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8. Gottes Verwaltung verfügt Neufassung der politischen Ziele

Während Bing Crosby von Weihnachten trällerte, zeigte ein aus der Hand aufgenommenes Video drei lichterloh brennende Häuser unter klarem Morgenhimmel. Trockenes Holz prasselte und die Flammen fauchten. Plötzlich lief ein Mann aus einem der Häuser, er stand in Flammen und schrie. Zwei Gewehrkugeln trafen ihn in die Brust, und er fiel zu Boden. Ein Soldat in Tarnuniform rannte durchs hohe Gras, zielte mit seinem Revolver und schoss dem verwundeten brennenden Mann in den Kopf.

»Mit Feuer sollen sie getauft werden«, sagte Clarence Whitfield murmelnd zu sich selbst, als er das Live-Video auf dem großen Bildschirm in seiner Suite in der City Hall ansah. »Jetzt und im Jenseits.« Er rekelte sich hinter seinem antiken Rosenholzschreibtisch und lächelte befriedigt, als seine Männer zwei weitere Gestalten niederschossen, die um Gnade jammernd aus den Flammen gerannt kamen.

In der Hintergrundmusik fürs Büro machte Bing Crosby Platz für Frank Sinatra, der irgendetwas über Schlittenschellen und Kinder mit rosigen Wangen sang. Whitfield gähnte, schaltete das Live-Video von seinen Truppen in Pasadena ab und betätigte die Gegensprechanlage. »Roxanne, komm rein.«

Mit starrem, nervösem Lächeln trat sie ein und blieb zögernd im Türrahmen stehen.

»Hierher«, befahl er ihr. Er sah mit halb geschlossenen Augen zu, wie sie sich linkisch bemühte zu gehorchen. »Stimmt was nicht, Honey?«

»Die Schuhe sind etwas zu eng«, bekannte sie. »Der Rock auch.«

»Gefallen dir etwa meine Weihnachtsgeschenke nicht? Soll ich sie etwa in den Laden zurückbringen?«

»O nein! Ist nur, dass …«

»Dann wollen wir keine Klagen mehr hören. Geh doch mal für mich hin und her jetzt.«

Sie stöckelte wackelig auf den hohen Absätzen und zuckte jedes Mal zusammen, wenn ihr die Schuhe in die Füße zwickten.

Whitfield lachte in sich hinein. »Das ist gut. Jetzt komm auf meinen Schoß und gib Daddy einen Kuss.«

Sie mühte sich zu tun, was er wollte, doch der Lederrock war so eng, dass es ihr fast unmöglich war, sich in den Hüften zu beugen.

Er packte sie mit beiden Händen und zog sie auf den Schoß, ohne sich um ihren Schmerzenslaut zu kümmern. »Du hörst mir jetzt zu«, befahl er ihr. »Wir übertragen jetzt bald live einen Weihnachtsgottesdienst für die Bevölkerung von Los Angeles. Ich will dich im Studio dabeihaben, da, wo ich dich sehen kann. Du wirst überhaupt nichts sagen. Du sitzt an der Seite, wie es sich für eine Sekretärin gehört, verstanden?«

Sie sah ihn unsicher an. »Okay.«

»Wo dir doch vielleicht der Rock ein bisschen zu eng ist, solltest du ihn für ein Weilchen ausziehen. Willst du nicht für mich strippen, Honey? So als kleines Weihnachtsgeschenk hier für mich?«

Sie biss sich auf die Lippe. »Denk’ schon.«

Doch Whitfields Gegensprechanlage summte, bevor sie noch die Chance hatte, den Gürtel zu öffnen. Er fluchte und drückte auf ›Accept‹.

»Bürgermeister Whitfield, die Security hier. Ihre Gattin und die Kinder sind eben eingetroffen.«

Whitfield seufzte gottergeben. »Schicken Sie sie runter ins Studio. Ich bin gleich da.«

»In der Hölle sollen sie schmoren!« Clarence Whitfield schlug mit der Faust auf die Kanzelbrüstung aus Formica in Holzmaserungsoptik, verziert mit dem Siegel von Los Angeles. Eine Kamera fuhr für eine Großaufnahme heran. »Die Sozialhilfebetrüger – ihr wisst, wer ihr seid! Die Steuerhinterzieher –, Gott sieht euch! Ihr könnt euch vor dem Allmächtigen nicht verstecken! Ihr habt eure Mitbürger hintergangen und die Stadtregierung, die über euch wacht und euch beschützt. Gottes Staatsdiener werden euch für eure Sünden bestrafen!«

»Amen!«, intonierte ein Chor, gewandet in weiße Paillettenroben, die im Licht der Studiobeleuchtung glitzerten.

Die Predigt näherte sich ihrem Höhepunkt. Roxanne saß aufmerksam da, die Hände fest vor der Brust zusammengeklammert. In ihrer Kindheit hatten ihre Eltern jede Woche Clarence Whitfields Erweckungsstunde eingeschaltet. Ihr damals – vor der unwiderruflich letzten Benzinkrise – durch Autowaschen Verdientes hatte sie hingeschickt und dafür ein Amulett in Gestalt einer leuchtenden Jesusfigur bekommen, zusammen mit einem achtseitigen Traktat, das ihr erklärte, wie sie zur Erlösung gelange, indem sie sich nämlich als Freiwillige für Whitfields Seelsorgeeinrichtung zur Verfügung stelle. 1996, als er sich um das Bürgermeisteramt bewarb, arbeitete sie für seine Wahlkampagne und betete jeden Abend für ihn. Als sie zwei Jahre darauf die Highschool abschloss, besorgte ihr Vater, der bei der Stadtreinigung beschäftigt war, ihr einen Job als Kellnerin in der öffentlichen Cafeteria der City Hall. Ein Jahr später, als die Sekretärin des Bürgermeisters plötzlich unter bis heute ungeklärten Umständen verschwand, geschah ein Wunder. Er wählte aus den Akten ihre Fotografie aus, interviewte sie und eröffnete ihr, dass sie seine neue Sekretärin sein werde. Seine »Erwählte«, wie er sich ausdrückte.

Das war erst vor drei Wochen gewesen. Sie konnte immer noch nicht recht an ihr Glück glauben. In ihren Augen war Whitfield Gott am nächsten, und nun war sie ihm nahe. Die Vorstellung war so einschüchternd, dass es ihr schwerfiel, darüber nachzudenken.

Whitfield atmete tief ein, die Nasenlöcher vor gerechtem Zorn geweitet. »Manch einer von euch da draußen«, sagte er mit bebender Stimme, »ist vom Teufel versucht worden. Ihr habt Jesus den Rücken gekehrt. Ihr habt euch euer eigenes Sodom und Gomorrha erbaut. Nackt wie die Tiere lauft ihr auf den Straßen eurer Free Zone herum. Und ich sage euch – ich kann dieses Übel nicht tolerieren! Ich kann nicht zulassen, dass ihr gottesfürchtige Menschen angreift, die sich zufällig in euer Reich des Bösen verirren – wie zuletzt gestern Abend geschehen. Zwei Menschen aus Beverly Hills, von Millionen geliebt, und eure Bande von Teufelsanbetern misshandelte sie und verstümmelte sie bis zur Unkenntlichkeit. Ich gelobe hier und heute: Meine gerechten Jünger werden euch vernichten. Wir werden das Übel herausschneiden, das im Herzen dieser Stadt schwärt.«

»Amen!«, intonierte der Chor.

Über Roxannes Kopf kam ein zischendes Geräusch von einem Kabel, das einen Studioscheinwerfer versorgte. Sie blickte kurz hoch und sah Funken von einem schwarzen Stecker aus Gummi herabregnen. Vielleicht sollte sie einem Techniker Bescheid sagen – aber sie wollte doch keinesfalls die Predigt stören. Als sie noch zögerte, brannte der Stecker durch, und das Kabel fiel.

Es traf sie im Nacken. Sie schrie auf, doch der Laut ging verloren im mächtigen »Halleluja!« des Chors. Die Drahtenden bohrten sich ihr in die Haut, und ihre ganze Muskulatur wurde starr, gelähmt von 220 Volt Wechselstrom, die in ihr Rückgrat flossen.

Für Roxanne stand plötzlich die Zeit still. Mit starren, glasigen Augen sah sie Whitfield an, sah in ihn hinein, als wäre sein Geist offen. Er stand auf seiner Kanzel, die Arme zum Himmel erhoben, und sie sah seine das Bild überlagernden Gedanken, so real wie der Mann selbst.

Roxannes Augen weiteten sich vor Entsetzen. Der Geist des Bürgermeisters war ein Albtraum von Blut und Schmerzen. Frauen und Kinder von Klingendraht umwunden. Bewusstlos geprügelte Gefangene in Gefängniszellen. Tiere mit aufgeschlitztem Bauch lebendig geröstet. Menschen rituell gepfählt auf mit Nägeln gespickten Holzstangen. Und irgendwo zwischen den Bildern von Verstümmelungen sah sie sich selbst nackt an ein Holzkreuz gebunden, während Whitfield sie auspeitschte und zu ihren Schreien grinste.

Die Kamera zog sich vom Close-up zurück, und der Chor stimmte ein Weihnachtslied an. Whitfields schwabbelige Frau und die fünf Kinder scharten sich um ihn an der Kanzel.

»Und nun, jenen unter euch, die Gott lieben, die ihre Steuern zahlen und großzügig unsere Geistlichkeit bedenken, sage ich, Gott liebt euch«, tönte Whitfield. »Und ich und meine Familie wünschen euch und euren Familien frohe und besinnliche Weihnachten.«

Die Show war zu Ende, die Predigt vorüber. Whitfields Familie wurde diskret aus dem Studio geleitet, zurück zu ihrer Villa in Sherman Oaks. Whitfield segnete den Chor und sprach kurz mit dem Produzenten der Show. Schließlich bemerkte einer der Kameraleute Roxanne.

Als man das Kabel von ihr löste, kollabierte sie und wurde ohnmächtig.

Sie erwachte auf einer Ledercouch in Whitfields Büro. Etwas bohrte sich in ihren Arm. Sie wandte benommen den Kopf und sah, wie jemand eine Injektionsnadel herauszog.

»Sie wird doch wieder?« Das war Whitfields Stimme.

»Braucht nur etwas Ruhe.«

Roxanne schloss die Augen. Sie hörte, wie der Arzt und Whitfield aus dem Raum gingen, dann wie Whitfields Schritte wieder näher kamen.

Als sie erneut die Augen öffnete, füllte sein dunkles Gesicht ihr ganzes Gesichtsfeld. Sie dachte an die Bilder, die sie in seinem Geist gesehen hatte, und stieß einen leisen Angstschrei aus.

»Hey, ist ja gut, Honey.« Er packte sie bei den Schultern, als wollte er Roxanne in genau dieser Position auf der Couch festhalten. »Ich bin’s nur. Ich tu’ dir doch nichts. Das weißt du doch.«

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