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9. Gott ist Sex, behauptet durchgeknallte Christin der tätigen Unzucht

Plötzlich war es hell. Von oben strahlten Halogenlampen warmes Licht, und über versteckte Lautsprecher war eine schon recht abgenudelt klingende Tonbandaufnahme von Brandungsrauschen und Möwengeschrei zu hören. Janet Snowdon rollte sich herum und spürte Sand unter ihrer nackten Haut. Einen Moment lang lag sie mit geschlossenen Augen da und versuchte, ihren Traum zu fassen zu bekommen.

Was kam darin noch mal vor? Etwas mit einem Meerestier, einem sonderbaren blassrosa Wesen wie ein Oktopus aus Samt, dem sie tief unter Wasser irgendwo in einer verlassenen Stadt wie Atlantis hinterhergejagt war; aber es entkam ihr stets auf den leeren Unterwasserstraßen, und sie konnte nicht atmen, denn plötzlich stellte sie fest, dass sie ohne ihre Tauchausrüstung tauchte …

Was zum Teufel bedeutete das? Ärgerlich vertrieb Janet den Traum aus ihren Gedanken. In ihrer Realität hatte er nichts zu bedeuten. Er war irrational.

Sie setzte sich auf und sah sich um. Bierdosen, leere Amylnitrit-Fläschchen und dies und das an Kleidungsstücken lag auf dem künstlichen Strand verstreut. Die elektrische Sonne glühte in der Mitte einer durchscheinend blauen Decke. Janet gähnte und wischte Seetang von ihren Brüsten. Ihre Muskeln fühlten sich steif an; die Männer, die sie gestern Abend unterhalten hatte, hatten ihr eine außergewöhnliche Vielfalt von Verrenkungen abverlangt.

Jemand planschte im gewaltigen Meerwasserbecken, dessen Wellen nur wenige Meter von Janets Füßen weg an den Rand plätscherten. Sie hielt die Hand über die Augen und sah Suzie Smith (die für sich den Namen Suzie Sunshine bevorzugte) auf sie zuwaten.

»Komm rein!«, rief Suzie, glitzernde Nässe auf ihrer perfekten Bräune. »Das Wasser ist herrlich.«

Da die Südseephantasie-Lagune Tag und Nacht auf 30 Grad gehalten wurde, war das Wasser immer herrlich. »Ich geh’ jetzt in die Wohnung, duschen«, sagte Janet kurz angebunden und sah sich nach ihrem Badeanzug um, den sie angehabt hatte, bevor am Vorabend der Betrieb losging.

Suzie drückte Wasser aus ihrem blonden Haar und fing an, ihren Bikini anzuziehen. »Du weißt, dass wir hier schon vor einer Stunde hätten verschwinden sollen, noch bevor sie die Sonne angeknipst haben.«

»Ja«, sagte Janet, »das weiß ich.« Sie fand ihren Badeanzug und zog ihn an, zuckte leicht zusammen, als sie die Hüften bewegte. »Diese Widerlinge wollten mich gestern einfach nicht in Ruhe lassen«, klagte sie.

»Die waren doch großartig!« Auf Suzies niedliches Sommersprossengesicht stahl sich ein fröhliches Lächeln. »Du kannst Gott nicht näherkommen als auf diesem Weg.« Sie gehörte zu den Christen der tätigen Unzucht. Für sie war Sex ein Sakrament.

Janet hörte nicht zu. Grimmig dachte sie, dass es eine Grenze gab, bis zu der sie in der Lage war, diese Situation über sich ergehen zu lassen. Sie hatte ihre Abordnung in die Free Zone akzeptiert, weil es ihre Pflicht war, weil nach Abschluss bestimmt eine Beförderung winkte und weil die einzigartige Kombination von glamouröser Aktfotoschönheit und kalter Selbstkontrolle sie als für den Job ideal geeignet erscheinen ließ. Aber nach fünf Wochen, in denen sie das Callgirl spielte, spürte sie allmählich die Strapazen.

»Ihr macht hier jetzt die Flatter, Mädels.« Nicht weit von ihnen stand eine robuste muskulöse Frau in Latzhose auf einer Düne, Plastikmüllsack in der einen, Besen in der andren Hand. »Mittags kommt ’n Haufen kanadischer Geschäftsleute rein. Wir müssen den Strand harken und den Laden sauber kriegen.«

»Sind fast weg«, sagte Janet mechanisch.

»Bis später!« Suzie winkte der Hausmeisterin zu, ging dann mit Janet auf dem warmen Sand an einem Kokospalmenwäldchen vorbei.

Hinter einem nachgemachten Holzzaun war die Umkleidezone. Janet und Suzie zogen Plastiksandalen und Sonnencapes an, setzten Sonnenbrillen auf. Dann gingen sie durch den Ausgang hinaus in die Morgenkühle.

Einst war das Gebiet in dieser nordwestlichen Ecke der Free Zone Universal City gewesen, das Gelände der Universal-Studios. Jetzt war es LoveLand, der welterste Vergnügungspark mit Jugendverbot.

Janet und Suzie verließen das umgebaute Tonatelier, das jetzt die Südseephantasie-Lagune enthielt. Sie nahmen einen Umweg in Kauf, um den Sklavenmarkt des Sultans zu meiden, wo Huren und Gigolos meistbietend versteigert wurden – für eine Stunde, einen Tag, eine Woche. Sie gingen vorbei am Forum Romanum, wo allabendlich ein Bacchanal mit Wein und Sex stattfand. Die Stadt des Sommers der Liebe war ein Nachbau der Haight Street in San Francisco, komplett mit Stroboskoplampen, Sitarmusik, Headshops, die echtes Sandoz-LSD verkauften, und Schlafmatten, auf denen man mit sexy Hippie-Teenagern, die nicht mehr trugen als ein paar Perlen, rumtoben konnte. Von dort aus konnten Besucher in die viktorianische Schule für ungezogene Jungen weiterwandern, wo strenge Frauen in englischem Tweed diejenigen hart disziplinierten, die es verdient hatten. Des Weiteren waren da Lady Chatterleys Rosengarten, de Sades Verlies, Hefners Junggesellenbude, Casanovas Camp, Don Juans Höhle …

All das wurde natürlich durch den für die Free Zone geltenden Leitgedanken ermöglicht, wonach Erwachsenen erlaubt ist, alles miteinander zu tun, was einvernehmlich geschieht. Im Gegenzug wurde die Existenz der Free Zone durch das vom LoveLand eingebrachte Geld ermöglicht. Es war die perfekte Symbiose.

Zwischen sechs und zehn Uhr morgens war hier die einzige ruhige Zeit. Callgirls gingen nach harter Nachtarbeit nach Hause, Arm in Arm, lachend und halb betrunken. Geishas mischten sich auf der Straße mit Las-Vegas-Showgirls und französischen Cancantänzerinnen; und männliche Models und Transvestiten frühstückten in Straßencafés und tauschten sich über ihre Nummern aus.

Janet und Suzie kehrten in das Apartment in der Nähe des Lankershim Boulevards zurück, das sie gemeinsam bewohnten und Teil einer einstigen Flucht von Büros für Studioangestellte war. Janet zog den Badeanzug aus und ließ sich auf die Couch sinken. Der Raum war ein Schlachtfeld, aber ihr war nicht nach Aufräumen. Das ganze Durcheinander gehörte Suzie: klammes Unterzeug und Reizwäsche von Frederick’s of Hollywood unordentlich über Stuhllehnen in der Essecke geworfen; eine große Handtasche war umgekippt und hatte Dildos und ledernen Kram auf den Teppich entleert; die Bibel der Christen der tätigen Unzucht lag auf dem Couchtisch, aufgeschlagen auf einer Hochglanz-Ausfaltseite mit einem Bild von Jesus und Maria Magdalena nackt in heißer Umarmung, wozu Engel auf sie herablächeln und ihnen Kusshände zuwerfen; leere Lippenstifthüllen, schmutziges Geschirr, Ben-wa-Kugeln, Aphrodisiaka, Schritt-ouvert-Slips …

»Jemand hat angerufen!« Suzie hüpfte rüber zum Anrufbeantworter, an dem ein rotes Lämpchen blinkte. Sie drückte den Abspielknopf.

»Büro von Dusty McCullough für Janet Snowdon«, sagte die Stimme. Sie klang freundlich, aber seltsam geschlechtslos und mechanisch. »Dusty hat einen Kunden von außerhalb für Sie. Treffen Sie sich bitte heute um zwölf mit ihr am Brunnen der Freude auf der Pickup Plaza. Vielen Dank.«

Janet stöhnte. »Das wird mir zu viel.«

»Du solltest begeistert sein«, wies Suzie sie zurecht. »Dusty selbst holt dich für einen Kunden? Das ist ein echtes Kompliment.« Besorgt sah sie Janet an. »Du weißt, ich mache mir immer mehr Sorgen wegen deiner negativen Grundeinstellung.«

»Bitte keine Predigten.« Janet schloss die Augen.

Suzie setzte sich neben sie. Sie legte ihr die Hand aufs Knie und senkte die Stimme ins Vertrauliche. »Ich möchte als Freundin mit dir reden. Du liegst mir wirklich am Herzen, weißt du?« Sie zögerte, und ihre Stimme wurde noch leiser. »Wirst du mir zuhören?«

Janet nickte müde. Zuhören wäre leichter als Streiten.

»Du weißt«, sagte Suzie, »heute ist ein ganz besonderer Tag. Es ist der Geburtstag unseres Erlösers, der uns die Macht der Liebe gelehrt hat. Gott gab uns unseren Leib, damit wir sein Geschenk der fleischlichen Ekstase erleben, Janet. Er schuf den Teufel, uns mit bösen Gedanken von Verdrängung und Schuld und Angst von diesem Pfad der Gnade fortzulocken. Der Teufel schuf schreckliche Krankheiten, damit die Menschen einander mit Abscheu anstatt mit Liebe begegnen, doch Gott gab uns die Antibiotika und die Impfstoffe, um all diese Krankheiten zu heilen. Und so sind wir wieder frei und können unser ganzes Potenzial der Erfüllung erforschen. Dies ist Gottes neues goldenes Zeitalter, Janet! Du verschließt dich all diesem Glück, siehst du das denn nicht?«

Janet machte die Augen auf. »Ich weiß ja, du meinst es gut. Aber das ist alles wirklich sehr ermüdend.«

Suzie warf verzweifelt die Hände hoch. »Was stimmt nicht mit dir? Ich meine, wieso bist du denn überhaupt ins LoveLand gekommen?«

»Wegen des Geldes«, sagte Janet finster.

»Das glaub’ ich nicht.« Suzie schüttelte den Kopf. »Du bist ein reiner und guter Mensch, Janet. Du bist nicht allein von Reichtümern verlockt. Hier ist irgendetwas andres im Spiel. Wenn’s geheim bleiben soll, gut, das ist dein Recht. Aber ich glaub’ wirklich, du solltest es mir anvertrauen. Um unsrer Freundschaft willen.«

In Janet regten sich sonderbar gemischte Gefühle. Wut und noch etwas – Schuldgefühl, wurde ihr zu ihrer Überraschung bewusst. Wenn die Behörde sie zu einem Undercovereinsatz losschickte, hatte sie für gewöhnlich mit zwielichtigen Gestalten zu tun, für die sie keinerlei Wertschätzung aufbrachte. Denen gegenüber eine Coverlegende aufrechtzuerhalten war überhaupt kein Problem. Aber Suzie Sunshine alias Smith in ihrer Naivität war der anständigste Mensch, der ihr je begegnet war. Sie anzulügen wurde tatsächlich zur Bürde.

Suzie wartete immer noch. Offensichtlich war Janet kurz davor, ihr etwas zu erzählen. »In Ordnung, Suzie. Lass mich erzählen, was wirklich mein größter Wunsch ist.« Janet hielt inne und holte tief Atem. Wenn sie ein persönliches Geheimnis verriet, könnte das vielleicht Ersatz für das viel größere berufliche Geheimnis sein, das sie zu wahren hatte – wie zum Beispiel ihr Undercovereinsatz oder die an einer Schädelseite implantierten hundertfünfzig Gramm bioelektronisches Überwachungs-Instrumentarium.

»Erzähl ruhig weiter«, mahnte Suzie. »Ich bin ganz Ohr.«

»Du denkst wahrscheinlich, dass ich eine sehr kalte, kontrollierte Frau bin«, fing Janet an. »Das stimmt ja auch. Gleichzeitig habe ich, seit ich Teenager war, immer die gleiche heimliche, romantische Phantasie von meinem Traummann. Ich habe immer nach ihm gesucht, ihn aber nie gefunden. Er ist kein Macho. Er ist sanft, körperlich eher klein. Japanisch, stell’ ich mir vor. Sehr höflich, sehr kultiviert, formell und zurückhaltend. Er ist ein Denker, irgendeine Art Wissenschaftler. Er ist Mitte dreißig, und er hat Geld, ein Selfmademan. Gleichzeitig ist er sehr liebenswürdig und einfühlsam. Er liebt Tiere – besonders Hunde. Er ist ein Idealist, dem seine Arbeit über alles geht, und wenn er auch sonst schüchtern und bescheiden ist, ist er tapfer und kühn und bereit, jedes Risiko einzugehen, wenn er seine Ideale verteidigen muss.«

Kurze Stille trat ein. Suzie schüttelte bestürzt den Kopf. »Oje, wo willst du denn so einen Mann finden?«

Janet stand auf, plötzlich verärgert, als hätte jemand sie trickreich dazu verleitet, mehr zu sagen, als sie gewollt hatte. »Ich weiß es nicht«, sagte sie barsch. »Hier nicht, das ist mal sicher. In der Zwischenzeit lebe ich einfach mein Leben weiter. Okay?« Sie verließ das Zimmer.

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