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7.

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Dass ich beim Erwachen meine Stirn gegen eine nackte männliche Brust presste, und mich ein nackter, männlicher Arm wie eine hungrige Anakonda umschlang, ärgerte mich, obgleich es nach unserer Feierei am Vorabend nicht weiter verwunderlich war. Ich ärgerte mich auch nicht über den Mann in meinem Bett - wie konnte ich bei diesem Körper - sondern darüber, dass ich zu beduselt gewesen war, die Nacht richtig zu genießen. Ich musste endlich aufhören, mehr zu trinken, als meinem Vergnügen gut tat. Wir waren im Biergarten auf dem Werder gewesen, romantisch von den beiden Weserarmen umflossen, und hatten versucht, gegen das Stimmengewirr von hundert Touristen, unsere Vergangenheiten und Gegenwarten abzuarbeiten. Anschließend waren wir in der Beach Bar am anderen Weserufer gelandet und von dort aus nach nur fünfminütigem Fußmarsch direkt in meinem Bett. Worüber wir uns dort unterhalten hatten, falls überhaupt, entzog sich meiner Erinnerung. Hoffentlich war ich nicht kurz vor seinem oder meinem Orgasmus eingeschlafen.

Derek murmelte etwas Ungnädiges und versuchte, seinen Arm unter mir wegzuziehen. Dann schlug er die Augen auf, wandte mir sein Gesicht zu und stöhnte: „O Gott.“

War ich so mies gewesen? „Ich freue mich auch, dich zu sehen“, entgegnete ich beleidigt. „Vielen Dank.“

Er lachte, und wieder fiel mir auf, wie tief die Narbe in seine Wange schnitt, wenn er lachte.

„Mein Stoßgebet galt nicht dir, sondern diesem tauben Ding da, von dem ich vermute, es könne sich um einen meiner Arme handeln. Zumindest hängt es mir an der Schulter. Meinst du, es muss amputiert werden?“ Er knetete an seinem linken Arm herum.

Ich kniff ihn ins Fleisch. „Spürst du das?“

„Nein.“

„Tja, dann wirst du dich wohl von ihm trennen müssen. Aber keine Bange, ich werde den Arzt bitten, für die Betäubung den Holzhammer zu benutzen, danach spürst du garantiert nichts mehr.“

„Beschleichen dich morgens immer so mörderische Gedanken? War ich denn so grottenschlecht? Dabei bilde ich mir auf meine Standfestigkeit einiges ein.“

„Es ging.“ Ich gähnte und hätte meinen Rausch gern vollständig ausgeschlafen.

„Kostverächterin!“

„Angeber!“

„Wann gibt’s Frühstück? O Mann, im Augenblick frisst sich eine Armee Ameisen durch meinen Arm.“ Er verzog schmerzhaft das Gesicht.

„Sobald du deinen knackigen Hintern wieder aus dem Badezimmer schiebst und Speck und Eier in die Pfanne haust. Mir ist nach etwas Handfestem zwischen den Kiemen. Falls du liegen bleiben willst, kannst du deine Ameisen verspeisen. In diesem Fall würde ich mich bereit erklären, dir den Honig vorbeizubringen.“ Ich setzte mich auf und bewegte vorsichtig meinen Kopf. Es hätte schlimmer sein können.

„Honig?“

„Geröstete Heuschrecken, in Honig gestippt, gelten als Delikatesse. Wenn du das Rezept ein wenig variierst, Ameisen statt Heuschrecken nimmst ...“ Ich zuckte die Achseln und verspürte tatsächlich Hunger. Zumindest Appetit.

„Und womit röste ich sie?“

Ich schwang die Beine über die Bettkante. „Ich denke, du bist so ein feuriger Liebhaber?“ Das Kopfkissen traf mich im Nacken, und ich nahm es mit ins Bad, damit es Derek in der Wartezeit recht unbequem hatte. Unter der prasselnden Dusche tastete ich vergeblich im leeren Seifenbehälter herum. Die Shampooflasche fehlte ebenfalls. Von unheilvollen Ahnungen geplagt, stürmte ich triefend in die Küche und riss die Kühlschranktür auf. Mit dem Frühstück würde ich keinen Eindruck schinden können, Eiko hatte mal wieder zugeschlagen, und seine Satteltaschen mit meinen am Vortag erst eingekauften Vorräten gefüllt.

Wann, zum Teufel noch mal, dachte ich wutentbrannt und warf einen Blick auf die Uhr. Es war halb zwölf. Um meine Füße bildete sich eine Wasserlache.

Ich wickelte mich in ein Badetuch und taperte ins Schlafzimmer. Derek fuhr herum. Er stand vor den offenen Türen meines Kleiderschranks. Doch mein Grinsen - ertappt, mein Lieber - verrutschte jäh, als mir Churchill einfiel. Nur einen halben Meter von Derek entfernt, hing ein Kopfkissenbezug locker über einem ausgestopften Polski Owczarek Nizinny, den ein Doppelmörder suchte, und ich geriet einfach nur in Panik. Mit einem Satz war ich am Schrank und schlug die Türen zu. Derek, nackt wie eine griechische Statue, rieb sich die geklemmten Finger.

„Was ist? Versteckst du da drin eine Leiche?“, fragte er verärgert.

Getroffen und versenkt - ich starrte ihn an und rang nach Worten. „Wolltest du dir den passenden Fummel zu deinen Strapsen raussuchen oder verstecken spielen?“, fragte ich schließlich zurück.

„So ähnlich. Eigentlich wollte ich mich vergewissern, ob du Klamotten hast, die für ein Sportcoupé windschnittig genug sind. Wir könnten eine Spritztour machen, und du zeigst mir die Sehenswürdigkeiten der hiesigen Provinz. Jedenfalls, wenn ich noch einen Finger fürs Lenkrad finde, der nicht gebrochen ist.“

„O je, gib her.“ Ich nahm seine Hand und küsste jeden Finger einzeln. Er überließ sie mir, rückte näher heran, und seine andere, nicht geklemmte Hand begab sich auf Wanderschaft. Und schon lagen wir wieder im Bett, und ich kam endlich zum Genießen. Wenigstens halbwegs, denn mittendrin fiel mir wieder Eiko ein. „Sag mal“, stöhnte ich. „Haben wir gestern Nacht noch einen Imbiss zu uns genommen?“ Derek grunzte. War das ja oder ein? „Mm“, stieß er schließlich hervor, was ich als ja deutete, und knabberte weiter an meinem Hals. Also musste der Kühlschrank gegen ein Uhr morgens noch voll gewesen sein, sonst wäre es mir mit Sicherheit aufgefallen. Was die logische Schlussfolgerung beinhaltete, dass Eiko ihn ausgeräumt hatte, während ich nebenan eventuell gerade mit einem Mann Unzucht trieb, der nicht sein Vater war. Dann fiel mir noch etwas ein. Heute jährte sich der Tag, an dem sich mein Sohn von mir abgewendet hatte. Und heute wurde er sechzehn.

„Was ist?“, fragte Derek und rollte von mir runter. „Es fing doch ganz vielversprechend an.“

„Och, nichts weiter. Nur ein paar unbedeutende Widrigkeiten des Lebens. Sie heißen Eiko, Uwe und Ingeborg und mögen’s nicht, wenn ich mich amüsiere.“

„Wer ist Ingeborg?“, fragte Derek, klang allerdings nicht sehr interessiert. Er betrachtete die roten Male an seinen Fingern und verzog das Gesicht. Es tröstete mich zu sehen, dass Mister Perfect wenigstens wehleidig war.

„Ingeborg“, sagte ich und richtete mich auf, „ist die blöde Kuh, die gern möchte, dass ich die Penisse von Leichen abbinde. Möchtest du mehr darüber hören?“

„Nach dem Frühstück. Hab Erbarmen.“

„Deine Idee mit der Spritztour gefällt mir übrigens immer besser. Was dagegen, wenn wir ein paar Campingplätze anfahren?“

Derek setzte sich ebenfalls auf und ließ mich seine nahtlose Bräune bewundern. „Ich hatte mir unsere Spritztour zwar etwas romantischer vorgestellt als Jagd auf deinen Sohn zu machen, aber schätzungsweise habe ich keine andere Wahl.“ Er trat ans Fenster und räkelte sich ungeniert. Ich hatte keine Gardinen und fragte mich, ob gerade jetzt im Haus gegenüber irgendeine alte Jungfer vor wollüstiger Entrüstung in Ohnmacht fiel. „Hey“, rief er begeistert. „Von hier aus kannst du mir direkt auf den Balkon blicken.“ Dann verschwand er im Bad, und ich hörte die Dusche rauschen.

Als ich meine Haare gefönt hatte, hockte er stirnrunzelnd vorm offenen Kühlschrank, und die Kaffeemaschine röchelte in den letzten Zügen. Er blickte zu mir hoch. „Also, ich erinnere mich, dass wir uns heute Nacht noch über ein kaltes Kotelett und ein paar Käsecracker hergemacht haben, an rohe Eier und den Rest deiner Lebensmittel erinnere ich mich Gott sei Dank nicht.“

Die Vorstellung von Eikos nächtlichem Besuch, während er und ich uns auf dem Laken wälzten, verstimmte ihn derart, dass wir das Frühstück mehr oder minder schweigend zu uns nahmen. Er starrte auf seinen Teller oder knapp an mir vorbei und vermied jeglichen Augenkontakt. Ich grübelte derweil über den Aufenthaltsort meines Sohnes nach. Um ungeschoren davon zu kommen, musste er zwischen Mitternacht und Morgengrauen eingebrochen sein, also ganz in der Nähe gezeltet haben. Zum Beispiel auf dem Campingplatz neben der Beach Bar. Oder auf der Wiese unter der Brücke. Und wenn er tatsächlich dieses Risiko unmittelbarer Nachbarschaft eingegangen war, hatte er sich mit Sicherheit aus dem Staub gemacht, sobald die Sonne aufging.

Derek stellte das Radio an. Einen Moment lang kreuzten sich unsere Blicke, und er brachte ein schiefes Lächeln zustande. Ich wurde das seltsame Gefühl nicht los, dass er seine Verstimmung kultivierte, um die Spritztour platzen zu lassen. Natürlich sah er der Jagd nach dem durchgeknallten Sohn einer Frau, mit der er nur einmal geschlafen hatte, eher lustlos entgegen. Vielleicht wollte er es auch bei einem One-Night-Stand belassen. Sein eigenes Leben war problembeladen genug, um sich noch die Kümmernisse anderer aufzuladen.

„Sag mal, musst du dich nicht heute ...“, um deine Eltern kümmern, verschluckte ich gerade noch. Ich war drauf und dran, ihm den perfekten Grund zu liefern, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. „... noch umziehen, oder so? Dann könnte ich ja auf einen Sprung mit zu dir rüberkommen.“

Derek wirkte plötzlich hellwach. Er blickte mich mit seinen rauchblauen Augen alarmiert an. „Da ist absolut nichts zu sehen, ich bin noch nicht eingerichtet. Alles leer, nix von Interesse, später mal, okay? Ich würde vorschlagen, ich springe kurz allein rüber, wechsle die Klamotten, und wir treffen uns in einer Viertelstunde am Auto. Einverstanden?“

„Okay.“ Ich nickte ergeben. Alles klar. Er gehörte offenbar zu den Männern, die sich durch fremder Frauen Betten schliefen und von fremder Frauen Tellerchen aßen, die eigene Privatsphäre jedoch ab der Fußmatte gewahrt wissen wollten. Ein eingefleischter Single, der jedes von weiblicher Hand geworfene Ankertau sofort kappte.

Mir sollte es recht sein, ich wollte, wenn überhaupt einen festen Partner, dann meinen Uwe zurück und ansonsten nur etwas Spaß, damit mein Leben nicht zur Schlafkur geriet. Wozu allerdings momentan keine Gefahr bestand. Als Derek gegangen war, verfasste ich auf dem alten Mac eine Nachricht an Eiko, des Inhaltes, falls er nicht für Geld in der Fußgängerzone Mundharmonika spielen wolle, solle er seinen Vater anrufen, und druckte sie mehrfach aus. Während der Drucker ratterte, fiel mir natürlich auf, dass ich damit genau das tat, was Uwe von mir erwartete. Ich teilte Eiko den Entschluss seines Vaters mit, sodass der sich alles Übrige sparen konnte. Mit zusammengepressten Lippen redete ich mir ein, es ausschließlich für Eikos Wohlergehen zu tun.

Trotzdem war mir jämmerlich zumute, bis ich entdeckte, dass am Haken im Flur mein Zweitschlüsselset fehlte: Wohnungstür-, Briefkasten- und Haustürschlüssel. Tief in mir regte sich eine leise Hoffnung. Erst Uwes Laptop, jetzt meine Schlüssel. Offenbar näherte sich Eiko in kleinen Schritten wieder der Zivilisation. Oder er spezialisierte sich auf das lautlose nächtliche Eindringen in bewohnte Gefilde, um seine Mutter mit fremden Männern im Bett zu erwischen. Bisher war er nur tagsüber eingebrochen und nur dann, wenn Uwe oder ich außerhäusig waren.

Derek lehnte lässig an seinem kleinen roten Flitzer, als ich aus der Haustür stürmte. Er trug eine helle Hose, ein weißes Polohemd und flache Slipper und nichts von alledem sah aus, als habe er es bei Woolworth gekauft. Ein paar Nachbarn hingen an den Fenstern, und ich sonnte mich einige Augenblicke lang in der Aura von Reichtum und Macht, während ich, möglichst elegant, auf dem Beifahrersitz des Zweisitzers die Beine überschlug. Dann brausten wir los, der Fahrtwind riss mir die Zettel für Eiko aus der Hand und verteilte sie hinter uns in den Vorgärten des Froschpfuhls.

„Stopp!“, brüllte ich, und Derek blieb mit geschlossenen Augen hinter dem Lenkrad sitzen, während ich wieder einsammelte, was mir gehörte. Die Nachbarn hinter den Fenstern freuten sich, und Derek sah aus der Wäsche, als würde er am liebsten verdunsten. Im Gegensatz zu mir war ihm das Lebenskapitel Peinliche Missgeschicke bisher offenbar erspart geblieben. Von den zehn Zetteln fand ich nur neun wieder, also konnte ich davon ausgehen, dass demnächst halb Hameln über Uwes Zahlungseinstellung informiert sein würde und ein Raunen der Missbilligung durch die Straßen wehte. Ich gönnte ihm die öffentliche Schlappe.

Zwanzig Minuten später, nachdem ich über ein paar halbhohe Zäune gestiegen und mich versehentlich in einen Phlox gekniet hatte, starteten wir einen weiteren Versuch aufzubrechen, der diesmal reibungslos klappte. Wir klapperten zwischen Holzminden und Minden alle mir bekannten Campingplätze ab, und ich genoss die Fahrt in dem offenen Wagen in vollen Zügen. So und nicht anders hatte das Leben auszusehen. Mit einer Sonnenbrille auf der Nase und fliegenden Haaren in einem kleinen roten Flitzer, an der Seite eines Mannes wie Derek, durch die Landschaft zu brausen und nicht im Jobcenter vor den Ingeborg Schulzes dieser Welt duckmäusern zu müssen. Einmal mehr wurde mir bewusst, was ich versäumte.

Die Sonne schien, ein paar malerische Schäfchenwolken trieben über das Blau, und das Band der Weser glitzerte sich durch die Landschaft. Von Rühle aus machten wir einen Abstecher in die Rühler Schweiz, und in der Nähe von Rinteln ließen wir uns nackt in das eiskalte Wasser eines türkisfarbenen Kiesteiches gleiten. Ein vollkommener Tag, wären nicht die belustigten und mitleidigen Blicke der Campingplatzbetreiber gewesen und Dereks wortlose Weigerung, mich auch nur auf einem dieser Gänge nach Canossa zu begleiten. Er blieb im Auto sitzen, versteckte sich hinter seiner Sonnenbrille und las die Landkarte, während ich zu Kreuze kroch und die Männer zu beschwatzen suchte, dem rothaarigen Jungen mit den Rastalocken einen der Zettel auszuhändigen, sobald sie ihn sahen.

Mehr konnte ich nicht tun. Wollte ich auch gar nicht an diesem Tag. In Bodenwerder kehrten wir in einem bayrischen Biergarten ein, aßen Rippchen vom Holzkohlegrill und tranken eisgekühlte Apfelschorle. Die ganze Zeit über plagte mich ein Hauch von schlechtem Gewissen, wenn ich an Dereks Eltern dachte, seinen Alzheimer-Vater und die Mutter, die an Krebs starb. Sollte er den Sonntag nicht mit ihnen verbringen? Doch ich wagte nicht zu fragen, aus Angst, ihm und mir den Tag zu versauen.

Abends trennten wir uns schlapp aber friedlich, und keiner bedrängte den anderen mit der Aussicht auf eine feurige Liebesnacht. Ich zumindest wollte nur noch meine Ruhe haben, meinen Sonnenbrand auf Nase und Schultern eincremen und den schönen Tag ausklingen lassen. Allerdings konnte ich nicht umhin zu registrieren, dass sich der rote Alfa Romeo, bis ich hundemüde ins Bett fiel, nicht von der Stelle gerührt hatte. Mein letzter Gedanke vorm Einschlafen galt daher seinen Eltern. Hätte Derek nicht wenigstens abends noch auf ein Stündchen bei ihnen vorbeischauen können? Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass er sie zumindest angerufen hatte (was ich inbrünstig hoffte), doch der Sockel, auf den ich Mister Perfect gestellt hatte, geriet kaum merklich ins Wackeln.

Sollte er doch nur ein Mensch wie du und ich sein?

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