Читать книгу Shirley (Deutsche Ausgabe) - Charlotte Bronte, Шарлотта Бронте - Страница 10

VIII – Noah und Moses

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Am folgenden Tag war Moore vor der Sonne aufgestanden und nach Whinbury und wieder zurückgeritten, ehe seine Schwester den café au lait bereitet oder die tartines zum Frühstück geschnitten hatte. Was er dort getrieben hatte, behielt er für sich. Hortense fragte nicht. Es war nicht ihre Gewohnheit, ihn nach seinem Tun zu befragen, noch die seine, darüber Rechenschaft abzulegen. Geschäftsgeheimnisse – verwickelte und oft düstere Mysterien – blieben in seiner Brust begraben und kamen nie aus dieser Gruft, außer dann und wann, um Joe Scott daran teilnehmen zu lassen und einem fremden Korrespondenten einen Hinweis zu geben. In der Tat schien eine allgemeine Gewöhnung an Zurückhaltung in jeder wichtigen Sache in seinem kaufmännischen Blut zu liegen.

Als das Frühstück vorbei war, ging er ins Kontor. Henry, Joe Scotts Sohn, brachte ihm Briefe und Zeitungen. Moore setzte sich an sein Pult, erbrach die Siegel der Briefe und überflog sie. Sie waren alle kurz, wenig freundlich, vielmehr im Gegenteil verdrießlich, denn als Moore den letzten weglegte, zeigte sich an seinen Nasenflügeln ein verhöhnendes und misstrauisches Zucken, und obwohl er nichts sagte, lag doch in seinen Augen eine Glut, die den Teufel anzurufen schien und ihm auferlegte, die ganze Geschichte zur Hölle zu schaffen. Nachdem er jedoch eine Feder genommen und in einem kurzen Anfall von Fingerwut die Fahne davon abgerissen hatte – bloß in Fingerwut, denn sein Gesicht blieb ruhig – schrieb er eine Reihe Antworten, versiegelte sie, stand dann auf und ging durch die Fabrik. Als er zurückkam, setzte er sich wieder, um die Zeitungen zu lesen.

Ihr Inhalt schien nicht außerordentlich interessant zu sein. Er legte sie mehr als einmal übers Knie, kreuzte die Arme und starrte ins Feuer. Zufällig wandte er das Gesicht zum Fenster. Manchmal sah er auch nach der Uhr, kurz, sein Geist schien abwesend. Vielleicht dachte er an die Schönheit des Wetters, denn es war ein schöner und milder Morgen für diese Jahreszeit, und er wünschte ihn in den Feldern zu genießen. Die Tür des Kontors stand weit offen, Luft und Sonnenschein drangen ungehindert ein, aber der erste Besuch brachte keinen Wohlgeruch auf seinen Schwingen, sondern bloß gelegentlich einen Schwefelgeruch von der rußerfüllten Rauchsäule, die grau aus dem Fabrikschornstein emporstieg.

Eine dunkelblaue Erscheinung (die von Joe Scott, der eben vom Farbkessel kam) trat für einen Augenblick an die offene Tür, stieß die Worte: »Er ist da, Sir!« heraus und verschwand.

Mr. Moore wandte die Augen nicht von den Papieren.

Ein großer, breitschultriger, grobschlächtiger Mann, in Barchenthemd und grauwollenen Strümpfen trat ein, wurde mit einem Nicken empfangen und veranlasst, sich zu setzen, was er denn auch tat, nachdem er seinen sehr schlechten Hut abgenommen, unter einen Stuhl gelegt und sich die Stirn mit einem geflickten baumwollenen Taschentuch, das er aus dem Hutkopf gezogen hatte, abgewischt hatte, und die Bemerkung machte, »dass es für Februar recht warmes Wetter sei.«

Mr. Moore bejahte das, wenigstens gab er eine Art Ton von sich, der, wenn auch unartikuliert, doch für eine Zustimmung gehalten werden konnte. Nun stellte der Besucher einen offiziell aussehenden Stab, den er in der Hand hatte, sorgfältig in die Ecke neben sich. Nachdem er dies getan hatte, pfiff er, wahrscheinlich, um ganz ungezwungen zu erscheinen.

»Sie haben doch das Nötige?« sagte Mr. Moore.

»Oho! Es ist alles in Ordnung.«

Nun begann er wieder zu pfeifen, und Mr. Moore fuhr fort zu lesen. Die Zeitung war zweifellos interessanter geworden, doch wandte er sich jetzt zu seinem Speiseschrank, den er mit seinen langen Armen erreichen konnte, öffnete ihn, ohne aufzustehen, nahm eine schwarze Flasche – dieselbe, die er zu Mr. Malones Besten hervorgeholt hatte –, einen Tummler und einen Krug heraus, setzte sie auf den Tisch und sagte zu seinem Gast: »Bedienen Sie sich selbst. Wasser ist dort in der Ecke.«

»Ich glaube nicht, dass davon viel nötig sein wird, denn früh morgens ist jedermann durstig«, sagte der in Flanell gekleidete Mann, stand auf und tat, wie verlangt.

»Wollen Sie nicht ebenfalls zugreifen, Mr. Moore?« fragte er, nachdem er mit geschickter Hand eine Portion gemischt, sie mit einem tiefem Zug getrunken hatte und sich nun gesättigt und zufrieden in seinen Sessel lehnte. Moore antwortete wortkarg durch eine verneinende Bewegung und Gemurmel.

»Tun Sie es doch!« fuhr der Besucher fort. »Es wird Sie ermuntern. Ganz vortrefflicher Holländer! Sie bekommen ihn wohl von fremd her? Nicht wahr?«

»Ja.«

»Folgen Sie meinem Rat und trinken Sie ein Glas. Sie werden noch viel zu reden haben, und wer weiß, wie lang. Sie werden ein Schlückchen brauchen.«

»Haben Sie diesen Morgen Mr. Sykes gesehen?« fragte Moore.

»Ich sah ihn vor einer halben Stunde – nein – vor – vor einer Viertelstunde etwa, als ich eben fortging. Er sagte mir, er wollte auch herkommen, und ich wunderte mich, dass der alte Helstone noch nicht da ist. Ich fand ihn, wie er sein kleines Pferd sattelte, als ich hinter der Pfarrei vorbeikam.«

Der Sprechende war ein echter Prophet, denn keine fünf Minuten später hörte man schon den Trapp des kleinen Pferdchens im Hof. Es hielt an, und eine wohlbekannte, näselnde Stimme rief: »Bursche (zweifellos an Harry Scott gerichtet, der sich gewöhnlich von neun Uhr früh bis nachmittags um fünf im Hof aufhielt) »nimm mein Pferd und bring es in den Stall.«

Helstone trat ein, flinker und gerader marschierend und brauner, eifriger und lebhafter aussehend als gewöhnlich.

»Ein schöner Morgen, Moore! Wie geht’s Ihnen denn? Ei, wen haben wir denn hier?« (sich zu der Person mit dem Stab wendend) »Sugden! Wie? Sie gehen gerade ans Werk? Wahrhaftig, das nenne ich keine Zeit verlieren! Aber ich muss mir erst Erklärungen erbitten. Ihre Botschaft wurde mir ausgerichtet. Wissen Sie aber auch gewiss, dass Sie auf dem rechten Weg sind? Wie wollen Sie denn die Sache nun angehen? Haben Sie einen Verhaftungsbefehl?«

»Sugden hat ihn.«

»Wollen Sie ihn also jetzt aufsuchen? Ich begleite Sie.«

»Sie können sich diese Mühe ersparen. Er kommt selbst hierher. Ich sitze eben deshalb jetzt hier in meinem Herrschersitz, um seine Ankunft zu erwarten.«

»Und wer ist es denn? Eines meiner Kirchkinder?«

Unbemerkt war Joe Scott eingetreten. Er stand jetzt wie eine finstere Erscheinung da, da er zur Hälfte in tiefstes Indigo gefärbt war, und lehnte sich an den Tisch. Seines Herrn Antwort auf des Pfarrers Frage bestand in einem Lächeln. Er ergriff also das Wort, warf einen ruhigen, aber listigen Blick auf den Pfarrer und sagte:

»Es ist einer Ihrer Freunde, Mr. Helstone. Ein Herr, von dem Sie oft sprechen.«

»Wahrhaftig? – Sein Name, Joe! Du siehst an diesen Morgen gut aus!«

»Bloß der ehrwürdige Moses Barraclough. Sie nennen ihn ja manchmal den Tonnen-Redner, wenn ich nicht irre.«

»Ah!« rief der Pfarrer, zog seine Tabaksdose heraus und nahm eine sehr lange Prise. »Das hätte ich mir doch nicht träumen lassen! Der fromme Mann war doch nie einer Ihrer Arbeitsleute, Moore? Er ist ein Schneider von Profession.«

»Umso mehr bin ich gegen ihn aufgebracht, dass er sich unter meine abgedankten Leute gemischt und sie aufgewiegelt hat.«

»Und Moses ist wirklich bei der Geschichte am Stilbro’ Moor dabei gewesen? – Er mit seinem hölzernen Bein?«

»Oh, Sir!« versetzte Joe. »Er kam zu Pferd dorthin, sodass man sein Bein nicht bemerkte. Er war der Anführer und hatte eine Maske. Die Übrigen hatten sich die Gesichter nur schwarz gefärbt.«

»Und wie kam man auf ihn?«

»Das will ich Ihnen sagen, Sir!« sagte Joe. »Der Herr schwatzt nicht gern viel, ich aber rede gern ein Wörtchen. Er machte Sarah den Hof, Mr. Moores Dienstmädchen, und es schien, als ob sie sich nicht eben mit ihm einlassen wolle, mochte ihr nun sein hölzernes Bein nicht gefallen, oder hatte sie etwas davon bemerkt, dass er ein heimlicher Jünger ist. Dessen ungeachtet (denn die Weiber sind närrische Dinger, was wir wohl unter uns sagen können, da keines dabei ist) hatte sie ihn, trotz seines Beines und seiner Heuchelei, ermutigt – bloß um einen Zeitvertreib zu haben. Ich habe viele gekannt, die es auch so machen, und manche von den besten und schönsten. Ich habe feine, blutjunge Dinger gesehen, die so treuherzig und ohne Falsch aussahen wie Gänseblümchen, und dennoch zeigte es sich mit der Zeit, dass sie nur brennende, giftige Nesseln waren.«

»Joe ist ein sehr gefühlvoller Bursche«, versetzte Helstone.

»Sarah hatte jedoch noch eine anderen Pfeil in ihrem Köcher. Fred Murgatroyd hat sie gern, und da Frauen Männer nach ihren Gesichtern beurteilen und Fred ein hübsches Gesicht hat, während Moses bei Weitem nicht so hübsch ist, wie wir alle wissen, ließ sich das Mädchen mit Fred ein. Etwa vor zwei bis drei Monaten begegneten Murgatroyd und Moses einander in einer Sonntagnacht. Sie hatten sich beide um das Gehöft hier herumgetrieben, um Sarah zu bereden, ein bisschen mit ihnen spazieren zu gehen. Sie gerieten aneinander, hatten einen Rauferei und Fred wurde verwundet, denn er ist jung und klein und Barraclough, obgleich er nur ein Bein hat, doch fast so stark ist wie Sugden hier. Nun, jeder, der ihn bei einem Festessen oder einer Verlobung brüllen hört, weiß, dass er kein Schwächling ist.«

»Joe, du bist unausstehlich!« rief hier Mr. Moore aus. »Du spinnst deine Erklärung aus, wie Moses seine Predigten. Der langen Rede kurzer Sinn ist, dass Murgatroyd und Barraclough eifersüchtig waren und vergangene Nacht, als jener und ein Freund in einer Scheune vor einem Regenschauer Zuflucht suchten, hörten sie Moses mit einigen seiner Vertrauten sich darin besprechen. Aus ihrem Gespräch wurde klar, dass dieser nicht nur der Anführer beim Stilbro’ Moor, sondern auch bei dem Überfall auf Sykes Eigentum gewesen war. Ja, noch mehr, sie planten eine Delegation, mit dem Schneider an der Spitze, die heute Morgen zu mir kommen und mich in dem gottesfürchtigsten und friedlichsten Sinne bitten sollte, die verfluchten Dinger wegzuschaffen. Diesen Morgen ritt ich nach Whinbury, erhielt einen Constabler und einen Verhaftungsbefehl und warte nun darauf, meinen Freunden den Empfang angedeihen zu lassen, den sie verdienen. – Da kommt Sykes. Mr. Helstone, Sie müssen ihn aufstacheln. Er ist noch zu furchtsam bei dem Gedanken an Verfolgung seines Rechts.«

Man hörte einen Gig in den Hof rollen. Mr. Sykes trat ein. Ein großer, starker Mann von etwa fünfzig Jahren, behäbigen Gesichtszügen, aber schwächlicher Physiognomie. Er sah ängstlich aus.

»Sind sie dagewesen? Sind sie wieder fort? Haben Sie sie bekommen? Ist alles vorbei?« fragte er.

»Noch nicht«, erwiderte Moore phlegmatisch. »Wir warten noch auf sie.«

»Sie werden gar nicht kommen; es ist bald neun Uhr. Geben wir es nicht lieber auf? Es wird eine schlechte Wirkung haben – einen Auflauf – vielleicht unangenehme Folgen haben.«

»Sie brauchen sich ja gar nicht sehen zu lassen«, sagte Moore. »Ich will sie im Hof empfangen, wenn sie kommen. Sie können hierbleiben.«

»Aber mein Name muss denn doch in dem Prozess vorkommen. Weib und Familie, Mr. Moore, Weib und Familie machen einen Mann vorsichtig.«

Moore sah unwillig aus. »Gehen Sie, wohin es Ihnen beliebt«, sagte er. »Überlassen Sie mich mir selbst. Ich habe gar nichts dagegen, allein zu bleiben. Nur dessen seien Sie versichert, dass Sie in Unterwerfung kein Heil finden werden. Ihr Kompagnon, Pearson, gab nach, duldete und ertrug. Verhinderte das etwa, dass sie ihn in seinem eigenen Haus zu erschießen versuchten?«

»Lieber Herr, nehmen Sie etwas Wein und Wasser zu sich!« ordnete Mr. Helstone an. Wein und Wasser waren Wachholderbranntwein und Wasser, wie Mr. Sykes entdeckte, als er einen vollen Becher davon gemischt und getrunken hatte. Es wandelte ihn innerhalb von zwei Minuten um, brachte die Röte in sein Gesicht zurück und machte ihn wenigstens mit Worten mutig. Er erklärte jetzt, dass er sich nicht mehr von dem gemeinen Volk wolle mit Füßen treten lassen, dass er entschlossen sei, die Unverschämtheit der arbeitenden Klasse nicht mehr zu ertragen, dass er darüber nachgedacht und sich vorgenommen hätte, es aufs Äußerste zu treiben, könnten Geld und Mut diese Aufrührer zu Paaren treiben, so sollte dies gewiss geschehen. Mr. Moore möge tun, was er wolle, aber er – Christian Sykes – werde seinen letzten Penny für die Gerichte opfern, ehe er sich abbringen lasse, er wolle sie zu Paaren treiben, oder man solle sehen –.

»Trinken Sie noch ein Glas!« drängte Moore.

Mr. Sykes hatte nichts dagegen einzuwenden. Es war ein kalter Morgen (Sugden hatte ihn warm gefunden), in dieser Jahreszeit musste man auf sich achten – man musste etwas nehmen, um den Nebel abzuhalten. Er hatte schon einen kleinen Husten (er begann hier zur Bekräftigung dieser Tatsache zu husten) so etwas von der Art (damit hob er die schwarze Flasche in die Höhe) sei etwas sehr Gutes, wenn es als Medizin genommen werde (er goss das Arzneimittel in seinen Tummler). Eine Angewohnheit dürfe es durchaus nicht werden, starke Getränke morgens zu sich zu nehmen, aber gelegentlich erfordere es die Vorsicht, solche Maßregeln anzuwenden.

»Sehr weise, und nehmen Sie sie also jedenfalls«, drängte der Wirt.

Mr. Sykes wandte sich an Mr. Helstone, der am Feuer stand, seinen Schaufelhut in der Hand, und ihn mit seinen kleinen scharfen Augen bedeutungsvoll ansah.

»Ja, Sir, als ein Geistlicher sage, fühle ich, dass es unangenehm ist, bei solchen Auftritten von Zank und Streit, und ich darf wohl sagen, Gefahr, zugegen zu sein. Ich fürchte, dass Ihre Nerven es nicht aushalten werden.«

»Sie sind ein Mann des Friedens, Sir, aber wir Fabrikanten, die wir in der Welt und stets in Unruhe leben, werden dadurch ganz kämpferisch. Es entsteht bei dem Gedanken an Gefahr wahrhaftig eine Glut in mir, die mein Herz höher schlagen lässt. Wenn Mrs. Sykes befürchtet, dass dies Haus angegriffen und gestürmt werde – worin sie auch recht hat – so reizt mich das geradezu auf. Ich kann Ihnen nicht beschreiben, Sir, ich habe das Gefühl, dass, wenn wirklich etwas käme – Diebe oder sonst etwas – so glaube ich, dass ich mich darüber freuen würde, so mutig bin ich.«

Das herzliche, obgleich kurze und leise, in keiner Weise jedoch beleidigende, Gelächter war des Pfarrers Antwort. Moore würde dem heldenmutigen Fabrikbesitzer noch einen dritten Tummler eingeredet haben, wenn nicht der Geistliche, der die Grenzen des Anstandes nie überschritt, noch duldete, dass sie von anderen in seiner Gegenwart überschritten würden, ihn davon abgehalten hätte.

»Genug ist genug, nicht wahr, Mr. Sykes?« sagte er, und dieser gab es zu, setzte sich dann und ließ sich auf ein Zeichen Helstones die Flasche mit einem selbstzufriedenen Lächeln auf den Lippen und einem bedauernden Leuchten in seinen Augen wegnehmen. Moore sah aus, als wenn er ihn mit größtem Vergnügen noch ein wenig zum Besten gehalten hätte. Was würde eine gewisse junge Verwandte gesagt haben, würde er ihr als ihr lieber, guter, großer Robert – ihr Coriolanus – gerade jetzt erschienen sein?

Würde sie in diesem widrigen, sardonischen Gesicht dasselbe Antlitz erblickt haben, zu dem sie mit so viel Liebe emporgesehen, welches vergangenen Abend sich mit solcher Freundlichkeit über sie gebeugt hatte? War das der Mann, der einen so ruhigen Abend mit seiner Schwester und seiner Cousine verbracht hatte – so sanft für die eine, so zärtlich für die andere – beim Lesen des Shakespeare und Anhören des Chenier?

Und doch war es derselbe Mann, nur von einer anderen Seite betrachtet, einer Seite, die Caroline bis jetzt noch nicht genau gesehen hatte, obgleich sie vielleicht Scharfsinn genug besaß, deren Vorhandensein leise zu vermuten. Auch Caroline hatte zweifellos ihre fehlerhafte Seiten. Sie war ein Mensch, sie musste also sehr unvollkommen sein, und hätte sie Moore selbst von seiner schlechtesten Seite gesehen, würde sie dies wahrscheinlich zu sich selbst gesagt und ihn entschuldigt haben. Liebe kann alles entschuldigen, außer Gemeinheit. Diese aber tötet die Liebe, verkrüppelt selbst natürliche Zuneigung, ohne Achtung kann wahre Liebe nicht bestehen. Moore konnte bei all seinen Fehlern Achtung verdienen, denn er hatte keine moralischen Fehler in seiner Gesinnung, keine hoffnungslose, befleckte Färbung, wie z. B. die der Falschheit, auch war er nicht der Sklave seiner Lüste. Das aktive Leben, zu dem er geboren und erzogen worden war, hatte ihm etwas anderes zu tun gegeben, als ihn der erbärmlichen Klasse der Vergnügungsjäger zuzugesellen. Er war ein Mann, der sich niemals erniedrigt hatte, der Zögling der Vernunft, nicht der Diener der Sinne. Dasselbe konnte man von dem alten Helstone sagen. Keiner von beiden konnte eine Lüge sehen, denken oder aussprechen. Für keinen von beiden hatte die unselige schwarze Flasche, die man eben beiseite gesetzt hatte, einen Reiz. Beide konnten mit kräftigem Erheben auf den stolzen Titel ›Krone der Schöpfung‹ Anspruch erheben, denn kein animalisches Laster war ihr Gebieter. Sie waren höheren Wesens als der arme Sykes und ihre Haltung zeigte es.

Jetzt hörte man mehrfache Schritte im Hof, und dann trat eine Pause ein. Moore ging ans Fenster, Helstone folgte ihm. Beide standen an derselben Seite, der schlanke Jüngere hinter dem untersetzten Älteren, vorsichtig so hinaussehend, dass sie von dort nicht sichtbar waren. Die einzige Bemerkung, die sie über das machten, was sie sahen, war ein spöttisches Lächeln, als ihre strengen Blicke einander trafen.

Jetzt hörte man ein unnatürliches, gekünsteltes Hüsteln, dem der Ausruf: »Pst!« folgte, um, wie es schien, das Getöse mehrerer Stimmen zu stillen. Moore öffnete das Fenster einen Zoll breit, um besser hören zu können.

»Joe Scott«, begann eine dumpfe Stimme – Scott stand als Schildwache an der Kontor-Tür – »dürfen wir fragen, ob Ihr Herr darin ist und man ihn sprechen kann?«

»Er ist darin«, erwiderte Joe unbefangen.

Wollten Sie wohl die Güte haben, ihm zu sagen, dass zwölf Männer ihn zu sprechen wünschen?«

»Er wird wohl fragen, weshalb?« versetzte Joe. »Ich möchte ihm das doch gleich sagen.«

»Eines Geschäfts wegen«, war die Antwort.

Joe ging hinein.

»Da sind zwölf Männer, Sir, die Sie wegen eines Geschäfts zu sprechen wünschen.«

»Gut, Joe, ich bin ihr Mann. Sugden kommen Sie wenn ich pfeife.«

Moore ging mit einem trockenen Lachen hinaus. Er schritt im Hof vor, die eine Hand in der Tasche, die andere in der Weste, den Mützenrand über den Augen, sodass deren tieffunkelndes, höhnisches Leuchten halb beschattet wurde. Zwölf Männer warteten im Hof, einige in ihren Hemdsärmeln, andere in blauen Hemden; zwei davon zeigten sich vor allen an der Spitze ihrer Gesellschaft. Einer, ein kleines, flinkes, sich brüstendes Männchen mit Stupsnase, der andere ein breitschultriger Mensch, der sich ebenso durch sein gravitätisches Gesicht und seine katzenähnlichen, falschen Augen, als durch ein hölzernes Bein und trockenen Husten auszeichnete. Es lag etwas Gezwungenes auf seinen Lippen, er schien sich über jemand oder irgendetwas ins Fäustchen zu lachen, seine ganze Miene drückte alles andere, nur nicht Ehrlichkeit aus.

»Guten Morgen, Mr. Barraclough«, sagte Moore, als er vor ihm stand.

»Friede sei mit Ihnen!« war die Antwort, und als er sie gab, schloss Mr. Barraclough seine von Natur aus halbgeschlossenen Augen gänzlich.

»Ich danke Ihnen. Friede ist eine vortreffliche Sache; ich wünsche mir nichts mehr. Aber das ist doch wohl nicht alles, was Sie mir zu sagen haben? Ich bilde mir ein, dass Friede nicht Ihr Geschäft ist.«

»Was unser Geschäft betrifft«, erwiderte Barraclough, »so ist es eines, das sonderbar und fast töricht in Ihren Ohren klingen mag, denn die Kinder dieser Welt sind in ihrer Art weiser, als die Kinder des Lichts.«

»Zur Sache, wenn ich bitten darf, und lassen Sie mich hören, was es ist.«

»Sie sollen es hören, Sir, und wenn ich nicht damit zu Ende kommen kann, so stehen noch elf hinter mir, um mir zu helfen. Es ist ein wichtiges Geschäft und (hier änderte er seine Stimme aus einem halben Grinsen in ein völliges Weinen) es ist des Herrn Geschäft, und das ist das Beste.«

»Brauchen Sie Subskribenten zu einer neuen Kapelle für die Ranters, Mr. Barraclough? Wenn Ihr Anliegen nicht von dieser Art ist, weiß ich nicht, was Sie damit zu tun haben.«

»Ich dachte nicht an diese Pflicht, Sir. Da Sie aber die Vorsehung geleitet hat, sie zu erwähnen, will ich unterwegs auch eine Kleinigkeit mitnehmen, die Sie vielleicht dazu geben möchten. Die geringste Kleinigkeit wird angenommen.«

Und damit nahm er seinen Hut ab und hielt ihn als Bettelbüchse hin. Ein unverschämtes Grinsen schwebte dabei auf seinen Zügen.

»Wenn ich Ihnen einen Sixpence-Stück gäbe, würden Sie es vertrinken.«

Barraclough hob die flachen Hände und die Augen in die Höhe und zeigte in dieser Stellung eine wahrhaft komische Heuchelei.

»Sie sind ein sauberer Bursche!« sagte Moore ganz ruhig und trocken. »Sie scheuen sich nicht, mich sehen zu lassen, dass Sie ein doppelt gefärbter Heuchler sind, dass Ihr Handel Betrug ist. Sie rechnen wahrscheinlich damit, dass ich über die Geschicklichkeit, mit welcher Sie Ihre hässliche, possenhafte Rolle spielen, lachen muss, während Sie zugleich glauben, die Männer hinter Ihnen zu betrügen.«

Moses Gesicht wurde finsterer. Er sah, dass er zu weit gegangen war. Eben wollte er antworten, als der zweite Anführer, unzufrieden damit, dass er sich im Hintergrund halten musste, vortrat. Dieser Mann sah nicht aus wie ein Verräter, obwohl er eine außerordentlich selbstzufriedene und verschmitzte Miene hatte.

»Mr. Moore«, begann er, zugleich durch Mund und Nase sprechend und jedes Wort in die Länge ziehend, als wolle er seinen Zuhörern Zeit lassen, die ungewöhnliche Eleganz seiner Wortfügungen vollkommen zu würdigen, »man könnte vielleicht mit Recht sagen, dass unser Geschäft mehr Vernunfts- als Friedenssache sei. Wir kommen zuerst, Sie zu ersuchen, Vernunft anzunehmen, und sollten Sie das verweigern, ist es meine Pflicht, Sie auf sehr entschiedene Art zu warnen, dass wir einen Rezess anstrengen werden« (er meinte Regress) »der wahrscheinlich damit enden wird, Sie zur Erkenntnis der Unklugheit und Dummheit zu bringen, die Ihr Benehmen als Handelsmann in diesem Fabrikdistrikt zu leiten und zu führen scheinen. Hm! … Sir, ich wollte mir vergönnen, darauf anzuspielen, dass Sie, als ein Fremder, der von einer entfernten Küste herkommt, aus einer anderen Hemisphäre und Abteilung dieses Globus, der als einer, der an diese Ufer – die Klippen Albions – vollständig ausgesetzt worden ist, nicht das Verständnis der Kreuz- und Querwege haben kann, die zu der Wohlfahrt der arbeitenden Klassen führen. Wenn Sie daher, um auf das Spezielle zu kommen, diese Fabrik hier aufgeben und ohne weitere Ansprüche gutwillig des Weges wieder nach Hause gehen wollten, von woher Sie gekommen, würde das sehr gut für Sie sein. Ich wüsste nichts, was einem solchen Plan entgegenstünde. Was habt ihr anderen dazu zu sagen?« Und damit wandte er sich an die übrigen Mitglieder der Deputation, welche einstimmig antworteten: »Hört ihn, hört ihn!«

»Bravo, Noah o’Tim’s!« murmelte Joe Scott, der hinter Mr. Moore stand.

»Moses kann so etwas nie vorbringen – Klippen Albions und andere Hemisphäre! Alle Wetter! Kommen Sie denn vom Südpol her, Meister? Moses ist ausgestochen!«

Moses wollte sich jedoch nicht ausstechen lassen. Er dachte, er wolle es erneut versuchen. Nachdem er also einen etwas ironischen Blick auf Noah o’Tim’s geworfen hatte, begann er nun seinerseits und sprach in einem ernsthaften Ton, die Sarkasmen, auf die er nicht hatte antworten können, beiseite lassend.

»Ehe Sie Ihr Zelt unter uns aufstellten, Mr. Moore, lebten wir in Frieden und Ruhe, ja, ich darf sagen in liebevoller Freundlichkeit. Ich bin noch kein alter Mann, aber ich kann mich wohl zwanzig Jahre zurückerinnern, als man Handarbeit noch ermutigte und ehrte, und kein Elendbringer es gewagt hätte, diese Maschinen, die für uns so nachteilig sind, hier einzuführen. Nun bin ich zwar selbst kein Tuchweber, sondern meinem Geschäft nach ein Schneider, aber ich habe ein weiches Herz. Ich bin ein sehr empfindsamer Mensch und wenn ich meine Brüder unterdrückt sehe, stehe ich, gleich meinem großen ehemaligen Namensvetter, für sie auf. In dieser Absicht spreche ich jetzt Auge in Auge mit Ihnen und warne Sie, Ihre höllischen Maschinen aufzugeben und mehr Hände anzunehmen.«

»Und wenn ich Ihrem Rat nicht folge, Mr. Barraclough?«

»So verzeihe es Ihnen der Herr! Der Herr mache Ihr Herz weich, Sir!«

»Stehen Sie jetzt in Verbindung mit den Wesleyanern, Mr. Barraclough?«

»Gott sei gepriesen! Gesegnet sei sein Name! Ich bin ein verbundener Methodist.«

»Was Sie durchaus nicht hindert, zugleich ein Trunkenbold und Schwindler zu sein. Ich sah Sie in einer Nacht vor etwa einer Woche betrunken am Weg liegen, als ich vom Markt in Stilbro’ zurückkam, und während Sie Frieden predigen, machen Sie es sich zu Ihrem Lebenswerk, Zwietracht zu säen. Sie haben ebenso wenig Mitgefühl für die bedrängten Armen, wie Sie Anteil an mir nehmen. Sie stacheln sie zu Beleidigungen wegen ihrer eigenen schlechten Unternehmungen auf und dasselbe tut auch der Mann, der sich Noah o’Tim’s nennt. Ihr beide seid unruhige, vorlaute, unverschämte Schufte, deren Haupttriebfeder ein selbstsüchtiger, ebenso gefährlicher wie kindischer Ehrgeiz ist. Die Leute hinter euch sind zum Teil redliche, obgleich missgeleitete Männer, aber ihr taugt alle beide nichts.«

Barraclough wollte sprechen.

»Still! Sie haben gesprochen und jetzt will ich es tun. Mir etwas von euch, oder irgendeinem Jack, James oder Jonathan auf der Welt vorschreiben zu lassen, werde ich keinen Augenblick zulassen. Ihr verlangt, dass ich diese Gegend verlassen soll, ihr ersucht mich, mich mit meiner Maschinerie fortzubegeben, und wenn ich das abschlage, droht ihr mir. Ich schlage es aber ab, geradezu ab! Hier bin ich, und bei dieser Fabrik stehe ich, und in diese Fabrik will ich die besten Maschinen bringen, die nur erfunden werden können. Was wollt ihr dagegen tun? Das Äußerste, was ihr tun könnt – und das wagt ihr nicht zu tun – ist dies, meine Fabrik niederzubrennen, ihren Inhalt zu zerstören und mich totzuschießen. Was dann? Angenommen, dass diese Fabrik zur Ruine wird und ich zur Leiche, was dann? Würde das die Erfindungen aufhalten oder die Wissenschaft erschöpfen? Nicht für eine Sekunde! Eine andere und bessere Tuchfabrik würde aus den Trümmern dieser entstehen und an meine Stelle ein vielleicht noch unternehmerischer Besitzer kommen. Hört mich! Ich werde mein Tuch machen, wie es mir beliebt, und nach den besten Kenntnissen, die ich besitze. Bei dieser Fabrik will ich alle Mittel anwenden, die ich nur vermag. Wer aber, nachdem er dies gehört hat, es wagen will, sich mit mir anzulegen, mag die Folgen davon selbst auf sich nehmen. Ein Beispiel soll euch beweisen, das dies mein Ernst ist.«

Hier pfiff er laut und scharf. Sugden trat mit seinem Stab und dem Verhaftungsbefehl in der Hand aus dem Haus.

Moore wandte sich heftig an Barraclough. »Sie waren in Stilbro’«, sagte er. »Ich habe Beweise dafür.

Sie waren im Moor – Sie trugen eine Maske. Sie schlugen einen meiner Leute mit eigener Hand zu Boden – Sie! – ein Prediger des Evangeliums! Sugden, verhaften Sie ihn!«

Moses wurde ergriffen. Es entstand ein Geschrei und Gerangel, ihn frei zu machen, aber die rechte Hand Moores, die derselbe während dieser ganzen Zeit versteckt an seiner Brust verborgen hatte, wurde jetzt sichtbar und hielt ein Pistole.

»Beide Läufe sind geladen«, sagte er. »Ich bin fest entschlossen. Schafft ihn fort!«

Rückwärts tretend, den Feind im Auge behaltend, geleitete er seine Beute Schritt für Schritt bis ans Kontor. Hier befahl er Joe Scott, mit Sugden und dem Gefangenen einzutreten und die Tür von innen zu verschließen. Er selbst ging er längs an der Vorderseite der Fabrik hin und her, blickte nachdenklich zur Erde und ließ seine Hand nachlässig an der Seite herabsinken, jedoch stets mit der Pistole in derselben. Die übrigen elf Deputierten beobachteten ihn eine Zeitlang und sprachen leise miteinander. Endlich näherte sich ihm einer. Dieser sah völlig anders als die beiden aus, die zuvor gesprochen hatten. Er war nicht schön, aber bescheiden und entschlossen aussehend.

»Ich habe nicht viel Vertrauen zu Moses Barraclough«, sagte er, »und ich möchte ein Wörtchen mit Ihnen selbst sprechen, Mr. Moore. Ich meinerseits bin nicht aus bösem Willen hier, sondern absichtlich, um die Sache auszugleichen, da sie so verfahren ist. Sie sehen, dass wir sehr übel dran sind – sehr übel. Unsere Familien sind arm und elend. Wir sind außer Arbeit gekommen durch diese Maschinen und haben nichts zu tun, können nichts verdienen. Was sollen wir nun anfangen? Sollen wir schweigen und uns hinlegen und sterben? Nein! Ich kann nicht viele Worte machen, Mr. Moore, aber ich fühle, dass ein vernünftiger Mann nicht des Hungers sterben sollte wie unvernünftiges Vieh. Das soll nicht geschehen. Ich bin nicht fürs Blutvergießen, ich möchte weder jemanden umbringen, noch schädigen und bin nicht für das Fabrikverbrennen und Maschinenzerstören, denn wie Sie selbst sagen, sind das durchaus keine Mittel, Erfindungen aufzuhalten. Aber sprechen will ich – ich will so laut sprechen, wie ich nur kann. Erfindungen mögen recht sein, aber ich weiß, dass es nicht recht ist, arme Leute vor Hunger sterben zu lassen. Darum muss die Regierung Mittel und Wege finden, uns zu helfen und muss deshalb neue Gesetze machen. Sie werden sagen, dass das nicht so leicht sei – aber umso lauter müssen wir danach schreien und lärmen, denn umso rascher wird dann das Parlament uns gehörige Arbeit verschaffen.«

»Quält das Parlament, so viel ihr nur wollt«, antwortete Moore, »aber die Fabrikbesitzer zu quälen, ist töricht. Und wenigstens ich dulde es nicht.«

»Sie sind ein sehr harter Mann!« versetzte der Arbeiter. »Wollen Sie uns denn nicht ein bisschen Zeit verschaffen? Wollen Sie uns denn nicht zugestehen, Ihre Vorkehrungen etwas langsamer zu machen?«

»Bin ich denn die Gesamtheit aller Tuchmacher in Yorkshire? Antwortet!«

»Sie sind Sie selbst.«

»Und einzig ich selbst. Und wenn ich unterwegs einen Augenblick stehen bliebe, während die anderen vorwärts gehen, würde ich dann nicht von ihnen zu Boden getreten werden? Täte ich was ihr wünscht, wäre ich in einem Monat bankrott, und könnte mein Bankrott euren hungernden Kindern Brot in den Mund stecken? William Farren, ich werde mich weder euren, noch jemandes anderen Vorschriften unterwerfen. Sprecht mit mir nicht weiter über Maschinen. Ich werde meinen eigenen Weg gehen. Bis morgen werde ich neue Maschinen haben. Zerstört ihr diese, werde ich wieder andere haben. Nie werde ich nachgeben.«

Hier schlug die Fabrikglocke zwölf. Es war die Zeit zum Mittagsessen. Moore wandte sich plötzlich von der Deputation ab, und ging ins Kontorhaus.

Seine letzten Worte hatten einen harten, unangenehmen Eindruck hinterlassen. Er hatte nicht alles getan, was in seinen Kräften gestanden hatte. Hätte er freundlich mit William Farren gesprochen, der ein sehr ehrlicher Mann, ohne Neid oder Hass gegen begünstigtere als er selbst es war, der es nicht für Härte oder Ungerechtigkeit hielt, dass er von seiner Hände Arbeit leben musste, und sich geneigt fühlte, zufrieden zu sein, wenn er nur Arbeit bekam, hätte Moore sich einen Freund erworben. Es schien sonderbar, dass er sich von solch einem Mann ohne versöhnliche oder teilnehmende Worte abwenden konnte. Des armen Mannes Gesicht sah hager aus vor Mangel, er hatte das Aussehen eines Menschen, der nie gewusst hatte, was es heiße, wochenlang in Fülle und Wohlergehen zu leben, vielleicht monatelang, und doch lag keine Wildheit, keine Bosheit in seinen Zügen. Sie waren verlebt, gedrückt, finster, aber geduldig. Wie konnte Moore ihn so und mit den Worten: »Ich werde nie nachgeben«, verlassen, und keinen Laut guten Willens oder der Hoffnung oder der Hilfe hinzufügen?

Diese Frage stellte sich Farren, als er nach Hause in seine Hütte kam – einst in besseren Zeiten ein reinlicher, anständiger, angenehmer Wohnort. Jetzt aber, obgleich immer noch reinlich, sehr traurig, weil sehr ärmlich. Er folgerte daraus, dass der fremde Fabrikbesitzer ein selbstsüchtiger, gefühlloser und, wie er glaubte, auch ein törichter Mann sei. Ihm schien es, dass Auswanderung, wenn er nur die Mittel dazu hätte, dem Dienst eines solchen Herrn vorzuziehen sei. Er war sehr niedergeschlagen – fast hoffnungslos.

Bei seinem Eintreten tischte seine Frau sehr ordentlich das Bisschen an Mittagsessen auf, das sie ihm und den Kindern geben konnte. Es bestand bloß aus Suppe, und davon noch zu wenig. Einige der kleineren Kinder verlangten, als sie ihre Portion gegessen hatten, noch mehr – eine Bitte, die William sehr betrübte. Während seine Frau sie beruhigte so gut sie konnte, stand er von seinem Stuhl auf und ging an die Tür. Er pfiff ein lustiges Lied, was aber doch nicht verhinderte, dass sich ein oder zwei dicke Tropfen in den Winkeln seiner grauen Augen sammelten, und von da auf die Hausschwelle fielen, Tränen, viel eher den ›ersten eines Gewitterschauers‹ ähnlich, als denen, welche von den Augenlidern des verwundeten Fechters herabsanken. Er trocknete sein Gesicht mit dem Ärmel ab, und als die empfindsame Stimmung vorüber war, folgte eine sehr finstere.

Noch stand er so im Stillen brütend da, als ein schwarzgekleideter Herr des Weges kam. Ein Geistlicher, wie man gleich sah, aber weder Helstone noch Malone, noch Donne oder Sweeting. Er mochte etwa vierzig Jahre alt sein. Er sah schlicht aus, war von dunkler Gesichtsfarbe, und hatte fast schon graues Haar. Er hielt ein wenig im Gehen inne. Sein Gesicht zeigte, als er daher kam, eine nachdenkliche und beinahe schmerzliche Miene, als er jedoch näher an Farren herantrat, blickte er auf, und dann belebte ein herzlicher Ausdruck seine ernsten, nachdenklichen Züge.

»Sie sind es, William? Wie geht es Ihnen?« fragte er.

»Mittelmäßig, Mr. Hall, und wie Ihnen? Wollen Sie nicht hereinkommen und ein wenig ausruhen?«

Mr. Hall, dessen Name der Leser schon vorher erwähnt fand (und der allerdings Vikar in Nunnely war, in welchem Kirchspiel Farren geboren war, und von wo er vor drei Jahren nach Briarfield gezogen war, um Hollow’s Mill, wo er Arbeit erhalten hatte, näher zu sein) ging in die Hütte, grüßte die Frau und die Kinder und setzte sich. Er begann dann freundlich über die lange Zeit zu sprechen, seit er die Familie beim Wegzug aus seinem Kirchspiel nicht mehr gesehen hatte, und was ihr seitdem geschehen war. Er beantwortete die Fragen nach seiner Schwester Margaret, nach der man sich sehr teilnahmsvoll erkundigte, und endlich, nachdem er sich flüchtig und betrübt durch seine Brille (er trug sie, weil er kurzsichtig war) in der leeren Stube umgesehen hatte, und die mageren und bleichen Gesichter um sich her erblickt hatte – denn die Kinder hatten sich an seine Knie gedrängt, und Vater und Mutter standen vor ihm –, fragte er plötzlich: »Und wie geht es euch allen? Was triebt ihr?«

Mr. Hall war zwar, wie hier bemerkt wird, ein tüchtiger Gelehrter, sprach aber nicht allein mit starkem, nördlichen Akzent, sondern bediente sich bei Gelegenheit auch ohne Scheu nördlicher Ausdrücke der Landleute.

»Armut, Armut!« sagte William. »Wir sind alle arbeitslos. Ich habe fast meinen ganzen Hausrat verkauft, wie Sie sehen können, und was wir weiter anfangen werden, das weiß Gott.«

»Hat Mr. Moore euch fortgeschickt?«

»Er hat uns fortgeschickt, und ich kenne ihn jetzt so durch und durch, dass ich glaube, wenn er mich morgen wieder haben wollte, ich würde nicht für ihn arbeiten.«

»Ei, ei, William, das sollten Sie nicht sagen!«

»Ich weiß es, dass das nicht sein sollte, aber ich bin mit mir selbst uneins. Ich fühle mich ganz verändert. Ich würde mir gar nichts daraus machen, wenn nur Weib und Kinder genug zu leben hätten – aber sie gequält, gepeinigt zu sehen –«

»Ja, ja, mein lieber Mann, und Sie auch, Sie auch dazu. Oh, es sind schwere Zeiten. Ich sehe Not und Elend, wohin ich nur komme. William, setzen Sie sich. Grace, setzen Sie sich, wir wollen uns miteinander besprechen.«

Und um dies besser zu können, nahm Mr. Hall das kleinste Kind auf das Knie, und legte die Hand auf den Kopf des kleineren, als aber der kleine Kerl anfangen wollte zu plappern, sagte er »Pst!« zu ihm, und als er die Augen auf den Ofen richtete, sah er die Handvoll Asche, die dort halb verloschen glimmte.

»Traurige Zeiten«, sagte er, »und solange! Es ist Gottes Wille! Sein Wille geschehe! Aber er prüft uns sehr.«

Dann dachte er wieder nach.

Sie haben kein Geld, William, und Sie können nichts verkaufen, um eine kleine Summe aufzutreiben?«

»Nein. Ich habe den Kleiderschrank verkauft, und die Uhr, und das kleine Mahagonigestell, und das gute Teegeschirr meiner Frau und was sie sonst mitgebracht hat, als wir uns verheirateten.«

»Und wenn jemand Ihnen ein oder zwei Pfund borgte, könnten Sie sich damit helfen? Könnten Sie dadurch auf den Weg gebracht werden, wieder etwas anzufangen?«

Farren antwortete nicht, aber seine Frau sagte schnell: »Ei, das könnte er wohl, Sir. Er ist ein sehr findiger Kopf, unser William. Wenn er zwei bis drei Pfund besäße, könnte er einen kleinen Handel anfangen.«

»Könnten Sie das, William?«

»Mit Gottes Hilfe«, antwortete William nachdenklich.

»Ich könnte Materialwaren kaufen, und Band und Zwirn, und was ich sonst in der Art dächte, und damit zu Anfang hausieren gehen.«

»Und Sie wissen, Sir«, fiel Grace ein, »das William weder trinken, noch müßig gehen, noch sonst etwas verschwenden würde. Er ist mein Mann, und ich sollte ihn nicht loben, aber ich muss sagen, dass es in ganz England keinen mäßigeren und rechteren Mann gibt als ihn.«

»Gut also: Ich will mit ein paar Freunden reden, und ich glaube, ihm in ein bis zwei Tagen fünf Pfund versprechen zu können. Als ein Darlehen nämlich, nicht als ein Geschenk. – Zurückzahlen muss er es wieder.«

»Ich verstehe Sie, Sir. Ich bin Ihnen herzlichst dafür dankbar.«

»Da sind unterdessen ein paar Schillinge für Sie, Grace, nur um den Topf auf dem Feuer zu halten, bis weiteres kommt. Und nun, Kinder, stellt euch in eine Reihe, und sagt mir euren Katechismus her, während eure Mutter etwas zu Essen kauft, denn ich bin überzeugt, dass ihr heute zu Mittag sehr gehungert habt. Ben, fang du an. Wie heißt du also?«

Mr. Hall blieb bis Grace zurückkam, dann nahm er eilig Abschied, und drückte Farren und seiner Frau die Hand. Noch an der Tür sagte er ihnen wenige, aber ernste Worte frommen Trostes und frommer Ermahnung. So schieden sie mit gegenseitigem: »Segne Sie Gott, Herr! Gott segne euch, meine Freunde!«

Shirley (Deutsche Ausgabe)

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