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»Niemals, und das ist mein letztes Wort«, entgegnete ich kategorisch und registrierte im Spiegel den Schatten und die dunklen Bartstoppeln auf meinem Kinn.

Es gibt Typen, die sich nur alle drei Tage rasieren mussten, es gibt Typen, die zu täglicher Rasur gezwungen waren, und es gibt mich. Wir alle stammen vom Affen ab, doch Lucy beharrt darauf, dass meine Evolutionsstufe haartechnisch noch immer nicht so ausgereift ist, um als Mensch durchzugehen.

Die Zeiten änderten sich eben. In der guten alten Zeit galt Brustbehaarung als Zeichen von Männlichkeit, heutzutage fordert die Fernsehwerbung wachsenthaarte Machobrüste mit babypopoweicher Haut. Haare sind nur noch oberhalb des Adamsapfels erlaubt.

Aus dem Smartphone tönte unablässig Lucys Geschnatter an mein Trommelfell, und ich mühte mich redlich, nicht den Anschluss zu verpassen.

»Du kommst doch mit«, bettelte sie schließlich und schnurrte wie ein Kätzchen. »Ach bitte. Das Musical soll ganz allerliebst sein.«

Allerliebst?

»Nein!«

Ich fuhr mir mit dem Kamm durch die braunen Locken, die mal wieder dringend einer Schere bedurften. Kam es mir nur so vor, oder schimmerte es ab und an schon silbrig durch die Fülle? Mit sechsunddreißig? Konnte das sein?

»Ach bitte.«

»Warum nimmst du nicht deinen Neuen mit? Diesen Rupert oder wie er heißt?«

Ich schnitt meinem Spiegelbild eine Grimasse.

»Ruprecht.«

»Na dann eben Knecht Ruprecht. Das Outfit fürs Theater hat er dann ja schon. Rote Stiefel, roter Mantel, passend zu den Bühnenvorhängen.«

Zufrieden betrachtete ich im Spiegel meine Freizeitkluft. Bermudas, ein grünes Hemd ohne Ärmel und Sandalen an den Füßen. Es war Freitag, ich hatte bis zur Charterfahrt am Abend frei, und würde das tun, was ich immer an meinen freien Tagen tue. Zumindest im Sommer: Mit dem Mountainbike an meinen Waldsee fahren, den außer mir nur eine Handvoll Leute kennt. Meine Haut atmen lassen. Nichts tun, außer möglicherweise die Enten in die Flucht zu schnarchen.

Vor einer Woche war ich das letzte Mal dort gewesen.

»Knecht Ruprecht und ich passen nicht wirklich zusammen«, maulte Lucy aus dem Smartphone. »Nicht mal unwirklich. Seine Libido verträgt sich nicht mit meiner …«

»Stopp! So genau will ich das nun wirklich nicht wissen. Wenn du mitkommen willst zum Schwimmen, sag ja und pack dein Handtuch ein, ansonsten bis demnächst.«

Sie ging zu einem wortlosen Schmollen über, das mit einem gelegentlichen theatralischen Schniefen gespickt war, geradeso, als hätte ich und nicht Ruprecht die nicht kompatible Libido. Nach einem halbherzigen Hallo? drückte ich das Gespräch schließlich weg.

Schmollende Frauen sind mir ein Gräuel, selbst, wenn wir beste Freunde sind und sie so umwerfend aussehen wie Lucy. Groß, blond, langbeinig und mit funkelnd grünen Augen. Den überwiegenden Teil des Jahres düst sie in der Welt herum, um aus einer Jurte, einem Iglu oder Tipi die nächste Miss World herauszuzerren und den weltbesten Agenturen für eine dicke Provision anzubieten. Sie gilt als eine der Erfolgreichsten der Branche.

Die übrigen Tage und Wochen treibt sie mich mit ihren Beziehungskisten zur Verzweiflung.

Bis zu ihrem Autounfall im vorletzten Jahr hat sie selbst gemodelt, aber einbeinige Frauen mit Prothese sind auf dem Laufsteg, im wahrsten Sinne des Wortes, nicht gerade der Renner, obgleich Lucy mit ihrer Unterschenkelprothese komischerweise weniger über ihre eigenen Füße stolpert als vorher. Im Übrigen tun Prothesen höllisch weh, wenn einem damit vors Schienbein getreten wird. Die lange Genesung und ihr Frust haben Lucy in der Verteilung ihrer Liebesgaben nicht eben zimperlich gemacht, und wenn ich eins schmerzvoll lernen musste in den letzten vierundzwanzig Monaten, dann das: Mitleid macht sie noch wütender, und ich habe nur zwei Schienbeine.

Ich hatte von dem Crash nur ein paar Narben zurückbehalten. Gebrochene Rippen verheilten, Schnittwunden ebenfalls, und mit nur einer Niere zu leben ist kein Problem, solange die Zweite funktioniert. Der Geisterfahrer hatte uns mit seinem SUV frontal erwischt. Die Feuerwehr musste uns aus dem Wrack schneiden, aber Lucys zerquetschter Unterschenkel war nicht mehr zu retten gewesen. Meine Niere, in der nach dem Crash bis zum Heft mein Bowiemesser steckte, mit dem ich eben noch an einem Seepferdchen geschnitzt hatte, ebenfalls nicht mehr.

Shit happens nun mal. Die Schicksalsgöttinnen pokern. Gewinnt Klotho, erwischt es deinen Nachbarn, bei Lachesis‘ Full House muss der Hund von gegenüber dran glauben, und sobald Atropos einen Royal Flash auf den Tisch legt, bist du an der Reihe.

Grell leuchtende Scheinwerfer, die aus der Dunkelheit auf dich zurasen. Keine Chance mehr auszuweichen. Lucys Finger mussten sie einzeln vom Lenkrad lösen, so fest umklammerte sie es selbst noch in ihrer tiefen Bewusstlosigkeit.

Der Geisterfahrer, ein übermüdeter Familienvater von zwei kleinen Kindern, starb noch am Unfallort.

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