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6. Vorstadtanarchisten arbeiten an einem besseren Morgen

Sie erwachte, hörte fernen Geschützdonner, roch brennendes Holz. Der Tag war schon längst angebrochen; helles weißes Sonnenlicht konturierte die quer über die Schlafzimmerfenster genagelten Bretter. Dusty gähnte, reckte sich und drehte sich im Bett um, verstreute damit diverse Sextoys sowie Nylonseile und weitere Bondage-Utensilien. Es war Weihnachtstag.

Sie drehte sich und sah liebevoll auf Thomas, der sich in den Laken verfangen hatte, das Kopfkissen umschlang und im Schlaf lächelte. Mit dem zerzausten schwarzen Haar und seiner schlanken Konstitution wirkte er hinreißend jungenhaft. Dusty beugte sich nieder und küsste ihn zärtlich auf die Wange, dann auf den Mund, und er rührte sich mit kleinen schläfrigen Lauten.

»Wie spät?«, fragte er.

»Früh«, log sie, presste sich an ihn und legte seine Hand auf ihre Brust.

Er blinzelte und sah mit kleinen Augen zum verbarrikadierten Fenster. »Sieht nicht früh aus.«

»Kümmere dich nicht drum.« Sie langte abermals nach ihm.

Er schüttelte den Kopf. »Gibt Arbeit.« Er machte sich von ihr frei und schlüpfte aus dem Bett. »Und gestern Abend hätte doch wohl mehr als genug sein sollen, nicht?« Er sah aufs zerwühlte Bett, auf ihre Nacktheit und lächelte. Dann verschwand er ins Badezimmer, und sie hörte Wasser laufen.

Dusty zuckte gleichgültig die Achseln.

Mit unangestrengter muskulöser Anmut schwang sie sich aus dem Bett und zog rasch eine alte schwarze Levi’s und ein rotes T-Shirt an, per Siebdruck mit dem offiziellen Symbol der Free Zone geschmückt: Faust mit gestrecktem Mittelfinger. Sie löste die Eisenstangen an der Schlafzimmertür, schob sie zur Seite und ging ins Wohnzimmer.

Wieder hörte sie den Lärm schwerer Artillerie. Sie ging zu einem Beobachtungsschlitz und spähte nach draußen. Hinter den Hügeln im Osten stieg rötlich nebelhaft eine Rauchsäule auf, vermutlich über Pasadena.

»Was passiert da?« Thomas war hinter ihr erschienen, trocknete das Gesicht ab. Er hielt den Kopf neben ihren, um an der Aussicht teilzuhaben. »Nationalgarde?«

»Wahrscheinlich. Wollen es wohl immer noch den Islamischen Läuterern zeigen.« Sie hob die Nase zum Schnüffeln. »Ich mag diesen Geruch nicht.«

»Den Holzrauch?«

»Nein, den anderen.« Sie drehte sich weg. »Napalm. Davon gab’s eine Menge in Panama.« Die Erinnerung ließ sie verstummen.

»Ein Weihnachtsgeschenk von Seinen Gnaden Clarence Whitfield für die religiösen Extremisten von Pasadena«, sagte Thomas. Sein Gesicht blieb ausdruckslos.

»Nicht mehr lange, dann gehen sie auch auf uns los«, sagte Dusty. »Über kurz oder lang wird Whitfield eine Spur zu gierig und kriegt die Vorstellung, dass er die Zone ebenso gut schmeißen kann wie wir, und dann …«

»Das war schon immer eine Möglichkeit.« Thomas’ Tonfall war sachlich.

Sie seufzte. »Du hast keine Kämpfe direkt erlebt, mittendrin. Du weißt nicht, wie das ist.«

»Da hast du recht. Das weiß ich nicht.« Er bahnte sich durchs Wohnzimmer einen Weg zur Computeranlage in der Ecke, schaltete sie ein und setzte sich auf einen abgenutzten Drehstuhl. Er klappte ein Notebook auf und fing an, eine Serie von Zugangscodes einzutippen.

Dusty erkannte, dass er recht hatte: Mit dem Job weiterzumachen war das Einzige, was jetzt zu tun war. Sie drehte sich um und machte sich auf den Weg durchs Wohnzimmer. Es war übersät mit Stapeln von Handbüchern, leporellomäßig gefalteten Ausdrucken, Elektronikbauteilen, Motorradwerkzeug und Bodybuilding-Gerätschaften. An einer Wand waren grobe menschliche Silhouetten hingepinselt, die mit Kugellöchern gesprenkelt waren. An einer anderen eine enorme Planungskarte, jede Straße der Free Zone eingezeichnet, vom Ventura Freeway im Nordwesten bis zum Pasadena Freeway im Südosten. Eine alte Couch mit Vinylbezug, der schon bessere Tage gesehen hat, bot Sicht auf einen mit schmutzigem Geschirr bedeckten Couchtisch und einen auf Schlackensteinen aufgebockten Fernseher. Zwei M16-Gewehre, ein Granatwerfer und ein Surfbrett standen in der Ecke bei der Tür.

Dusty suchte sich einen Weg über den verdreckten Nylonteppich, knipste den Fernseher an, ging dann in die Küche. Noch mehr schmutziges Geschirr stapelte sich in der Spüle, und auf dem Küchentresen sammelten sich Bierdosen und leere Ladestreifen. Sollte was gegen das Chaos tun, dachte sie vage, als sie den Kühlschrank aufmachte und ein paar Sojariegel von Dr. Feelgood und einen Karton Orangensaft herausholte.

Der Fernsehsender der Free Zone brachte nostalgische Weihnachtsmusik – »Santa Claus Is Coming to Town«, im Stil der Punkbands von Mitte der Siebziger. Sie ging hin und setzte sich im Schneidersitz auf den Boden vor dem Fernseher. Auf dem Bildschirm in handgeschriebenen Lettern DEMNÄCHST DIE 9-UHR-NACHRICHTEN HIER AUF KFZ, SOBALD WIR UNSERN SCHEISS ZUSAMMENHABEN!!! Dazu ein grob gezeichneter Weihnachtsmann, ans Kreuz genagelt und mit hervorquellenden Augen. Dusty biss in einen der Sojariegel, nahm eine 20-Kilo-Hantel mit der linken Hand auf und machte, während sie wartete, ein paar Curls. Hinter ihr, am Computerterminal, war Thomas in periodischem Stakkato am Tippen. »Was hab’ ich heute zu tun?«, fragte sie über die Schulter hin.

»Zehn Uhr Schiedsgericht, wie üblich. Dann – um elf rum darfst du einen Überraschungsbesuch erwarten. Anscheinend hat ein Dr. Percival Abo heute Morgen angerufen. Mein Expertensystem hat mit ihm geredet. Er ist aus Hongkong, sucht Lagerraum. Muss Ladung löschen.«

»Ein Doktor? Was für ein Doktor?«

»Hat er nicht gesagt. Ich guck’ nach … nein, weder hier noch in Hongkong noch in Festlandchina als Doktor für Medizin registriert.« Mehr Tastengeklapper, dann wieder Pause. »Hier hab’ ich ihn. Hawaii, 1975. PhD der Biochemie. Aber keine Publikationen aufgeführt. Sieht komisch aus; als wär’ die Datei frisiert. Willst du, dass ich tiefer nachgrabe?«

»Warte, bis ich ihn getroffen hab. Bringt er Illegales ins Land?«

»Ganz bestimmt.«

Dusty nickte. »Wir können ihn für einen Tag als Besucher zulassen.«

»Hab ich grade gemacht.«

»Und wir können ihm eine Nachmittagshostess in LoveLand zuweisen.«

»Hab ich auch grade gemacht.«

Sie zerknüllte die Sojariegelverpackung und warf sie beiseite. Sie ging forsch zu Thomas, stellte sich hinter ihn und zupfte spielerisch an seinen Haaren. »Hey, wer hat in der Free Zone das Sagen, du oder ich?«

Der Fernseher kam seiner Antwort zuvor. Die weihnachtliche Punkmusik endete, und auf dem Bildschirm erschienen zwei Gesichter: eine kleine grauhaarige alte Dame mit rosigen runzligen Wangen und ein junger Bursche in abgerissener Lederjacke, das Haar zur Hälfte abrasiert, die andere Hälfte festlich grün und rot gefärbt und mit Silberkonfetti überstreut. Im Gesicht eine rote Gumminase und auf dem Kopf ein Geweih aus Plastik. »Hey, Freeps, wie läuft’s?«

»Guten Morgen allerseits«, sagte die kleine alte Dame. »Und willkommen zu den Morgennachrichten mit Ursula Venus Milton und dem unverfrorenen Sammy Savage.«

»Willst du mitgucken?« Dusty legte Thomas den Arm um den Hals. »Nur um der alten Zeiten willen?«

Er grummelte irgendetwas über ineffiziente Nutzung verfügbarer Zeit, folgte ihr aber rüber zur abschilfernden Vinylcouch und fläzte sich neben ihr hin.

»Überall im Land«, sagte Nachrichtensprecherin Ursula, »feiern Millionen Amerikaner diesen letzten Weihnachtstag des 20. Jahrhunderts. Hier in der Free Zone sind wir zu vernünftig, einem abergläubischen Ritus zu folgen, den multinationale Konzerne der Kirche gestohlen haben, um einen Markt für schäbige Konsumgüter zu schaffen.« Die ganze Zeit über geriet ihr strahlendes Lächeln nie ins Wanken.

»Scheiß drauf, da hast du recht.« Sammy riss Nase und Geweih ab und warf sie ins Off. »Dieser Scheißkram.«

»Gut, Sammy. Sehr ideologisch korrekt.«

»Kommen da wirklich mal irgendwelche Nachrichten?«, beschwerte sich Thomas.

»Gib ihnen eine Chance«, wies ihn Dusty zurecht. »Sie müssen doch erst durch ihre Routine durch. Das wird von ihnen erwartet.«

Der unverfrorene Sammy setzte eine riesige Hornbrille auf. Er griff sich ein fleckiges Blatt Typoskript. »Okay, kommen wir also zum ernsthaften Scheiß. Im Rahmen eines Benefizdinners gestern Abend, an dem Hunderte Prominente aus dem Showbiz teilnahmen, gab Clarence Whitfield, der Bürgermeister von Los Angeles, den Abschluss eines neuen Vertrags und eines Handelsabkommens bekannt, die, wie er versprach, den Guerillakrieg zwischen L. A. und der Republik Beverly Hills beenden würden.«

»Dem Zeitplan voraus«, bemerkte Thomas. »Der gerissene Schweinehund.«

»Gleichzeitig hatten wir hier in Freep Town die Weihnachtsparade«, fuhr Sammy fort, »von der ich Bilder hätte machen sollen, ich hatte aber zu viel intus, und da hab ich die Kamera kaputt gemacht.«

»Jetzt eine Meldung zur Aufheiterung«, schaltete sich Ursula ein. »Gestern Abend durchbrachen die Videostars Rickie Revell und Lizzie Beaumont in einem roten Ferrari die Grenze der Free Zone, und zwar an der Absperrung Alvarado Street. Bei ihrem Versuch, der Verfolgung durch die Hell’s-Angels-Grenzwächter zu entkommen, verursachten sie einen Streifschaden an Billy’s Bettengeschäft, das gegenwärtig als Sexclub für ungehobelte Schwarze betrieben wird – wie, äh, einige von euch wissen könnten, glaube ich.« Sie brachte es zustande, peinlich berührt auszusehen.

»Von den Nutten und ihren Freiern wurde glücklicherweise niemand verletzt«, übernahm Sammy. »Ricky und Lizzy, diese verdammten Idioten, behaupteten, es sei alles nur unglücklich zusammengekommen, weil sie stockbesoffen waren. Unsere Leute hatten aber keinen Bock auf Entschuldigungen, da haben sie ihnen alles ausgezogen, ihnen die Köpfe kahl rasiert, sie rot angemalt und auf dem Harbor Freeway freigelassen.«

»Ihr Wagen«, brachte Ursula es zu Ende, »wird versteigert, der Erlös kommt den Eremiten im Griffith-Park zugute. Und nun zu einer Empfehlung aus Tante Annies homöopathischer Apotheke, Erfinder und alleiniger Hersteller von Saf-T-Ray, dem UV-Blocker mit extra Vitaminen.«

Thomas sah Dusty an. »Das wird Ärger geben mit denen von Beverly Hills.«

»Fürs Fertigmachen von zwei zweitklassigen Fernseh-Promis? Auf keinen Fall. Was meinst du, was passieren würde, wenn ein paar Free Zoners deren Barrikade durchbrechen?« Sie zog einen Finger über die Kehle.

»Natürlich«, gab Thomas zu. »Aber jetzt, da Whitfield mit Beverly Hills Frieden geschlossen hat, brauchen sie einen gemeinsamen Feind, um ihre Leute zu vereinen. Jemanden, den sie alle hassen können. So wie uns.«

Der Werbespot war zu Ende. »Nachrichten aus der Wirtschaft, für die von euch da draußen, die das überhaupt noch kümmert«, sagte Sammy. »Beim gestrigen Börsenschluss ging der Dow Jones mit 132 aus dem Handel, ein historisches Hoch seit dem letzten Crash, steht hier. Gewinne verzeichneten National Biotech, Solar Systems und die gute alte bundeseigene U. S. Oil.« Er blinzelte und rieb sich die Augen. »Verdammt, hab ich einen Kater.«

»Nachrichten aus aller Welt«, übernahm Ursula. »Nach drei Jahren ist die Evakuierung Hollands endgültig und plangemäß abgeschlossen. Laut einer aktuellen Vorhersage von Klimatologen wird sich dank der Wirtschaftskrise und des Rückgangs industrieller Aktivitäten der Treibhauseffekt im Lauf der nächsten zwanzig bis dreißig Jahre abschwächen, wodurch die Meerwasserspiegel um nicht mehr als drei bis viereinhalb zusätzliche Meter ansteigen werden. Es gibt also neue Hoffnung für die sturköpfigen Deichbauer in Santa Monica. Richtig, Sammy?«

»Du hast es erfasst, Süße. Und um euch allen mal so richtig das Herz zu wärmen, sendeten die Astronauten der chinesischen Raumstation heute Morgen der Welt eine Grußbotschaft und riefen zum Frieden im kommenden Jahrtausend auf.« Er schnaubte verächtlich und ging aus dem Bild.

»Das Wetter«, sagte Ursula, »heute sonnig bei Temperaturen bis etwa vierundzwanzig Grad, klare Luft, aber gefährliche UV-Werte, also denkt bloß an eure Sonnenbrillen, Schutzcremes fürs Gesicht und Sonnencapes, wenn ihr nach draußen geht. Es folgt jetzt die Sendung übers Gärtnern im eigenen Garten, heute mit Tipps zum Anpflanzen von Peyotl-Kaktus im Winter. Zuerst aber diese wichtige Information von Elaines erotischem Emporium.«

Dusty stand auf und schaltete den Fernseher aus. Sie biss in den zweiten Sojariegel und nahm ihre Gewichte hoch. »Gib’s zu, Thomas. Du hast es genossen.«

Thomas stand auf und ging zu seinem Terminal zurück. »Es hat tatsächlich einen primitiven Charme.«

»Das stimmt. Genau wie du. Okay, bevor ich geh, was tut sich auf Whitfields Datenbank? Hast du sie schon gecheckt?« Die Free Zone verdankte ihr Überleben zum Teil Thomas’ Geschick, in die meisten Onlinesysteme hineinzukommen, das der City Hall eingeschlossen.

Er tippte ein paar Zugangscodes. »Zu früh für die da drüben. Du weißt ja, es ist Weihnachten. Der Bürgermeister ist ein gläubiger Mensch. Ist wahrscheinlich in der Kirche, betet für unsere Erlösung.«

»Darauf kannst du wetten«, sagte sie grimmig. Sie ging zurück ins Schlafzimmer, überprüfte die Patronen in ihrer 375er-Magnum, schnallte ihr Pistolenholster um, nahm ihre Sonnenbrille und legte ihr Sonnencape an, die Kapuze dicht ums Gesicht gezogen.

»Muss ich dich daran erinnern, dass du heute Abend den Predigtmarathon im Dodger-Stadion eröffnest?«, rief Thomas ihr nach.

Sie verteilte Sunblocker im Gesicht. »Nur für so lange, bis ich da verschwinde, bevor es in Krawalle ausartet. Du weißt doch, wenn da fünfundzwanzig Propheten der Apokalypse sind und allesamt außer sich vor gerechtem Zorn …«

»Siebenundzwanzig. Gestern haben sich noch zwei angemeldet.«

»Ich könnte Hilfe brauchen.«

Er wies aufs Terminal. »Ich werde hier sein, falls du mich brauchst.«

Sie küssten sich, und sie verstrubbelte sein Haar. Sanfter: »Ich wüsste nicht, was ich ohne dich täte.«

»Hey, das weiß ich doch.« Er sagte es wie gleichgültig, doch wie immer schien er insgeheim erfreut von ihrer Zuwendung.

Ein wenig später fuhr sie auf ihrer Norton Commando von 1974 mit gewagten Kurvenmanövern den Holboro Drive runter. Der Fahrtwind riss an ihrem Sonnencape, und sie fühlte sich warm und gut und stark, bereit, es mit der Welt aufzunehmen, und zu tun, was immer nötig war.

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