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Johannes Lindström richtete sich ächzend auf und zerrte am Bündchen seiner ausgebleichten Jeans, während er gleichzeitig die Wirbelsäule verrenkte, um seine juckende Wade zu kratzen. Ameisen hatten ihn erwischt, während er auf Alice lag und so betont ekstatisch stöhnte, dass er sicher sein konnte, sie mit sich und ihrer Leistung zufriedengestellt zu haben. Er blickte auf sie hinunter und runzelte die Stirn. Da lag sie auf dem Boden der Schutzhütte, breitbeinig auf seinem ausgebreiteten Regenponcho und lächelte mit geschlossenen Augen. Doch, mit Sicherheit haderte sie nicht mit sich, und man konnte nur hoffen, auch nicht mit ihm. Er hatte sich wahre Mühe gegeben, Schlüpfrigkeiten geflüstert, an ihrem Ohrläppchen geknabbert, ihr vor gespielter Zügellosigkeit einen Knopf von der Bluse gerissen, den schwarzen Slip beinahe zerfetzt und Höllenqualen ausgestanden, ob er es diesmal länger als zehn Sekunden schaffte. Das volle Programm eben.

Er troff vor Schweiß, sein Pferdeschwanz hing ihm verrutscht über dem linken Ohr, und seine Entkräftung war ihm fünfzig Jahre voraus. Sie hingegen würde natürlich fit wie ein Turnschuh durch die Landschaft joggen, sobald sie sich endlich aufraffte, die Beine zu schließen und in die Senkrechte zu kommen.

Unästhetisch und vulgär, schoss es ihm durch den Sinn, und er vergewisserte sich rasch, dass sie nicht unter den Lidern hervorlinste, um ihm die Gedanken von der Stirn abzulesen. Eine Fähigkeit, die ihn geradezu anwiderte. Was Professor Clark wohl sagen würde, wenn er seine geliebte Krabbe in ihrer Rolle als nimmersattes Nüttchen sehen könnte? Johannes seufzte lautlos. Es beunruhigte ihn, dass die Planung seiner Karriere von diesem kleinen meist verschrumpelten Anhängsel zwischen seinen Beinen abhing. Sein Kopf war mit Sicherheit leistungsfähiger. Er rückte seinen Zopf wieder gerade und musterte sie streng. War sie etwa eingeschlafen? Oder wollte sie bis zum Sankt Nimmerleinstag so aufreizend dort liegen bleiben? Vielleicht hoffte sie auf einen Waldschrat, der sein Werk fortsetzte, jemanden, dem sie demonstrieren konnte, dass sie, Alice Clark, im Gegensatz zu ihrem Schlappschwanz von Freund auch dreimal hintereinander konnte.

Eine Tatsache, an der es peinlicherweise nichts zu deuteln gab.

Als er sie so missbilligend musterte, fielen ihm nicht zum ersten Mal ihre seltsamen Proportionen auf. Bis zur Taille war sie eigentlich okay, wohlgeformte Schultern und Arme und ein mittelgroßer fester Busen. Unterhalb der Körpermitte wirkte alles ein wenig, als hätte sich ein blutiger Anfänger am Aktzeichnen versucht. Die Hüften zu breit, der Bauch dazwischen ein feistes Osterei, die Oberschenkel prall, wie aufgeblasen, und in knochigen Knien endend. Wie zum Ausgleich schließlich eher dünne Waden, denen die Rundung fehlte. Ab Taille eine Jodphurhose aus Fleisch und Muskeln. Aber trotzdem spitzte jeder Mann hingerissen die Lippen, sobald er Alices ansichtig wurde. Das Gesamtbild eben. Oder der unbändige Wust ihrer roten Locken? Poliertes Kupfer, das in der Sonne Funken sprühte. Jedenfalls auf dem Kopf. Die Schamhaare hingegen glichen einem Knäuel rostiger Drahtwolle.

An dieser Stelle seiner kritischen Betrachtungen öffneten sich ihre schrägen Augen plötzlich, und blassgrüne Pupillen blinzelten zu ihm auf. Er zauberte ein verliebtes Lächeln auf seine Lippen. „Hallo“, flötete sie mit einem Unterton ungläubigen Erstaunens, geradeso, als begegneten sie sich nach langjährigem aus den Augen verlieren zufälligerweise auf dem Gipfel des Kilimandscharo wieder. „War ich gut?“

„Perfekt!“ Klar doch, wie immer. Er wandte sich frustriert ab und stopfte das Hemd in die Jeans. Von hinten wanderten nackte Zehen sein Bein hinauf, und die Reste des schwarzen Slips rutschten ihr vom Fußknöchel über die Knie und blieben am Oberschenkel hängen. Ich könnte noch einmal, höhnten seine Lippen stumm, und er wappnete sich mit Langmut, während er wie zufällig einen Schritt zur Seite trat und nach der ärmellosen Lederweste auf der schmalen Bank griff. Ihr Fuß rutschte ab, und das ganze nackte Bein plumpste zu Boden.

„Ach herrje“, seufzte sie bedauernd. „Ihr Männer und eure mickrige Libido. Also ich könnte glatt noch einmal. Du wohl nicht, was?“ Sie stemmte sich rücklings auf die Ellenbogen und kniff gegen das grelle Gewirr der Sonnenstrahlen, die sich im Inneren der Schutzhütte kreuzten und durchbrachen, die Augen zusammen. „Darling, Süßer, ich frustrier dich nur ungern, aber meinst du nicht, du solltest beim Sex ein wenig aktiver werden als eine Leiche?“

Er stockte, den rechten Arm schon im Armloch der Weste, und blies ungläubig die Backen auf. Ohne sein Zutun drehte der kleine Mann in seinem Kopf sofort an der Kurbel, und auf der Leinwand vor seinem inneren Auge lief ein Film ab. Temporeiche Actionszenen im Zeitraffer. El Brutalo und das Biest. El Brutalo (Johannes Lindström, genannt J.L.) stürzt sich auf das nackte, gefesselte Weib am Boden (das Biest). Großaufnahme seines diabolischen Grinsens. Szene Ende. Cut! J. L. schleift das Biest an den kupferroten Haaren durch den Wald, er ein Muskelpaket vom Format Arnold Schwarzeneggers, sie mehr und mehr ein zitterndes Bündel Elend. Szene Ende. Cut! J.L. wuchtet das Biest auf den Opfertisch der Wettersteine und zückt seine Machete. Großes Gebrüll auf der einen, Grinsen auf der anderen Seite. Szene Ende. Cut! J. L., El Brutalo, säbelt an ihrer Kehle herum. Gekreisch und wild zuckendes Gaumenzäpfchen. Ein letztes Mal Nahaufnahme des monumentalen Grinsens El Brutalos. Szene Ende, cut und aus!

Applaus!

El Brutalo grinste und angelte nach dem zweiten Armloch.

„Was soll das blöde Grinsen? Du kannst doch nicht einfach grinsen, wenn ich dir zwitschere, was für ein erbärmlicher Liebhaber du bist?“

El Brutalos Grinsen welkte abrupt, und er schrumpfte wieder zu Johannes Lindström zusammen. „Nett von dir“, murmelte er und kaschierte die Verletzung in seiner Stimme mit einem Übermaß an Sarkasmus. „Ich werde weiter an mir arbeiten, aber bei meiner wahrscheinlich überwältigenden Konkurrenz in deiner lasterhaften Vergangenheit kann es ein paar Jährchen dauern, bis ich es unter die Top Ten schaffe. Und wenn du dich jetzt vielleicht in die Klamotten bemühen würdest, schaffen wir es eventuell noch, zwei oder drei der potenziellen Kartierungsgebiete abzuklappern. Nur mal sehen, ob sie wirklich taugen. Kurze flüchtige Bestandsaufnahme, du weißt schon. Los, mach hinne, wir sind nicht ausschließlich zum Vergnügen hier.“

O nein, dachte er mit einem Hauch optimistischer Zufriedenheit, wir sind hier, um meine Zukunft in feste Bahnen zu lenken. Du, meine Liebe, verschaffst mir die Assistentenstelle bei deinem Papiprof. Dafür stöhne ich so ekstatisch wie der letzte Depp in einem billigen Pornostreifen, und wenn es dich gelüstet, plätte ich mit dir auch alle Moose. Aber erst nachdem wir sie bestimmt haben. Dein Papiprof hat dir zwar Amüsier dich gut, Krabbe hinterhergebrüllt, als wir die Auffahrt hinunterrollten - und wenn Professor Augustus Clark III. verlangt, dass das Amüsement neben der Kartierung nicht zu kurz kommt, dann werden uns eben amüsieren - aber zwischendrin wär’s nett, wenn du dein Expertentum in Sachen Moose und Flechten auspackst. Hier geht es immerhin um meine berufliche Karriere.

Sie hampelte hinter ihm herum, hopste kichernd einbeinig auf der Stelle und suchte die Balance zu wahren, während sie mit dem Fuß nach dem Beinloch ihrer Shorts angelte.

„Mach schon“, mahnte er und spähte durch das umlaufende Fenster der Schutzhütte. „Ich glaub‘, da hinten kommt jemand.“ Er beschattete die Augen mit der Hand. Genau erkennen konnte er gar nichts, aber einen Moment lang war ihm so gewesen, als sähe er einen Mann in einem rot kariertem Hemd den Weg hinunterkommen. Johannes warf einen raschen Blick über die Schulter. Alice stand in Positur, breitbeinig und barfuß mitten in der Hütte. Sie streckte den Bauch vor und zog mit lasziver Handbewegung den Reißverschluss ihrer knallgelben Shorts hoch, während sie die Hüften kreisen ließ wie eine türkische Bauchtänzerin.

„Hey! Ist er noch weit entfernt?“

Klar doch, obgleich er einen jemand ohne geschlechtliche Spezifikation angekündigt hatte, stand für sie zweifelsfrei fest, es konnte sich nur um ein männliches Wesen handeln. Nun würde sie die nächsten zehn Minuten vergeblich an ihren verbliebenen Blusenknöpfen herumnesteln. Gott, wie peinlich.

Tirol fiel ihm ein, und seine Gedärme zogen sich zusammen in der Qual der Erinnerung. Sie waren mit der Seilbahn auf einen Berg gefahren, trotz seiner Höhenangst, und aus einem plötzlichen romantischen Tick heraus, überredete sie ihn in schwindelnder Höhe in einer Hütte des Alpenvereins zu nächtigen. Matratzenlager! Fünf Matratzen dicht an dicht und ein Zubettgehen nur über das Fußende möglich. Sie teilten sich das Zimmer mit zwei sehnigen Engländern, die auf ihrer Wanderung nach Venedig mal eben die Alpen überquerten. Als er am nächsten Morgen mühsam unter verklebten Lidern in die Runde schielte, wusch sich Alice gerade an dem Waschbecken neben der Tür. Splitterfasernackt, ein munteres Liedchen auf den Lippen. Den Fuß auf einem Hocker seifte sie ihr Bein ein. In aufreizender Langsamkeit, von ganz oben bis zu den Zehen und dann wieder schleppend von den Zehen bis ganz, ganz nach oben. Erst das eine, dann das andere Bein.

Er hatte gehört, wie der Engländer zu seiner linken zu japsen begann. Nach einem entsetzten Seitenblick auf den Engländer zu seiner rechten, der bis auf seine feuchten, ungläubigen Froschaugen unter die kratzige Wolldecke gerutscht war, hatte er die Lieder hastig wieder zugeklappt und demonstrativ zu schnarchen begonnen.

„Ist der Kerl bald da?“, fragte Alice erwartungsvoll und riss ihn aus der unliebsamen Erinnerung. Sie schwenkte hüftkreisend eine Socke über dem Kopf.

Seufzend gehorchte er ihrem befehlenden Kopfrucken und trat aus der Schutzhütte. Er ächzte in der schwülen Mittagshitze. Der Rotkarierte war weg oder doch nur eine Halluzination seiner schlafmangelmüden Augen gewesen. Kein Waldschrat. Pech gehabt, Krabbe.

„Nö“, gab er schadenfroh Bescheid. „Nun ist der Rotkarierte weg und ahnt nicht einmal, was ihm hier entgeht.“

„Och du!“ Sie maulte enttäuscht. „Das war nur ein mieser Trick, mich auf die Beine zu kriegen. Wetten, da kam überhaupt kein Typ?“ Sie zog die Socke auseinander und schnippte sie ihm wie einen Expander ans Ohr. Er fuhr mit einem Schmerzensschrei herum, doch seine Hände griffen ins Leere. Sie tanzte bereits wieder außer Reichweite durch die Hütte. „Fang mich doch, fang mich doch, fang mich doch ...“

Johannes dachte kurz an Sylvester Stallone und Arnold Schwarzenegger, und daran, wie die beiden derartige Herausforderungen meistern würden. Dann stürzte er sich mit Todesverachtung auf das herumtollende Weib, umfing es mit seinen langen Armen von hinten und drückte es bäuchlings auf die schmale Bank der Schutzhütte. Er setzte sich rittlings auf ihre Oberschenkel und kitzelte Alice durch, bis sich Schluchzer in ihr Kreischen schlichen. Eine mickrige Alternative zum Erwürgen, unter dem Laub verscharren und Professor Clark ein Telegramm schicken: Bin ins Meer zurück. Deine Krabbe.

Nach einer ganzen Reihe weiterer zeitraubender Handgreiflichkeiten und verbaler Seitenhiebe stapften sie endlich wieder durch den Wald.

Etwa eine Stunde lang konnte er sie mit Überlegungen für die Kartierung bei der Stange halten. Genauer gesagt fachsimpelte er mit sich selbst über das Für und Wider infrage kommender Kartierungsgebiete, während sie sich auf ein gelegentliches Nicken oder ein mattes Hm mit gelangweilter Miene beschränkte. Die Moose am Boden und die Flechten an den knorrigen Baumwurzeln ließen sie in alarmierender Weise kalt. Eine Weile tröstete er sich mit dem Gedanken, als Kryptogamenexpertin genüge ihr wahrscheinlich ein flüchtiger Blick zur Bestimmung. Doch während er noch darüber sinnierte, wie er ihr das Ergebnis dieses flüchtigen Blickes entlocken konnte, hakte sie ihm von hinten unvermittelt den Fuß zwischen die Beine. Er stoppte abrupt, kippte vornüber, ruderte Halt suchend mit den Armen und plumpste bäuchlings auf staksige Buchenschößlinge. Unter ihm knitterte das Messtischblatt, der Rucksack rutschte auf seinen Hinterkopf, und seine linke Hand landete in Brombeerranken. Gestern, beim ersten Erkundungsgang gleich nach der Ankunft, war es die rechte Hand gewesen.

Sie zog die übliche Show ab. Streicheln, bedauernde Ausrufe, Johannes hier und Johannes dort, wie immer, wenn sie es geschafft hatte, ihm weh zu tun. Manchmal kniff sie ihn mitten im Kaufhaus so schmerzhaft in den Hintern, dass er lauthals aufjaulte und sich schamrot im Mittelpunkt missbilligenden Interesses wiederfand. Sie plagte ihn schlimmer als der ärgste Sandfloh. Nach jeder dieser sadistischen Triezereien schwor er sich, sie und ihren selbstherrlichen Daddy mit einer Ladung Dynamit einfach aus seinem Leben zu sprengen. Ein für alle Mal. Und jedesmal war es ihm bitterernst. Fünf Minuten lang. Etwa in der sechsten Minute fielen ihm seine Semesterkollegen, die Taxifahrer und Samenspender, ein. Und die Stellenanzeigen am schwarzen Brett in der Uni, in denen Klomänner für die neuen City-Toiletten gesucht wurden. Er schluckte schwer an seiner Wut, doch auch der ärgste Schmerz flaute irgendwann ab.

Sein Plan ließ sich in einer einfachen Formel darstellen. Alices Befriedigung, in welcher Hinsicht auch immer. Damit gekoppelt eine herausragende Kartierung des Moorsbacher Forstes, was ihm Professor Augustus Clarks Gunst sicherte und hoffentlich seinen mageren Hintern auf eine Assistentenstelle katapultierte, die er als Sprungbrett für seine Karriere unbedingt brauchte. Professor Clarks Ruf als Kryptogamenexperte war weltweit unantastbar. Es gab keinen Anerkannteren.

„Schön, beweisen Sie mir Ihre Eignung“, hatte Gus Clark mit wippender Fußspitze aus seinem Ledersessel heraus geantwortet und mit einem Manuskript eine Fliege auf dem Schreibtisch erschlagen, als sich Johannes in aller Bescheidenheit für die vakante Stelle anpries. „Kartieren Sie für mich den Moorsbacher Forst. Moose, Farne, Flechten und Algen, keine höheren Pflanzen, und bei einem zufriedenstellenden Ergebnis werde ich Sie als Kandidat wohlwollend ins Auge fassen. Wobei mir gerade einfällt, dass Sie eigentlich meine Tochter begleiten könnte. Sie beide kennen sich doch schon eine ganze Weile, nicht wahr? Na also. Ein wenig frische Luft kann ihr nicht schaden, und Sie bekommen Hilfe beim Kartieren.“

Klasse, hatte er gedacht. Arbeitsteilung. Sie die Moose und Flechten und ich den übrigen Kladderadatsch.

„Geben Sie Ihr Bestes. Nach Ihrer Rückkehr aus dem Moorsbacher Forst werde ich auch Alices Einschätzung Ihrer Fähigkeiten berücksichtigen. In der Beziehung halte ich viel vom Urteil meiner Krabbe.“

„Kein Problem, Herr Professor.“

Wie unbedacht einem manchmal Worte über die Lippen flutschten.

Freund Bernhard paddelte nun ohne ihn den Yukon hinunter und schaute Grizzlys beim Lachsangeln zu. Er selbst durfte sich mit einer Krabbe boshaften Charakters herumplagen.

Aber irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft musste der Zeitpunkt kommen, an dem seine erhoffte Stellung als Assistent gefestigt genug war, sie in die Tiefen des Weltalls zurückzukicken. Zurück auf den Weiberplaneten, wo Sadistinnen ihres Formates Pläne zum Quälen harmloser Burschen wie ihn schmiedeten. Eines Tages, wenn er sich Professor Clark durch die Übernahme lästiger Grundseminare, durch freiwillige Büttelarbeiten und durch Veröffentlichungen, unter die er ihn seinen Namen an erster Stelle setzen ließ, unentwirrbar verbandelt hatte. Nicht zu früh, um in Ungnade zu fallen, aber früh genug, um nicht als frustrierter Geist seiner eigenen Leichenpredigt lauschen zu müssen.

Professor Clarks Einfluss in den Universitätsgremien war unumstritten. Dank seiner fachlichen Kompetenz galt er als Aushängeschild der Universität. Seine Kollegen bewunderten, achteten und beneideten ihn, je nach Gemütslage, und die Empfindsameren unter ihnen fürchteten seinen unterschwelligen Spott, der ihn so unangreifbar machte. Sein beruflicher Werdegang führte über drei Kontinente, aber nirgendwo in der Welt schien es irgendjemandem gelungen, den Glorienschein seines unerschütterlichen amerikanischen Selbstbewusstseins anzukratzen, obgleich er als Sohn eines Besatzungs-GIs eigentlich zur Hälfte Deutscher war. Er lebte mit seiner Tochter hinter einer Buchsbaumhecke in einer der großen Ufervillen am Fluss und leistete sich neben dem Ferrari ein niedriges Rover-Cabriolet als Zweitwagen. Auf dem Golfplatz lochte er mit einem Birdie ein und schlürfte Austern in seiner Loge auf der Trabrennbahn, während seine Traber mit Schulterlänge Vorsprung durchs Ziel preschten.

Für Johannes war er der Spiegel seines eigenen zukünftigen Ichs.

Auf eine Mrs. Clark deuteten nur unbestätigte Gerüchte hin, die einen weiten Bogen spannten. Man munkelte vom tragischen Tod im Kindbett oder von einem dramatischen Flugzeugabsturz in den Anden. Man bedauerte ihr spurloses Verschwinden nach einer Entführung auf Lombok, und die Spottempfindlichen spöttelten ihrerseits, Gus Clark habe seine Tochter Alice eigenhändig in einer Retorte herangezüchtet.

Eine Zeit lang hatte sich Johannes mit dem Gedanken geplagt, Alice heiraten zu müssen und sich nur mit der Vorstellung trösten können, wie die Creme de la Creme von Wissenschaft, Wirtschaft und Wohlstand nach der Trauung an ihnen beiden vorbeiparadierte und ihm mit festem Händedruck eine Zukunft ohne Schloss und Riegel versprach. Mittlerweile allerdings schleuderte sein Selbsterhaltungstrieb dem Pastor vor dem Altar ein klares Niemals! ins Gesicht. Der Eifer durfte ihn nicht erblinden lassen vor den Schrecknissen eines Ehelebens mit ihr. Er fühlte sich willens und fähig, sich aus eigener Kraft emporzuarbeiten, wenn ihn nur beizeiten jemand anschubste.

Das einzige, was ihn momentan sorgte, waren die nächsten Wochen unerbittlicher Nähe mit ihr. Was, wenn er plötzlich durchdrehte, ihr eine knallte oder sie seinerseits in die Brombeeren schubste? Was, wenn sie ihn abservierte, weil er ihren Anforderungen nicht genügte? Es gab da noch einen zweiten Bewerber für die Stelle. Einen Schwarzen mit dem Diplom der Sorbonne, der sich bereits durch mehrere Veröffentlichungen einen Namen gemacht hatte. Alles zusammen eine hochexplosive Mischung, die nicht unterschätzt werden durfte.

In stillen Momenten plädierte er für einen rigorosen Einwanderungsstopp.

Er blickte stumm auf Alices Scheitel hinunter, als sie leise jammernd an dem blutenden Riss an seinem Handballen saugte. Die Brombeerdornen hatte sie bereits mit ihren makellosen Schneidezähnen operativ entfernt. Daddys Krabbe als Zwitter von Dracula und Florence Nightingale. Es gelang ihm nicht, sein Stöhnen zu unterdrücken, und sie hob den Kopf und beobachtete seine Miene. Konnte er seinem Ärger die Maske vorgetäuschten Humors überstülpen? Nein! Nicht einmal die bekümmerter Duldsamkeit. Ihr Gejammer wechselte abrupt in ein Kichern über, während sie mit hohlen Wangen immer heftiger und schmerzhafter an der Wunde saugte, und er akzeptierte verdrossen seine neuerliche Niederlage. Die Erbitterung qualmte ihm unübersehbar aus allen Poren, und damit war ihr Soll erreicht.

Wie immer.

Mörderische Wut

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