Читать книгу Die Tränen der Rocky Mountain Eiche - Charles M. Shawin - Страница 10

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Der Anlegesteg

Das Wetter änderte sich nicht. Zwar stieg die Temperatur etwas, dies hatte aber nur zur Folge, dass statt Graupel Regen fiel. Wenn man im Freien arbeitete, war das Eine so unangenehm wie das Andere. Wohl oder übel musste sich Dave den Regenumhang überziehen und einen breitkrempigen Hut aufsetzen, obwohl er beide nicht mochte, weil sie ihn bei der Arbeit behinderten.

Die Zusammenarbeit mit der Sägemühle klappte prompt. Noch am Sonntagnachmittag hatte Marcell, der Besitzer, einen Teil des Holzes für Cuthbert geschnitten. Dave nahm es auf dem Ladewagen mit, als er am Montag früh zu Uptons Haus fuhr. Für den Pier würde es allemal reichen.

Das Ehepaar schlief noch, jedenfalls hatte es den Anschein. Das Pferd stand im Stall, der Tilbury in der Scheune, und die Fensterläden des Hauses waren verschlossen. Dave fuhr also zum Fluss, lud dort das Holz und das Werkzeug ab und brachte Bessie in den Stall, um sie nicht weiter dem Regen auszusetzen. Das Holz bedeckte er mit einer Plane.

Die Uferböschung war vom Regen aufgeweicht – sie war eine einzige Rutschbahn. Dave musste deshalb zuallererst für eine Treppe sorgen. Er nahm den Zollstock, maß die Böschung und sägte zwei Vierkanthölzer auf die entsprechende Länge. Nun ermittelte er die Anzahl der Stufen und schnitt auch hierfür Bretter zurecht. Das Ufergefälle zu berechnen war mit Hilfe der Gehrungsschmiege nicht schwierig: Aufgrund des Winkels sägte er Einkerbungen in die zwei Kanthölzer.

Er wollte eben damit beginnen, die einzelnen Teile zusammenzubauen, als sich die Läden am Haus öffneten und kurz darauf Granville Upton zum Fluss kam. Er lobte Daves Arbeit, verschwand dann aber wegen des Regens schnell wieder im Haus.

Um die Mittagszeit stand die Treppe. Als er nun auf ihr hinunter und wieder hinauf ging, sank sie nur geringfügig am unteren Ende in den Matsch. Dave konnte sich aber vorstellen, dass sie noch viel tiefer einsank, wenn erst mehrere Männer, noch dazu beladen mit schweren Pelzbündeln, auf ihr liefen. Ein Fundament war darum unbedingt notwendig. Damit aber wollte er erst später beginnen. Trotz des Wetters war er rasch vorangekommen, und er gestand sich eine kleine Pause ein.

Im Stall war es warm und trocken. Dave setzte sich auf eine Garbe saubere Streu, packte eine dicke Scheibe Brot, den Anschnitt einer gepökelten Wurst und einen Krug Wasser aus und begann hungrig zu essen.

Er saß noch nicht lange, als sich die Tür öffnete und Clarissa Upton eintrat. Sie trug dasselbe Kleid wie gestern, doch hatte sie heute auf die Schute und die Handschuhe verzichtet. Auch schien es Dave, als habe ihr Gesicht etwas Farbe angenommen.

Er hatte nicht erwartet, die feine Dame im Stall zu sehen, und fragte sich, was sie bewogen haben mochte, ihre teuren Schuhe dem Matsch und ihr gepflegtes Haar dem Regen auszusetzen.

„Wie ich sehe, sorgen Sie für sich selbst”, begann sie. Sie sprach leise und gewählt. In ihrer Stimme lag etwas angenehm Weiches, Harmonisches. Sie lächelte aufmunternd. „Warum kommen Sie nicht ins Haus? Das Essen reicht auch für drei.” Und weil Dave sie überrascht ansah, fügte sie leicht gekränkt hinzu: „Sie dachten wohl, eine feine Dame wie ich kann nicht kochen?”

Da Dave schon fast satt war, lehnte er das Angebot dankend ab, um sie aber nicht zu kränken, versicherte er, morgen zum Essen ins Haus zu kommen, wenn es dann immer noch recht sei.

Es sei sehr recht, sagte sie. Sie setzte sich neben Dave und begann, von sich zu erzählen. Sie tat es mit sichtlicher Freude; ihre Augen strahlten dabei, und manchmal lachte sie herzhaft.

Ihr Vater war der Baron von Kaltenberg, der wegen politischer Diskrepanz vor dreißig Jahren Deutschland verlassen und in Baltimore eine neue Heimat gefunden hatte. Schon bald verstand er sich auf den Export von Tabak, eignete sich mehrere Schiffe an und gehörte jetzt zweifellos zur High Society. Sie selbst sei im Luxus aufgewachsen und habe deshalb auch Granville geheiratet, weil der ihr das gewohnte Leben weiterhin bieten konnte. Dass sie jetzt allerdings in die Provinz verschlagen wurde, habe sie nicht geahnt. Und Granville habe leider sehr wenig Zeit für sie. Jetzt gerade sitze er wieder am Tisch und schreibe Briefe an wichtige Persönlichkeiten. Er sei eben durch und durch Geschäftsmann. Sie aber sehne sich danach, wieder in den Osten zurückzukehren. Sie sah Dave unverhohlen an, so wie man ein Pferd ansah, um seinen Wert zu taxieren.

„Ich bin mir sicher”, sagte sie, ohne den Blick von dem jungen Zimmermann zu wenden, „Sie werden aus dieser Hütte ein wunderschönes Haus zaubern. Über die Einzelheiten werden wir beide noch zu reden haben.”

Sie zwinkerte vergnügt. Dann stand sie auf und eilte hinaus in den Regen.

Dave schüttelte verständnislos den Kopf. Wenn er in vielem mit Cuthbert uneins war, so musste er ihm jetzt gleich zweimal zustimmen. Erstens: Je reicher die Leute wurden, desto verrückter wurden sie. Und zweitens, dabei grinste er verträumt: Upton hatte eine verdammt hübsche Frau.

Das Fundament auszuheben, war eine langwierige und anstrengende Arbeit. Der Boden war glitschig und schwer und blieb dauernd an der Schaufel kleben. Dave fluchte, als er eine zwei Fuß tiefe und vier Fuß lange Grube ausgehoben hatte und dann die regennasse Erde nachrutschte und das Loch verschüttete. Wieder musste er von vorne beginnen. Diesmal schlug er Pflöckchen in die Erde, um ein Nachrutschen zu verhindern, und als er schließlich auf der gewünschten Tiefe war, dämmerte es. Aber Dave wollte noch immer nicht aufhören, obwohl er todmüde war. Er hatte sich vorgenommen, die Treppe heute fertigzumachen, und er würde es tun, so lange es auch dauerte.

Er schlug zwei starke Pfähle so weit in das Loch, dass sie mit der Oberfläche gleich waren. Den restlichen Raum füllte er mit Steinen, die er mühsam im Halbdunkel zusammensuchte, und stampfte sie fest. Die Pfähle waren somit fest verankert. Am oberen Rand der Böschung beschränkte er sich darauf, zwei Pfosten in die Erde zu rammen, über die er ein Kantholz nagelte. Als er jetzt die Treppe darauf befestigte, fand sie oben wie unten festen Halt. Nun würde sie auch die Belastung mehrerer Männer gleichzeitig und mehrerer Pelzbündel standhalten.

Zufrieden besah er das Ergebnis seiner Tagesarbeit. Er sammelte das Werkzeug zusammen und lud es auf den Wagen, als plötzlich Upton hinter ihm stand.

Am Vormittag, als er nach Dave gesehen hatte, war die Treppe schon fast fertig gewesen, und jetzt erkannte er in der Dunkelheit nichts weiter als die Treppe.

„Was haben Sie eigentlich den ganzen Tag gemacht?“, fragte er barsch.

Dave war etwas verwundert über diesen Ton. Höflich führte er

Upton die Treppe hinnter, zeigte ihm das Fundament und erläuterte ihm kurz dessen Notwendigkeit.

Upton war ein Mann, der offen sagte, was er dachte. Und wenn er einen Fehler gemacht hatte, dann gestand er ihn auch ebenso offen ein.

„Männer wie Sie, die bei der Arbeit denken, schätze ich”, sagte er und schüttelte Dave die Hand. „Ehrlich gesagt, als Ihr Kompagnon sich selbst und Sie als die besten Zimmermänner der Stadt anpries, zweifelte ich. Doch ich muss einsehen: Er hat Recht behalten.”

Dies war das letzte Mal, dass er versuchte, Daves Arbeit in Frage zu stellen. Von nun an vertraute er dem jungen Zimmermann voll und ganz, auch wenn er manchmal nicht sofort einsah, weshalb dieses und jenes so und nicht anders gemacht wurde. Upton wusste nun, er hatte einen Mann vor sich, der Verantwortung übernehmen konnte und der zudem geschickt arbeitete.

Diese Nacht fiel Dave ausgemergelt in sein Bett. Er hatte nicht nach Mr Blackmore gesehen, obwohl er das bisher nach Arbeitsschluss immer getan hatte. Auch zum Abendessen war er zu müde. Schon nach wenigen Minuten schlief er ein.

Dave freute sich, als er am nächsten Morgen durchs Fenster sah und die Wolken verschwunden waren. Es regnete nicht mehr. Die Herbstsonne stand tief am Himmel, und das bunte Laub, das auf den

Dächern der weiß getünchten Häuser lag, verlieh dem neuen Tag

Lebendigkeit.

Er hatte länger geschlafen, als er gewollt hatte, deshalb blieb er nur kurz bei Mr Blackmore, um in dessen Küche einen Bissen zu sich zu nehmen, und schon wenige Minuten später sah man ihn auf dem Kutschbock sitzen und fröhlich die betagte, gute Bessie antreiben. Er fuhr nicht direkt zu Uptons Haus, sondern lenkte ostwärts zum

Hafen. Zwei Tage schon lag dort ein Dampfschiff träge im Wasser. Dave hatte sich seit jenem denkwürdigen Tag im Jahre 1817 längst an den Anblick dieser monströsen, Dampf ausspeienden Ungeheuer gewöhnt. Ohne dem Schiff besondere Beachtung zu schenken, schritt er den hölzernen Kai entlang zu Carl Hills Laden.

Hill war Fischer und ließ es sich trotz seiner siebzig Jahre nicht nehmen, noch selbst den Mississippi hinaus zu rudern. Nicht selten kam er dann mit Barschen und Lachsen zurück, die zusammen hundert oder mehr Pfund auf die Waage brachten, um sie in seinem Laden feilzubieten. Dave mochte den alten Fischer, weil er stets vergnügt war und sich nichts, um den sittlichen Anstand und „all die Kleinkrämerei”, wie er es nannte, kümmerte.

Dave bat ihn um ein kleines Boot, das er sich für zwei oder drei Tage borgen wollte. Nachdem Hill erfahren hatte, wozu es Dave benötigte, war er ohne Zögern einverstanden und half, den Trimaran sowie zwei Riemen auf den Wagen zu laden. Dave bedankte sich und fuhr dann weiter zu Uptons Haus.

Er staunte, weil Upton schon auf den Beinen war. Die Kutsche stand angespannt vor der Tür, auf dem Ledersitz lag ein kleiner Koffer. Der Admiral stand wartend vor dem Haus und kam ihm entgegen. „Ich fahre mit dem Dampfschiff nach Louisville und komme in etwa einer Woche wieder.“

„Was ist mit den Trappern?”

„Captain Orlando Bell weiß Bescheid. Er ist mein Stellvertreter und besitzt sämtliche Vollmachten. Wenn Sie ihm bei seiner Ankunft das Pelzdepot zeigen, genügt das.” Der Admiral zog einen weißen, unversiegelten Umschlag aus seiner Jackentasche und reichte ihn Dave.

„Eigentlich war es vereinbart, ihn Mr Cuthbert Blackmore zu geben”, sagte er, die Stirn runzelnd. „Lieber aber gebe ich den Umschlag

Ihnen. Wenn Sie jetzt noch nachzählen und mir den Erhalt quittieren könnten.”

Dave zögerte. Er besaß keine Vollmacht, um so etwas unterzeichnen zu können. Dies oblag entweder Hastings oder Cuthbert Blackmore. Cuthbert war weg, und um zum alten Mr Blackmore zu reiten, fehlte die Zeit, da Uptons Schiff schon bald auslief.

Upton schien Daves Überlegungen zu erraten. „Für mich spielt es keine Rolle, wer unterschreibt. Aber unterschreiben muss jemand, das werden Sie verstehen.”

Er drückte Dave den Beleg und einen Stift in die Hand, und Dave unterschrieb.

„Es hat schon seine Richtigkeit”, beruhigte ihn Upton. Er verabschiedete sich höflich. Inzwischen war auch seine Frau aus dem Haus getreten, die ihn mit der Kutsche zum Hafen brachte.

Dave steckte den Umschlag in seine Werkzeugkiste. Doch schon kurz darauf zog er ihn wieder hervor. Ihm war eingefallen, dass er nicht nachgezählt hatte. Wenn Upton weniger als vereinbart bezahlt hatte – was er ihm nicht zutraute, was aber dennoch der Fall sein konnte –, war es ihm noch möglich, ihn vor Ablegen des Schiffes zu erwischen. Er öffnete also die Lasche und zählte zu seiner Überraschung siebenhundert Dollar. Also hatte Cuthbert tatsächlich gelogen. Das waren dreihundert Dollar, die er seinem Vater unterschlagen wollte. Fünfzig oder gar hundert hätte er ihm durchaus zugetraut und eventuell auch zugestanden, aber dreihundert Dollar, das war nichts weiter als heimtückischer Betrug, noch dazu am eigenen Vater! Dave faltete das Papier wieder und steckte es zurück in die Kiste. Er überlegte: Wenn Cuthbert kam, musste er ihm den Umschlag geben. Behalten konnte er ihn ja schlecht. Spätestens, wenn Upton zurückkäme und Cuthbert mit ihm über die Entlohnung reden würde, musste er ihn aushändigen. Und doch gab es eine andere Möglichkeit.

Er nahm den Umschlag wieder zu sich und schob ihn unter sein Hemd. Dann schirrte er Bessie aus und ritt nach Hause. Er fand Mr Blackmore im Garten beim Füttern der Gänse. Ihm übergab er den Umschlag.

„Das ist unsere Entlohnung”, sagte er. „Upton hat sie mir eben gegeben. Da sie mir auf der Baustelle nicht sicher aufgehoben schien, brachte ich sie her.”

Blackmores Rheumahände umkrallten das Kuvert, ungelenk öffnete er es sogleich.

„Verdammt”, entfuhr es ihm vor Staunen. Dann bebte seine Stimme vor Zorn. „Dieser hinterlistige Teufel. Cuthbert wollte uns be-

scheißen!” Er war enttäuscht deswegen und maßlos wütend.

Er packte Dave am Arm, zog ihn ins Haus in sein Schlafzimmer und deutete auf eines der Wandbretter. Dave konnte nichts Ungewöhnliches daran erkennen. Erst als Mr Blackmore leicht dagegenstupste, sah er, dass es locker war. Dahinter verbarg sich ein Hohlraum, in dem etwa zwanzig Dollar lagen – der kümmerliche Rest der Ersparnisse. Blackmore legte die siebenhundert Dollar dazu. Nachdem das Brett wieder an seinem Platz war, wies nichts auf das Versteck hin.

„Nur wir beide wissen davon”, sagte Blackmore verschwörerisch. „Sonst niemand, verstehst du, Dave?”

Dave verstand. Der Vater traute seinem eigenen Sohn keinen Zoll über den Weg. Und das aus gutem Grund.

Als Dave bei Uptons Haus ankam, stand der Tilbury wieder vor der Tür. Mrs Upton war also bereits zurück.

Wegen der Fahrt zum Hafen, um das Boot zu holen, und dem Ritt zu Mr Blackmore war kostbare Zeit verstrichen. Es war inzwischen fast zehn, und Dave musste sich sputen. Er lud das Boot vom Wagen und schleifte es hinunter zum Fluss. Das Holz lag noch oben auf der Böschung unter der Plane. Er zog sechs dicke Balken hervor, die er später in das Ufer und in das Wasser treiben wollte. Zwei der Balken sägte er in der Mitte auseinander, sodass er jetzt vier kurze und vier lange Stücke hatte. Nun begann er, sie mit dem Beil an einem Ende zuzuspitzen. Die Sache mit der Unterschrift quälte ihn noch immer. Er fragte sich, ob er rechtschaffen gehandelt hatte. Schließlich

beruhigte er sich damit, dass es keine andere Möglichkeit gegeben hatte. Upton hätte ja warten können, bis er von seiner Reise zurückkäme, um dann Cuthbert den Umschlag zu geben, aber er war ganz bewusst an Dave herangetreten: das hatte er selbst erwähnt.

Dave war so sehr in seine Überlegungen vertieft, dass ihm entging, wie sich Clarissa Upton genähert hatte und ihn schon eine Weile beobachtete. Als er sich schließlich umdrehte, sah er sie im blendenden Licht der Sonne stehen, das sich in ihrem blonden Haar verfing und ihre gesamte Gestalt in eine schillernde Mandorla hüllte. Für eine

Sekunde drängte sich Dave der Vergleich mit einem Engel auf.

Er habe doch nicht vergessen, heute mit ihr zu essen, meinte sie lächelnd. Auch ihr Lächeln war das eines Engels.

„Ich habe es nicht vergessen”, antwortete Dave.

Er nahm an, sie würde jetzt wieder ins Haus zurückgehen, aber er täuschte sich. Beharrlich blieb sie neben ihm stehen und sah interessiert zu, wie er das Beil handhabte. Sie wich auch nicht von seiner Seite, als er dann den penetrant riechenden Braunkohlenteer nahm und das Holz damit einpinselte, um es gegen Fäulnis zu schützen. Sie schien von großer Wissbegierde zu sein, denn dauernd wollte sie etwas über ihn und seine Arbeit wissen. Dave antwortete nur ein-

silbig, und die Lady verlegte sich darauf, von sich zu erzählen, das tat sie sowieso lieber. Ihr hübscher kleiner Mund blieb keine fünf

Sekunden geschlossen. Sie war sehr vergnügt an diesem sonnigen Novembermorgen.

Plötzlich fiel ihr ein, es sei nun Zeit, das Essen zu richten. Im Weggehen kehrte sie um und meinte: „Wir beide sind heute allein. Sie

werden sich doch nicht fürchten, Davy?” Sie lächelte keck.

Dass sie ihn Davy nannte, war ihm peinlich. Dennoch war ihm Mrs Uptons Gesellschaft angenehm gewesen. Warum das so war, konnte er sich nicht beantworten. Diese Frau war für ihn immer noch ein Rätsel. Einmal wirkte sie kalt wie ein Eiszapfen, dann wieder schien sie sehr begehrenswert. Er machte sich aber weiter keine Gedanken über sie – sie war immerhin verheiratet – und gab sich wieder seiner Arbeit hin.

Die vier kurzen Pfosten schlug er mit einem schweren Holzschlegel bis auf vier Zoll ins Ufer; zwei unmittelbar am Wasser, die zwei anderen sieben Fuß davon entfernt. Sie würden als Stützen des Stegs dienen, der bis zur Treppe reichen sollte.

Die folgende Arbeit bereitete ihm Kopfzerbrechen. Die restlichen Pfosten waren nämlich zu je zweien in Abständen von sechs Fuß ins Wasser zu rammen. Zwar hatte er sich extra zu diesem Zweck das Boot geliehen, und der Trimaran lag wegen seiner drei Rümpfe sowieso stabiler auf dem Wasser als ein einrumpfiges Boot, aber ohne Halt musste es in den Fluten des Missouri unweigerlich ab-

treiben, obwohl sich der Fluss hier noch recht zahm zeigte. Doch auch für dieses Problem fand Dave eine Lösung. Er kam aber nicht mehr dazu, sie in Angriff zu nehmen, weil jetzt Mrs Upton zum Essen rief.

Schon als Dave das Haus betrat, roch es verlockend nach gebackenen Äpfeln. Mrs Upton trug jetzt eine weiße Schürze, in der sie tatsächlich aussah wie eine an Arbeit gewöhnte Hausfrau.

Es gab Apfelauflauf, und Dave genoss ihn. Der Eierschaum war goldgelb gebacken, und die zu feinen Scheiben geschnittenen Äpfel waren mit etwas Zimt bepudert. Er aß drei Portionen, während Clarissa Upton an einer herumstocherte und ihn fortwährend anlächelte.

„Hat es Ihnen geschmeckt?”, fragte sie überflüssigerweise und sah ihn mit großen, neugierigen Augen an. „Es ist noch eine Menge

übrig. Wenn Sie wollen, packe ich Ihnen den Rest für zu Hause ein.”

„Das ist nicht nötig”, lehnte Dave dankend ab, klopfte sich auf den prallen Bauch und fügte ehrlich hinzu: „Ich habe seit langem nichts Besseres gegessen.”

Die letzte Zeit hatte er für sich und Mr Blackmore gesorgt, und er musste sich eingestehen, dass er ein miserabler Koch war. Mrs Upton dagegen kochte, als hätte sie nie etwas anderes getan.

„Dafür sind Sie sehr geschickt im Umgang mit Beil und Säge”, lobte sie ihn. „Bestimmt sind Sie sehr beschäftigt und verdienen eine Menge Geld. Ihre Frau kann sich glücklich schätzen.”

„Ich bin unverheiratet.”

Sie riss die Augen noch weiter auf, als wäre sie sehr erstaunt. „Das wundert mich”, hauchte sie. Dann sagte sie: „Ich würde gern mit

Ihnen den Umbau des Hauses besprechen.” Sie rutschte dabei dicht neben Dave.

Er spürte den sanften Druck ihres warmen Schenkels, und wenn sie ihn ansah, streichelte ihr Atem sein Gesicht. Dave wollte nicht unhöflich sein, aber die einnehmende Art dieser Frau verwirrte ihn.„Ich denke, dass ich das mit Mr Upton bespreche”, sagte er kurz und stand auf.

„Wie Sie wünschen, Mr Hofer”, murmelte sie sichtlich gekränkt.

Leise fügte sie hinzu: „Sie missverstehen mich.”

Dave bedankte sich für das gute und reichliche Essen und verließ das Haus. Draußen blieb er kurz stehen und sog mit einem kräftigen Zug die frische Novemberluft ein, als müsse er seinen Kopf klar machen. Er war achtzehn, Mrs Upton fast doppelt so alt. Er hatte ein Gefühl in ihrer Nähe empfunden, das ihn an das Gefühl gegenüber Miriam erinnerte. Dennoch war dieses Empfinden jetzt unangebracht, wie er meinte. Das gleiche Verlangen, einmal nach dem Mädchen Miriam und jetzt nach der verheirateten Frau, war von gefährlicher Pikanterie. Er musste diese Begierde unterdrücken, auch wenn es ihm sehr schwer fiel. Denn eines musste er sich unumwunden zugestehen: Er hatte vorher noch nie eine Frau kennengelernt, die einen solchen Zauber auf ihn ausübte.

Mrs Clarissa Upton ließ sich den ganzen Tag nicht mehr sehen. Auch ihre Schmeicheleien blieben von nun an aus. Der Ton, mit dem sie Dave fortan anredete, wenn sie überhaupt noch zu ihm sprach, war im glimpflichsten Sinn als kühl zu bezeichnen.

Als sich Dave nun wieder an seine Arbeit machte, nahm er sich vor, keinen weiteren Gedanken mehr an diese Frau zu verschwenden. Doch schon wenige Tage später sollte er etwas erfahren, das Clarissa Upton in ganz anderem Licht erscheinen ließ.

Konzentriert machte er sich wieder an die Arbeit und setzte bei dem Vorhaben an, das er vor dem Essen gehabt hatte. Zwanzig Yards flussaufwärts schlug er einen Pflock ins Ufer und knüpfte ein Seil daran. Desgleichen tat er auf Höhe des Stegs und auf der gegenüber-

liegenden Flussseite. Anschließend lud er den schweren Holzschlegel und zwei der mit Braunkohlenteer angestrichenen langen Balken in den Trimaran und ruderte wieder hinaus auf den Fluss. An der Stelle, wo er die Balken einschlagen wollte, band er das Boot an den drei Seilen fest. Und zwar so, dass es weder flussabwärts noch nach links oder rechts abgetrieben werden konnte.

Diese ganzen Vorbereitungen nahmen mehr Zeit in Anspruch, als er erwartet hatte. Fast zwei Stunden waren seit dem Mittagessen vergangen.

Vorsichtig erhob er sich. Die Wellen schlugen gegen die Beplankung, doch der Trimaran lag – abgesehen von geringen Schwankungen – ruhig und eben im Fluss. Er nahm einen der Balken und senkte ihn ins Wasser. Als er den Grund spürte, stieß er kräftig nach unten. Der Boden war hier weich, und Dave konnte den Balken einige Zoll tief mit den Händen einrammen, sodass er von allein senkrecht stand. Das Restliche erledigte der Schlegel. Jeder Schlag trieb das Holz

einen viertel Fuß tiefer. ‚Fast zu leicht‘, dachte Dave, doch als der

Balken nur noch vier Zoll aus dem Wasser ragte und er an ihm rüttelte, fand er, dass er fest verankert war. Der erste Außenpfosten stand.

Bevor er sich an den zweiten machen konnte, hörte er vom Ufer her lautes Rufen. Cuthbert und Ben Bennry kamen näher.

„Willst du Fische fangen?”, rief Bennry vergnügt.

Dave löste das eine Seil und ruderte ans Ufer. Herzlich begrüßte er die beiden. Sie waren noch gestern Abend aufgebrochen, da Cuthbert sehr zur Eile gedrängt hatte; nun waren sie müde, und die

Knochen taten ihnen von dem schnellen Ritt weh. Bennry wollte gleich mit der Arbeit beginnen, doch zuvor hatte er Hunger. „Ich könnte ein ganzes Schwein verdrücken”, meinte er lachend.

„Wenn es auch Apfelauflauf tut, dann kann ich dir helfen”, sagte Dave und schickte beide ins Haus.

Schon zehn Minuten später kam Ben zurück. Er lobte nicht nur den köstlichen Auflauf, sondern auch Mrs Uptons gutes Aussehen. Cuthbert blieb noch im Haus.

Vier Hände erledigten die Arbeit natürlich viel schneller als zwei. Der zweite Pfosten steckte innerhalb kurzer Zeit im Wasser. Beim dritten war es noch leichter, weil sie nur zwei Yard weit in den Fluss brauchten. Doch der letzte machte ihnen zu schaffen: Sie stießen auf Steine.

„Wir müssen ins Wasser!”

Dave zuckte die Schultern. Ihnen blieb wohl nichts anderes übrig.

„Verdammt!” knurrte Ben. „Ich dachte, wir wären Zimmermänner und keine Wasserratten.”

Dave hatte noch seinen Regenmantel von gestern auf dem Wagen, den er sich anzog und über den Fußknöcheln zusammenband. Dass dennoch Wasser bis zu seinem Körper durchsickerte, ließ sich dadurch nicht vermeiden, der Mantel schützte aber immerhin etwas vor der Kälte.

Mit der Schaufel bewaffnet, watete er in den Fluss. Die Strömung war hier so nah am Ufer nicht sehr stark, aber der Grund war glitschig wie ein mit Seife eingeschmierter Fußboden. Er stieg deshalb noch mal aus dem Wasser und band sich ein Seil um den Bauch, das Ben vom Ufer aus sicherte.

Als er zu schaufeln begann, konnte er sich dazu kaum bücken. Das Wasser reichte ihm bis über die Brust. Und fast senkrecht stehend, strengte die Arbeit sehr an. Das Lästigste aber war die Kälte. Nach zehn Minuten stieg Dave durchgefroren ans Ufer.

„Es ist nur eine dünne Schicht Steine”, sagte er. Seine Lippen waren blau, und sein Körper zitterte. Er zog den Mantel aus und überreichte ihn Ben. Während ihn Ben auf die gleiche Weise anzog, rannte Dave ins Haus und kam mit zwei Wolldecken zurück. Cuthbert folgte ihm. Als er aber sah, welch unangenehme Arbeit zu verrichten war, stahl er sich schnell wieder davon.

Ben hielt es nur sechs Minuten aus. Er war kleiner als Dave, und bei der geringsten Beugung schwappte ihm Wasser ins Gesicht. Aber er schaffte es, die Steine bis auf einen kleinen Rest wegzuschaufeln.

Inzwischen dämmerte es.

Noch einmal musste Dave in den Fluss. Die Decke hatte ihn etwas aufgewärmt, doch länger als fünf Minuten hielt er es diesmal nicht aus. Aber er hatte es geschafft. Auf einem Quadratyard war der Grund frei von Steinen. Selbst wenn die Strömung wieder kleine Steinchen anschwemmte, würde der Pfosten in den Boden eindringen können. Das aber verschoben sie auf morgen.

Beide hüllten sich fröstelnd in die Decken. Sich im Haus zu verabschieden, verzichteten sie. Ben ritt zu seiner Tante, wo er noch immer sein Zimmer hatte, und Dave fuhr mit dem Wagen heim.

In Mr Blackmores Küche brühte er sich Tee auf, aß eine Kleinigkeit und kroch dann an den warmen Herd. Blackmores Fragen über den Fortgang der Arbeit hörte er nur halb zu. Schon bald schlief er übermüdet ein.

Zwei Stunden später wachte er auf. Mr Blackmore war inzwischen zu Bett gegangen, aber Cuthbert war noch immer nicht zu Hause. Die Küche befand sich direkt neben der Eingangstür, er hätte Cuthberts Heimkommen unbedingt bemerken müssen.

Nachdenklich nahm Dave die Decke und schlich hinüber in seine Hütte.

Die Tränen der Rocky Mountain Eiche

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