich glaube, ich werde Bühnenautor, die hassen sich weniger, wenn man Paddy Chayefsky glauben darf, dem Autor von The Latent Heterosexual (1968), was ich übrigens noch lesen muss. Antonia Fraser schreibt darüber in Musst du wirklich schon gehen? (Must you go?, 2010), dem Tagebuch ihrer Ehe mit Harold Pinter, sehr interessant, and so chic, etwas zu schick vielleicht. Auf zwei Seiten liefert sie ein Resümee dessen, was rückblickend in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Westen die kleine verschworene Gemeinschaft der »Kaviar-Linken« ausmachte: Die englische Gruppe empfängt aufgeregt einen südamerikanischen Revolutionär, der sich inzwischen zu einem lokalen Führer gemausert hat, Daniel Ortega aus Nicaragua. Die Treuherzigkeit dieser Leute ist nicht unsympathisch, denn sie entspringt dem Bedürfnis, richtig zu handeln, wohingegen der systematische Widerstand gegen den Fortschritt manchmal der Verachtung entspringt.

Auf der Suche nach einem Beispiel für eifersüchtige Kritiker – so viele sind es nicht – habe ich tagelang eine Zeitschrift durchforstet, von der ich glaubte, dass ich darin fündig werden würde. Ich wurde fündig, aber nicht glücklich. Es ist so, als hätte man in Mülleimern gewühlt. Ich habe eine Frau entdeckt, eine strenge Richterin über anderer Leute Stil, die selbst wie eine gehässige Gymnasiastin schreibt und sich, bloß weil sie ihre Platitüden in rabiate Worte fasst, für scharfsinnig hält. Sie liebt es, Schriftsteller anzugreifen. Diese Leute, die uns angreifen, haben nicht immer Talent. Deshalb suchen sie Zuflucht im Vulgären. Um die Schwäche ihrer Argumentation wettzumachen, schreibt diese Frau in der Wir-Form. »Wir«, das Feuilleton ihrer Zeitschrift. Auf diese Weise zieht sie Menschen in ihre Machenschaften hinein, denen ihr sektiererisches Auftreten unangenehm ist. So schreibt jemand, der sich, noch feucht hinter den Ohren, schon für eine Prophetin hält. Es gibt also eine Art des Lesens, die kriecht und geifert. Da ich aber nicht die geringste Lust auf Dinge habe, die mir keine Freude bereiten, überlasse ich es den Moralisten, diese weiter zu untersuchen.

Und jetzt ein bisschen frische Luft.

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