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7. Eichhörnchen zu Besuch bei der Teufelsbrut des libertären Dogmas

Dr. Percival Abo fuhr mit seinem Honda Civic höchst vorsichtig über den Santa Monica Freeway, vorbei an Motorrädern, Pferdegespannen und Radfahrern. Sein Hund Lucky hockte auf dem Beifahrersitz und starrte auf die Landschaft mit ihren mutierten Palmen und abgefackelten Reihenhäusern. »Ich mag diese Gegend«, sagte Lucky. »So viel Platz.«

»Gut, gut«, sagte Dr. Abo, nicht ganz bei der Sache. Er drosselte das Tempo und schaute blinzelnd auf einen von Kugeln durchlöcherten und mit revolutionären Parolen besprühten Richtungsanzeiger. »In Richtung Pasadena wollen wir sicher nicht.«

»Von hier aus kommt man doch zu vielen Orten«, war Luckys erwartungsfroher Kommentar. »Vielen Orten, wo man in der Sonne rumtoben kann.«

»Sehr richtig, Lucky. Aber leider darf man sich nicht ohne wirksamen Schutz der Sonne aussetzen. Die Ozonschicht ist in der Region stark ausgedünnt. Die UV-Strahlung ist extrem gefährlich.«

Lucky stellte die Vorderpfoten aufs Armaturenbrett und drückte die Nase an die mit Schutzbeschichtung versehene Windschutzscheibe. »Ich will Kaninchen jagen.«

»Ich bezweifle, dass es noch Kaninchen gibt, Lucky. Nur die nachtaktiven Tiere dürften überlebt haben.« Dr. Abo schwieg nachdenklich. »Andrerseits, wenn doch noch Kaninchen existieren, sind sie wahrscheinlich aufgrund der Strahlung blind und lassen sich viel leichter schnappen.«

Er schlug plötzlich das Lenkrad ein, hatte schließlich doch entschieden, die Ausfahrt zu nehmen.

Rechts neben ihm hupte es gewaltig. Er trat auf die Bremse und vermied knapp, gegen die Seite eines El Camino zu geraten, der von seinem Besitzer mit Monsterreifen und einem Maschinengewehrstand aufgemotzt worden war. Die Seiten des Fahrzeugs schmückten Airbrush-Bilder von Jesus, der die Menschheit im Himmel willkommen heißt.

»Tut mir leid!«, rief Dr. Abo. Er winkte freundlich.

Der Fahrer des El Camino lehnte sich aus dem Fenster, seine Dreadlocks wehten im Wind. Er sah sich Dr. Abo gelassen an, signalisierte dann mit einer Kopfbewegung, ihn vorlassen zu wollen.

»Danke!« Dr. Abo nickte und lächelte. Er lenkte den kleinen Wagen die Ausfahrt hoch, vorbei an ein paar kleinen Bombentrichtern und dem ausgebrannten Wrack eines Cadillac, der die Leitplanke durchbrochen hatte und nun halb über dem Ödland hing. Im Rückspiegel sah Dr. Abo, dass der El Camino neben dem Wrack zum Stehen kam. Der Fahrer stieg aus, mit Bolzenschneider und Schneidbrenner in den Händen.

»Sie zehren hier immer noch von den Überbleibseln ihrer Vergangenheit, Lucky«, sagte Dr. Abo. »Sie haben den Glauben an Ihre Zukunft verloren. Ich glaube trotzdem, dass ich den Amerikanern noch helfen kann, den Sinn für eine Bestimmung wiederzuentdecken.«

Lucky wandte sich und sah seinen Herrn mit unergründlichem Blick lange an. »Es ist heiß«, sagte er schließlich.

»Natürlich ist es heiß!« Dr. Abo gestikulierte aufgebracht. »Die Klimaanlage funktioniert nicht, habe ich dir doch schon gesagt!« Er wischte sich die Stirn mit einem weißen Taschentuch aus der Innentasche seines abgetragenen Straßenanzugs. »Entschuldige, Lucky, manchmal vergesse ich, dass du diese Dinge nicht verstehen kannst. Sei einfach froh, dass wir überhaupt ein Auto bekommen haben. Hab Geduld.«

Er fuhr auf den Harbor Freeway. Hier waren mehr Motorräder und Fahrräder unterwegs, die Fahrer in weiße Kapuzencapes gehüllt, die im Wind flatterten. Manche Mittelklasseautos und Transporter waren mit aufgeschweißten Stahlplatten gepanzert, die Fahrer sahen gemein und gefährlich aus, egal ob Mann oder Frau. Dr. Abo machte sich möglichst klein auf seinem Sitz, ihm war unbehaglich beim Gedanken an den Aktenkoffer mit Goldstücken im Wert von einer Million Neudollar hinten im Kofferraum des Hondas. Das war alles, was ihm vom Risikokapital geblieben war, das seine Hongkonger Genforschungsfirma eingesammelt hatte. Lieber wäre ihm gewesen, er hätte dem Kapitän trauen und die Goldstücke auf dem Schiff lassen können.

Große Bürogebäude auf beiden Seiten des Highways kamen in Sicht. In einigen schien noch Betrieb zu sein, geschützt hinter Antiterror-Betonmauern auf Straßenebene. Andere waren ausgebrannte Gerippe, ein Gewirr aus verbogenen Stahlgerüsten, das sich schwarz vom roten Himmel abhob.

»Vor der Schuldenkrise war dies hier eine wichtige Wirtschaftsregion«, erklärte Dr. Abo seinem Hund. »Nach meinem Kenntnisstand florieren nur noch zwei Stadtgebiete. Beverly Hills, Zentrum der Unterhaltungsindustrie, und die Free Zone, die sich illegal von der Stadt losgesagt hat und darauf besteht, von jeder staatlichen Regulierung ausgenommen zu sein.«

Lucky gähnte. Er trippelte ein bisschen im Kreis, legte sich auf den Sitz, die Schnauze zwischen den Pfoten. Mit hundemäßiger Undurchschaubarkeit sah er Dr. Abo unverwandt an.

»Ah!«, rief Dr. Abo. »Der Hollywood Freeway! Wir sind fast am Ziel.« Er konsultierte die handgeschriebenen Anweisungen, notiert nach der befremdlich mechanischen Stimme, die heute Morgen auf seinen Anruf in der Free Zone geantwortet hatte. »Zweite Ausfahrt«, sagte er murmelnd zu sich selbst.

Wenig später steuerte er den kleinen Wagen die Ausfahrt hinunter, die zu dem führte, was einmal ein ruhiges Wohnviertel für die kleinen Leute gewesen war. Eine improvisierte Mauer wurde rundherum aufgezogen, etwa sechs Meter hoch wurden dafür Autowracks übereinandergestapelt. Sie erstreckte sich von beiden Seiten der Alvarado Street, wo es eine Durchfahrt mit Wachposten gab. Bedrohlich wirkende Kerle mit automatischen Waffen, Motorradketten und Flammenwerfern fassten Dr. Abo forschend ins Auge, als er den Honda in ihre Richtung lenkte.

Er hielt an in einer Entfernung, die ihm annehmbar sicher zu sein schien. »Denk dran, Lucky, nicht reden.« Mit wackelndem Zeigefinger unterstrich er die Anweisung. »Ich wiederhole. Rede auf keinen Fall mit diesen Leuten. Wir wollen sie nicht erschrecken.«

Lucky bellte kurz und laut.

Dr. Abo tätschelte ihm den Kopf. »Guter Hund, Lucky. Brav bist du.« Er setzte seine Sonnenbrille auf, ließ sein Fenster runter und lehnte sich hinaus, um die massige, abgerissene Gestalt zu begrüßen, die da auf ihn zukam. Das Gesicht des Mannes war fast ganz hinter seiner langen roten Mähne, einem wild wuchernden Bart und einer Sonnenbrille versteckt. Dr. Abo zwang sich zu einem schmeichlerischen Lächeln.

»Guten Morgen!«, rief er.

In einer fleischigen Hand voller Narben hielt der Mann eine Uzi, Daumen auf der Sicherung. Sein Kampfanzug war aus Tierfell, Bezug von Autositzen, Jeansstoff und Kevlar zusammengestückelt. Schweigend sah er sich einen langen Moment den Wagen, den Hund und dann Dr. Abo selbst an. »Verirrt oder was?«

»Das hoffe ich eigentlich nicht«, sagte Dr. Abo. »Ich habe geschäftlich in der Free Zone zu tun, hab einen Termin mit einer Miss Dusty McCullough.«

Der Mann grinste, wodurch seine Zahnstummel zum Vorschein kamen. »Na so was.« Er griff in seine Jacke und holte eine kleine silberne Tastatur mit Flüssigkristalldisplay und einer kurzen UHF-Antenne raus. »Name?«

»Abo. Dr. Percival Abo.«

Der Wächter tippte es ein. Er hielt an, schüttelte dann betrübt den Kopf, als er die Antwort sah. »Nee, das ist ja mal schade.«

»Liegt ein Fehler vor?« Dr. Abo spürte, wie sich ihm der Magen zusammenkrampfte.

»Kein Fehler, Kumpel. Sieht halt nur irgendwie so aus, dass wir keine Chance haben, Sie umzulegen und Ihren Hund aufzuessen, das ist alles.« Er lachte schallend. »Hey, keine Panik! Ich mein’s bloß ernst.«

»Ach ja?« Dr. Abo sah ihn mit einer Mischung aus Angst und Verwirrung an.

Der schwere Mann beugte sich vor. »Sie sind auf der Liste, Kumpel, Sie sind okay.« Er redete langsam, als wäre Dr. Abo geistig zurückgeblieben. »Sie wollen also Dusty besuchen? Okay, das läuft so ab. Sie haben Besucherstatus, nur für heute. Wenn wer fragt, sagen Sie Ihren Codenamen.« Er sah auf der Anzeige seines Geräts nach. »Sie sind Eichhörnchen. Verstanden?«

»Eichhörnchen?«

»Genau. Aber nach Mitternacht wird das in der Computerzentrale gelöscht. Wenn sie entscheiden, dass Sie länger bleiben dürfen, erneuern sie es, verstanden? Doch wenn jemand Sie kontrolliert, und Sie sind nicht in der Datei oder haben Ihren Codenamen vergessen, stecken Sie tief in der Scheiße.«

»Äußerst raffiniert!«, bemerkte Dr. Abo höflich.

»Na ja, es funktioniert. Okay, ich erzähl’ Ihnen, wie Sie hinkommen, wo Sie hinwollen.« Er brach ab und neigte den Kopf zur Seite, als hörte er etwas.

In die ständig an- und abschwellenden Verkehrsgeräusche von der Freewayüberführung her mischte sich ein eigenartiges Geklapper, zunehmend lauter. »Scheiße«, murmelte er. »Okay, Abflug. Sofort. Hinter die Barrikade.«

»Gefahr?« Dr. Abo erlebte einen neuerlichen Adrenalinstoß.

Der große Kerl ging hinter den Wagen, trat auf die hintere Stoßstange und knallte die Hand aufs Dach. Er zeigte zum Wachposten. »Bewegung!«

Dr. Abo legte den Gang ein und fuhr los. Er passierte die Durchfahrt durch den Wall aus Autowracks und sah, dass hinter ihm muskelbepackte Männer ein gewaltiges Stahltor zuzogen.

Er hielt den Honda an und stieg aus. »Was ist denn da los?«

»Beschissene bolivianische Moslems«, sagte der Wachmann. »Jeden beschissenen Tag.« Er schlenderte zur Barriere und machte dabei seine Waffe klar.

Das Geklapper wurde lauter, jetzt war auch so was wie ein Sprechchor zu hören. Auf dem Freeway kamen Gestalten in Sicht. Reiter, sah Dr. Abo, die aus hundert Megaphonen das Lob Allahs rausbrüllten. Ihre Tropenhelme strahlten weiß in der sengenden Sonne. Staub wirbelte auf unter den aluminiumbeschlagenen Hufen ihrer Pferde, als sie die Freeway-Abfahrt herabgaloppierten. »Allah ist groß!«, skandierten sie. »Allah ist ewig! Niemand kommt ihm gleich! Sein ist die Kraft! Er ist allmächtig! Allah sei gepriesen!«

Gut hundert Meter vom Wachposten entfernt zügelten sie die Pferde. Einen Moment lang waren nur die Geräusche vom Zaumzeug zu hören, Kinnketten klingelten, Leder knarrte. »Gottlose Jünger des Kapitalismus!«, brüllte plötzlich der Anführer, die verstärkte Stimme hallte zwischen dem Wall aus Automobilen und der Freewayüberführung wider. »Teufelsbrut des libertären Dogmas! Schließt euren Fernsehsender, haltet ein mit euren heidnischen Predigten des Bösen, und Allah heißt euch willkommen. Ergebt euch der Kirche der Moslemischen Reinkarnisten. Folgt den wahren Lehren Mohammeds …«

Der Monolog wurde unterbrochen von einem durchdringenden Surren, als näherte sich ein Schwarm Kettensägen. Die Pferde wurden unruhig, und die Reiter drehten sich um und sahen zum Himmel.

Dr. Abo sah ein Dutzend schwarzer Punkte von Osten her anfliegen. Ultraleichtflugzeuge, erkannte er. Als sie näher kamen, sah er auch ihre mit Bildern von Schädeln, nackten Frauen, gewaltigen Genitalien und blutigen Augäpfeln verzierten Nylontragflächen.

Maschinengewehrfeuer aus dem ersten der ULs war als gleichmäßiges Rattern zu hören. Kugeln prallten vom Highway ab.

Die Moslems sahen einander unschlüssig an. »Umkehren!«, brüllte plötzlich der Häuptling, hob seine abgesägte Schrotflinte und schoss trotzig in den Himmel. Zurück gen Hollywood galoppierend, führte er dann den hastigen Rückzug seiner Truppe an.

Dr. Abo beobachtete mit Erleichterung, wie die ULs einkurvten und dahin zurückflogen, woher sie gekommen waren.

»Ihre … Free Zone … ist von feindseligen Gruppierungen umgeben«, stieß er etwas entgeistert hervor, als der Wachmann wieder zu ihm zurückgeschlendert kam.

Der Geldschrank kaute einen Moment an seinem Bart. »Nicht von hier, stimmt doch?«

»Ich komme aus Hawaii«, sagte Dr. Abo, was zum Teil stimmte.

»Ach was! Gut, ich weiß nicht, wie es da drüben aussieht, aber hier in L. A. kriecht jeder gottverdammte Haufen von Beknackten aus seinem Loch. So etwa mit der Idee, das Jahr 2000 bringe Feuer und Schwefel für alle, außer für sie selbst. Sei’s drum. Sie wollen zu Dusty, da fahren Sie in die Richtung. Alvarado geht in den Glendale Boulevard über, dann sehen Sie ein paar Blocks weiter ein großes Schild, Sabrini Dodge. Da fahren Sie rein, Sie finden sie im Autohaus.«

»Sabrini Dodge«, wiederholte Dr. Abo benommen.

»Sie haben’s erfasst.« Er klatschte die Hand aufs Dach des Hondas. »Keine Bange, Bro.« Er drehte sich um und ging gemächlich weg.

Dr. Abo machte die Wagentür zu und ließ den Motor an. Er hielt einen Moment inne und versuchte, die Fassung zurückzugewinnen. Schließlich wandte er sich um und sah Lucky an. »Langsam frage ich mich, ob es ein Fehler war hierherzukommen.«

Lucky antwortete nicht.

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