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Da Mörder nicht ungern an den Tatort zurückkehren, um die Aktionen der Polizei aus allernächster Nähe zu beobachten oder gleich dableiben, um diese sogar selbst rufen, hätte es mich nicht wundern dürfen, den Rest des Tages auf einer Polizeistation zu verbringen. Sie konfiszierten Handy und Ausweis und nahmen mir die Fingerabdrücke ab, während meine Daten wohl durch alle verfügbaren Datenbanken gejagt wurden.

Währenddessen wurde ich in ein karges Verhörzimmer gebracht und vor einen laufenden Rekorder gesetzt. Sie nannten es eine Zeugenbefragung, aber den Fragen nach war es ein ausgewachsenes Verhör, obgleich mein Verhörteam lediglich aus den beiden bestand, die zuerst am Tatort aufgetaucht waren. Dem neuen Dienststellenleiter und seinem Gehilfen. Der kleine untersetzte Polizeihauptmeister, Pat, hieß Santos, der lange schlaksige Polizeianwärter mit den roten Haaren und den weit aufgerissenen Augen nicht Patachon, sondern Bremersson.

Santos war derjenige, der mich befragte, und wenn sein Stammbaum tatsächlich spanische Wurzeln aufwies, lagen die mit Sicherheit schon ein bis drei Generationen zurück. Er sprach absolut akzentfrei, doch mit der deutlichen Warnung, dass ich auf der Liste seiner Verdächtigen ganz weit oben rangierte. Zumindest so lange, bis ich ihm das Gegenteil bewies, was unmöglich war, weil keiner von uns die genaue Tatzeit kannte.

Als sein iPhone das erste Mal klingelte und er das Ergebnis des Abgleichs meiner Fingerabdrücke erfuhr – Achtung Ex-Bulle – schien er geneigt, die Angelegenheit etwas gelassener anzugehen. Allerdings nur vorübergehend.

Eine halbe Stunde später dudelte sein iPhone erneut, und wer immer ihn da anrief, bewirkte, dass er sich unwillkürlich von dem Stuhl erhob, auf dem er verkehrt herum gesessen hatte. Er hörte stumm und ungläubig zu. Als das Telefonat zu Ende war, ließ er sich auf seinen Stuhl zurückfallen und starrte eine ganze Weile auf den Boden hinter der Stuhllehne, auf der er sich abstürzte. Der Polizeianwärter an der Wand sah aus, als würde er im nächsten Moment vor Neugier tot umfallen.

Als sich Santos wieder soweit gefasst hatte, das Verhör weiterzuführen, ging er zu einem Angriff über, der mich vollkommen verblüffte und in Überlegungen stürzte, woher ich auf die Schnelle einen Anwalt bekam. So wie es aussah, würde ich lebenslänglich bekommen, mit der Option auf eine anschließende Sicherheitsverwahrung. Während mir noch von seiner ersten Angriffswelle der Schweiß auf der Stirn stand, startete er auch schon die nächste.

Außer meiner Wenigkeit schien es auf der ganzen Welt keine weiteren Mörderkandidaten zu geben: Komm schon mein Junge, gib die Morde einfach zu, dann hast du es hinter dir und die nächsten zwanzig Jahre endlich deine Ruhe.

Santos Deal für mein Geständnis: keine Arschficker, keine arische Brüderschaft, nur ich und meine sichere Zelle.

Eine Vorstellung, die mir nach zweistündigem Dauerbeschuss ziemlich verlockend erschien. Wozu sich quälen lassen, wenn ein Rundum-Sorglos-Paket mit Vollverpflegung lockte? Doch dann streifte mich durch das vorhanglose kleine Fenster des Verhörraums ein flüchtiger Sonnenstrahl, ich dachte an mein Mountainbike und an mein Schiff und sagte laut und deutlich: »Nein, tut mir leid, Jungs, ihr habt den Falschen erwischt.«

Storys wie diese beginnen in der Regel mit Es war ein schöner warmer Sommertag, als …, und dann nimmt ein Unheil seinen Lauf, das man sein Lebtag nicht mehr vergisst. In meinem Fall allerdings nahm dieses Unheil gegen siebzehn Uhr ein abruptes Ende, allerdings nur, um gegen ein neues Unheil eingetauscht zu werden.

Ohne Vorwarnung wurde die Tür zum Verhörraum aufgerissen, worauf ein hochgewachsener Mann mit finsterer Miene hereinspazierte. Maik Willem Crispin, mein Bruder, das ehrenwerte Mitglied des Bundestages und Staatssekretär im Innenministerium. Seit unserem letzten Kontakt vor zwei Jahren mochte er um den Bauch herum ein paar Biere zugelegt haben, sah ansonsten aber aus wie immer. Groß, breit, mit schütteren Haaren. Der schwarze Anzug kombiniert mit einem diagonal gestreiften Schlips in Deutschlandfarben: schwarz, rot, gold. Sein Markenzeichen und eins der beliebtesten Kameramotive im Fernsehen.

Der Schlips war lächerlich, hatte Maik Willems Wiedererkennungswert jedoch rapide gesteigert.

»Gehen wir«, war alles, was er sagte, während er dem Polizeihauptmeister einen Ausweis unter die Nase hielt. Da mich Santos mit einem Protest ziehen ließ, der so halbherzig war, dass er niemanden hinters Licht führen konnte, ging ich davon aus, dass er im Vorfeld über diese Befreiungsaktion informiert worden war. Schätzungsweise bei seinem zweiten Handygespräch, warum auch immer. Jedenfalls war er ein lausiger Schauspieler, noch schlechter als ich selbst.

Polizeianwärter Bremersson hingegen schien nicht eingeweiht. Ihm quollen vor gerechter Empörung beinahe die Augen aus dem Kopf. Einen Moment lang sah es so aus, als wolle er sich tatsächlich auf meinen Bruder stürzen, um ihm die Beute wieder zu entreißen.

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