Читать книгу Die Tränen der Rocky Mountain Eiche - Charles M. Shawin - Страница 14

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Die Mandanen

Als die siebzehn Männer die Boote lautlos vom Pier stießen, spitzte die Sonne rot-golden hinter dem Horizont hervor. Dave sah seine Geburtsstadt langsam in der Ferne verschwinden. Schließlich ragte nur noch der Glockenturm der St. Michaels Kirche hervor. Aus der Entfernung wirkte er wie ein mahnender Zeigefinger. Dann versank auch er hinter einem Hügel. Dave nahm es ohne Wehmut und ohne Reue hin. Er richtete seinen Blick geradewegs nach vorn, nach Westen, dorthin, wo sich das gelb-braune Band des Missouri in der

Unendlichkeit verlor. Er spürte das Boot unter seinen Füßen, das sanft in der Strömung schwang, er spürte leichten Wind aufkommen, und er lernte dieses Gefühl lieben, das ihn in eine neue, eine freie Welt begleiten sollte.

Dave fand sich rasch in den Rhythmus ein, dem die Arbeit den Takt verlieh. Die Boote wurden von je sechs Männern gerudert, einer stand jeweils am Heck und half mit einem langen Staken, das Boot gegen die Strömung zu manövrieren. Es war harte Arbeit, die den Männern all ihre Kraft abverlangte. Da drei übrig waren, wurde stündlich abgewechselt. So fand jeder etwas Zeit, sich von den

Strapazen auszuruhen.

Die Männer lernte Dave schnell näher kennen. Bell und Reed hatte

er schon vorher gekannt, von den anderen waren ihm nur die Namen geläufig. Das anstrengende Leben hatte sie rau und grob gemacht, trotz allem waren es gute Kerle, die den Humor nicht verloren hatten und nichts mehr liebten, als herzhaft zu essen und zu lachen. Dave mochte sie. Mit dem schweigsamen Sven, der nur „der Schwede” genannt wurde, kam er ebenso gut aus wie mit dessen Pendant, dem Plappermaul Paul Jackly, oder mit dem Méti Durak, der schon fast sechzig war, in Kraft und Ausdauer den anderen aber nicht nachstand. Nur einen Mann mochte Dave von Anfang an nicht. Das war der Virginier Graham Booker. Er tat seine Arbeit wie jeder andere, versuchte nicht, sich vor etwas zu drücken, und fiel auch nicht

lästernd über irgendjemanden her. Träfe nur einer dieser Punkte zu, wäre er sowieso untauglich für eine Gemeinschaft wie diese gewesen. Bell hätte ihn dann erst gar nicht angenommen. Nein, es war etwas anderes, das Dave an ihm störte. Was genau und warum das so war, wusste er nicht. Es war mehr ein Gefühl, eine Ahnung.

So wie Dave die Männer näher kennenlernte, so lernten sie auch ihn kennen. Schon sehr bald wurde er als gleichwertiges Mitglied aufgenommen. Niemand versuchte, ihn herumzukommandieren oder ihm mit Sticheleien das Leben unnötig schwerzumachen, wie es bei Neuen hin und wieder gehandhabt wird.

Henry Long Reed wies Dave freundschaftlich in seine Aufgaben ein. Ihm war kein besonderer Posten zugedacht, er war einer von ihnen und hatte die gleichen Arbeiten zu erledigen wie alle. Während des Tages bestand ihre Tätigkeit hauptsächlich aus Rudern; des Nachts richtete man gemeinsam das Lager, sammelte Holz, falls welches zur Verfügung stan;, wenn nicht, suchte man in der Prärie nach trockenem Bisondung. Nur beim Kochen und beim Wacheschieben wechselte man sich ab.

Captain Orlando Bell, das riesige Halbblut, teilte die Männer ein. Mit eiserner Härte sorgt er für Disziplin. Aber er war stets bemüht,

gerecht zu sein. Auch gab es selten Grund, dass er seine Führungsstellung hätte lautstark durchsetzen müssen.

An diesem ersten Tag ihrer Reise legten sie eine Strecke von fünfzehn Meilen zurück. Der Fluss war ruhig gewesen und hatte ihnen keine Schwierigkeiten bereitet. Am Abend saßen sie am Feuer und brieten sich Fische, die Reed während der Fahrt geangelt hatte. Sich nebenbei mit Frischkost zu versorgen, war durchaus üblich. So wurde der Proviant geschont und diente als Reserve für Notlagen, in denen es ihnen nicht möglich war, Wild oder Fische zu erbeuten.

Nach dem Essen fand sich Gelegenheit zu plaudern. Den Tag über hielt sie die anstrengende Arbeit in Atem, doch jetzt wurde erzählt und gelacht. Dave kam nicht dazu, über sein Weggehen nachzudenken, denn schon bald übermannte ihn der Schlaf. Er kuschelte sich in seine Decke und war wenige Minuten später eingeschlafen.

Der Tagesverlauf änderte sich so wenig wie die Landschaft. Die Prärie präsentierte lange Zeit das gleiche Bild: eine weite, offene Fläche, auf der jetzt – Anfang April – das Gras zu sprießen begann. Oft unterbrach nur eine Schar Krähen diese Monotonie, die schimpfend über sie hinweg flog, oder eine Herde Mustangs, die aufgeschreckt davongaloppierte und in die Weite des Landes entkam. Dafür zeigte sich der Missouri, den die Otoes zu Recht „den Großen Schlammigen” nannten, in abwechslungsreicher Vielfalt. Mal war sein Wasser ruhig, dann wieder wild und unberechenbar; jetzt war er über eine Meile breit und eine Stunde später zwängte er sich durch eine

wenige hundert Yards enge Schleuse, die steil aufragte und dessen Felsformation in den herrlichsten Schattierungen von Ocker über Zinnober bis zu hellem Blau in der Sonne leuchtete.

Am 4. April, dem zweiten Tag ihrer Reise, war Daves neunzehnter Geburtstag. Zum ersten Mal dachte er an daheim. Seine Mutter – jung und schön lächelte sie ihn an –, Mr und Mrs Blackmore und Cuthbert erschienen ihm in Gedanken. Er dachte auch an Miriam, seine erste Liebe, und an Clarissa Upton, jene Frau, die er begehrt und verteufelt hatte. Viele Menschen aus St. Louis, Orte und Begebenheiten drängten sich in seine Erinnerung. Doch er vermisste niemanden und nichts. Nur der Diebstahl des Gewehrs belastete ihn manchmal. Dass er heute Geburtstag hatte, verschwieg Dave.

Am nächsten Tag kam kräftiger Wind auf. Bell ließ Segel setzen, und am Abend hatten sie fünfunddreißig Meilen zurückgelegt. Das war mehr als das Doppelte, was sie nur mit Rudern geschafft hätten.

Jeder Tag, jede Meile brachte sie weiter westwärts. Jenem Land entgegen, in dem Dave die Freiheit zu finden hoffte.

Doch der Wind hielt nicht lange an. Wieder waren sie auf ihre Muskelkraft angewiesen. Die Schwielen an den Händen, die Dave die ersten Tage bekommen hatte und die ihm Reed mit Fett einrieb, waren zu fester Hornhaut verwachsen, die wie hartes Leder schützte. Glaubte Dave nun, die anstrengendste Tätigkeit leicht schaffen zu können, nachdem sich Muskeln und Hände dem Rudern angepasst hatten, so lernte er schon bald eine weitere Art kennen, die Boote fortzubewegen.

Ohne einen für Dave ersichtlichen Grund ließ Captain Bell am Ufer anlegen, das hier nur wenige Zoll höher als der Wasserspiegel war. Noch vor wenigen Wochen, als die Schneeschmelze die Flüsse gespeist hatte, musste das Land ringsum weitläufig überschwemmt gewesen sein. Noch immer war es feucht und nährte hohes, saftiges Gras. Eine Vielzahl von Vögeln lebte hier, und Myriaden von

Mücken summten in der Luft.

Der Grund, weshalb Bell hatte anlegen lassen, befand sich direkt vor ihnen. Für das ungeübte Auge unsichtbar, lauerte in dem schmutzig-gelben Fluss nur drei Fuß unter der Oberfläche eine Sandbank von mehreren Meilen Länge. Bell kannte diese und andere Hindernisse von seinen zahlreichen Reisen. Er brauchte nicht erst nachzumessen, um genau zu wissen, dass die beladenen Boote zu tief lagen. Sie

trugen deshalb die Fracht ans Ufer. Von dort marschierten sie los, jeder über einen Stirnriemen ein oder zwei Säcke tragend. Captain Bell, ein Hüne und Auswuchs an Kraft, schleppte zwei große Bündel, die zusammen an die zweihundertvierzig Pfund wogen. Dave schaffte immerhin zweihundert Pfund; und damit mehr als die meisten, was aber das Halbblut leistete, verlangte ihm den größten

Respekt ab.

Nach einer halben Meile legten sie ihre Last ab, liefen zurück und holten den nächsten Teil, bis die gesamte Fracht geholt war. Nach einer kurzen Pause gingen sie an die nächste halbe Meile. Etappe um Etappe schleppten sie die Fracht weiter. Nach der zweiten Meile fing das Land an, sumpfig zu werden. Die Männer sanken unter dem Gewicht auf ihren Rücken bis über die Knie in den Schlamm. Die Mücken quälten sie obendrein. Es war eine einzige Tortur, die sogar erfahrenen Männern wie Bell und Reed hart an die Grenze des Erträglichen ging. Graham Booker schlug wie wild nach den stechenden Quälgeistern und fluchte erbärmlich, was aber nur zur Folge hatte, dass sie ihn noch heftiger heimsuchten. Am Abend war sein Gesicht voller Pusteln und geschwollen. Die anderen sahen nicht hübscher aus.

Insgesamt dreieinhalb Meilen schleppten sie die Fracht. Dort wurde das Wasser wieder tiefer. Da es nun zu dunkel war, um die Boote zu holen, richteten sie sich ihr Lager. Schlafen aber konnte vorerst niemand, denn die Mücken folterten sie weiter. Schließlich vertrieb sie die Nachtkälte, und den Männern blieben fünf Stunden Ruhe. Schon vor Sonnenaufgang weckte sie Bell.

Sie treidelten die Boote. Während Durak, der Leichteste von ihnen, am Bug stand und mit dem Staken das Boot vom Ufer fern hielt,

zogen es die anderen mit einem langen Seil flussaufwärts. Ohne Fracht war der Tiefgang nicht nennenswert, das Boot glitt ohne Schwierigkeiten über die Sandbank hinweg.

Wieder mussten sie durch den Sumpf, und wieder kamen mit der Wärme die Mücken. Einen vollen Tag benötigten sie, um die zwei Boote in tiefes Wasser zu bringen.

Am dritten Tag um die Mittagszeit, als die Fracht an Bord war und sich die Boote langsam wieder in Bewegung setzten, sahen sie alle aus wie in Schlamm gebadet, obendrein waren ihre Hände und Gesichter feuerrot und juckten teuflisch.

Auch wenn diese Strapaze – Bell wusste, es warteten noch mehr solche Hindernisse auf sie – die Männer bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit geführt hatte, so war es doch für Tage die einzige Abwechslung gewesen. Auch die Prärie entschädigte sie nicht. Sie entfaltete jetzt ihre volle Schönheit, das Gras war saftig, Blumen blühten in tausenderlei Farben, Sträucher und einzelne Bäume zierten sie wie Tupfer auf einem herrlichen Teppich. Fast ständig war der Himmel sonnig. Der Duft von herb-süßem Salbei erfüllte das Land. Und nur die Stimmen des Präriehundes, das Zirpen der Grillen und manchmal der einsame Schrei eines Falken unterbrachen das ein-

tönige Klatschen der Ruder.

Henry Long Reed bemerkte bald, dass Dave etwas bedrückte. Eines Nachts, als sie sich in ihre Decken rollten, sprach er Dave darauf an.

„Ich hab gestohlen”, flüsterte Dave. Die anderen sollten es nicht

hören, Henry aber vertraute er. „Ich brauchte unbedingt ein Gewehr, deshalb nahm ich Mr Blackmores Büchse.”

Der Lange grunzte. Sein Gesicht war in der Dunkelheit verborgen, Dave konnte deshalb nicht erkennen, ob Reed ihn auslachte oder ob er ihn ernst nahm.

„Ich dachte, Mr Blackmore ist tot”, sagte Reed schließlich.

„Das ist er auch.”

„Dann versteh ich dich nicht. Einen Toten kann man doch nicht bestehlen. Ein Toter besitzt nichts.”

Nun grunzte Dave. Wenn man es so betrachtete, hatte er tatsächlich nichts Unrechtes getan. Aber es fiel ihm dennoch schwer, die Sache wie Reed auf die leichte Schulter zu nehmen. „Ich mache mir Vorwürfe. Aber ohne das Gewehr wäre ich jetzt nicht hier.”

„Dann wärst du noch in St. Louis”, flüsterte Reed nach einer Weile. „Das Gewehr hinge in Blackmores Haus, und nichts wäre anders als jetzt. Du hast wirklich niemandem einen Schaden zugefügt, Dave.”

Nicht so sehr Reeds Worte, sondern die Tatsache, dass der Lange uneingeschränkt auf seiner Seite stand, tröstete Dave etwas. Zwar dachte er noch manches Mal an sein Vergehen, doch mit der Zeit ebbte

sein schlechtes Gewissen ab und verblasste schließlich.

An diesem Abend aber schnitt Reed noch ein anderes Thema an, das Dave mindestens ebenso belastete wie der Diebstahl. Reed rechnete sich nämlich aus, wenn Dave das Gewehr gestohlen hatte, dann hatte er vorher also keines besessen. Und wenn er kein Gewehr besessen hatte, dann war es gut möglich, dass er mit einer Waffe nicht umgehen konnte. Frei heraus fragte er deshalb, aber so leise, dass es nur Dave verstehen sollte: „Du kannst doch schießen?”

Dave zögerte. Doch dann antwortete er ehrlich: „Ich kann nicht einmal ein Gewehr laden.”

Long Reed schwieg. Er grunzte nicht einmal. Er zog sich die Decke über den Kopf, und wenig später war von ihm nur noch pfeifendes Schnarchen zu hören.

Dave blieb noch lange wach. Er fragte sich, ob es ein Fehler gewesen war, Reed gegenüber zu beichten. Sollte der ihn bei Bell anschwärzen, standen Dave gewaltige Schwierigkeiten bevor. Der Captain verabscheute nichts mehr als Lügen. Für Männer, die mit Haut und Haaren aufeinander angewiesen waren, waren falsche Voraussetzungen so ziemlich das Schlimmste. Es konnte Dave durchaus

passieren, dass ihn Bell kurzerhand fortjagte. Doch Henry Long Reed hielt dicht.

Die folgenden Tage, wenn er und Dave nicht mit dem Rudern dran waren, setzten sie sich etwas abseits der anderen zusammen. Sie

taten dann, als reinigten sie ihre Gewehre oder als unterhielten sich über sonst was. Tatsächlich aber erklärte Reed ihm den Aufbau und die Funktionsweise der Waffe. Dave erfuhr, wozu das Zündhütchen und der Feuerstein waren und wie man aus einem Bleiklumpen mit Hilfe der Kugelzange gleichmäßige Kugeln machte.

„Das Laden ist das Wichtigste”, sagte Reed. „Nimm nicht zu viel und nicht zu wenig Pulver. Wenn du die Kugel in die flache Hand legst und sie mit Pulver so überhäufst, dass sie gerade nicht mehr zu

sehen ist, dann hast du die richtige Menge Pulver. Während der Jagd oder eines Kampfes wirst du aber oft keine Zeit finden, das Pulver auf deiner Hand zu messen. Entwickle deshalb so bald wie möglich ein Gefühl dafür. Auch die Durchschlagskraft sagt dir etwas über die richtige Menge. Wenn du die Kugel in den Leib einschlagen hörst, ist das ein sicheres Zeichen für zu wenig Pulver.”

Danach erklärte ihm Reed, wie das Pulver in den Lauf zu streuen, wie die Kugel einzuführen war und wie man mit dem Ladestock

beide feststampfte.

„Aber nicht zu fest, hörst du? Zwei- oder dreimal kurz anstoßen genügt.”

Die theoretischen Anweisungen, die Dave tagsüber erhielt, setzte er des Nachts, wenn er zur Wache eingeteilt war, in die Tat um. Anfangs war es schwer, im Dunkeln den Feuerstein zu wechseln oder das Gewehr zu laden. Sich nur auf den Tastsinn zu verlassen, war für Dave eine große Umstellung. Und manchmal, wenn er die Finger nicht richtig kontrollierte, entglitt ihm eine Kugel oder das Pulver landete im Gras anstatt im Lauf. Dann fluchte er leise, doch er probierte es immer wieder. So sehr er sich auch ärgerte, mit der Zeit entwickelte er eine geradezu schlafwandlerische Sicherheit. Zumindest, was das Laden und das Instandhalten der Waffe betraf.

Als ihm Reed schließlich noch erklärte, wie über Kimme und Korn zu zielen war, konnte Dave – theoretisch – schießen. Aber eben nur theoretisch. Die Praxis würde zeigen, wie weit er die Unterweisungen Reeds begriffen hatte. Dave wartete gespannt auf eine Gelegenheit, sein Wissen zu erproben. Niemand hatte von ihrer Schulung Wind bekommen. Dieses Geheimnis verband Dave und Long noch mehr. Sie wurden zu echten Freunden.

Drei Wochen, nachdem sie von St. Louis aufgebrochen waren,

sahen sie den ersten Indianer. Die Uferböschung stieg hier sanft an und verwehrte einen weiten Blick. Reed entdeckte den Indianer, der plötzlich auf dem Kamm der Böschung auftauchte, als Erster. Sein schwarzes Haar war lang und ungepflegt. Eine klobige Nase hing ihm schräg über dem schiefen Mund. Die Hässlichkeit seines Gesichts wurde noch betont durch den kurzen, fetten Leib, der in staubigen Leggins und einem schmucklosen dunklen Lederhemd

steckte. An Waffen trug er nur Pfeil und Bogen. Das Pferd war

schäbig; die Brustknochen traten deutlich unter dem Fell hervor, dem stellenweise die Haare fehlten. Schweif und Mähne bestanden nur noch aus ein paar Fransen, in die rot gefärbte Taubenfedern gebunden waren. Ohne ein Zeichen zu geben, folgte er den Booten in einer Entfernung von hundert Yards. Ob seine Stammesgenossen in der Nähe waren, ließ sich nicht erkennen.

Orlando Bell rief ihn mehrmals an, erhielt aber keine Antwort. Entweder verstand ihn der Indianer nicht, oder er wollte ihn nicht verstehen. Auch das mienenlose Gesicht ließ keine Reaktion auf die

Zurufe erkennen.

„Wenn er schon stumm ist wie ein Toter”, knurrte Graham Booker, „dann kann ich ihm auch gleich eins aufs Fell brennen.” Er nahm sein Gewehr, das immer geladen war, und legte an.

„Leg die Büchse hin, verdammter Idiot!”, befahl ihm Bell mit unterdrückter Stimme.

Booker gehorchte wortlos, aber er hätte liebend gern einen Schuss gewagt. Den Indianer schien das nicht zu stören. Stoisch ritt er neben ihnen her, sah weder nach links noch nach rechts. Manchmal schien es, als schlafe er beim Reiten. „Ist das ein Mandane?”, fragte Reed.

„Keine Ahnung”, sagte der Captain ruhig. „Das ist das Land der Mandanen. Er kann aber auch einem anderen Stamm angehören.”

„Was hat er vor?”

Bell zuckte die Schulter. „Weiß der Teufel.”

Ohne ersichtlichen Grund folgte ihnen der Indianer. Er kam aber nie näher als hundert Yards an den Fluss heran.

Für Dave war es der erste freie Indianer, den er zu Gesicht bekam. Die Caddos in ihren armseligen Behausungen vor St. Louis und der alte Medizinmann, der mehr oder weniger nur noch im Saloon

lebte, hatten in ihm ein verzerrtes Bild der Indianer entstehen lassen. Er ahnte wohl, dass dieses Bild nicht den Stämmen der Plains entsprach. Durch Reverend Gardner, der die wilden Indianer wie leibhaftige Teufel von der Kanzel aus verschrien hatte, aber auch durch die Frontier News, die fast regelmäßig von schrecklichen Überfällen auf friedliche Siedler berichtet hatte, war in Dave die Vorstellung gewachsen, der frei lebende Indianer sei groß und stark wie ein Bär, furchteinflößend wie ein zähnefletschender Wolf, voller Tatendrang und ständig unterwegs, um im tollkühnen Angriff wehrlose Menschen niederzumetzeln. Andere Berichte zeichneten ihn als einen stolzen, erhabenen Ritter der Prärie, der auf edlem Ross und mit wehendem Haar über die Ebene galoppierte.

Als Dave nun den seltsamen Begleiter betrachtete, wusste er, dass alles, was er über Indianer gelesen und gehört hatte, falsch war. Diese unscheinbare, unförmige Erscheinung auf dem dürren Gaul war weder stolz und erhaben zu nennen, noch schien sie tollkühn zu sein.

Dave tat es deshalb wie die anderen Männer auf den Booten: Sie beachteten den Indianer einfach nicht mehr. Mit kräftigen Armbewegungen hieben sie die Ruder ins Wasser, fluchten über die sengende Hitze, und Reed warf wieder seine Rute aus. Dem staunenden

Rätselraten folgte der nüchterne Arbeitsrhythmus.

Langsam wurde der Indianer zu einem Bestandteil der Umgebung. Wie ein Baum oder ein Strauch, nur dass er sich bewegte. Stur hielt er sich auf gleicher Höhe mit den Booten. Zwei Stunden vergingen, drei Stunden. Doch auf einmal schien ihn der Eskortierposten zu langweilen. Er riss sein Pferd hart am Zügel und galoppierte im nächsten Moment davon. Das Ufer war hier wieder flach, und sie sahen ihn in einer Geschwindigkeit über die Prärie dahinjagen, die sie dem

schäbigen Gaul nicht zugetraut hatten. Nur eine Minute später war von dem seltsamen Indianer nur noch eine Staubwolke in der Ferne zu sehen.

Dave und die anderen verschwendeten keinen Gedanken an den zeitweiligen Weggesellen. Doch als die Nacht kam, erinnerten sie sich wieder an ihn. Vorsichtshalber ließ Captain Bell die Wachen verdoppeln, da noch immer nicht sicher war, welchem Stamm der Indianer angehörte. Aber nur ein alter Wolf, der einsam umherstreifte, näherte sich dem Lager, ansonsten blieb es ruhig.

Am Morgen entdeckten sie südlich von sich eine Herde Gabelböcke. Sie waren aber zu weit entfernt, um auf sie zu schießen. Booker wollte unbedingt an Land, um eines dieser graziösen Tiere zu erlegen. Doch Bell verweigerte es ihm. „Die lassen dich auf keine halbe Meile heran”, sagte er.

Booker sah ein, dass es ohne Pferd sinnlos war, auf Gabelböcke Jagd zu machen. Da es aber ganz angenehm und auch üblich war, das Trockenfleisch, den enthülsten Mais und die konservierten Früchte ihres Proviants ab und zu durch Frischfleisch zu ergänzen – Reeds Fische hingen ihnen auch langsam zum Hals heraus –, so vertröstete ihn Bell auf ein anderes Mal, wenn die Gelegenheit günstiger war.

Booker, der vor Übermut fast zerplatzte, konnte sich einen Schabernack dennoch nicht verwehren. Er hielt seine doppelläufige Büchse in die Höhe und schoss zweimal. Die Gabelböcke hoben daraufhin erschrocken ihre Köpfe, in der nächsten Sekunde flüchteten sie in wilder Panik. Sie boten ein herrliches Bild. Ihre eleganten Körper schnellten mit unglaublicher Kraft und in majestätischen Bewegungen dahin. Dave hätte ihnen gern noch lange zugesehen, doch auch die Herde verschwand wie zuvor der Indianer in einer Staubwolke.

Zwei Stunden später verschwand auch die offene Prärie vor ihren Augen. Die Ufer ragten hier fünfzig Fuß empor. Bell stand nun

dauernd im vorderen Boot am Bug und suchte die Böschungen ab.

Unwillkürlich langte Dave nach seinem Gewehr, das immer griffbereit in der Nähe lag.

„Es ist besser, du rührst es nicht an”, warnte der Lange. „Die Mandanen könnten deine Geste sonst missverstehen.”

Auf den Booten war es plötzlich ruhig. Nur die Ruder waren zu hören, die sanft in das Wasser tauchten. Alle außer Dave kannten diese Gegend und wussten, dass das Dorf der Mandanen nicht weit entfernt war. Sie kannten sie als gastfreundliche und friedliche Menschen, dennoch war Vorsicht geboten. Irgendein Zwischenfall hätte das Dorf seit dem letzten Jahr feindlich stimmen können. Bell redete sich zwar ein, dennoch als Freund wiedererkannt und willkommen geheißen zu werden; sicher war er sich aber nicht.

Endlich löste Bell die Spannung, indem er stumm vor sich hin deutete. Am westlichen Ufer waren zwei Gestalten auszumachen. Beim Näherkommen waren sie als Frauen zu erkennen, die nach Wurzeln gruben. Auch sie nahmen jetzt die Boote wahr, und als sie Bell am Bug wiedererkannten, winkten sie und kamen lachend näher. Nun gab es keine Zweifel mehr – die Mandanen waren ihnen noch immer wohlgesonnen. Booker feuerte deshalb zwei Salutschüsse ab, worauf schon bald mehrere Indianer am Kamm der Böschung erschienen, zuerst neugierig hinunter zum Fluss blickten und dann mit einem lauten Ruf die Weißen willkommen hießen oder einfach nur zur Begrüßung die flache Hand hoben.

Der Missouri beschrieb jetzt eine scharfe westliche Kurve und

bildete somit einen rechten Winkel. Noch eine halbe Stunde ruderten sie, dann ließ Bell an einer flachen Stelle anlegen. Sie stiegen an Land und waren sofort umringt von Indianern, hauptsächlich von lebhaften Kindern, für die die Ankunft der Weißen ein besonderes Ereignis war. Bell ließ die Boote festbinden, schulterte ein kleines Leinensäckchen, das er aus der Frachtbox geholt hatte, und wurde dann mit den anderen von den schreienden Kindern hinauf ins Dorf begleitet. Ihre Gewehre nahmen sie mit, während der Proviant und die restliche Fracht zurückgelassen wurden. Dave wunderte sich deswegen, erinnerte er sich doch, dass Mr Blackmore und Reverend Gardner sämtliche Indianer als Strauchdiebe beschimpft hatten. Entweder hatte Bell vollstes Vertrauen zu diesen Indianern und strafte Blackmore und Gardner somit der Lüge, oder er war sehr arglos und dumm, was aber wiederum gar nicht zu dem verantwortungsbewussten Captain passte.

Das Dorf war genau in den Knick des Missouri gebaut, der es von zwei Seiten schützte. An der Ost- und Westseite umzäunte es eine mannshohe Palisade aus starken Hölzern, in der schmale Ritzen geblieben waren, wodurch sie Pfeile oder Kugeln auf Angreifer abschießen konnten. Zwei Öffnungen gab es, durch sie konnte ein

Reiter bequem passieren, die im Falle eines Angriffs aber schnell verbarrikadiert werden konnten.

Das Dorf selbst führte Dave in eine fremde Welt. Eine Welt, wie er sie sich nie hätte vorstellen können, die eigenartig und faszinierend war. Eine große Anzahl kuppelförmiger Häuser gruppierte sich ohne bestimmte Ordnung um einen freien Platz. Auf diesem waren mehrere Pfähle in den Boden gerammt; an ihnen hingen Skalps. Die Häuser sahen aus wie große Bienenstöcke und waren vollkommen mit Erde bedeckt. Dave konnte keine Fenster entdecken, ins Innere führte nur jeweils eine Öffnung, die mit Stoff oder Leder verhangen war. Auf den Dächern, die sehr stabil zu sein schienen, standen oft Gruppen von Kindern oder es lagerten ausgebleichte Büffelschädel auf ihnen.

Jetzt, kurz nach der Ankunft der Weißen, herrschte reges Treiben im Dorf. Viele kamen persönlich, um die Ankömmlinge zu begrüßen, etliche aber begnügten sich damit, aus der Entfernung einen Blick auf die Trapper zu werfen. Allen jedoch war die ehrliche Wiedersehensfreude anzumerken. Dave hatte noch nie ein so freundliches Volk gesehen, das so gerne und so herzhaft lachte. Unter das

Stimmengewirr, das in unbekannten Lauten auf ihn einströmte, mischte sich das Kläffen der zahlreichen Hunde.

Dave schätzte die Zahl der Mandanen auf etwa achtzehnhundert bis zweitausend. Sie waren von mittelgroßer Gestalt, die meisten von

ihnen schön und anmutig. Die Männer trugen Leggins und Hemden aus hellem Leder, das mit Farbe oder Fransen verziert war. Ihre Haare

waren lang und glänzten vom Fett, nur selten schmückte es eine Adlerfeder. Viele trugen zusätzlich eine Büffelrobe über der Schulter. Die Kleider der Frauen waren ebenfalls aus hellem Leder gefertigt, und obwohl Dave wahre Schönheiten unter ihnen bemerkte, schien es ihm, als legten sie weniger als ihre Männer Wert auf Eitelkeit und beschränkten sich auf schlichte Zweckmäßigkeit.

Zu seinem großen Erstaunen entdeckte Dave Männer sowie Frauen, die nackt waren und nur einen schmalen Lendenschurz um die Hüfte gebunden hatten. Anscheinend kannten die Mandanen in dieser Hinsicht keine Tabus.

„Du kannst eine haben”, flüsterte ihm Long zu und stieß ihn neckisch in die Seite.

Dave sah Long verblüfft und gleichzeitig erschrocken an.

„Vergiss die Zivilisation!”, erklärte der Lange mit breitem Grinsen. „Vergiss, was dir die Kirche und sonstwer an Geboten, Verboten, Vorschriften und Gesetzen in dein Hirn gehämmert hat! Vergiss

alles! Hier in der Wildnis gelten diese Regeln nicht. Wenn dir einer der Indianer seine Frau anbietet, dann pack die Gelegenheit beim Schopf. Du tust niemandem weh damit. Die Mandanen sehen vieles anders als wir. Je eher du ihre Lebensauffassung durchschaust, desto eher findest du dich hier zurecht.”

Dieser krasse Gegensatz zu seiner gewohnten Umgebung verwirrte Dave zutiefst. Noch vor drei Wochen hatte er unter Menschen gelebt, die sich gegenseitig jeden Schritt, jeden Atemzug vorschrieben und mit fast schon akribischer Zwanghaftigkeit gegen ein Vergehen vorgingen. Jeder war der Richter des anderen. Diese erdrückende Enge war es schließlich gewesen, die ihn veranlasst hatte, sich den

Trappern anzuschließen. Und jetzt traf er auf Menschen, denen jegliche Vorschriften fremd waren. Wie er später von Long Reed erfuhr, gab es kein einziges Gesetz, das Diebstahl, Ehebruch oder sogar Mord geahndet hätte. Nur die Schande, ein solches Verbrechen zu begehen, ließ die anarchischen Zustände nicht in einer Katastrophe enden.

Unterscheiden musste man auch Taten, die dem Gemeinwohl

dienten. So erlangte man sogar große Ehre dadurch, einen anderen Stamm zu berauben und die Feinde im Kampf zu erschlagen. Nur dem Großen Geist oder dem Einsamen Mann, der sich ständig und überall durch die Natur offenbarte, unterwarfen sie sich be-

dingungslos. Seine Gesetze waren die einzigen, die sie befolgten. Und betrachtete man den Überlebenswillen als Gesetz der Natur, so war der Überfall auf einen anderen Stamm, der ja die eigenen

Nahrungsquellen bedrohte, von großem Nutzen.

Dave hatte sich immer gewünscht, frei und ungebunden zu leben. Er hatte sich vorgestellt, sollte es eines Tages so weit sein, würde er das neue Leben ausschweifend wie ein in die Freiheit entlassener

Mustang genießen. Jetzt war er in Freiheit, und dennoch fesselten ihn noch die Wurzeln seiner Herkunft. Es sollten noch viele Monate vergehen, bis er alle Brücken hinter sich abbrach und zu einem

echten Mann der Wildnis wurde.

Nachdem sich bei den Mandanen die erste Wiedersehensfreude gelegt hatte, gingen sie wieder ihren Beschäftigungen nach. Es wurde ruhig im Dorf.

Der Friedenshäuptling hieß Nompah wah keea, was so viel wie Zwei Schilde bedeutete. Nichts hob seine Stellung hervor. Er war Vorsitzender des Stammesrates, ohne den auch er keine wichtigen Entscheidungen fällen konnte. Ihm standen aufgrund seines Amtes weiter keine besonderen Privilegien zu, es sei denn jene, die er sich als hervorragender Krieger verdient hatte.

Nompah wah keea führte sie nun in eines der Häuser, das für die Beherbergung von Gästen reserviert war. Dave war überrascht, mit welch primitiven Mitteln der doch so stabile Bau errichtet worden war, und als Zimmermann interessierte er sich natürlich besonders dafür. Das Haus bestand aus einem einzigen kreisrunden Raum von etwa fünfzig Fuß Durchmesser. Am Rand dieses Kreises waren zuerst kleine feste Pfähle dicht nebeneinander in den Boden gerammt und darüber längere Pfähle, die sich zur Mitte hin neigten. Auf drei Viertel Höhe verliefen Querbalken, die von starken Stützpfosten getragen wurden. Das ganze Gebilde war mit einer dicken Schicht Erde bedeckt, dessen äußere Kruste aus hartem und somit wasserabweisenden Lehm bestand; sie schützte die Bewohner vor Regen und Wind und hielt die Wärme im Inneren. In der Deckenmitte hatte man eine drei Fuß große Öffnung gelassen, durch die das Tageslicht schien und der Rauch entwich. Der Boden schließlich war im

Laufe der Jahre festgetreten und blank wie polierte Bretter. Die Erbauer hatten geschickt die verfügbaren Materialien der Natur verwendet und ein solides, geräumiges Haus errichtet, das bis zu vierzig Personen Platz bot. An den Wänden hingen Töpfe, Pfannen, Federfächer und andere Utensilien des täglichen Lebens. Im hinteren Teil des Raumes lagerten an die zwanzig Büffelfelle. Alles in allem wirkte das Haus wohnlich und gemütlich und strahlte eine an-

heimelnde Nettigkeit aus.

Mit Nompah wah keea trat noch eine zehnköpfige Delegation ein – alle angesehene Männer des Dorfes –, die sich nun mit den Gästen in einem Kreis niederließen. Einer der Mandanen war jener Indianer, der am Tag zuvor den Booten gefolgt war. Vermutlich hatte er sich da auf einem längeren Jagdausflug befunden, denn jetzt trug er

saubere Kleider und sein Haar war wie das der anderen gepflegt und schimmerte in seidigem Glanz. Bell kannte den Mann nicht, er

musste demnach erst seit letztem Jahr zum Kreis der auserwählten Männer gehören.

Ein Feuer war schnell entfacht. Die Männer holten ihre Pfeifen aus den Taschen, und schon kurz darauf war der Raum angefüllt mit dichtem Rauch, in dem sich die einfallenden Sonnenstrahlen

brachen. Später brachten Frauen einen großen Kessel Wildgemüsesuppe und danach gebratene Hirschrippen, die mit wilden Kirschen gespickt waren, und Mais, den sie selbst anbauten.

Der Unterhaltung konnte Dave anfangs nur schleppend folgen. Die Mandanen sprachen zwar ein wenig Englisch, aber eben nur ein wenig. Den Rest drückten sie in ihrer eigenen Sprache aus. Um sich dennoch deutlich mitteilen zu können, untermalten sie ihre Worte mit gestenreichen Handzeichen. Alle Indianer beherrschten diese Zeichensprache, die aus dem Handel zwischen ihnen entstanden war, und verwendeten sie schneller und fließender als das gesprochene Wort. Auch die Trapper verwendeten diese Art der Mitteilung recht gewandt. Die Ausdruckskraft der Zeichensprache war dabei oft so eindeutig, dass sich Dave weniger auf seine Ohren als auf seine Augen verließ. Auch wenn er nicht alles verstand, so nahm er doch lebhaft teil an den vorgetragenen Geschichten und Anekdoten, und er lernte die Mandanen als ein munteres Volk kennen, das gern schwatzte und ebenso gern lachte.

Nachdem der Kessel leer und von den Hirschrippen nur noch die Knochen übrig waren, schnürte Orlando Bell das mitgebrachte Säckchen auf, holte Glasperlen, dreißig metallene Pfeilspitzen und zwei Stahläxte hervor, die er den Gastgebern schenkte. Was wie eine großzügige Geste wirkte, war im Grunde genommen nichts weiter als pure Berechnung. Bell hielt die Mandanen damit bei guter

Laune. Die Geschenke waren Wegezoll und zugleich Bestechung. Denn nicht nur die Louisiana Fur Company durchquerte das Land der Mandanen, auch zahlreiche andere Pelzhandelsgesellschaften taten dies. Nicht alle waren freundlich und wohlgesonnen. Es waren Schurken und Diebe darunter, die die Indianer beim Handel betrogen oder sogar ihre mühsam erbeuteten Felle stahlen. Und wenn die Mandanen dann den Krieg ausriefen, unterschieden sie nicht

zwischen den einzelnen Gesellschaften, sondern nur nach Freund oder Feind. Deshalb sorgte Bell jedes Jahr dafür, als Freund betrachtet zu werden.

Die Unterhaltung hätte vermutlich noch bis zum Morgen angedauert und dabei nicht an seiner Lebhaftigkeit verloren. Als aber der Captain eine Stunde nach Mitternacht aufstand und seine Pfeife ausklopfte, verstanden die Mandanen diese Andeutung. Sie verabschiedeten sich höflich und verließen das Haus. Die Trapper holten nun die Büffelfelle, die man nur für sie im hinteren Teil des Hauses abgelegt hatte, und richteten sich damit ihr Lager. Eine Weile noch lag Dave wach. Gedankenverloren sah er durch die Dachöffnung

hinauf zu den Sternen, die wie glitzernde Diamanten am Nachthimmel standen. Schließlich fiel er in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Der Morgen beendete den kurzen Besuch. Captain Bell verabredete sich mit Nompah wah keea für den April im nächsten Jahr. Denn

dieses Jahr würden sie nicht zurückkehren, sondern in den Bergen bleiben, um Handel zu treiben und eine Zwischenstation zu errichten. Aber sobald der Schnee schmolz, wollten sie zurück nach St. Louis, und sie würden wieder bei den Mandanen Halt machen und ihnen dann auch deren Felle abkaufen. Er bedankte sich herzlichst bei seinen Gastgebern, und nachdem sich alle verabschiedet hatten, stiegen die Trapper in ihre Boote. Dave warf einen schnellen Blick in die Frachtbox, fand aber alles unverändert vor. Während ihrer Abwesenheit hatte also kein Indianer die Boote betreten. In St.

Louis wäre es nicht möglich gewesen, die wertvolle Fracht eine

ganze Nacht lang unbeobachtet zu lassen.

Dann klatschten die Ruder ins Wasser. Langsam aber stetig schoben sich die Kiele stromaufwärts.

Dave blickte noch eine Weile zurück. Er sah Menschen, die ihnen fröhlich hinterherwinkten. In den wenigen Stunden, die er bei ihnen verbracht hatte, hatte er sie als heitere Menschen kennengelernt, als einfache, aber demütige Kinder der Natur, die ohne Falsch waren. Und eben diese Einfachheit, diese Geradlinigkeit und pure Menschlichkeit hatte seine Sympathie im Nu gewonnen. Es fiel ihm deshalb schwer, Abschied zu nehmen.

Mit den Mandanen ließen die siebzehn Trapper auch ein Gebiet zurück, das noch als friedlich und ungefährlich zu bezeichnen war. Mit jeder Meile, die sie mühsam dem Fluss abrangen, näherten sie sich dem Yellowstone und dem Land der Blackfeet. Dieser Stamm war allen Weißen wegen ihrer Launen verhasst. War die Büffeljagd oder der Pelzhandel zu ihrer Zufriedenheit verlaufen, waren sie harmlos und friedfertig wie die Mandanen. Doch konnte sie ein einziger Trapper, der sie übervorteilte, zu reißenden Wölfen verwandeln, die gnadenlos jeden niedermetzelten, der ihnen in den Weg kam. Diese Unberechenbarkeit machte erst ihre Gefährlichkeit aus. Viele Weiße sahen in den Blackfeet den bedrohlichsten und grausamsten Stamm überhaupt.

Captain Bell befahl deshalb, die Büchsen stets geladen in Reichweite zu halten. Dave sah nun mit anderen Augen der Zukunft entgegen. Er ließ das Ufer keinen Moment mehr unbeobachtet.

Die Tränen der Rocky Mountain Eiche

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