Читать книгу Killertime - Charlie Meyer - Страница 11
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ОглавлениеGegen halb vier, als ich nahe am Wegdösen war in der Hitze meiner nicht klimatisierten Besenkammer, lugte Polizeianwärter Bremersson um die Ecke und druckste herum. Ich beobachtete ihn mit zunehmender Ungeduld.
»Was ist? Fürchten Sie sich hereinzukommen?« Ich hob demonstrativ meine Hände. »Kein Messer, keine Pistole, kein Strick. Momentan ist mir nicht danach, jemanden umzubringen. Morgen vielleicht wieder.«
Wieder errötete er bis unter die Haarwurzeln, kam aber brav ins Zimmer getrottet. »Ich … ich will Sie nicht nerven, aber Polizeihauptmeister Santos hat zurzeit wenig für mich zu tun, und da dachte ich …« Er hob in komischer Verzweiflung die Schultern.
Er log, keine Frage. Santos hatte einfach Zeit zum Nachdenken gehabt. Er wusste, dass er mich nicht straflos ignorieren konnte, sondern spätestens dann seine Karriere aufs Spiel setzte, wenn ich zum Telefonhörer griff, um ihn zu verpfeifen. Ob und wann ich es tun würde, konnte er nicht einschätzen. Vorbeugend hatte er den Kleinen geschickt. Aber nicht nur deshalb. Mit Sicherheit arbeitete er selbst auf Hochtouren daran, die Morde aufzuklären.
Was für ein Triumph für ihn, wenn ihm genau das ohne meine Beteiligung gelänge.
Er brauchte Informationen und wusste, wo er sie bekommen konnte.
Es war schon komisch, aber ich beschloss, das Spiel bis zu einem gewissen Grad mitzuspielen. Besser den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach.
Ich kippte den Stuhl an die Wand und beäugte ihn unauffällig. Groß, schlaksig, rote Haare, an irgendjemanden erinnerte mich der Polizeianwärter Bremersson, nur dass mir partout nicht einfiel an wen.
»Ihr Name – Sven Bremersson – klingt sehr nordisch. Woher stammen Sie?«
Einen Moment lang verschloss sich sein Gesicht, geradeso, als wolle er mir die Antwort verweigern, obgleich ich mir überhaupt nicht vorstellen konnte, warum. Es sei denn natürlich, er fühlte bei derart harmlosen Fragen schon seine Persönlichkeitssphäre verletzt.
»Schweden«, antwortete er dann doch noch. »Meine Mutter stammt aus Schweden.«
Da bei seinen Worten ein leicht drohender Unterton mitschwang, wechselte ich ganz einfach das Thema.
»Gut, okay, Sven Bremersson aus Schweden, ich möchte als Erstes Ihre Eindrücke vom Tatort hören. Santos und Sie waren da. Setzen Sie sich«, ich deutete auf den harten Besucherstuhl, »schließen Sie die Augen und beschreiben Sie, was Sie vorgefunden haben.«
»Sie waren doch auch da.«
Ein Hauch von Aufsässigkeit schwang in seiner Stimme mit, und plötzlich wusste ich auch, an wen er mich erinnerte: Decksmann Piet. Bremersson war längst nicht so schüchtern und unterwürfig, wie er den Anschein zu erwecken versuchte. Beide gaben sich alle Mühe, einen mit ihrem devoten Gehabe einzulullen, während hinter der Fassade Unzufriedenheit und Frust leise vor sich hinköchelten.
»Ich? Ach du meine Güte, ich habe nur Schwärme dicker fetter Schmeißfliegen gesehen. Sie sind der Polizist. Also los.«
»Ich … ich kann das nicht, tut mir leid.«
»Moment mal. Wir sprechen hier von einem brutalen Doppelmord. Sie sind Polizist, Sie waren am Tatort, Sie sind den Opfern und den Eltern der Opfer gegenüber verpflichtet, alles zu geben, um die Tat aufzuklären, und doch fühlen Sie sich nicht einmal in der Lage, mir Ihre Eindrücke vom Tatort zu schildern?« Ich lachte ungläubig, wippte mit dem Stuhl wieder nach vorn und wies auf die Tür. »Suchen Sie sich um Himmels willen einen anderen Beruf aus.«
Bläulich angehauchte Röte stieg ihm aus dem weißen Kragen seines Uniformhemdes Hals und Wangen hoch. Er schnappte ein paar Mal nach Luft, ob aus Scham oder Wut vermochte ich nicht zu sagen. Doch meine Provokation wirkte, obgleich ich es nicht einmal provokant, sondern tatsächlich ernst gemeint hatte.
Bremersson fing an zu reden. Schnell und verbissen.
»Das Zelt war mit einem Messer aufgeschlitzt. Die Leichen lagen in der Mitte der Lichtung. Ihre … Ihre Genitalien waren weg. Ich meine, richtig weg. Es stank nach Verwesung, und von den Körpern stoben Schwärme von Schweißfliegen auf.«
Ich lehnte mich wieder zurück, schloss die Augen und hörte einfach nur zu.
Seine Stimme klang gepresst, und jedes seiner Worte verursachte ihm Unwohlsein, was mich nicht wunderte. Gleichzeitig schummelte sich nach einer Weile ein Hauch von Erregung dazu, den ich als Ausdruck unterschwelligen Voyeurismus wertete. Die Art, die Autofahrer bewegt, schreckliche Unfallstellen im Schritttempo zu passieren, obgleich ihnen das Grauen schon im Nacken hockt.
Es gibt unterschiedliche Beweggründe, zur Polizei zu gehen: Macht ausüben, Verbrechen aufklären, die Welt besser machen, irgendetwas tun müssen, um seine Miete zu bezahlen, grausige Dinge zu sehen bekommen, die anderen verwehrt bleiben und noch Dutzend anderer Gründe. Was Bremersson bewogen haben mochte, konnte ich nicht sagen, mein Bauchgefühl tendierte allerdings zu einer Fehlentscheidung in seiner Berufswahl, und das lag nicht an der ersten Antwort auf meine Frage.
Auf der anderen Seite war er ein junger Mann, der sich die Ecken erst noch abscheuern musste. All zu viele Leichen hatte er bestimmt noch nicht gesehen, und wenn, dann klemmten sie in irgendwelchen Autowracks. Mit Sicherheit war er gestern nach Hause gegangen und hatte seinen Freunden oder seiner Freundin von all den grausigen Dingen auf der Lichtung erzählt.
»Weiter. Wonach sah es aus? War der Täter wütend?«
h wandte mich um, vermied aber den Blickkontakt und beobachtete stattdessen eine Spinne, die sich von der Deckenlampe abseilte und vielleicht noch zehn Zentimeter bis zu seinem roten Schopf brauchte.
Er dachte einen Moment lang schweigend nach.
»Nein, ich glaubte nicht. Keine Wut, sondern nur kalte Berechnung. Er muss den Ablauf akribisch geplant haben. Zelt aufschlitzen, Mann bewusstlos geschlagen. Dann ist er nach vorn, hat ihn an den Beinen herausgezerrt, in der Mitte der Lichtung festgebunden und dann …«, er schluckte, »… hat er ihn verstümmelt und getötet.«
»Und das Mädchen?«
Die Spinne landete dicht neben seinem Scheitel, kappte ihr Seil und verschwand im Rot seiner Haare.
»Der Mörder muss auf der Lauer gelegen haben. Er hat gewartet, bis die Kleine das Zelt verlassen hat, um … na ja, Sie wissen schon.«
»Pipi machen zu gehen? Sind Sie nicht mit Schwestern aufgewachsen?«
»Doch zwei, aber ich meine, na ja, wir haben nie im Zelt übernachtet. Oder im Wald. Wenn eine von ihnen … Pipi machen musste, ist sie in eins der Badezimmer gegangen.«
In eins der Badezimmer? Wie viele Badezimmer nannte seine Familie denn ihr eigen? Drei? Vier?
»Okay. Er verstümmelt und tötet also den Mann, während das Mädchen irgendwo hinter einem Baum hockt. Und dann?«
Ich deutete auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch und Bremersson setzte sich, wobei er gewissermaßen wieder in sich zusammenfiel. Die Schultern sackten nach vorn, er beugte sich vor, stützte sich mit den Unterarmen auf den Oberschenkeln auf und faltete zwischen den Knien seine Hände. Sein Blick fokussierte sich auf den Stapel Ausdrucke, der vor mir auf dem Schreibtisch lag, als er stockend weitersprach.
»Dann holt er sich das Mädchen und bringt es ebenfalls um, aber möglicherweise hat er dabei weniger Spaß als bei dem Mann.«
Ich starrte ihn überrascht an, bekam aber keinen Blickkontakt. »Warum? Er nimmt sich alle Zeit der Welt, er quält sie und weidet sich an ihren Schmerzen. Warum sollte es ihm weniger Spaß machen als bei dem Mann?«
»Es sieht keiner zu. Als er den Mann quälte und tötete, hat wahrscheinlich die Frau zugesehen. Jetzt quält er die Frau, aber der Mann kann nicht zusehen, weil er schon tot ist.«
Ich war wider Willen beeindruckt darüber, dass er dieselben Schlussfolgerungen zog wie ich selbst, und fragte mich erneut, was ich hier eigentlich sollte. Wenn schon Polizeianwärter Profile erstellen konnten, wozu brauchten sie dann mich. Die Antwort war simpel. Für nichts, außer natürlich Maik Willem, der meinen fragwürdigen Ruf als Entlarver eines Kindermörders als Sprungbrett benötigte.
»Okay, eine interessante Annahme. Wie kommen Sie darauf, dass er die Morde geplant hat. Vielleicht stieß er ganz zufällig auf das Liebespaar am See?«
Bremersson runzelte die Stirn und sah mich an wie den letzten Vollidioten.
»Irgendetwas muss er geplant haben. Er hatte Angelschnur, Zeltheringe und ein Rasiermesser oder so etwas dabei.«
»Dieser Waldsee liegt sehr abseits. Ich schwimme dort ab und zu. Vielleicht einmal in der Woche, aber gesehen habe ich dort nur zweimal jemanden. Das erste Mal einen Pilzsammler, der sich verlaufen hatte, das zweite Mal einen Förster auf der Suche nach einer angeschossenen Bache.« Ich kratzte mich nachdenklich am Kopf. »Der Mörder muss den beiden gefolgt sein, aber wie haben die den See gefunden?«
»Der rumänische Junge und seine Mutter waren doch auch da.«
Das stimmte natürlich. So wie es aussah, war der See ganz plötzlich in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses gerückt.
»Sie haben irgendwelche Beeren gesucht und sind wohl eher zufällig dort gelandet. Die Opfer haben dort aber gezielt gezeltet. Einer von ihnen muss das Gelände gekannt haben. Würden Sie für mich ein paar Dinge recherchieren?«
»Was denn?«
»Ich möchte alles über den Wald wissen, den See, die Zuwegung, die Dörfer ringsherum. Internet, Facebook, Twitter, alles, was Sie an Einträgen finden.«
Der rothaarige Polizeianwärter schaute skeptisch aus der Wäsche.
»Ich kenne ja nicht mal den Namen dieses verdammten Teichs. Falls er überhaupt einen hat.«
»Finden Sie’s raus. Man hat in der Nähe des Tatortes kein verwaistes Auto gefunden und keine Reifenspuren. Die Opfer werden wohl kaum ihre Campingsachen getragen haben. Wie sind sie dorthin gekommen, wo sie getötet wurden. Wie ist der Täter an den See gelangt?« Ich stand auf und streckte mich. »Okay, das sind Ihre Hausaufgaben für morgen. Punkt zwei in dieser Besenkammer, und ich will Resultate sehen.« Ich stockte. »Natürlich nur, wenn Ihr Chef Sie nicht dringender braucht.«
»Nein, nein, schon okay«, log er tapfer und sah enttäuscht aus, während sein Blick, aus dem die Hoffnung schon fast verschwunden war, meinen Stapel Computerausdrucke streifte. Sein Chef würde nicht begeistert sein, er kam mit leeren Händen zurück. »Hier ist ja nicht viel los außer gelegentlich einem Einbruch oder Handtaschenraub und so.«
Ich wollte gerade antworten, als mein Smartphone What shall we do with the drunken sailor dudelte. Unterdrückte Rufnummer. Ich scheuchte Bremersson aus dem Zimmer und ging ran. »Ist dein Profil fertig?« Maik Willems Stimme klang zwar ruhig, aber es war diese Art tödlicher Ruhe, die mich als Kind immer voralarmiert hatte, das es besser war, Reißaus zu nehmen. »Ich habe dich übrigens auf Lautsprecher gestellt, Doktor Marquardt und der Minister sitzen neben mir.«
Einen kurzen Moment lang verschlug es mir die Sprache, dann kondolierte ich dem Vater des ermordeten Mädchens und versprach, alles mir Mögliche zu tun, bei der Suche nach dem Mörder mitzuhelfen. Es war nicht einmal gelogen, sondern kam aus dem Bedürfnis heraus, einem Vater, der seine Tochter auf so grausige Art und Weise verloren hatte, Hilfe anzubieten.
Er bedankte sich mit brüchiger Stimme, dann übernahm der Minister und sicherte mir die Unterstützung des gesamten Regierungsapparates zu. Ich sah mich in meiner Besenkammer um und grinste. Vielleicht sollte ich ein Foto schießen und ihm aufs Handy schicken? Und gleich noch ein Foto von mir in Bermudashorts, T-Shirt und Sandalen, nur damit die Verhältnisse von Anfang an geklärt waren.
»Was haben Sie bisher herausgefunden?«, fragte der Minister.
Ich teilte ihm meine Überlegungen mit.
»Ich schätze, der Mörder ist entweder ein Durchreisender, der hier seinem Mordtrieb nachgegeben hat, bevor er weiterzieht, und in einem anderen Teil des Landes weitermordet, oder aber er stammt aus dem Landkreis.«
»Entschuldigen Sie«, unterbrach an dieser Stelle Rosannas Vater ungehalten. »Sie glauben, es war einfach so ein Mistkerl, der meiner Tochter zufällig über den Weg lief? Das ist Nonsens. Es war ein inszenierter Mord mit politischem Hintergrund. Wie kommen Sie dazu, den Tod meiner Tochter auf ein so triviales Motiv zu reduzieren? Hat Ihnen Staatssekretär Crispin denn nicht gesagt, welcher Spur Sie zu folgen haben?«
Diesem Ausbruch folgte eine hastig geführte Diskussion im Flüsterton, dann übernahm Maik Willem die weitere Verhandlungsführung, während im Hintergrund eine Tür ins Schloss fiel. Ich ging davon aus, dass der Minister und der Vater des Opfers gegangen waren.
»Bist du noch bei Trost? Rosannas Vater hält quasi nur der Gedanke aufrecht, seine Tochter sei einem höheren Ziel zum Opfer gefallen. Der Politik. Damit könnte er sich möglicherweise arrangieren, weil er den Feind dann kennt und entsprechend reagieren kann. Ihm unterstehen Hunderte von Agenten in der ganzen Welt.«
Ups, ich hatte gerade den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes höchstpersönlich verärgert. Und dazu noch den einen oder anderen Minister, von Maik Willem ganz zu schweigen.
»Um Himmels willen, ich kann doch nicht bei einem Doppelmord einem Vater nach dem Mund reden, nur weil er sich dann besser fühlt. Und einem Ermittler die Richtung vorzuschreiben, nur weil es politisch genehm ist, ist ja wohl das Letzte. Ich bin kein Profiler, das habe ich dir von Anfang an gesagt, aber so, wie sich mir die Morde bisher aufgrund der Infos darstellen, sind die beiden von einem Sadisten aus purer Lust am Quälen und Töten umgebracht worden. Er hat keinen von beiden vergewaltigt, er hat ihnen nichts in die diversen Körperöffnungen gesteckt.« Ich stockte.
Er hatte sie nicht nur nicht vergewaltigt, er hatte sie auf brutalste Weise ihrer Sexualität beraubt, in dem er ihnen die Sexualorgane chirurgisch entfernte.
Aus Frust, selbst keinen mehr hochzukriegen? War er möglicherweise ebenfalls verstümmelt? Durch einen Unfall? Eine Krankheit? Oder ganz einfach impotent?
Oder ein religiöser Fanatiker, der das Alte Testament etwas zu orthodox auslegte?
»Natürlich sind die Morde politisch motiviert«, unterbrach mich Maik Willem ungeduldig. »Dieser Russe ist der Schlüssel zur Lösung des Falles. Er war noch keine zwei Wochen im Land, und schon trifft er sich mit der Tochter eines hohen Politikers. Hältst du das etwa für einen Zufall?« Er schnaufte verächtlich. »Er hat sie auf Facebook angechattet. Ich habe gerade den Bericht bekommen. Er hat sich als Sohn eines russischen Oligarchen ausgegeben, den Putin eingesperrt hat. Er selbst habe gerade noch fliehen können. Wie sie sei er ein Opfer der Politik und er freue sich darauf, eine Gleichgesinnte zu treffen.«
»Und sie? Rosanna?«
»War hellauf begeistert und hat mit ihm drei Tage lang intensiv gechattet, bevor sie sich ganz unverblümt auf WhatsApp zu einem One-Night-Stand verabredeten. Nur nannten sie es ein romantisches Zelten im Wald. Treffpunkt Dienstag siebzehn Uhr an einer Bushaltestelle am Wochenmarkt. Viele Leute, viele Busse, niemand, der darauf achtete, als ein klappriger Ford anhielt und sie einstieg. Den Wagen haben wir mittlerweile auf dem Parkplatz einer Waldgaststätte gefunden. Die Gaststätte ist geschlossen, sie suchen nach einem neuen Pächter, deshalb hat niemand den herrenlosen Wagen gemeldet.«
Ich zuckte nur hilflos die Achseln. »Ogottogott. Hat der BND keine Sicherheitsabteilung, die die Chats minderjähriger Politikerkinder im Auge behält?«
»Der Punkt ist, er wusste, wer sie war und konnte sich perfekt auf sie einstellen. Nur deshalb fiel sie auf ihn herein.«
»Sie ist aber freiwillig mit ihm gegangen. Laut Autopsiebericht hatten sie einvernehmlichen Sex. Sie sind in den Wald gefahren, haben ihr Zelt aufgebaut, und es dann miteinander getrieben.« Ich überlegte kurz. »Ich frage mich nur, wie er auf den See gekommen ist. Er liegt dermaßen abseits, dass der Publikumsverkehr dort in den letzten Tagen geradezu an eine Völkerwanderung erinnert.«
»Es war ein politisch motivierter Mord.« Maik Willems Rechthaberei war mir schon als Kind auf den Geist gegangen.
»Okay, dann erklär mir netterweise mal den politischen Grund für diese Morde. Ich bin nicht schlau genug, um dahinterzukommen.« Ich horchte. Als nichts kam, fabulierte ich einfach drauf los. »Möglicherweise hat Rosannas Vater, der Agentenführer, einen russischen Spion auffliegen lassen, der daraufhin in einem deutschen Knast landete und von der arischen Bruderschaft abgestochen wurde. Buran, einer der beiden Rache schwörenden Söhne, lockte die Tochter des Agentenführers in die Falle, der andere, Jurij oder Alexander, oder wie immer er heißt, hatte das kurze Streichholz gezogen und kam zum Morden an den See. Dort erwartete ihn jedoch ein selig schnarchender Buran, ein elender Verräter, der mit der Tochter des Vatermörders geschlafen hatte. Die ganze Sache geriet außer Kontrolle.«
Diesmal saß ich die Reaktion einfach aus. Maik Willem räusperte sich. »Wenn du das sagst, klingt das so … Du meine Güte, ich weiß es doch auch nicht. Tu mir einfach den Gefallen und lass die politische Schiene nicht außen vor. Und lass einem am Boden zerstörten Vater den Rettungsanker. Egal wie die Sache ausgeht.«
»Gut, ich werde darüber nachdenken.«
»Wer hat dir verraten, wer ihr Vater ist?«
»Ich arbeite zur Zeit als Ermittler, schon vergessen?«
»Ich will nur wissen …«, er stoppte abrupt.
Im Hintergrund klappte eine Tür, und eine Stimme, die ich als die des Ministers identifizierte, sagte etwas.
»Dylan, der Minister hat noch eine Frage an dich.« Maik Willem klang beinahe flehentlich.
»Herr Minister?«
»Dylan. Ich darf Sie doch Dylan nennen, nicht wahr?« Er wartete keine Antwort ab, und das war in diesem Fall auch klüger, denn ich hatte schon den Mund offen, um nach seinem Vornamen zu fragen. »Sie haben da vorhin etwas gesagt, das mich beunruhigt. Sie deuteten an, der Schweinehund könnte weitermorden. Wo auch immer. Natürlich bezieht sich Ihre Vermutung auf den unwahrscheinlichen Fall, dass es sich um kein politisch motiviertes Verbrechen handelt?«
»Natürlich.«
»Würden Sie mir einen Gefallen tun?«
»Wenn ich kann.«
»Finden Sie den Dreckskerl, bevor er erneut mordet und Eltern in den siebten Kreis der Hölle stürzt. Enttarnen Sie ihn, so oder so, und sollten Sie ihm durch Ihre Recherchen plötzlich persönlich gegenüberstehen, denken Sie daran: Mitunter überlebt eben nicht der körperlich Stärkere, sondern der Schnellere. Sollten Sie ihn töten müssen, wird niemand Fragen stellen. Waidmannsheil und …« Energisches Gemurmel unterbrach seine blumige Ansprache. Dann klappte erneut eine Tür und ich hatte wieder Maik Willem am Ohr.
»Wenn du auch nur ein Wort von diesem Gespräch an die Medien weitergibst, bist du ein toter Mann. Der Minister kommt gerade von einem Empfang für einen dieser saudiarabischen Investoren, die Hamburg aufkaufen wollen, und hat ein wenig über den Durst getrunken, wie es ihm mitunter passiert. Rum mit Kamelmilch in einer Kokosnuss, und …«
»Hallo? Maik Willem?«
»Ja doch, ich bin hier und …«
»Hallo? Hallo? Maik Willem? Tut mir leid, die Verbindung ist plötzlich ganz fürchterlich. Ich rufe später wieder an.« Damit unterbrach ich das Gespräch, bevor es noch unerfreulicher werden konnte.
Zeit nach Haus zu fahren, um zu duschen und sich umzuziehen. Jede Faser meines Körpers freute sich auf das Blind Date mit der Pathologin und ihrer rauchigen Stimme.