Читать книгу Eines Morgens in Paris - Charles Scott Richardson - Страница 9

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Eine Einzimmerwohnung verbirgt sich im Schatten eines engen Hofes. Drinnen geht eine junge Frau auf dem unebenen Dielenboden auf und ab, nur in Unterwäsche gekleidet: ein Baumwoll-Unterkleid, matt und unförmig vom zu vielen Waschen. Sie zieht Kreise durch das Zimmer, über Bücher stolpernd, auswendig gelernten Löchern im Boden ausweichend. Sie ist unruhig wegen der Uhrzeit, überprüft noch einmal die Adresse, die sie sich auf einem Zettel notiert hat. Mit verkrampftem Magen fürchtet sie, dass es so drückend wie am Vortag werden wird. Sie füllt sich am Wasserhahn der Spüle eine Tasse. Das hinuntergestürzte Wasser lässt ihren Bauch nur umso lauter murren. Sie ärgert sich darüber, dass sie nicht weiß, was sie anziehen soll, dann ärgert sie sich über ihren Ärger. Sie nimmt einen Bügel von der Leine, die über ihrem Bett gespannt ist. Ihr einziges richtiges Kleid: Sommerbaumwolle, verblichenes Rosé, der Schnitt um die Taille längst aus der Mode. Die Ärmel, denkt sie, Himmel hilf, was, wenn ich schwitze. Sie erwägt, sie für einen bequemeren Sitz zu kürzen oder gleich ganz abzunehmen. Sie weiß, dass sie die Änderungen mit verbundenen Augen machen könnte, so oft, wie sie anderen dabei zugesehen hat.

Sie schlüpft in ein Paar Leinenschuhe. Mit flachem Absatz, eingetragen, bequem für den Fußmarsch. Dann noch ihren besten Schal, den mit der Andeutung von Pfauenfedern. Einst ein Schwall von Violett- und Grüntönen, jetzt durch die Zeit ausgeblichen. Ein prüfender Blick in den Spiegel neben der Tür, sie streicht das Tuch zu beiden Seiten ihres Gesichts glatt und wirft die Enden über die Schulter. Eine einzige Bewegung, so unbewusst wie Atmen: der Blick, das Richten, der Schwung.

Die junge Frau nimmt das Päckchen auf, das sie, sorgfältig wieder eingeschlagen, überbringen wird, streicht mit den Fingerspitzen darüber, glättet verbleibende Falten im Papier. Jetzt sicher, dass niemand vermuten könnte, dass es geöffnet worden ist, atmet sie auf und beschwichtigt ihren Magen. Dann ein Erinnerungsblitz: der Mann in den Tuilerien.

Sie hatte ihn vom Museum her wiedererkannt. Er trug ein Bündel Bücher, was die Geschichten erklärte, die er über die Gemälde erzählte. Ihr Geschichtenmann, hatte sie ihn getauft.

Hatte sie, als er vorüberging, gesehen, dass eines seiner Bücher dabei war, sich aus dem Bündel zu lösen? Hätte er etwas so Schönes vergessen? Unmöglich, denkt sie. Die Bücher, die er an dem Tag trug, waren berieben und abgenutzt, bestenfalls Exemplare aus zweiter oder dritter Hand. Nichts so pfleglich Behandeltes wie dieses eine, mit Sicherheit keines so sorgfältig eingepackt. Und wenn es herausgefallen wäre, wie hätte es seinen Weg zu ihrem Stuhl am Teich gefunden? Nein, entscheidet sie. Dieses eine gehört jemand anders. Bestimmt einem Kind, der krakeligen und orthographisch fehlerhaften Inschrift auf dem hinteren Vorsatz nach zu urteilen. Einen Moment lang stellt sie sich vor, wie besorgt der junge Besitzer sein müsste, wie sehr ihm seine Lieblingsgeschichten fehlen, wie traurig sie selbst wäre, wenn sie eines ihrer eigenen Bücher verlegt hätte. Sie beschließt, sich mit der Zustellung zu beeilen. Es ist das Wenigste, denkt sie, was ich für einen Gleichgesinnten tun kann. Mit etwas Glück habe ich diese Besorgung erledigt und bin rechtzeitig zum Mittagessen wieder am Becken in den Tuilerien.

Die junge Frau schließt ihre Wohnungstür ab. Eine Stimme ruft aus der Dunkelheit des Hofes, als habe ihre Mutter auf diesen Augenblick gewartet, um wiederaufzuerstehen.

Bist du bei Zigeunern aufgewachsen, Kind? Wenn du unbedingt so unansehnlich aus dem Haus gehen willst, dann denk wenigstens daran, dich zu bedecken. Bind dein Kopftuch fester, Liebes; wir wollen doch nicht, dass jemand aus dem falschen Grund starrt, nicht wahr?

Eines Morgens in Paris

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