Читать книгу Die Tränen der Rocky Mountain Eiche - Charles M. Shawin - Страница 15

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Yellowstone

In diesen Tagen drängte sich das Gespräch zwischen den beiden Kreolen und Orlando Bell, das Dave unbeabsichtigt in Uptons Scheune belauscht hatte, wieder in sein Bewusstsein. „Der Tod lauert am Yellowstone”, hatten die Kreolen geweissagt. Nach wie vor hielt Dave ihre Ahnung für reinen Aberglauben, und eine Zeit lang schien es, als gebe auch der Captain nichts darauf. Doch je weiter sie sich dem Yellowstone näherten, desto schweigsamer wurde Bell. Mit er-

starrter Miene stand er am Bug, die Büchse fest umklammert, und beobachtete das Land. Und das beunruhigte nun auch Dave.

Die Herrlichkeit der Natur brachte ihn zumindest zeitweise auf andere Gedanken. Die Prärie zeigte sich noch mehr als zuvor in malerischer Pracht. Manchmal verdeckten riesige Gänsescharen den Himmel; dichte Eschen- und Pappelwälder säumten den Fluss, dann wieder waren seine Ufer kahl und steinig, auf die die Strömung

Berge von Treibholz angeschwemmt hatte. Wenn der Missouri Gelegenheit fand, weitete er sich und nahm oft die Größe eines Sees an. Hier suchten in den schilfbewachsenen Ufern Schwäne, Schnepfen und Kraniche Schutz. Der Missouri schien alles Leben magisch anzuziehen. Von Menschen fehlte dennoch jegliche Spur. Keine Hütte, nicht einmal ein Kanu war zu sehen, auch war kein Baum gefällt worden. Vielleicht hatten gelegentlich wilde Indianer in der Nähe gelagert, doch von ihrem Dasein blieb nach ihrem Weiterziehen

ohnehin nichts weiter übrig als die verkohlte Asche ihrer Feuer. So bot sich das Land nach wie vor in unberührter harmonischer Schönheit.

Dave dachte manchmal, wer hier lebte, brauchte sich nicht zu sorgen. Nahrung und Brennholz gab es im Überfluss, und die Landschaft war so atemberaubend herrlich, dass einem das Herz vor Freude hüpfte. Dieses Land ließ alles vergessen. Nur noch selten erinnerte er sich an St. Louis.

Eine Woche nach ihrem Aufbruch vom Mandanendorf erreichten sie die Mündung des Yellowstone River, dem sie von nun an folgten. Auf das Vorhandensein der Blackfeet deutete noch immer nichts hin.

Doch die Blackfeet waren da, hatten die Trapper längst entdeckt. Wie unsichtbare Schatten folgten sie den Booten.

„Noch zwanzig Tage”, verriet Henry Reed eines Nachts, nachdem sie sich von Pemmican und wilden Erdbeeren, die es jetzt in Mengen gab, sattgegessen hatten und sich nun in ihre Decken rollten.

Dave wählte sein Lager immer neben dem von Reed. Von Anfang an hatte er ihn gemocht, weil der Lange eine wohltuende Ruhe ausstrahlte. Und seit der Sache mit dem Gewehr waren sie Freunde geworden. Vielleicht mochte er ihn auch, weil Dave mit der Zeit die feinen Charakterunterschiede der Männer besser kennenlernte und Reed dabei noch am besten abschnitt. Reed war nicht so unvernünftig wie Booker, hatte nicht den Dickschädel des Captains, nervte nicht mit endlosen Geschichten, wie es Paul Jackly oft stundenlang tat, und hing nicht dauernd an der Brandyflasche wie Durak oder Sven, der Schwede. Wenn Reed eine Schwäche hatte, dann war es das Essen. Hierin übertraf er alle, und er fraß wie ein hungriger Wolf. Obwohl er fast das Doppelte in sich hineinstopfte wie der riesige Bell, nahm er keine Unze zu. Dave wunderte sich manchmal, dass ein Mensch, der seinem Körper solche Unmengen zuführte, so dünn sein konnte.

„Was ist in zwanzig Tagen?”, fragte Dave.

„Dann haben wir es geschafft”, sagte Reed und deutete mit seinen dürren Fingern, die vom fettigen Essen glänzten, in die Nacht hinein. „Dort im Westen liegt unser Ziel. Wir werden die Ruder gegen Äxte tauschen und tagelang nur Bäume fällen. Danach kannst du endlich wieder deine Zimmermannsarbeit aufnehmen.”

Dave schmunzelte, während er seine Hände, die hart wie trockenes Leder geworden waren, im Schein des Feuers betrachtete.

„Jetzt, wo ich mich an das Rudern gewöhnt habe”, sagte er etwas mürrisch. „Meinetwegen hätte es noch eine Zeit lang so weitergehen können.”

Reed lachte. „Hör sich einer den Grünschnabel an. Wenn du erst zehntausend Meilen auf dem Fluss gefahren bist, redest du anders.”

„Wo eigentlich genau werden wir die Zwischenstation bauen?”, fragte Dave.

Bisher hatte er immer nur gehört: irgendwo am Yellowstone. Aber auch Reed konnte keine eindeutige Antwort geben. „Was weiß ich”, brummte der Lange. „An einem Seitenarm des Yellowstone. Die exakte Lage kennt nicht einmal der Captain. Ich glaube, er will sich erst genau umsehen, wenn wir dort sind.”

Dave musste sich damit zufriedengeben. Im Grunde war es ihm auch egal. Die Arbeit und das Zusammensein mit den Männern

machten ihm Freude. Überhaupt hatte er bemerkt, dass ihn jeder Tag, der ihn weiter fort brachte von St. Louis, fröhlicher und unbeschwerter machte. Anfangs hatte er täglich gebetet, wie es ihn seine Mutter gelehrt hatte. Er hatte es heimlich getan, denn er schämte sich vor den Männern, denen nichts an Gott zu liegen schien. Dann hatte er sich auf die Sonntage beschränkt, an denen er leise zu seinem

Schöpfer sprach. Da ihm aber mit der Zeit das Gefühl für die Wochentage abhanden kam, schlief auch diese Zeremonie ein. Gott trug er dennoch immer in seinem Herzen. Aber vieles, was er in St. Louis gelernt hatte, schien irgendwo während der Reise verlorengegangen zu sein. Er spürte Übermut aufkommen und einen Tatendrang, der ihn selbst überraschte. Er wusste nun, dass er den richtigen Entschluss gefasst hatte. Die Wildnis bekam ihm gut.

Doch manchmal schlüpfte eine vage Furcht in ihn und verdeckte

seine Freude wie ein dunkler Schatten. „Glaubst du an Vorahnungen?”, fragte er Henry Reed.

„Nicht, wenn sie irgendein vagabundierender Zirkuszauberer macht. Aber es gibt Menschen, die das zweite Gesicht haben. Alle übertreiben sie, aber ein Fünkchen Wahrheit ist immer dabei.

Weshalb fragst du?”

„Nur aus Neugier”, sagte Dave.

Zwei Tage später entdeckten sie am Ufer Spuren von Büffeln. Eine genauere Untersuchung der Hufabdrücke und des Kots, der noch warm war, zeigte ihnen, dass die Büffel den Fluss vor weniger als einer Stunde durchschwommen hatten. Wieder entflammte Bookers Jagdtrieb, und diesmal konnte ihn der Captain nicht halten. Im Grunde wollte er es auch nicht. In einer so gefährlichen Gegend war es immer ratsam, so viel Nahrung wie möglich bei sich zu haben.

Da es Booker nun erlaubt war, schlossen sich ihm noch Durak und Paul Jackly an. Sie vertäuten die Boote, und während sich die Jäger rüsteten, richteten die anderen das Lager. Es war noch früh am Vormittag, und Bell gestand dem Jagdtrupp einen vollen Tag zu. Sollte er bis Sonnenaufgang des nächsten Tages nicht zurück sein, würde der Captain ohne Zögern aufbrechen. Jeder wusste, dass er sein Wort rigoros halten würde.

Im letzten Moment entschloss sich Dave mitzukommen. Das letzte Mal war er mit Blackmore zur Jagd gewesen, das aber lag schon Jahre zurück. Wann er wieder Gelegenheit finden würde, Büffel zu jagen, wenn überhaupt, war fraglich. Außerdem war dies die beste Möglichkeit, seine theoretischen Kenntnisse vom Schießen in die Praxis umzusetzen. Ein plötzliches Fieber packte ihn. Rasch holte er seine alte Büchse, steckte sich ein paar Kugeln in die Tasche und nahm das Horn mit dem Pulver mit. Booker grinste geringschätzig, doch er schwieg. Die geladenen Gewehre geschultert, entfernten sich die vier. Die deutlich sichtbaren Spuren führten sie hinaus auf die offene Prärie.

Dave wunderte sich, weil Bell die Gabelbockjagd untersagt und jetzt die Jagd auf die Büffel erlaubt hatte. Waren sie nicht hier wie da ohne Pferde hilflos?

Den Captain hatte ein bestimmter Grund dazu veranlasst. Er weigerte sich, seiner Furcht, die die beiden Kreolen in St. Louis entfacht hatten, nachzugeben. Vielleicht wollte er sich beweisen, dass hier nichts, rein gar nichts zu befürchten war.

Während sie stramm marschierten, wurde wenig geredet. Das Land hier war von welligen Hügeln durchsetzt, kurzes, kräftiges Gras bewuchs es, und wenn der Wind darüber wehte, hatte es den Anschein, als wäre das Grasmeer in ständiger Bewegung. In fortlaufenden

Intervallen schwammen die Wellen dahin, bis sie in der Ferne mit dem Horizont verschmolzen. Und mittendurch, wie ein braunes Band auf grünem Untergrund, die Spuren der Beute. Booker schnaubte wie ein Bluthund, der Witterung aufgenommen hat. Es schien, als fiebere er, und ständig trieb er die anderen an, schneller zu werden.

Nach zwei Stunden flotten Laufens stießen sie auf die Büffel. Und zwar so unvermutet, dass sie sich hart zu Boden werfen mussten. Eine unvorsichtige Bewegung konnte sie frühzeitig verraten. Vor ihnen dehnte sich eine Senke aus, die schwarz war von Büffeln. Tausende waren es. Mächtige Stiere waren unter ihnen, die dröhnendes Grunzen ausstießen, das wie fernes Donnern grollte. Zwischendrin sprangen munter Kälber umher. Sie waren erst wenige Tage alt.

Dann knallte der erste Schuss. Eine zweijährige Kuh stürzte zu Boden. Die zweite Kugel streckte einen jungen Bullen nieder. Die Herde schien der Tod nicht zu erschrecken, auch der Knall der Büchsen versetzte sie nicht in Panik. Wie angewurzelt blieb sie stehen, stoisch nahm sie den nächsten Schuss hin.

Jetzt wusste Dave, weshalb es ohne Pferde leichter war, Büffel zu jagen als Gabelböcke. Aus irgendeinem Grund rührten sich die Tiere nicht vom Fleck. Er konnte sich das nur damit erklären, dass sie die Schüsse zwar hörten, die Gefahr, die dahinter lauerte, aber nicht erkannten. Obendrein sahen sie keinen Feind, rochen ihn auch nicht, da der Wind für sie ungünstig stand.

Dave machte es, wie er es von Reed gelernt hatte. Mit ruhiger Hand visierte er. Als er abdrückte, riss ihn die Wucht des Schusses zurück. Ein kurzer Schmerz durchzuckte seine rechte Schulter. Aber er hatte getroffen. Und niemand bemerkte, dass es sein allererster Schuss gewesen war. Seine Beute war eine stattliche Kuh. Er konnte zufrieden mit sich sein.

Dave schoss kein zweites Mal, weil er sich ausrechnen konnte, dass vier Männer nicht so viel Fleisch zurück zu den Booten schaffen konnten. Aber die anderen, vor allem Booker, feuerten unentwegt weiter. Es war ein einziges sinnloses Abschlachten.

Schließlich packte Dave die Wut, grob stieß er Booker gegen die Brust. „Hör auf, es ist genug!”, schrie er ihn an.

Booker glotzte Dave mit starren Augen an. So, als erwache er aus

einem Traum, einem Wahn. Er wollte Dave zuerst anschnauzen, doch langsam schien auch er zu begreifen, dass mehr als ausreichend Tiere getötet worden waren.

Als sie sich erhoben, kam Bewegung in die Büffel. Ihre kurzsichtigen Augen erkannten schemenhafte Umrisse, die sie aber scheinbar eindeutig als Feinde identifizieren konnten. Augenblicklich stoben sie davon. Der Lärm der donnernden Hufe und das verängstigte Blöken der Kälber war noch lange zu hören, als die Herde längst hinter der nächsten Erdwelle verschwunden war.

Sechzehn Tiere hatten sie getötet. Nicht einmal eine Viertelstunde war vergangen. Die Kadaver lagen in dicken Blutlachen, auf denen Schwärme von Mücken saßen. Zwei Kälber waren zurückgeblieben. In der Panik hatten sie ihre Mütter verloren und schrien mit kläglichem Röhren nach ihnen. Dave versuchte, sie wegzujagen, damit sie der Herde folgen sollten, doch sie blieben immer wieder hilflos

stehen.

Booker, Paul Jackly und Durak bearbeiteten die toten Büffel mit ihren Messern. Dave wurde zornig, als er sah, dass sie es nur auf die Zungen, die Knorpel um die Nasenlöcher, die Nieren, die Lebern und auf das feine Filet abgesehen hatten. Wozu waren dann sechzehn Tiere getötet worden, wenn man nur einen Bruchteil davon mitnehmen wollte? Er geriet mit Booker darüber in einen heftigen Streit, und beinahe hätten sie sich geprügelt, wäre nicht Paul Jackly eingeschritten.

„Beruhige dich, Dave”, versuchte Jackly zu schlichten. „Es gibt Büffel wie Blätter an den Bäumen. Was scherst du dich um die paar?”

„Mich kümmern die paar Büffel nicht”, entgegnete Dave verbissen. „Ich bin nur wütend, weil es sinnlos war, sie zu töten. Ein einziger von ihnen könnte uns lange ernähren.”

Es war zwecklos, sie ließen sich nicht von ihrer Meinung abbringen. Je mehr Dave sich ihnen entgegenstellte, desto mehr machte er sich lächerlich. Schließlich gab er es auf. Und vielleicht täuschte er sich auch, wie er sich später eingestand. Bis jetzt hatte sich die Natur ja in einem überschwänglichen Angebot gezeigt. Aber wer wusste, was der nächste Tag brachte. War es dann falsch, nach Herzenslust darin zu schwelgen?

Eines jedenfalls hoffte Dave aus ganzem Herzen: dass nicht alle Männer, die in und von der Wildnis lebten, so waren wie diese. Denn wenn sich jeder nur die Rosinen herauspickte und den Rest achtlos liegen ließ, was blieb dann auf Dauer gesehen von dieser üppigen Natur? Und waren dieses Land, die Blumen, die Bäume und die Vielzahl der schönsten Tiere, die Dave auf seiner Reise bisher kennen gelernt hatte, nicht ein Geschenk Gottes? Reverend Gardner hatte es so in der Kirche gepredigt. Schon deshalb war es ein Frevel, den wundervollen Garten Gottes aus einer Laune heraus zu plündern.

All das fiel Dave ein, als sie, zwei Leinensäcke über den Schultern, zu den Booten zurückliefen. All diese Gedanken drängten sich ihm auf, und doch traten sie nur schwach in Erscheinung und verschwanden rasch und widerstandslos. Es war wie ein stilles Aufbegehren seiner Erziehung und seiner Herkunft. Mehr nicht. Nachdem er aufgebraust war, war seine Wut schnell abgeflaut. Und je mehr er darüber nachdachte, suchte er diese und jene Entschuldigung, um das Handeln der Jäger zu rechtfertigen. Sie waren zu einem Teil der Wildnis geworden, sagte er sich. Hier herrschte der Instinkt über den bloßen Verstand. Ihm leuchtete ein, dass in der Prärie das Wissen eines

stubenhockenden Gelehrten wenig taugte, aber der über Jahre geschärfte Instinkt eines Trappers das Leben entscheiden konnte.

Die Zeit mit den Trappern hatte ihn verändert. Ohne es zu merken, hatte er sich ihnen nun fast angeglichen. Er schmatzte beim Essen, furzte, wenn ihm danach war, und hatte die Pfeife am Abend schätzen gelernt. Und nun konnte er auch noch schießen. Nicht mehr lange, und er würde so denken, so fühlen und so handeln wie sie. Vielleicht würde er selbst schon bald Büffel abknallen, nur um in den Genuss von deren Zungen zu kommen.

Die restlichen dreizehn Männer, die bei den Booten geblieben waren, kümmerten sich jedenfalls wenig darum, unter welchen Umständen das Essen beschafft worden war. Noch am selben Abend wurden die Delikatessen verspeist. Als Dave von den gekochten Knorpeln und den Lebern probierte, musste er zugeben, noch nie etwas Köstlicheres gegessen zu haben.

Natürlich musste er Long Reed von der Jagd erzählen. Dave tat es mit Stolz. Haargenau schilderte er, wie er das Gewehr angelegt, gezielt und geschossen hatte. Und wie der Büffel, dem die Kugel mitten ins Herz gedrungen war, im Todeskampf den mächtigen Schädel hochgerissen, dann aber leblos in sich zusammengebrochen war.

Der Lange klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. „Jetzt bist du einer von uns!”

Dave war schon vor Sonnenaufgang wach. Er legte Holz nach und kochte Kaffee. Das Klappern des Geschirrs weckte die anderen. Nacheinander erhoben sie sich von ihren Lagern. Ein Tag begann, wie ihn Dave nun schon siebenunddreißig Mal seit ihrem Aufbruch erlebt hatte. Die Arbeit war Routine geworden.

Aus Blechbechern schlürften die Männer den heißen Kaffee. Dann rollten sie ihre Decken zusammen und brachten sie auf die Boote. Und noch bevor die Sonne aufging, banden sie die Taue los und ruderten stromaufwärts.

Gegen Mittag führte sie der Yellowstone durch eine reich bewaldete Gegend. So weit sie sehen konnten, säumten Eschenahorn und einzelne Birken den Fluss. Aus diesem Gestrüpp traten plötzlich die Blackfeet hervor. Vierzig Krieger waren es. Sie kamen zu Fuß, ihre Pferde hatten sie irgendwo im Wald zurückgelassen. Wäre diesem Stamm nicht der Ruf der besonderen Gefährlichkeit vorausgeeilt, hätte Dave sie wohl als die herrlichsten aller Indianer gesehen. Sie waren von großer, aufragender Gestalt und trugen Leggins und Mokassins aus dunklem Rehleder, die mit gefärbten Stachelschweinborsten verziert waren. Die meisten von ihnen waren am Ober-

körper nackt, einige aber trugen Hemden aus hellem Leder und wieder andere hatten eine Büffelrobe oder einen Umhang aus dem Fell des Waschbären umgebunden. Alle Krieger waren mit Pfeil und

Bogen, mit Lanze, Tomahawk und Messer bewaffnet. Obendrein besaßen sie erstaunlich viele Gewehre. Ihre Haare waren lang und glänzten fettig in der Sonne. Bei zweien reichte es bis zum Boden. Es war sechs Fuß lang oder länger. Fast alle trugen prächtige Hauben aus Adlerfedern. Ihre Gesichter waren kaum zu erkennen. Sie waren mit grellen Farben bemalt, teilweise sogar vollkommen bedeckt. Wie dämonische, Furcht einflößende Fratzen wirkten sie, aus denen dunkle Augen die Trapper beobachteten.

Die gesamte Erscheinung dieser Blackfeet war stolz und erhaben. Sie verkörperten Selbstherrlichkeit, Stärke und Freiheitswillen wie sonst kein Stamm. Gleichzeitig verkörperten sie Grausamkeit. Und sie brachten den Tod. Daran ließ die Bemalung ihrer Gesichter keinen Zweifel.

Das Erste, was Dave angesichts dieser bedrohlichen Übermacht empfand, war Angst. Pure, nackte Angst. Auch die anderen auf den Booten empfanden nicht anders. Doch geschickt verbargen sie sie, weil sie der Umgang mit Indianern gelehrt hatte, niemals Angst zu zeigen. Ein furchtloser Gegner flößte Respekt ein. Manchmal gelang es dadurch, den Feind abzuschrecken. Niemand rührte die Gewehre an, doch lagen sie jedem griffbereit in der Nähe. Ein einziges Zeichen des Angriffs, und sie würden sie an sich reißen.

Zu fliehen war nicht ratsam. Dadurch musste der Kampfinstinkt der Blackfeet, die jetzt noch reglos am Ufer standen, erst recht geweckt werden. Obendrein waren sie hervorragende Bogenschützen, und auf dem Wasser boten die Trapper ein sicheres Ziel. Bell hielt es deshalb für das Beste, an Land zu gehen. Vielleicht konnte er die Indianer mit Reden von einem Angriff abhalten.

Nachdem die Boote festgezurrt waren, wateten der Captain, Booker und Long Reed ohne Waffen ans Ufer. Bell begrüßte die Indianer mit erhobener Hand. Die drei Weißen setzten sich, worauf sich fünf Blackfeet ihnen gegenüber niederließen. Einer von ihnen hatte sein Gesicht vollkommen schwarz gefärbt. Ein Kranz Adlerfedern steckte ihm senkrecht im Haar.

Da Bell die Sprache der Blackfeet nicht beherrschte, drückte er sich mit Zeichen aus. Er stellte sich und seine zwei Gefährten vor und bekundete, dieses Gebiet nur durchfahren zu wollen. Schon bald

würden sie es wieder verlassen. Dass sie Pelzhändler waren, verschwieg er.

Der Krieger mit dem schwarzen Gesicht nannte sich Itska-oto-wapsi – Kämpft mit einem Lächeln. Er schien aus irgendeinem Grund zornig zu sein, doch war er bereit, mit den Eindringlingen zu reden. Er wollte wissen, ob Bell und seine Truppe zu den dreißig Männern gehörten, die vor wenigen Wochen zu Pferde durch ihr Land gezogen waren.

„Nein”, antwortete Bell. Zur Verdeutlichung schüttelte er den Kopf.

„Dann seid ihr keine Händler?”, fragte der Indianer mit den Händen.

Dies war eine verzwickte Frage. Wenn die Indianer die Boote durchsuchten, mussten sie auch die Handelswaren finden, die mitgenommen worden waren, um sie gegen Felle zu tauschen. Die Frage verneinen konnte Bell deshalb nicht. Und gab er zu, Händler zu sein, nahm Itska-oto-wapsi an, sie seien Teil jener Händlertruppe, auf die die Blackfeet anscheinend nicht gut zu sprechen waren.

„Wir sind allein. Wir haben nichts mit den dreißig anderen Männern zu tun”, teilte der Captain in Zeichen mit.

Der Blackfoot glaubte das nicht. Er unterschied nicht zwischen den verschiedenen Companien oder sogar zwischen einzelnen Truppen. Für ihn war ein Weißer wie der andere.

Mit ruckartigen Handbewegungen, die seinen Zorn verdeutlichten, fragte er nochmals: „Seid ihr Händler?”

Bell sah Booker und Reed hilfesuchend an. Aber auch sie wussten sich keinen Rat.

„Ja, wir sind Händler”, sagte Bell schließlich, fügte aber wieder hinzu: „Wir sind allein unterwegs.”

Nichts verriet die Gedanken der Indianer. Die Farben, die in einer dicken Kruste aufgetragen waren, wirkten wie Masken.

Plötzlich war es still. Niemand wusste, was nun geschehen würde. Paul Jackly, der neben Dave stand, griff hinter der Bordwand nach seinem Gewehr.

„Willst du uns umbringen?”, raunte ihm Dave zu.

Als sich Jackly jetzt zu ihm wandte, erkannte Dave Angst in seinen Augen. Todesangst.

Doch nichts geschah. Die Blackfeet verhielten sich ruhig. Ob sie nun glaubten, dass Bells Truppe tatsächlich nichts mit der anderen Truppe, mit denen die Blackfeet offensichtlich schlechte Erfahrungen gemacht hatten, zu tun hatte, war ungewiss.

Noch immer war es still. Die Stille war grausamer als jedes Wortgefecht. Bell spürte die Blicke der vierzig Krieger auf seiner Haut brennen. Er musste handeln. Diese Stille erdrückte ihn sonst. Und die Indianer mussten annehmen, durch sein Schweigen versuche er etwas zu verbergen. Dieser Zwang, die Stille zu durchbrechen, dieser Zwang zum Handeln verleitete Captain Orlando Bell nun etwas zu tun, was in dieser Situation nicht so klug war. Er befahl Dave, eines der Säckchen mit Geschenken an Land zu bringen.

Dave suchte in der Frachtbox herum. Er fand zwei Säckchen, die aussahen wie jenes, das sie den Mandanen gegeben hatten. Man war vorbereitet auf solche Zwischenfälle und hoffte, die Säckchen – für einen Amerikaner enthielten sie nur wertlosen Plunder – würden den Frieden sichern.

Er nahm eines, sprang vom Boot und watete durch das Wasser ans Ufer. Sein Gewehr ließ er im Boot zurück.

Dave übergab die Geschenke an Itska-oto-wapsi. Als er sich zu ihm beugte, begegnete ihm dessen Blick, der stark und unerschrocken war. In Daves Augen lag Angst. Der Blackfoot schien dies zu bemerken, denn trotz der schwarzen Gesichtsfarbe erkannte Dave, dass der Indianer grinste. Den Krieger, der ‚Kämpft mit einem Lächeln‘ hieß, amüsierte Daves Furcht.

„Itska-oto-wapsi soll sehen, dass wir ohne böse Absicht kommen”, erklärten Bells Hände.

Nachdem das Säckchen aufgeschnürt war, begutachteten die Indianer die Glasperlen, Messer und Pfeilspitzen. Sogar ein Päckchen Tabak lag dabei. Sie schienen aber nicht sehr beeindruckt davon. Sie betrachteten die Geschenke als eine Art Wegezoll, anscheinend war es ihnen aber zu wenig.

Ein Blackfoot, dessen untere Gesichtshälfte gelb bemalt war, hob die Hand, an der zwei Finger ausgestreckt waren: Er forderte zwei Säckchen.

Bell wusste genau, wie weit er gehen durfte. Auf keinen Fall durfte er sich einschüchtern lassen. Gab er ihnen ein zweites Säckchen, forderten sie ein drittes. Wie er jetzt langsam zu begreifen begann, war schon das erste zu viel gewesen. Die Blackfeet waren auf Kriegsfuß, die paar Geschenke konnten sie nicht plötzlich friedlich stimmen. Sie verrieten ihnen aber, dass sich vermutlich noch mehr auf den Booten befand. Bell konnte seinen Fehler nur dadurch gutmachen, indem er ihnen die kalte Stirn bot. Unerschrockenheit flößte den Indianern noch immer am meisten Respekt ein.

„Nein!” Bell wischte mit der flachen Hand durch die Luft, um seine Ablehnung zu bekräftigen.

Wieder streckte der Blackfoot mit der gelben Gesichtshälfte die zwei Finger empor. Er knurrte drohend, und seine Augen funkelten vor Wut.

„Nein!”, wiederholte Bell mit fester Stimme.

Die Indianer sahen sich an. Ihre Blicke schienen zu beratschlagen.

Und wieder war es still. Wie die bedrückende Stille bei einem Ge-

witter, von der man genau weiß, dass jeden Augenblick ein gewaltiger Donner die Luft zerreißt.

Die fünf Indianer sprangen auf. Eine Zeit lang noch lagen ihre finsteren Blicke drohend auf den Händlern. Dave hörte, wie Itska-oto-wapsi seinem Nebenmann etwas zuflüsterte, verstehen konnte er aber nichts.

Ohne ein weiteres Wort an Bell wandten sich die Blackfeet um und verschwanden kurz darauf im Wald. Die Geschenke nahmen sie mit.

Der Captain, Dave, Booker und Reed stiegen wieder an Bord. Eine Minute später stießen die Ruder dumpf ins Wasser. Geredet wurde nicht. Doch alle wussten es: Die Blackfeet würden wiederkommen. Und zwar schon bald.

Die Tränen der Rocky Mountain Eiche

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