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Lesen und Macht

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Die einzige Frage, die man sich im Hinblick auf einen Chef stellen sollte, lautet: Würde er die Bibliothek von Alexandria anzünden? Erscheint einem dieser Gedanke nicht plausibel, ist er gutmütig, und es besteht kein Grund zur Sorge. Andernfalls haftet ihm wohl etwas Vulgäres an. An Kalif Omar, den Schwiegersohn von Mohammed, erinnern wir uns, weil er mit der Vulgarität eines Fanatikers die endgültige Zerstörung dieser Bibliothek angeordnet hat (642, Eroberung Ägyptens), der wertvollsten Sammlung der Antike, deren Manuskripte für immer verloren sind. Der Zynismus von Tyrannen aus gutem Hause kann genauso zerstörerisch sein wie der Glaube, wenn er von dahergelaufenen Ehrgeizlingen instrumentalisiert wird. Solche plötzlich an die Macht gekommenen Menschen sind häufig konservativ, weshalb sich manchmal ausgerechnet die schlimmsten Diktatoren als Förderer der Lektüre entpuppten. In der Sowjetunion waren Bücher günstig, in den Schulen wurde zaristische Literatur gelehrt – wenn auch nur, um zu beweisen, dass der Realsozialismus über die Feudalherrschaft gesiegt hatte –, und die Manuskripte der Klassiker wurden sorgsam verwahrt. Der aus Büchern geborene Bolschewismus stellte das Buch unter seinen Schutz. Marx hat Puschkin gerettet. Beide Mitglieder der schreibenden Zunft! Ich denke nicht ohne Melancholie an den Sommer 1988 zurück, den letzten fröhlichen Sommer für unsereins, die Elite der Partei, als wir auf der Terrasse unserer Datscha am Ufer des Schwarzen Meeres noch einmal Der Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft von Josef Stalin lasen (das meiner Meinung nach besser ist als Die ökonomischen Probleme des Sozialismus in der UdSSR).

Man möge lieber meine Bücher verbrennen als Menschen.

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