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„O Gott, bitte nein ...“

Als der Streifenwagen in zweiter Spur stoppte, seine Stoßstange auf Höhe ihres Beifahrersitzes, tauchte Lydia Vermeeren in Panik unter dem Armaturenbrett ab und nestelte an ihrem Schuh herum. Einer Pantomimin gleich, die in Fußgängerzonen imaginäre Wände abtastet oder schwankende Geschirrberge aus Luft balanciert, banden ihre Finger langsam eine Schleife aus Nichts auf dem Rist ihres Fußes. So als könnten die beiden Polizisten nebenan den Grund für ihr plötzliches Wegducken an den Bewegungen von Schultern und Oberarmen ablesen und als unverdächtige Notwendigkeit billigen. Sogar ihr Gesicht, dort unten für niemanden als sie selbst in ihrer Vorstellung sichtbar, drückte Zug um Zug Ärger über dieses vermeidbare Missgeschick eines schlabbernden Schnürsenkels im Auto aus.

Sekunden später setzte ein vielstimmiges Hupkonzert ein, und eine Faust bummerte fordernd ans Seitenfenster. Sie schrie erschrocken auf, schoss hoch und knallte mit dem Hinterkopf unter das Lenkrad. Die Ampel war grün. Eben als sie hämmernden Herzens ihre Riemchensandale aufs Gaspedal stemmte, und der Fiat mit angezogener Handbremse vorwärtsbuckelte wie ein Rodeogaul, rollte der Polizeiwagen langsam an ihr vorbei. Zwei Gesichter ruckten neugierig herum. Der Fahrer mit Armen von der Dicke ihrer Oberschenkel verbarg den Ausdruck seiner Augen hinter verspiegelten Sonnengläsern, und sein linker Arm, die rotknöcheligen Finger noch zur Faust geballt, ragte angespannt aus dem Seitenfenster. Erst mitten im Abbiegen beugte er ihn und begann mit den Fingern aufs Lenkrad zu trommeln, während der Ellenbogen auf dem heruntergekurbelten Fenster liegen blieb. Der Beifahrer, ein strohhaariger Mittzwanziger, verdrehte sich noch einmal den Hals, als der Golf auf der Bundesstraße beschleunigte, und sie sah ihn die Lippen bewegen. Beide lachten.

Lydia hoppelte in ihrem Fiat auf die Kreuzung und bog in die entgegengesetzte Richtung ab. Erst jetzt fanden ihre Finger endlich die Handbremse und schafften es sie zu lösen. Im Rückspiegel verschwand das Heck des Polizeiwagens hinter einer Kurve zwischen Häusern, aus dem Augenwinkel sah sie das blaue Hinweisschild zur Autobahn, dann lenkte sie mit wild pochendem Herzen durch die Haarnadelkurven des Dorfes. Bröckelnde Backsteinmauern vor fremdgenutzten Bauernhöfen und ein buntes Gemisch von Firmenschildern beidseits der Hofeinfahrten. Schlappe Hunde, die in der brütenden Augustschwüle, diesem letzten Aufbäumen des Sommers, vor verklinkerten Häusern hechelten. Eine kleine Holzkirche auf ovalem Dorfanger inmitten der Straßenführung, vom Verkehr umflossen. Im länger werdenden Schatten des Turms hockten drei alte Männer um einen Steintisch, Kartenfächer in fleckigen Händen. Ansonsten ein entvölkertes Spukdorf mit herabgelassenen Jalousien hinter flirrender Asphalthitze, durch die sich ein endloser, blecherner Lindwurm fraß.

Hundert Meter hinter dem Ortsendeschild bremste sie in der Ausbuchtung eines Feldweges, der, schlammig und von Traktoren aufgewühlt, als braune Narbe das Korn von den Stoppelfeldern trennte und das träge Fleckvieh auf regendurchweichten Weiden vom Mais. Blaue Wegwarten und purpurrote Kratzdisteln tupften den Wegrain und rahmten die Äcker. Ein jagender Bussard zog vor dem matten Himmelsblau seine Kreise.

Ohne die verkrampften Finger zu lösen, ließ sie den Kopf aufs Lenkrad sinken, und die Ledernoppen des Überzugs bohrten sich ihr in die Stirn. Verzweifelte Schluchzer drängten sich ihre Kehle hoch. Sie hatte es vermasselt. Durch ihre schwachsinnige Panikattacke vor der Ampel einfach vermasselt. Sie hatte mit den Polizisten Verstecken gespielt und verloren. Sich in ihrem Bemühen, mit der Schwärze eines Schattens zu verschmelzen ins grelle Scheinwerferlicht gestürzt. Hallo, ich bin hier! Mit Sicherheit notierte sich der strohhaarige Beifahrerpolizist eben jetzt das Kennzeichen des Wagens, während sein Sonnenbrillenkollege bereits am Funkgerät herumfummelte.

„Elisabeth Vermeeren? He, wartet mal. Vermeeren? Vermeeren?“, würde er vor Eifer geifern, wenn ihm die Zentrale den Namen der Wagenhalterin durchgab. „Leute, vielleicht ist die Frau mit der gesuchten Lydia Vermeeren verwandt? Na, kommt schon, ihr Trantüten, erinnert euch an das Fax unserer Kollegen aus der Stadt. Lydia Vermeeren! Die geflohene Zeugin gegen den Feuerwerkspsychopathen. Die Augenzeugin, die den gemeinen Anschlag auf Micha Seidel gesehen und sogar den Täter erkannt hat. Nur aussagen will sie plötzlich nicht mehr, die Gerichtsverhandlung heute Morgen musste vertagt werden, weil sie nicht erschien. Die ist einfach getürmt. Hat ihr Haus verrammelt und verriegelt und ist abgehauen. Die Anweisung von oben lautet, ihr noch mal eindringlich ins Gewissen zu reden, sobald sie uns ins Netz geht. Wenn sie sich dann immer noch weigert auszusagen, soll ihr selbst zum zweiten Mal der Prozess gemacht werden. Im Fall des toten Kindes, Simon Rieger. Neue Beweise und so. Vielleicht war es doch kein Unfall, sondern vorsätzlicher Mord. Also los klingelt mal in der Stadt durch. Die sollen einen Einsatzwagen zur Adresse dieser Elisabeth Vermeeren schicken, wir verfolgen den Fiat und schnappen uns das Weibsstück.“

„Warum sollte sie auch nicht mit meinem Wagen unterwegs sein?“, würde Elisabeth, ihre Cousine, in ihrer lauten, burschikosen Art aufbegehren. „Ist das neuerdings strafbar? Oder hat sich die Polizei, dein Freund und Helfer, endlich darauf besonnen, ihr Schutz anzubieten? Nach all den Drohbriefen, obszönen Anrufen und dann dem hinterhältigen Anschlag mit der Feuerwerksrakete ... Der hat doch mit Sicherheit ihr gegolten, oder sehe ich das falsch? Wie wär’s wenigstens die letzten Tage vor der Verhandlung mit Personenschutz gewesen? Wo sie doch schon wieder gegen einen aus dieser verdammten Rieger-Sippschaft aussagen sollte. Gegen diesen Beinahemörder, den ihr zur Belohnung für seine Tat auch noch auf freiem Fuß herumlaufen lasst. Kompliment, wirklich nett von euch Jungs. Und was tut ihr für Lydia? Na? Richtig, tatenlos zusehen, wie die Ärmste vom halben Land tyrannisiert wird. Natürlich habe ich ihr den Fiat angeboten, das war ja wohl das Mindeste. Sollte ich Sie etwa im Mercedes vor dem Gerichtsgebäude vorfahren lassen, damit ihr einer dieser Idioten versehentlich ein paar Beulen hineinfährt? Und wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen, meine Wohnung ist zu klein für mehr als eine Person. Guten Tag, die Herren.“

Kraftlos blieb sie auf dem Lenkrad liegen. Die Flucht war zu Ende, es gab kein Entrinnen. Ebenso gut konnte sie an Ort und Stelle das Heulen der Polizeisirenen abwarten, die barschen Befehle und endlich das Klicken der Handschellen. Sie waren nicht kooperativ, Frau Vermeeren, Sie sind verwarnt worden. Weil Sie sich geweigert haben, für unseren verletzten Kollegen auszusagen, rollen wir eben Simons Fall wieder auf. Der kleine Junge, den sie totgefahren haben, Sie wissen schon.

Langsam löste sie die Finger der rechten Hand vom Lenkrad und schlug sich mit der Handkante auf den Oberschenkel. Wieder und wieder, bis ihr vor Schmerz das Wasser unter den geschlossenen Lidern hervorquoll.

Mörderische Wut

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