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VII – Die Hilfsgeistlichen beim Tee

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Caroline Helstone war gerade achtzehn Jahre alt, und mit achtzehn Jahren soll jetzt ihre wahre Lebensgeschichte beginnen. Zuvor sitzen wir da und lauschen einem Märchen, einer wunderbaren Dichtung, manchmal erfreulich, manchmal traurig, fast immer unwirklich. Zu dieser Zeit ist unsere Welt heroisch, ihre Einwohner Halbgötter oder Halbteufel, ihre Szenen sind Traumszenen. Finsterere Wälder und seltsamere Berge, hellerer Himmel und gefahrvollere Gewässer, süßere Brunnen und verführerischere Früchte, größere Ebenen und traurigere Wüsten, sonnigere Felder, als sie je in der Natur gefunden werden, bedecken unseren bezaubernden Erdball. Was für ein Mond, zu dem wir in dieser Zeit aufblicken! Wie hoch unsere Herzen bei seinem Anblick für dessen unaussprechliche Schönheit schlagen! Was aber die Sonne betrifft, so ist sie ein brennender Himmel – eine Götterwelt.

Zu dieser Zeit – mit achtzehn Jahren, leben wir nahe an den Grenzen des Täuschenden und der leeren Träume. Hinter uns liegt das Elfenland, vor uns steigen die Küsten der Wirklichkeit auf. Noch sind diese Küsten entfernt. Sie sehen so blau, so sanft, so lieblich aus, und wir sehnen uns danach, sie zu erreichen. Im Sonnenlicht sehen wir unter dem Azur eine grüne Fläche, wie eine Frühlingswiese. Wir erhaschen Lichtblicke silberner Linien und glauben das Plätschern von Wasserfällen zu hören. Könnten wir dieses Land nur erreichen, so wäre an Hunger und Durst nicht mehr zu denken, da ja viele Wüsten und oft der Strom des Todes oder Ströme der Sorgen, so kalt und schwarz wie der Tod, durchwandert werden müssen, ehe wahre Glückseligkeit erreicht werden kann. Jede Freude, die das Leben gibt, muss geerntet werden, ehe sie gesichert ist, und wie sauer die Ernte ist, weiß nur der, der nach hohen Preisen gerungen hat. Das Herzblut muss mit roten Tropfen die Stirn des Streiters schmücken, ehe der Kranz des Sieges darüber rauscht.

Mit achtzehn Jahren verstehen wir das nicht. Der Hoffnung wird, wenn sie uns zulächelt und für morgen Glückseligkeit verspricht, unbedingt geglaubt. Liebe, wenn sie wie ein verlorener Engel an unsere Tür tritt, wird sogleich eingelassen, willkommen geheißen, umarmt, ihren Köcher sieht man nicht, dringt ihr Pfeil ein, ist die Wunde gleich dem Zucken eines neuen Lebens, keine Furcht vor Gift erwacht, keine vor den Widerhaken, die keines Arztes Hand herausziehen kann, diese gefährliche Leidenschaft – stets ein Todeskampf in mancher ihrer Phasen, bei manchen ein immerwährender – wird für ein unberechenbares Gut gehalten, kurz, mit achtzehn Jahren tritt man erst in die Schule der Erfahrung ein, und ihre demütigenden, zermalmenden, quälenden, aber auch reinigenden und kräftigenden Lehren müssen erst gelernt werden. Ach, Erfahrung! Kein anderer Lehrmeister hat ein so finsteres und frostiges Gesicht wie du! Keiner führt eine so schwere Rute, keiner trägt ein so schwarzes Gewand, keiner treibt mit so unerbittlicher Hand den Zögling so streng zu seiner Aufgabe und zwingt ihn mit unwiderstehlicher Autorität zu deren Vollendung. Nur durch deine Lehre allein können Mann und Frau den richtigen Pfad durch die Wüsten des Lebens finden; ohne ihn straucheln sie und verirren sich! Sie geraten auf verbotene Wege, sie stürzen in schreckliche Abgründe!

Nachdem Caroline von Robert nach Hause begleitet worden war, wünschte sie nicht, den übrigen Teil des Abends mit ihrem Onkel zu verbringen. Das Zimmer, in dem er saß, war geweihter Boden für sie. Nur selten trat sie in dasselbe und auch heute hielt sie sich fern, bis die Gebetsglocke ertönte. Ein Teil des kirchlichen Abendgottesdienstes wurde in Mr. Helstones Haus gehalten. Er las mit seinem gewöhnlichen Nasal-Ton deutlich, laut und monoton. Als dies vorüber war, trat seine Nichte, wie gewöhnlich, zu ihm.

»Guten Abend, Onkel!«

»Ei! Du bist ja den ganzen Tag außer Haus gewesen, hast Besuche gemacht, außerhalb gegessen und was noch alles!«

»Bloß in Hollow’s Cottage.«

»Und hast du deine Lektionen gelernt?«

»Ja.«

»Und ein Hemd genäht?«

»Nur einen Teil davon.«

»Gut, so ist es recht! – Halte dich nur immer an die Nadel – lerne Hemden und Röcke zu machen und Pasteten zu backen, und du wirst einmal eine tüchtige Hausfrau werden. Jetzt geh zu Bett. Ich bin hier mit einer Flugschrift beschäftigt.«

*

Nun finden wir die Nichte in ihrer kleinen Kammer. Die Tür ist geschlossen, ihr weißes Nachtkleid angezogen, das lange Haar gelöst und dick, sanft und wallend über ihren Rücken fallend, und als sie, von der Mühe es auszukämmen ausruhend, die Wange in die Hand stützte und ihre Augen auf den Teppich richtete, stiegen die Traumbilder, die man mit achtzehn Jahren sieht, vor ihr auf.

Ihre Gedanken sprachen mit ihr, sprachen angenehm, wie es schien, denn sie lächelte, als sie ihnen lauschte. So nachdenklich war sie reizend, aber etwas noch Glänzenderes als sie befand sich in diesem Gemach – der Geist jugendlicher Hoffnung. Bei diesem schmeichelnden Propheten kannte sie keinen Kummer mehr, fühlte keine Kälte: Sie war in die Morgendämmerung eines Sommertages getreten, keine falsche Dämmerung, sondern der wahre Lenz des Morgens – und ihre Sonne sollte schnell aufgehen. Es war unmöglich für sie, jetzt den Verdacht zu hegen, einer Täuschung aufgesessen zu sein. Ihre Erwartungen schienen sicher, der Grund, auf dem sie beruhten, fest.

»Wenn Leute lieben, dann ist der nächste Schritt, einander zu heiraten«, war ihr Argument. »Nun liebe ich Robert, und fühle mit Gewissheit, dass Robert mich liebt. Ich habe es so oft zuvor gedacht, doch jetzt fühle ich es. Als ich ihn anblickte, nachdem ich Cheniers Gedicht vorgetragen hatte, sandten seine Augen – und was für schöne Augen er hat! – die Wahrheit in mein Herz. Oft fürchtete ich mich, mit ihm zu sprechen, dass er mich für zu dreist, zu voreilig halten könnte, denn ich habe meine überströmenden, überflüssigen Worte oft bitter bedauert und gefürchtet, ich hätte mehr gesagt, als er von mir erwartet hatte, und dass er dies missbilligen werde, da er mich für indiskret halten könne. Jetzt aber, heute Abend, hätte ich es wagen können alle meine Gedanken auszusprechen, da er so nachsichtig gegen mich war. Wie gut er war, als wir übers Feld gingen! Er schmeichelt nicht oder sagt alberne Dinge; sein Liebhaben (ich meine seine Freundschaft, denn meinen Liebhaber kann ich ihn jetzt doch noch nicht nennen, obgleich ich hoffe, dass er es eines Tages sein wird) ist nicht so wie das, was man in Büchern liest – es ist weit besser – originell, ruhig, männlich, aufrichtig. Ich habe ihn gern, ich würde ein vortreffliches Weib für ihn sein, wenn er mich heiratete; ich würde ihm seine Fehler nennen (denn er hat deren einige), aber auch für seine Bequemlichkeit sorgen und ihn lieben und mein Möglichstes tun, ihn glücklich zu machen. Nun, ich bin gewiss, dass er morgen nicht kalt sein wird; ich fühle die innere Überzeugung, dass er morgen Abend entweder hierher kommt oder mich bittet, zu ihm zu kommen.«

Sie begann erneut ihr Haar, so lang wie das einer Meerjungfrau, zu kämmen, und als sie den Kopf wandte, um es zu ordnen, sah sie ihr eigenes Gesicht und ihre Gestalt im Spiegel. Solche Betrachtungen sind für gewöhnliche Leute ernüchternd. Ihre eigenen Augen sind nicht von dem Bild bezaubert, und folglich sind sie überzeugt, dass es auch für die Augen der anderen reizlos ist. Doch natürlich muss ein schönes Mädchen andere Schlüsse ziehen, ihr Gemälde ist reizend und muss reizen. Caroline sah eine Form, einen Kopf, die in dieser Stellung und mit diesem Ausdruck daguerreotypiert19, lieblich sein mussten. Es war ihr unmöglich, aus diesem Anblick nicht eine Bestätigung ihrer Hoffnungen abzuleiten. So suchte sie denn in unvermindert guter Stimmung ihr Lager auf.

Und in unvermindert guter Stimmung stand sie am nächsten Tag wieder auf und trat in ihres Onkels Frühstückszimmer und wünschte ihm mit sanfter Freundlichkeit einen guten Morgen, sodass dieser kleine eiserne Mann einen Augenblick lang dachte, seine Nichte sei doch ein ›recht hübsches Mädchen‹ geworden. Gewöhnlich war sie still und schüchtern bei ihm, sehr gelehrig, aber nicht mitteilsam. An diesem Morgen jedoch fand sie manches zu besprechen. Es konnten jedoch nur seichte Themen zwischen ihnen angesprochen werden, denn mit einer Frau – einem Mädchen – würde Mr. Helstone keine anderen berührt haben. Sie war früh im Garten gewesen und berichtete ihm, welche Blumen dort schon hervorzusprießen begönnen, fragte, wann der Gärtner kommen und die Hecken stutzen werde, teilte ihm mit, dass gewisse Stare schon ihre Nester im Kirchturm (die Kirche in Briarfield lag nahe an der Pfarrei) zu bauen anfingen, und wunderte sich, dass die Glocken im Turm sie nicht verscheuchten.

Mr. Helstone meinte, »dass sie wie andere Narren wären, die sich auch eben gepaart hätten, ohne zu bedenken, wie unpassend das gerade jetzt sei.« Caroline, die vielleicht durch ihre augenblickliche muntere Laune etwas zu mutig geworden war, riskierte nun auf eine auf nie zuvor gewagte Art eine Erwiderung auf die Bemerkung ihres verehrten Verwandten.

»Onkel!« sagte sie, »So oft Sie vom Heiraten sprechen, sprechen Sie auch mit Verachtung davon. Meinen Sie denn, die Leute sollten gar nicht heiraten?«

»Offenbar ist es das Gescheiteste, ledig zu bleiben, besonders für Frauenzimmer.«

»Sind denn alle Ehen unglücklich?«

»Millionen Ehen sind unglücklich, wenn sich jedermann die Wahrheit eingestehen wollte, sind vielleicht alle mehr oder weniger so.«

»Sie sind stets verdrießlich, wenn Sie ein Paar trauen müssen – warum denn?«

»Weil niemand gerne als ein Mittel zu der Ausführung eines Werkes offenbarer Dummheit dient.«

Mr. Helstone sprach sehr gern so; er schätzte diese Gelegenheit, seiner Nichte über diesen Punkt etwas von seinen Gesinnungen mitzuteilen. Durch die Straflosigkeit, welche bis dahin ihren Fragen zuteil geworden war, ermutigt, ging sie ein wenig weiter:

»Aber warum sollte es denn bloße Dummheit sein? Wenn zwei Leute einander gefallen, warum sollten sie denn nicht miteinander leben wollen?«

»Sie werden einander überdrüssig – im ersten Monat schon. Ein Mitgenosse im Joch ist kein Gefährte – sie oder er werden zu gemeinsamen Duldern im Joch.«

Es war keineswegs naive Einfalt, die Caroline die folgende Bemerkung eingab, es war das Gefühl der Abneigung gegen solche Ansichten und des Missfallens gegen den, der sie hegte.

»Man sollte glauben, Sie wären nie verheiratet gewesen, man sollte Sie für einen alten Hagestolz halten.«

»Praktisch bin ich es auch.«

»Aber Sie waren doch verheiratet. Warum waren Sie so unstandhaft, dies zu tun?«

»Jedermann ist ein- oder zweimal in seinem Leben verrückt.«

»So verleideten Sie meiner Tante das Leben und meine Tante Ihnen, und Sie waren beide unglücklich?«

Mr. Helstone zog seine zynische Unterlippe vor, runzelte seine braune Stirn und stieß ein unartikuliertes Brummen aus.

»Passte sie nicht zu Ihnen? Hatte sie keinen freundlichen Charakter? Gewöhnten Sie sich nicht an sie? Betrübte es Sie nicht, als sie starb?«

»Caroline«, sagte Mr. Helstone, indem er seine Hand langsam bis auf einen bis zwei Zoll vom Tisch herabsinken ließ und damit dann plötzlich auf das Mahagoni schlug, »verstehe mich recht. Es ist gemein und kindisch, Allgemeines mit Speziellem zu vermengen. In jeder Sache gibt es eine Regel, und dann auch wieder Ausnahmen. Deine Fragen sind albern und kindisch. Läute die Glocke, wenn du mit dem Frühstück fertig bist.«

Das Frühstück wurde weggenommen, und als dies geschehen war, war es der allgemeine Brauch des Onkels und der Nichte, sich zu trennen und erst beim Mittagsessen wieder zusammenzukommen. Heute aber ging die Nichte, statt das Zimmer zu verlassen, zu dem Sessel am Fenster und ließ sich dort nieder. Mr. Helstone sah sich zwei- bis dreimal unfreundlich um, als wünsche er sie fort, doch sie sah aus dem Fenster und tat so, als ob sie ihn nicht bemerke. So setzte er denn die Lektüre seiner Morgenzeitung fort – es war gerade eine sehr interessante, da eben neue Bewegungen auf der Halbinsel stattgefunden hatten, und sie enthielt einige Seiten jener langen Depeschen vom General Lord Wellington. Er wusste nicht, welche Gedanken seine Nichte beschäftigten, Gedanken, welche die Unterredung der letzten halben Stunde wiederbelebt, jedoch nicht erzeugt hatten. Es waren unruhige Gedanken, nun aufgestört wie Bienenschwärme, doch sie hatten sich bereits seit Jahren in ihrem Kopf eingenistet.

Sie ließ seinen Charakter, seine Neigungen, seine Ansichten über das Heiraten an sich vorüberziehen. Oft hatte sie dies schon getan und den Spalt zwischen ihrem Geist und dem seinen sondiert, und dann hatte sie wieder auf der anderen Seite des tiefen und breiten Abgrundes eine andere Gestalt stehen sehen und sah sie auch jetzt noch an der Seite ihres Onkels, von sonderbarem Ansehen, düster, finster, beinahe nicht von dieser Welt, das noch halb in der Erinnerung schwebende Bild ihres eigenen Vaters, James Helstone, Matthewson Helstones Bruder.

Gerüchte waren ihr zu Ohren gekommen über den Charakter dieses Vaters; alte Diener hatten Hinweise fallen lassen. Sie wusste, dass er kein guter Mann und nie freundlich gegen sie gewesen war. Sie besann sich – es war eine dunkle Erinnerung – dass sie einige Wochen lang mit ihm irgendwo in einer großen Stadt gewesen war, wo sie keine Magd gehabt hatte, um sie anzuziehen oder für sie zu sorgen, wo sie Tag und Nacht in einer hohen Dachstube eingeschlossen worden war, ohne Teppich, mit einem schlechten Bett, ohne Vorhänge und fast keinen anderen Möbeln. Von dort war er zeitig des Morgens ausgegangen und hatte oft vergessen, wiederzukommen und ihr das Mittags- und Abendessen zu geben. Wenn er jedoch des Nachts wiederkam, hatte er sich oft wie ein Wahnsinniger wütend und fürchterlich aufgeführt, oder – was noch schmerzlicher war – war er wie ein Blödsinniger verstandesschwach und gefühllos gewesen. Sie wusste, dass sie dort krank geworden war und dass in einer Nacht, als sie sehr leidend gewesen war, er wie rasend in das Zimmer gestürzt war und geschrien hatte, er werde sie umbringen, denn sie sei nur eine Last für ihn. Ihr Geschrei hatte jedoch Hilfe herbeigerufen, und sie war von diesem Augenblick an von ihm fortgenommen worden und hatte ihn nie wieder gesehen, außer als Leiche in seinem Sarg.

Dies war ihr Vater. Sie hatte auch eine Mutter, obgleich Mr. Helstone nie von dieser mit ihr sprach, obwohl sie sich nicht erinnern konnte, sie jemals gesehen zu haben, nur dass sie noch lebte wusste sie. Diese Mutter war also des Trunkenbolds Weib? Wie war ihre Ehe gewesen? Caroline wandte sich von der Öffnung, durch welche sie die Sperlinge beobachtet hatte (ohne sie jedoch zu sehen) und unterbrach mit leiser Stimme und in einem schmerzlichen Ton das Schweigen im Zimmer:

»Ich glaube, Sie betrachten die Ehe als unglücklich, nach dem was Sie bei meinem Vater und meiner Mutter sahen. Wenn meine Mutter das litt, was ich litt, als ich bei meinem Vater war, muss sie in der Tat ein schreckliches Schicksal gehabt haben.«

Mr. Helstone drehte sich bei diesen Worten in seinem Sessel um und blickte seine Nichte durch die Brille an. Er war hinterrücks angegriffen worden.

Ihr Vater und ihre Mutter! Was war ihr eingefallen, Vater und Mutter zu erwähnen, von denen er während der zwölf Jahre, die er mit ihr zusammenlebte, noch nicht mit ihr gesprochen hatte? Dass diese Gedanken aus ihr selbst entstanden, dass sie irgendeine Erinnerung oder Ahnung von ihren Eltern hätte, konnte er sich nicht vorstellen.

»Dein Vater und deine Mutter? Wer hat denn dir etwas von ihnen gesagt?«

»Niemand, aber ich erinnere mich in etwa wie Papa war und bedauere Mama. Wo ist sie denn?«

Dieses »Wo ist sie?« hatte bereits hundert Mal zuvor auf Carolines Lippen geschwebt, aber bis heute hatte sie es nie ausgesprochen.

»Ich weiß es nicht«, entgegnete Mr. Helstone. »Ich war sehr wenig mit ihr bekannt. Seit Jahren habe ich nichts von ihr gehört. Wo sie aber auch sein mag, sie denkt nicht an dich. Sie hat nie nach dir gefragt. Ich habe Grund, zu glauben, dass sie dich nicht zu sehen wünscht. Komm, es ist Zeit zur Schule. Gehst du denn nicht um zehn zu deiner Cousine? Es hat geschlagen.«

Vielleicht würde Caroline noch etwas gesagt haben, aber Fanny, die eben eintrat, meldete ihrem Herrn, dass ihn der Kirchenvorsteher in der Sakristei zu sprechen wünsche. Er eilte daher zu diesem und seine Nichte begab sich in das Cottage.

Der Weg zur Werkstatt in Hollow’s Mill ging abwärts, daher lief sie fast den ganzen Weg. Bewegung, frische Luft und der Gedanke, Robert zu sehen, wenigstens in seiner Nähe, seinem Gehöft zu sein, belebten ihren etwas gedrückten Geist schnell. Als sie das weiße Haus erblickte und nun die donnernde Mühle und ihren rauschenden Wasserguss hörte, war das erste, was sie sah, Moore an seiner Gartentür. Da stand er in seinem gegürteten holländischen Hemd, auf dem Kopf eine kleine Mütze, die ihm gut zu Gesicht stand. Er sah den Weg hinab, aber nicht in die Richtung, aus der seine Cousine kam. Sie blieb stehen, zog sich ein wenig hinter eine Weide zurück und betrachtete ihn genauer.

»Er hat nicht seinesgleichen«, dachte sie, »er ist ebenso gutaussehend wie klug. Welch eindringlichen Blick er hat! Welch reine Haut, welch geistreiche Züge! Hager und ernst, aber gutaussehend. Sein Gesicht gefällt mir. Er selbst gefällt mir so sehr, besser zum Beispiel als irgendeiner dieser ränkeschmiedenden Hilfsgeistlichen, besser als irgendjemand! Lieber, guter Robert!«

Eilig näherte sie sich dem ›lieben, guten Robert‹.

Was ihn betrifft, so glaube ich, er wäre, als sie in seinen Gesichtskreis kam, vor ihren Augen wie ein Phantom verschwunden, wäre ihm dies möglich gewesen; da er jedoch eine nicht zu übersehende Tatsache und keine Einbildung war, war er genötigt, den Gruß zu erwidern. Er machte es kurz, es geschah brüderlich, freundschaftlich, alles andere, nur nicht wie ein Liebender. Der unaussprechliche Zauber von gestern Abend hatte seinen Einfluss verloren. Er war nicht mehr derselbe Mensch, oder wenigstens schlug nicht mehr dasselbe Herz in seiner Brust. Harte Täuschung, bitteres Leiden! Anfangs wollte das feurige Mädchen nicht an diese Veränderung glauben, obwohl sie dieselbe sah und fühlte. Es war schwer, ihre Hand aus der seinen zu ziehen, bis sie nicht wenigstens etwas wie einen sanften Druck empfunden hatte. Es war schwer, ihre Augen von den seinen zu wenden, bis nicht seine Blicke etwas besseres und innigeres als ein kaltes ›Willkommen‹ ausgedrückt hatten.

Ein Liebender, der sich so enttäuscht sieht, kann sprechen und eine Erklärung verlangen, doch eine Liebende kann nichts sagen; täte sie es, würde der Erfolg Scham und Angst sein und innerlicher Vorwurf wegen Selbstverrat. Die Natur würde eine solche Kundgebung als einen Aufruhr gegen ihre Instinkte brandmarken und ihn später rächend durch den heimlich zerschmetternden Donnerkeil der Selbstverachtung vergelten. Die Sache zu nehmen, wie sie ist, nicht zu fragen, keine Einsprüche zu erheben, das ist das beste Verhalten. Du erwartest Brot und erhieltest einen Stein; brich dir nun die Zähne an diesem aus und schrei nicht auf, weil deine Nerven gefoltert werden, zweifle nicht daran, dass dein geistiger Magen – wenn du so etwas besitzt – stark wie der eines Straußes ist und den Stein verdauen wird. Du streckst die Hand aus nach einem Ei, und es wird dir ein Skorpion hineingelegt. Zeige keine Bestürzung, umschließe diese Gabe fest mit deinen Fingern, lass ihn deine Hand stechen. Sei ruhig, mit der Zeit, nachdem deine Hand und dein Arm angeschwollen sind und lange vor Qual und Schmerz gezittert haben, wird der zerquetschte Skorpion sterben und du wirst die große Lehre, ohne Seufzer zu erdulden, gelernt haben. Wenn du diese Probe überlebst – einige, wie man sagt, sterben an ihr – wirst du für die ganze übrige Zeit deines Lebens, stärker, weiser und weniger gefühlvoll werden. Du wirst es vielleicht nicht gleich bemerken und somit auch keinen Mut aus dieser Hoffnung schöpfen können, doch die Natur ist, wie gesagt, ein vortrefflicher Freund in solchen Fällen, die Lippen zusammenbeißen, die Klage unterdrücken, sich eine ruhige Verstellung vorschreiben, eine Verstellung, die anfangs oft eine unbefangene und heitere Miene trägt und mit der Zeit in Sorge und Blässe übergeht, dann aber vorüberzieht und einen angemessenen Stoizismus hinterlässt, der deshalb, weil er halb bitter, doch nicht weniger kräftigend ist.

Halb bitter! Ist das unrecht? Nein, er sollte bitter sein. Bitterkeit ist Stärke – sie ist ein stärkendes Heilmittel. Sanfte, milde Kraft, die auf heftiges Leiden folgt, findest du nirgends. Von ihr zu sprechen, ist Täuschung. Gefühllose Erschöpfung kann dieser Marter folgen, doch wenn noch Kraft zurückbleibt, wird es eine gefährlichere Kraft sein, ja eine tödliche, wenn sie der Ungerechtigkeit gegenübersteht.

Wer hat die »Ballade von der armen Mary Lee« gelesen? Jene alte schottische Ballade, wer weiß aus welchem Zeitalter und von welcher Hand geschrieben? Mary war schlecht behandelt worden, wahrscheinlich dadurch, dass man sie das für Treue hatte halten lassen, was Falschheit war. Sie beklagt sich nicht, sondern sitzt allein im Schneesturm und gehört ihren Gedanken. Es sind nicht die Gedanken einer mustergültigen Heldin ihrer Verhältnisse, doch es sind die eines feurigen, überaus wütenden Landmädchens. Angst hat sie aus dem vertrauten Winkel ihres Hauses getrieben auf die schneebedeckten, eisigen Hügel. Kauernd unter dem kalten Gestöber, ruft sie sich jedes Bild des Schreckens ins Gedächtnis – ›die gelbgefleckte Eidechse‹, ›die haarige Natter‹, ›den alten, mondanbellenden Hund‹, ›das Grausen um elf Uhr‹, ›den mordsüchtigen Räuber‹. Sie hasst diese alle, aber ›mehr hasst sie Robin-a-Ree!‹

»Ach, glücklich lebt’ ich sonst an jenem Bach,

In Liebe war die ganze Welt mit mir,

Doch jetzt sitz’ ich im Schneesturm, denke nach

Und fluch’, Robin-a-Ree, nun dir!

Drum blase wilder, brennend kalter Wind,

Und wirble auf den immer tieferen Schnee

Und hüll’ in ihn mich armes, armes Kind,

Dass ich die Sonne nicht mehr wiederseh’.

Oh schmelze nicht, du Decke, die zum Lohn

Mir eine Hülle mitleidsvoll verlieh,

Verbirg mich vor dem bitteren Spott und Hohn

Der Buben, schändlich wie Robin-a-Ree!«

Doch was wir auf den letzten Seiten gesagt haben, ist nicht das wahre Gefühl von Caroline Helstone oder der Stand der Verhältnisse zwischen ihr und Robert Moore. Robert hat ihr kein Unrecht zugefügt, er hat sie nicht belogen. Nur sie allein war zu tadeln, wenn irgendjemand zu tadeln war. Die Bitterkeit, die ihr Verstand schuf, sollte und konnte sich nur über ihr eigenes Haupt ergießen. Sie hat geliebt, ohne um Liebe gebeten zu werden – eine natürliche, oft eine unvermeidliche Angelegenheit, doch voller Unglück.

Robert hatte allerdings manchmal in sie verliebt zu sein geschienen – aber warum? Weil sie ihm zu gefallen suchte, konnte er doch nicht, trotz all ihrer Bemühungen, einen Zustand seines Gefühles zeigen wollen, den sein Verstand nicht billigte, sein eigener Wille nicht anstrebte. Er war aufs Bestimmteste entschlossen, alle vertraute Gemeinschaft mit ihr zu vermeiden, weil er weder seine Zuneigung für unlösbar gebunden wissen wollte, noch ungeachtet seiner Vernunftgründe, zu einer Heirat veranlasst werden wollte, die er für unklug hielt. Was war aber nun zu tun? – Sollte sie ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen, oder sie besiegen? Sollte sie diesen Lauf verfolgen, oder zu sich selbst zurückkehren? Ist sie schwach, wird sie Ersteres versuchen – seine Achtung verlieren und seine Abneigung gewinnen. Ist sie jedoch klug, wird sie sich selbst beherrschen und die gestörte Herrschaft ihrer Gefühle wieder zurückgewinnen und in die richtigen Bahnen lenken. Sie wird sich entschließen, fest auf das Leben zu blicken, wie es ist, dessen strenge Wahrheiten mit Ernst zu lernen und seine verwickelten Aufgaben näher und gewissenhaft zu studieren.

Es schien, als ob sie tatsächlich so klug wäre, denn sie verließ Robert ruhig, ohne Klage oder Frage, ohne die Miene zu verziehen oder eine Träne zu vergießen. Sie begab sich wie gewöhnlich zu ihren Studien bei Hortense und ging ohne Zögern zum Mittagsessen nach Hause.

Als dies vorüber war und sie im Salon der Pfarrei allein war, wo sie ihren Onkel bei seinem gemischten Glas Portwein gelassen hatte, war die Schwierigkeit, die sie überkam und in Verlegenheit setzte, folgende: ›Wie soll ich diesen Tag verbringen?‹

Gestern Abend hatte sie gehofft, der vergangene Tag werde sich wiederholen, dieser Abend würde auch im Glück und bei Robert verfliegen. Am heutigen Morgen hatte sie ihr Missverständnis erkannt und doch konnte sie damit nicht übereinstimmen, obgleich sie überzeugt war, dass kein Umstand eintreten werde, der sie nach Hollow’s Mill zurückrufen oder Moore wieder in ihre Gesellschaft bringen könne.

Er war sonst nach dem Tee mehr als einmal heraufgekommen, um mit ihrem Onkel eine Stunde zu verbringen; die Türglocke hatte geklingelt, man hatte seine Stimme im Gang in der Dämmerung gehört, gerade als sie am wenigsten ein solches Vergnügen erwartet hatte. Zweimal war dies geschehen, nachdem er sie mit besonderer Zurückhaltung behandelt hatte, und obwohl er nur selten in ihres Onkels Gegenwart mit ihr sprach, hatte er doch lange auf sie geblickt, als er während seines Dableibens ihrem Arbeitstisch gegenüber gesessen hatte. Die wenigen Worte, die er mit ihr gesprochen hatte, waren tröstlich, seine Art, ihr gute Nacht zu sagen, herzlich. Nun könnte er auch diesen Abend kommen, sagte die falsche Hoffnung. Sie wusste recht gut, dass es eine falsche Hoffnung war, die ihr dies zuflüsterte, aber sie hörte ihr dennoch zu.

Sie versuchte zu lesen – aber ihre Gedanken schweiften umher. Sie versuchte zu nähen – jeder Stich war Langeweile, diese Beschäftigung war völlig unerträglich. Sie öffnete ihren Schreibtisch und versuchte eine französische Aufgabe zu schreiben – sie schrieb nichts als Unsinn.

Plötzlich wurde die Türglocke heftig geläutet; ihr Herz klopfte, sie sprang auf, zu der Tür des Salons, öffnete sie leise und blickte durch die Öffnung. Fanny ließ einen Besucher herein – einen Herrn – einen langen Mann, gerade von Roberts Größe. Eine Sekunde lang glaubte sie, er sei es. Eine Sekunde lang jubelte sie. Aber die Stimme, die nach Mr. Helstone fragte, enttäuschte sie. Es war die Stimme eines Iren, folglich nicht Moores, sondern des Hilfsgeistlichen Malone. Er wurde ins Speisezimmer geführt, wo er ohne Zweifel eiligst dem Pfarrer die Flaschen leeren half.

Es war eine bemerkenswerte Sache, dass, wenn nur in ein Haus zu Briarfeld, Whinbury oder Nunnely ein Hilfsgeistlicher zum Frühstück, Mittagsessen oder Tee kam, auch sogleich ein zweiter folgte, ja sogar oft noch ein dritter.

Nicht als ob sie einander ein Stelldichein gegeben hätten, sie waren jedoch alle gewöhnlich zu gleicher Zeit unterwegs und wenn z. B. Donne Malone in seiner Wohnung aufsuchte und ihn nicht fand, fragte er, wohin dieser gegangen sei, und wenn er es von der Hausfrau erfuhr, eilte er sogleich hastig hinter ihm her. Derselbe Fall trat dann auf dieselbe Art mit Sweeting ein. So kam es, dass an diesem Nachmittag Carolines Ohren mit dem Ertönen der Glocke und der Ankunft unersehnter Gäste gequält wurden, denn auf Malone folgte Donne und auf diesen Sweeting und es musste mehr Wein aus dem Keller in das Speisezimmer gebracht werden (denn obgleich der alte Helstone den geringeren Geistlichen heftig schalt, wenn er ihn ›beim Zechen‹, wie er es nannte, in seiner eigenen Wohnung fand, war er doch stets gern bereit, ihn an seinem hierarchischen Tisch mit einem Glas vom Besten zu bewirten) und durch die geschlossenen Türen hörte Caroline ihr kindisches Gelächter und das leere Geschwätz ihrer Stimmen. Sie fürchtete nur, dass sie zum Tee bleiben könnten, denn sie fand kein Vergnügen daran, für dieses eigentümliche Trio den Tee zuzubereiten. Welch ein Unterschied! Dies waren auch Männer – junge Männer – Männer, erzogen wie Moore, doch wie groß für sie der Unterschied gegen diesen! Ihre Gesellschaft war eine Last – die seine eine Wonne!

Nicht allein mit dieser geistlichen Gesellschaft sollte sie beglückt werden, das Schicksal brachte ihr in diesem Augenblick noch vier andere Gäste – weibliche Gäste, alle in einem Pony-Phaeton sitzend, der jetzt etwas schwerfällig auf dem Weg von Whinbury herbeirollte. Eine ältliche Frau und drei ihrer munteren Töchter waren, wie es Brauch in dieser Gegend war, gekommen, um sie einmal freundschaftlich zu besuchen. Als die Glocke zum vierten Mal geläutet hatte, brachte Fanny sie mit der Bemerkung in den Salon:

»Mrs. Sykes und die drei Misses Sykes.«

Wenn Caroline Gesellschaft empfing, war sie gewohnt, die Hände fast krampfhaft zu ringen, etwas rot zu werden und eiligst, aber doch zögernd, herbeizukommen, sich selbst aber weit weg zu wünschen. Bei solchen Gelegenheiten fehlte ihr noch viel an feinem Benehmen, obgleich sie früher ein Jahr in der Schule gewesen war. Auch dieses Mal erwartete sie, aufstehend und ihre kleinen weißen Hände traurig einander misshandelnd, den Eintritt der Mrs. Sykes.

Herein stolzierte diese Dame, eine lange, gallige Frau, die ihre Frömmigkeit theatralisch, jedoch nicht immer aufrichtig zur Schau stellte, und die der Gastfreundlichkeit gegen die Geistlichkeit sehr ergeben war. Herein segelten ihre drei Töchter, ein stattliches Trio, da sie alle drei wohlgewachsen waren und mehr oder weniger hübsch.

Zu englischen Damen vom Land muss man wohl Folgendes bemerken. Ob jung oder alt, schön oder hässlich, albern oder geistreich, alle – oder doch fast alle – haben einen gewissen Ausdruck in ihren Zügen, der zu sagen scheint: »Ich weiß es – ich brüste mich auch nicht damit – aber ich weiß es, dass ich das Muster bin von alledem was anständig ist, daher möge jeder, dem ich mich nähere oder der sich mir nähert, mich genau betrachten, denn worin er sich von mir unterschiedet – möge es Kleidung, Benehmen, Ansicht oder Adel sein – darin ist er offenbar falsch.«

Weit davon entfernt Ausnahmen dieser Bemerkung zu sein, waren Mrs. und Misses Sykes ausgesprochene Bestätigungen von deren Wahrheit. Miss Mary, ein gut aussehendes, gut meinendes, und im Ganzen gut geartetes Mädchen, präsentierte ihre Selbstgefälligkeit mit einigem Stolz, doch ohne Härte. Miss Harriet – eine Schönheit – tat es aufdringlicher, sie blickte vornehm und kalt umher. Miss Hannah, die eingebildet, frech und vorlaut war, gab die ihre offen und mit Absicht preis. Die Mutter zeigte sie mit dem Ernst, der zu ihrem Alter und ihrem religiösen Ruf passte.

Der Empfang ging nun seinen Gang. Caroline ›war erfreut sie zu sehen‹ (eine unumgängliche Notlüge) hoffte, dass sie sich wohl befänden, hoffte, dass Mrs. Sykes Husten besser geworden sei (diesen Husten hatte Mrs. Sykes bereits seit zwanzig Jahren) hoffte, dass die Misses Sykes ihre Schwestern zu Hause wohl verlassen hätten. Darauf antworteten die Misses Sykes, auf drei Sesseln dem Musikschemel gegenüber sitzend, auf dem Caroline unbeabsichtigt vor Anker gegangen war, nachdem sie einige Sekunden zwischen diesem und einem weiten Lehnstuhl geschwankt hatte, welchen, wie sie sich nach einer kurzen Pause erinnerte, sie doch Mrs. Sykes hätte anbieten müssen – und tatsächlich hatte die Dame ihr die Mühe erspart, indem sie sich selbst dorthin gesetzt hatte – jene drei Misses Sykes antworteten mit einer gleichzeitigen, sehr majestätischen und überaus ehrerbietigen Verbeugung. Es folgte eine Pause. Jene Verbeugung war von einem Charakter, der für die nächsten fünf Minuten Stillschweigen gebot, und dieses erfolgte auch. Mrs. Sykes erkundigte sich nun nach Mr. Helstone, und ob er wieder einen Anfall von Rheumatismus gehabt hätte, und ob das zweimalige Predigen an einem Sonntag ihn nicht ermüde, und ob er imstande sei, den vollen Dienst jetzt zu verrichten, und als dies versichert wurde, drückten sie und alle ihre Töchter im Chor vereint ihre Ansicht aus, dass er ›ein Wunder in seinen Jahren sei.‹

Zweite Pause.

Miss Mary ergriff nun das Wort und fragte, ob Caroline der Versammlung der Bibelgesellschaft beigewohnt habe, die am vorigen Donnerstagabend in Nunnely gehalten worden sei. Die verneinende Antwort, welche Caroline die Wahrheitsliebe abnötigte – denn sie hatte vergangenen Donnerstagabend zu Hause gesessen und eine Novelle gelesen, die Robert ihr geliehen hatte – rief einen gleichzeitigen Ausdruck der Verwunderung auf die Lippen der vier Damen.

»Wir waren alle da«, sagte Miss Mary, »Mama und wir alle. Wir überredeten sogar Papa zu gehen. Hannah bestand darauf. Aber als Mr. Langweilig, der deutsch-mährische Geistliche, sprach, fiel er in Schlaf. Ich schämte mich sehr, denn er nickte vor sich hin.«

»Und Dr. Broadbent war auch da«, rief Hannah, »und wie vortrefflich er sprach! Man hätte es gar nicht erwarten sollen, denn er sieht sonst ganz ordinär aus.«

»Aber er ist ein so lieber Mann«, unterbrach Mary.

»Und so ein guter Mann, so ein nützlicher Mann«, setzte die Mutter hinzu.

»Nur dass er wie ein Fleischer aussieht«, schaltete sich die schöne, stolze Harriet ein. »Ich konnte ihn gar nicht ansehen. Ich hörte ihm mit geschlossenen Augen zu.«

Miss Helstone fühlte ihre Unwissenheit und Unbedeutendheit. Da sie Broadbent nicht gesehen hatte, konnte sie ihre Meinung nicht sagen. Die dritte Pause trat ein. Während sie andauerte, fühlte Caroline in ihrem innersten Herzen, was für eine verträumte Närrin sie sei, was für ein unpraktisches Leben sie führe und wie gering ihr Geschick bei dem gewöhnlichen Umgang mit der gewöhnlichen Welt. Sie fühlte, wie ausschließlich sie sich an das weiße Cottage in der Schlucht gefesselt, wie sie auf die Existenz eines Bewohners desselben ihre ganze Welt übertragen hatte, sie empfand, dass dies nicht so weitergehen könne und dass sie eines Tages genötigt sein werde, daran etwas zu ändern. Man konnte nicht sagen, dass sie geradezu wünschte, den Damen vor ihr zu gleichen, aber sie wünschte sich mehr Selbstsicherheit, um durch deren Würde weniger eingeschüchtert zu werden.

Das einzige Mittel, das sie zur Wiederbelebung des stockenden Gesprächs fand, war die Frage, ob sie zum Tee bleiben wollten, und es kostete sie einen schweren Kampf diesen höfliche Frage zu stellen. Mrs. Sykes hatte eben begonnen: »Wir sind Ihnen sehr verbunden, aber –« als Fanny wieder eintrat.

»Die Herren werden zu Abend bleiben«, war die Botschaft, die sie von Mr. Helstone brachte.

»Welche Herren sind denn bei Ihnen?« fragte jetzt Mrs. Sykes. Ihre Namen wurden genannt. Sie und ihre Töchter wechselten Blicke. Die Hilfsgeistlichen waren ihnen nicht das, was sie Caroline waren. Mr. Sweeting war ihr besonderer Liebling. Selbst Mr. Malone wurde geschätzt, weil er ein Geistlicher war. »Da Sie schon Gesellschaft haben, wollen wir ebenfalls bleiben«, bemerkte Mrs. Sykes. Wir werden eine recht hübsche Partie abgeben. Ich bin stets gern in der Gesellschaft von Geistlichen.«

Und nun musste Caroline sie die Treppen hinaufführen, ihnen helfen die Schultertücher abnehmen, ihnen die Haare glätten und sie in Ordnung bringen, sie dann wieder in den Salon führen und die Bücher mit Kupferstichen oder andere unbedeutende vom Judenkorb gekaufte Dinge unter sie verteilen. Sie war genötigt, solche Sachen zu kaufen, da sie selbst nur sehr wenig dazu leistete, und wenn sie Geld genug gehabt hätte, als man ihn in die Pfarrei gebracht hatte – ein furchtbarer Alptraum – lieber das ganze Lager aufgekauft, als ein einziges Stecknadelkissen dazu beigetragen hätte.

Es ist vielleicht nützlich für diejenigen, die nicht mit den Mysterien eines ›Judenkorbes‹ oder ›Missionarkorbes‹ vertraut sind, zu bemerken, dass diese aus Weide geflochtenen verschließbaren Körbe den Umfang eines Kleiderkorbes für eine ganze Familie haben, dazu bestimmt, eine monströse Sammlung von Nadelkissen, Nadelbüchsen, Arbeitsbeuteln, Papparbeiten, Artikel für Kinderkleidung usw., die von den willigen oder unwilligen Händen der christlichen Damen einer Pfarrgemeinde gefertigt und par force den heidnischen Männern derselben für ungeheuer hohe Preise verkauft werden, von Haus zu Haus zu befördern. Die Ergebnisse dieser gezwungenen Ankäufe werden dann zur Bekehrung der Juden, dem Aufsuchen der zehn vermissten Stämme oder der Umwandlung der interessanten farbigen Bevölkerung unseres Erdballes verwendet. Jede beitragende Dame hat die Verpflichtung, diesen Korb einen Monat lang zu behalten, dafür zu nähen, und was er enthält, einer widerstrebenden Mannsperson anzudrehen. Es ist ein aufregender Zeitpunkt, wenn dieser Umlauf geschieht. Einige tatkräftige Frauen mit einem tüchtigen Handelsgeist lieben es und haben viel Vergnügen an dem Spaß, über geizige alte Hagestolze zu triumphieren, indem sie für Artikel, die diesen gänzlich nutzlos sind, eine Summe von 400 bis 500 Prozent über dem Kaufpreis verlangen. Andere schwächere Seelen sind aber dagegen und sähen lieber den Fürst der Finsternis eines Morgens an ihre Tür klopfen, als diesen Gespensterkorb, der mit Mrs. Rouses Empfehlen und der Bemerkung überbracht wurde, ›dass, wenn es gefällig, nun an Ihnen die Reihe sei.‹

Als Miss Helstone ihre Pflichten als Wirtin eher ängstlich als freundlich erfüllt hatte, begab sie sich in die Küche, um einen kurzen, geheimen Rat mit Fanny und Eliza über den Tee zu halten.

»Was das für ein Unglück ist!« rief Eliza, die Köchin. »Und ich schob das Backen heute auf, weil ich glaubte, es werde Brot genug da sein bis morgen. Nun reichen wir damit nicht.«

»Sind noch etwas Teebrötchen da?« fragte die junge Herrin. »Bloß drei und ein Stückchen. Ich wollte, dies vornehme Volk bliebe zu Hause bis man sie holen ließe. Ich kann nun meinen Hut nicht fertig machen.« (Mütze wollte sie sagen.)

»Nun«, sagte Caroline, der die Wichtigkeit des dringenden Falles eine gewisse Energie gab, »dann muss Fanny hinunter nach Briarfield laufen und einige Buttersemmeln und Weißbrötchen kaufen, nebst etwas Zwieback. Ängstigen Sie sich nicht, Eliza, wir können es jetzt doch nicht ändern.«

»Und was für Geschirr werden wir nehmen?«

»Versteht sich, das Beste. Ich will das Silberservice holen«, und damit rannte sie die Treppe hinauf zu dem Geschirrschrank und brachte Teekanne, Milchkännchen und Zuckerschale herunter.

»Und ist denn der Teekessel auch da?«

»Ja, ja, und macht alles fertig, so schnell wie nur möglich, denn je eher der Tee vorbei ist, desto eher werden sie gehen. – Das hoffe ich wenigstens. Ach! Ich wollte, sie wären schon fort!« seufzte sie, als sie in den Salon zurückkam. »Und doch«, dachte sie, als sie an der Tür stehen blieb, ehe sie eintrat, wenn Robert eben jetzt käme, wie schön würde das alles sein! Und wie viel leichter die Aufgabe, diese Leute zu amüsieren, wenn er zugegen wäre! Wie interessant wäre es, ihn sprechen zu hören, obgleich er nie viel in Gesellschaft spricht, und in seiner Gesellschaft zu sprechen! Einen von denen drin zu hören oder mit ihnen zu sprechen, kann durchaus nicht interessant sein. Wie sie kichern werden, wenn die Hilfsgeistlichen eintreten, und welche Langeweile ich haben werde, ihnen zuhören zu müssen! Ich glaube wirklich, dass ich eine selbstsüchtige Närrin bin. Es sind doch recht respektable und gebildete Leute. Ich würde sicher stolz sein, wenn ich mich benehmen könnte wie sie. Ich will auch gar nicht sagen, dass sie nicht so gut wären wie ich – bewahre der Himmel – sie sind nur anders als ich.«

Sie trat ein.

Leute aus Yorkshire nahmen damals ihren Tee an einem runden Tisch ein. Dort saßen sie fest und streckten die Knie unter das Mahagoni-Tischblatt. Es gab eine Menge von Tellern mit Brot und Butter, verschieden in Art und überreich an Anzahl. Auch hielt man es für schicklich, dass auf der Mitte des Tisches eine Glasschüssel mit Marmelade stand, und neben dem Fleisch musste sich eine kleine Auswahl von Käsekuchen und Torten befinden. Konnte man einen Teller mit dünnen Schnittchen Schinken haben, mit grüner Petersilie garniert, war es umso besser.

Des Pfarrers Köchin Eliza kannte glücklicherweise ihre Geschäfte. Sie war anfangs nur ein wenig unwirsch gewesen, als die Gäste in solcher Anzahl und so unerwartet gekommen waren, bald aber gewann sie mit der Tatkraft auch ihre Freundlichkeit wieder, denn in angemessener Zeit war der Tee auf die vortrefflichste Weise serviert, und weder Schinken, noch Torten, noch Marmelade fehlten in dessen Begleitung.

Die Hilfsgeistlichen traten, als sie zu diesem freundlichen Mahl eingeladen wurden, fröhlich ein, aber auf einmal, als sie die Damen erblickten, blieben sie in der Tür stehen. Malone führte sie an. Er stutzte und trat zurück, Donne fast umstoßend, der hinter ihm kam. Dieser stolperte drei Schritte rückwärts und warf Sweeting in die Arme des alten Helstone, der die Reihe schloss. Es gab nun einiges Gekicher und Auseinandersetzungen. Malone wurde aufgefordert zu sagen, was es gebe und vorwärts zu gehen, was er auch endlich tat, obgleich ein bläuliches Purpurrot seine hohe Stirn bis an den Haaransatz färbte. Jetzt trat Helstone vor, schob die Hilfsgeistlichen beiseite, begrüßte alle seine schönen Gäste, schüttelte die Hände, scherzte mit jedem und setzte sich gemütlich zwischen die liebenswürdige Harriet und die stolze Hannah. Miss Mary bat er, sich auf den Platz ihm gegenüber zu begeben, damit er sie wenigstens sehe, wenn er sie nicht näher haben könne. Gegen junge Mädchen war sein Benehmen stets außerordentlich galant und unbefangen, sodass er ganz vertraut mit ihnen schien, im Herzen aber liebte er weder, noch achtete er das Geschlecht, und diejenigen, welche die Umstände in vertraute Verhältnisse mit ihm gebracht hatten, hatten ihn stets mehr gefürchtet als geliebt.

Die Hilfsgeistlichen mussten nun für sich selbst sorgen. Sweeting, welcher der am wenigsten verlegene von den dreien war, nahm seine Zuflucht neben Mrs. Sykes, die, wie er wusste, fast immer so gütig gegen ihn war, als sei er ihr Sohn. Donne versank, als er eine allgemeine Verbeugung mit der ihm eigentümlichen Grazie gemacht hatte, und mit seiner hohen pragmatischen Stimme gesagt hatte: »Wie befinden Sie sich, Miss Helstone?« in einen Sessel neben Caroline, und dies zu ihrem größten Missvergnügen, denn sie hatte eine besondere Abneigung gegen Donne, wegen seiner albernen und unerschütterlichen Selbstliebe, und seiner unheilbaren geistigen Beschränktheit. Mit einem verdrießlichen Grinsen setzte sich Malone in den gleichen Stuhl auf der anderen Seite. Somit war sie mit einem Paar Beiständen beglückt, von denen keiner, wie sie wohl wusste, auch nur vom geringsten Nutzen sein würde, weder die Unterhaltung im Gang zu halten noch Tassen zu besorgen, die Buttersemmeln umherzureichen oder auch nur das Geschirr zu verteilen. Der kleine Sweeting, so dünn und kindisch er war, würde zwanzig von solcher Art aufgewogen haben.

Malone, obgleich ein unermüdlicher Redner, wenn ausschließlich Männer zugegen waren, war gewöhnlich in Gegenwart von Damen wie gelähmt. Drei Phrasen hatte er jedoch bereits gedrechselt und zugeschnitten, die er nie versäumte hervorzubringen. –

Erstens: »Sind sie heute ausgegangen, Miss Helstone?«

Zweitens: »Haben Sie Ihren Cousin Moore vor Kurzem gesehen?«

Drittens: »Hat Ihre Klasse in der Sonntagsschule noch dieselbe Größe?«

Nachdem diese drei Fragen zwischen Caroline und Malone vorgebracht und beantwortet waren, herrschte Stillschweigen zwischen ihnen.

Bei Donne war es anders. Er war beunruhigend, aufregend. Er besaß einen großen Vorrat unbedeutenden Geschwätzes, zugleich des abgedroschensten und verkehrtesten, das man sich nur denken konnte: Missbräuche des Volks in Briarfield und der Eingeborenen von Yorkshire überhaupt, Klagen über den Mangel vornehmer Gesellschaft, vom verkehrten Zustand der Zivilisation in dieser Gegend, Murren gegen das jeweilige freche Betragen des niederen Volks im Norden gegen die Höherstehenden, die albernen Lächerlichkeiten der Lebensweise dort, der Mangel an Stil, an aller Eleganz, als ob er selbst an sehr große Taten gewöhnt gewesen sei, was jedoch sein etwas ungebildetes Benehmen und Aussehen nicht eben bestätigte. Diese Beschwerden, glaubte er, müssten ihn in Miss Helstones oder jeder anderen Dame, die ihn hörte, Hochschätzung heben, doch stattdessen erzielte er nur ein Ansteigen ihrer Verachtung für ihn. Manchmal brachten sie Caroline aber sogar auf, denn da sie selbst ein Mädchen aus Yorkshire war, war es ihr zuwider, von einem solchen erbärmlichen Schwätzer Yorkshire stets erniedrigt zu hören, und wenn er sie bis zu einem gewissen Punkt getrieben hatte, wandte sie sich ihm zu und sagte etwas, wovon weder Inhalt noch Art sie bei ihm empfehlen konnten. Sie sagte ihm dann, dass es kein Beweis von Bildung sei, andere stets der Gemeinheit zu beschuldigen, und kein Zeichen eines guten Hirten, seine Herde immer zu tadeln. Sie fragte ihn, weshalb er in den geistlichen Stand getreten sei, da er sich beklagte, es gebe bloß Hütten zu besuchen und armem Volk zu predigen? Ob er zu seinem Amt bloß deshalb ordiniert worden sei, um weiche Kleider zu tragen und in den Häusern von Königen zu sitzen? Die Fragen wurden von allen Hilfsgeistlichen für höchst dreist und gottlos gehalten.

Man trank schon lange Tee. Alle Gäste schwatzten, wie die Wirtin es erwartet hatte. Mr. Helstone, höchst heiter gestimmt, – denn dies war er stets in anziehender weiblicher Gesellschaft, während er bei dem einzigen weiblichen Wesen aus seiner eigenen Familie nur eine finstere Schweigsamkeit aufrecht erhielt – unterhielt einen glänzenden Fluss freundlichen Geschwätzes mit seinen Nachbarinnen rechts und links, und selbst mit seinem Gegenüber, Miss Mary, obgleich der ältliche Witwer ihr, da sie die vernünftigste und am wenigsten kokette jener drei war, am wenigsten Aufmerksamkeit schenkte. Im Herzen konnte er Verstand bei Frauen nicht leiden. Er sah sie daher gern so einfältig, so leichtsinnig, so eitel, sich so lächerlich machend wie möglich, weil sie dann in Wirklichkeit das waren, wofür er sie hielt und was er wünschte, dass sie wären – untergeordnet, Püppchen, mit denen er spielen und sich eine müßige Stunde vertreiben konnte, um sie dann wegwerfen zu können.

Hannah war sein Liebling. Harriet, obgleich schön, egoistisch und selbstzufrieden, war nicht schwach genug für ihn. Sie besaß, neben viel falschem Stolz, doch auch einiges an echter Selbstachtung, und wenn sie auch nicht wie ein Orakel sprach, so plapperte sie doch auch nicht wie ein Papagei, und erlaubte es nicht, wie ein einfältiges Kind, wie ein Spielzeug, behandelt zu werden. Sie erwartete vielmehr, dass man sich wie vor einer Königin vor ihr verneigen sollte.

Hannah verlangte dagegen keinen Respekt, nur Schmeicheleien. Wenn ihre Anbeter ihr nur sagten, dass sie ein Engel sei, durften sie sie immerhin wie ein unwissendes Ding behandeln. Sie war leichtgläubig und frivol, und konnte so albern werden, wenn sie von Aufmerksamkeiten bestürmt, geschmeichelt und bis auf einen solchen Grad bewundert wurde, dass es Augenblicke gab, in denen sich Helstone wirklich versucht fühlte, ein zweites Mal zu einer Ehe zu schreiten, und das Experiment zu machen, sie zur zweiten Frau zu nehmen, bis glücklicherweise die heilsame Erinnerung an die Langeweile seiner ersten Ehe, der Eindruck, der ihm noch von dem Gewicht des Mühlsteins geblieben war, der an seinem Nacken gehangen hatte, und die Festigkeit seiner Grundsätze in Bezug auf die unerträglichen Übel ehelicher Existenz, auf seine Zärtlichkeit wie ein Stoß wirkten, die schwellenden Seufzer seiner alten Lungen unterdrückten und ihn davon abhielten, Hannah Anträge zuzuflüstern, die sie sehr gern und mit dem größten Vergnügen gehört haben würde.

Wahrscheinlich würde sie ihn geheiratet haben, hätte er um sie angehalten. Ihre Eltern würden die Partie sehr gebilligt haben. Ihnen würden seine fünfundfünfzig Jahre, sein ledernes Herz kein Hindernis gewesen sein, und da er Pfarrer war, ein allerliebstes Leben führte, ein gutes Haus inne hatte, und auch aller Meinung nach Privatvermögen besaß, würden sie Hannah seiner liebevollen Güte und zärtlichen Gnade unbedenklich überlassen haben, dann aber würde die zweite Mrs. Helstone, die natürliche Ordnung des Daseins von Insekten umkehrend, nachdem sie während der Honigmonate als ein stolzer, bewunderter Schmetterling herumgeflattert war, den übrigen Teil ihres Lebens jedoch als geringer, zertretener Wurm verbracht haben. Was jedoch jenes Privatvermögen betraf, so war die Welt im Irrtum. Jeder Penny der 5000 Pfund, die er von seinem Vater geerbt hatte, war dazu verwendet worden, eine neue Kirche in seinem Geburtsdorf, in Lancashire, zu bauen und auszustatten, denn wenn er wollte, konnte er eine großartige Freigebigkeit zeigen, und war der Zweck ihm teuer, zauderte er nie, große Opfer zu seiner Erreichung zu bringen.

Der kleine Mr. Sweeting, der zwischen der ihm sich sehr freundlich zeigenden Mrs. Sykes und Miss Mary saß, und einen Teller mit Torte vor sich hatte, fühlte sich zufriedener als ein König, und sah auch so aus. Er war in alle drei Misses Sykes verliebt, und sie alle drei in ihn. Er hielt sie für prachtvolle Mädchen, ganz geeignet zu einer Verbindung mit ihm. Wenn er nur etwas in diesem glücklichen Moment noch bedauerte, so war es dies, dass Miss Dora nicht mit zugegen war. Dora war nämlich diejenige, welche er eines Tages Mrs. David Sweeting zu nennen hoffte, mit welcher er träumte, stolz herumzuspazieren und sie, gleich einer Kaiserin, durch Nunnely zu führen, und eine Kaiserin wäre sie auch gewesen, wenn Körperbeschaffenheit dazu machen kann. Sie war stark und gewichtig. Von hinten gesehen hatte sie das Aussehen einer stattlichen Dame von vierzig Jahren, aber bei alledem besaß sie ein hübsches Gesicht und keinen unfreundlichen Charakter.

Endlich kam das Mahl zum Schluss. Es würde lange vorüber gewesen sein, wenn Mr. Donne nicht noch beharrlich sitzen geblieben wäre mit seiner halb vollen Tasse kalten Tees vor sich. Nachdem schon alle anderen geendet hatten, hatte er eine solche Menge von Delikatessen, die er als für sich genügend erachtete, verzehrt, lange nachdem schon ringsum Zeichen der Ungeduld sich zu erkennen gegeben hatten, die Stühle gerückt und alles still geworden war. Vergebens fragte Caroline wiederholt, ob er noch eine Tasse haben wolle, ob er nicht etwas heißen Tee dazu nehmen wolle, da der seine kalt sein müsse usw. Er wollte seine Tasse weder trinken noch lassen. Er schien zu glauben, seine isolierte Lage gebe ihm eine gewisse Wichtigkeit, es sei würdevoll und herrschaftlich der Letzte zu sein, und großartig, alle anderen warten zu lassen. So lange zauderte er, bis das Feuer unter dem Kessel ausging. Es zischte nicht mehr. Endlich aber wurde selbst der alte Pfarrer, der sich bisher zu angenehm mit Hannah unterhalten hatte, um die Verzögerung zu bemerken, ungeduldig.

»Worauf warten wir denn?« fragte er.

»Auf mich, glaube ich«, antwortete Donne selbstgefällig, und dem Anschein nach glaubend, es müsse ihm Wichtigkeit geben, dass eine Gesellschaft so sehr von seinen Bewegungen abhängig sei.

»Oh«, rief Helstone, »da wollen wir doch aufstehen. Lasst uns denn Dank sagen«, setzte er hinzu, tat es auch, und nun verließen alle den Tisch. Donne saß, keineswegs beschämt, noch einige Minuten allein da, während Mr. Helstone klingelte, dass das Teegeschirr abgeräumt werde. Endlich sah sich der Hilfsgeistliche doch genötigt, seine Tasse auszutrinken und die rôle aufzugeben, die, wie er glaubte, ihm eine beglückende Auszeichnung gewährt, und ihm eine so schmeichelhafte allgemeine Aufmerksamkeit zugezogen hatte.

Und nun wandte man sich nach dem natürlichen Lauf der Begebenheiten der Musik zu. Caroline, die das wohl wusste, hatte bereits das Piano geöffnet und Musikalien bereitgehalten. Dies war Mr. Sweetings Gelegenheit, sich aufzuspielen. Er war begierig anzufangen. Deshalb übernahm er das schwere Amt die jungen Damen zu überreden, die Gesellschaft mit einer Arie, einem Lied, zu beglücken. Con amore ging er die ganze Reihenfolge von Bitten, Flehen, dem Abwenden von Entschuldigungen, und dem Ebenen von Schwierigkeiten durch und gelangte endlich dahin, Miss Harriet zu überreden, sie ans Instrument führen zu dürfen. Nun wurden die Stücke für seine Flöte ausgepackt, die er stets ebenso sicher wie sein Taschentuch bei sich führte. Sie wurden durchgegangen und geordnet. Unterdessen rückten Malone und Donne näher zusammen und machten sich über ihn lustig, was der kleine Mann seitwärts blickend sah, aber ganz und gar nicht beachtete. Er war überzeugt, alle ihre Sarkasmen entstünden aus Neid, und stand im Begriff, einen Triumph über sie zu erringen.

Der Triumph begann. Malone näherte sich, sehr verdrießlich, ihn in den höchsten Noten pfeifen zu hören, und entschlossen, wenn möglich auch eine Auszeichnung zu ernten, indem er die Rolle eines verliebten Bauernburschen übernahm (welchen Charakter er bereits ein- bis zweimal versucht hatte, jedoch bis jetzt noch keinen Erfolg darin errungen hatte, den man, wie er glaubte, seinen Verdiensten zweifellos schuldig war), dem Sofa, auf welchem Miss Helstone saß, streckte seine langen irischen Gliedmaßen neben ihr aus und versuchte seine Hand (oder vielmehr Zunge) auf ein Paar seiner Redensarten, die er mit dem außerordentlichsten und unbegreiflichsten Grinsen begleitete. Im Fortgang dieser Anstrengungen sich liebenswürdig zu machen, gelang es ihm, zwei der langen Sofakissen und eines viereckigen habhaft zu werden, mit denen er, nachdem er sie eine Zeitlang mit sonderbaren Stellungen hin und her geschoben hatte, endlich eine Art Barriere zwischen sich und dem Gegenstand seiner Aufmerksamkeit errichtete. Caroline war es nicht unangenehm, dass sie auf diese Art von ihm getrennt wurde und fand bald eine Entschuldigung auf die entgegengesetzte Seite des Zimmers zu gehen und sich neben Mrs. Sykes zu setzen, von welcher guten Dame sie sich Unterricht in einer neuen Kunststrickerei erbat, eine Gunst, die ihr gern gewährt und so Peter Augustus abgewiesen wurde.

Sehr verdrießlich verzog sich sein Gesicht, als er sich selbst so verlassen, und lediglich seinen eigenen Hilfsmitteln auf einem breiten Sofa mit der Last von drei schmalen Kissen in den Händen ausgeliefert sah. Der Umstand war der, dass er sich ernsthaft geneigt fühlte, die Bekanntschaft mit Miss Helstone zu benutzen, weil er gleich den anderen dachte, ihr Onkel habe Geld und werde dieses, da er keine Kinder hatte, wahrscheinlich seiner Nichte hinterlassen. Gerard Moore war über diesen Punkt besser unterrichtet. Er hatte die hübsche Kirche gesehen, die ihren Altar des Pfarrers Eifer und Geld verdankte, und hatte mehr als einmal in seiner innersten Seele eine Laune verwünscht, die seine Wünsche kreuzte.

Einer Person im Zimmer kam der Abend sehr lang vor. Caroline ließ ihren Strickstrumpf mehr als einmal in den Schoß sinken und gab sich, die Augen schließend und mit gesenktem Kopf, einer Art von Nichtsdenken hin, das bei ihr, wie sie glaubte, durch das gehaltlose Gesumme um sie her verursacht werde, durch das unharmonische, geschmacklose Klimpern auf dem Pianoforte, das Piepsen und Kreischen der Flöte, das Gelächter und Scherzen ihres Onkels mit Hannah und Mary, von dem sie sich nicht sagen konnte, was es veranlasst habe, da sie nichts Komisches oder Scherzhaftes in ihren Reden hörte, und mehr als alles durch das endlose flüsternde Plappern der Mrs. Sykes so ganz nahe an ihrem Ohr, ein Plaudern, das sich um vier Gegenstände drehte, um ihre eigene Gesundheit und die der verschiedenen Mitglieder ihrer Familie, um die Juden- und Missionar-Körbe und ihren Inhalt, um die letzte Versammlung in Nunnely und um eine, die nächste Woche in Whinbury gehalten werden sollte.

Endlich bis zur Erschöpfung ermüdet ergriff sie die Gelegenheit, als Mr. Sweeting zu Mrs. Sykes kam, um mit dieser zu sprechen und entwischte ganz aus dem Zimmer, um einen Augenblick Erholung in der Einsamkeit zu suchen. Sie eilte ins Speisezimmer, wo noch ein helles, jetzt aber schwaches Feuer im Kamin brannte. Das Zimmer war leer und ruhig, Gläser und Flaschen waren vom Tisch weggenommen, die Stühle wieder an ihre Stellen gerückt und alles in Ordnung gebracht worden. Caroline sank in ihres Onkels großen Lehnstuhl, schloss die Augen halb und blieb so sich selbst dahingegeben, auf nichts hörend, und ins Blaue hinein blickend. Ihr Geist aber floh geradezu nach Hollow’s Cottage. Er stand dort auf der Schwelle des Salons, ging dann zum Kontor, und spürte, welche Stelle durch Roberts Gegenwart beglückt sei. Es traf sich, dass gerade keiner dieser Orte diese Ehre hatte, denn Robert war eine halbe Meile davon entfernt und Caroline viel näher als ihr ermatteter Geist wähnte. Er ging in diesem Augenblick über den Kirchhof und näherte sich der Gartentür der Pfarrei, doch beabsichtigte er nicht seine Cousine zu sehen, sondern bloß dem Pfarrer eine kurze Nachricht mitzuteilen.

Ja, Caroline, du hörst die Glocke an der Tür läuten, zum fünften Mal schon an diesem Nachmittag, du zuckst zusammen und bist gewiss, dass dies der sein müsse, von dem du träumst. Warum du so gewiss bist, kannst du dir selbst nicht erklären, aber du weißt es, du lehnst dich vor und horchst ängstlich, als Fanny die Tür öffnet. Richtig! Das ist die Stimme – leise – mit dem fremden Akzent, aber so sanft wie du dir sie denkst. Du stehst halb auf: Fanny wird ihm sagen, dass Mr. Helstone Gesellschaft hat und dann wird er wieder gehen. Oh! Sie darf ihn nicht gehen lassen! Gegen ihren eigenen Willen – gegen ihre Entschlüsse geht sie halb durch das Zimmer, steht sie bereit hinauszueilen, falls die Schritte zurückweichen. Aber er tritt in den Eingang: »Da Ihr Herr Besuch hat«, sagt er, »führen Sie mich in das Speisezimmer und bringen Sie mir Tinte und Feder dahin. Ich will ihm nur ein kurzes Briefchen schreiben und es für ihn zurücklassen.«

Als Caroline diese Worte vernommen und gehört hatte, wie er näher kam, würde sie, wenn eine zweite Tür im Speisezimmer gewesen wäre, durch diese entkommen und verschwunden sein. Sie fühlte sich gefesselt, gefangen. Sie fürchtete, ihre unerwartete Gegenwart könnte ihn stören. Vor einer Minute würde sie zu ihm geflogen sein, diese Minute war vorüber, und nun wollte sie vor ihm fliehen. Aber sie konnte nicht. Es gab zum Entfliehen keinen Weg. Das Speisezimmer hat nur eine Tür, durch die jetzt der Cousin eintritt. Der Blick störender Überraschung, den sie auf seinem Gesicht zu sehen erwartete, hat sich darauf gezeigt, hat sie betroffen, und ist vorüber. Sie hat eine Art von Entschuldigung gestammelt: –

»Ich verließ den Salon nur für eine Minute, um Ruhe zu suchen.«

Es lag etwas so zaghaftes und niedergeschlagenes in Miene und Ton, mit dem dies gesagt wurde, dass man leicht bemerken konnte, es sei erst vor Kurzem eine betrübliche Veränderung in ihren Erwartungen vorgegangen und sie habe die Kraft freundlicher Selbstbeherrschung verloren. Mr. Moore erinnerte sich zweifellos daran, wie sie ihn zuvor gewöhnlich mit sanfter Wärme und hoffnungsvollem Vertrauen begrüßt hatte, und so zeigte sich ihm hier eine Gelegenheit, sein neues Verhalten, wenn er es verbessern wollte, mit Erfolg anzubringen. Vielleicht aber hielt er es für leichter, dieses Verhalten bei hellem Tag in seinem Fabrikgehöft, unter geräuschvollen Beschäftigungen, als in einem ruhigen Salon, unbeschäftigt und in der Abenddämmerung anzubringen. Fanny putzte die Lampen, die zuvor ungeputzt auf dem Tisch gestanden hatten, brachte Schreibgerät und verließ das Zimmer. Caroline stand im Begriff, ihr zu folgen. Moore hätte, wenn er konsequent bleiben wollte, sie gehen lassen sollen, aber er blieb in der Tür stehen, streckte die Hand aus und hielt sie sanft zurück. Er bat sie nicht, zu bleiben, aber er wollte sie nicht gehen lassen.

»Soll ich meinem Onkel sagen, dass Sie hier sind?« fragte sie noch mit derselben bedrückten Stimme.

»Nein, ich kann Ihnen alles sagen, was ich ihm zu sagen hatte. Wollen Sie mein Bote sein?«

»Ja, Robert.«

»Dann melden Sie ihm, dass ich soeben einen Hinweis, wenigstens über einen der Männer, erhalten habe, die meine Maschinen zerstörten, und dass er zu derselben Bande gehört, die Sykes und Pearsons Kleiderlager verwüsteten, und ich auch hoffe, ihn morgen verhaften zu lassen. Können Sie sich das alles merken?«

»Oh ja!« Diese beiden Silben wurden in einem noch betrübteren Ton als zuvor gesprochen, und als sie es tat, schüttelte sie ein wenig den Kopf und seufzte: »Werden Sie ihn vor Gericht bringen?«

»Versteht sich.«

»Oh nein, Robert!«

»Und weshalb nicht, Caroline?«

»Weil dies die ganze Nachbarschaft mehr als je gegen Sie aufbringen würde.«

»Das ist kein Grund, weshalb ich nicht meine Pflicht tun und mein Eigentum verteidigen sollte. Dieser Bursche ist ein großer Bösewicht und muss daran gehindert werden, weiteres Unheil anzustiften.«

»Seine Mitgenossen werden sich aber an Ihnen rächen. Sie wissen gar nicht, wie boshaft das Volk in dieser Gegend ist. Einige davon rühmen sich, dass sie einen Stein sieben Jahre in ihrer Tasche tragen, ihn nach dieser Zeit umdrehen und dann wieder sieben Jahre bei sich behalten, und ihn endlich doch schleudern und ihr Ziel treffen können.«

Moore lachte.

»Eine erbärmliche Prahlerei«, sagte er, »die man sich ringsum zum Lob ihrer teuren Yorkshirer Freunde erzählt. Aber fürchten Sie nicht für mich, Lina. Ich bin auf der Hut gegen diese Ihre lammfrommen Landsleute. Haben Sie meinetwegen keine Sorge!«

»Kann ich denn anders? Sie sind mein Cousin. Wenn etwas vorfiele –« hier stockte sie.

»Nichts wird vorfallen, Lina. Es gibt, wie Sie ja selbst sagen, eine Vorsehung über alle – ist es nicht so?«

»Ja, lieber Robert! Möge diese Sie beschützen!«

»Und wenn Gebete etwas vermögen, so werden es die ihren tun. Nicht wahr, Sie beten manchmal für mich?«

»Nicht manchmal, Robert. Für Sie, Louis und Hortense bete ich immer.«

»Das habe ich mir auch gedacht. Es fiel mir ein, wenn ich mich müde und geplagt zu Bett legte wie ein Heide, dass ein anderer für mich um Vergebung für diesen Tag und um Ruhe für die Nacht gebetet hätte. Ich kann mir nicht denken, dass eine solche vikariierende Frömmigkeit anderswo viel helfen könne, aber die Gebete kommen hier aus einem frommen Herzen, von unschuldigen Lippen, sie müssen ebenso wohlgefällig sein, wie Abels Opfer, und würden es auch gewiss sein, wenn der Gegenstand es verdiente.«

»Verbannen Sie diesen Zweifel. Er ist ohne Grund.«

»Wenn ein Mann dazu erzogen worden ist, nur Geld zu erwerben, und lebt, um dies zu tun, und für nichts weiter, und selten eine andere Luft atmet als die von Fabriken und Märkten, scheint es unpassend, seinen Namen in einem Gebet zu nennen, oder seine Idee mit etwas Göttlichem zu vermischen, dann scheint es ganz sonderbar, dass ein gutes, reines Herz ihn aufnehmen und beherbergen sollte, als ob er irgendeinen Anspruch auf eine solche Art von Nest hätte. Könnte ich dieses wohlwollende Herz lenken, so glaube ich, ich würde ihm raten, jemand auszuschließen, der nicht bekennt, dass er nach etwas Höherem im Leben strebt, als sein zerrüttetes Vermögen wiederherzustellen und von seinem bürgerlichen Schild den faulen Fleck des Bankrotts zu waschen.«

Obgleich dieser Wink herzlich und bescheiden (wie Caroline dachte) gegeben wurde, fühlte man ihn doch lebhaft und begriff ihn klar.

»Ich denke allerdings nur, will vielmehr nur an Sie als meinen Cousin denken«, war die schnelle Antwort. »Ich fange an, die Sachen besser zu verstehen als zuvor, Robert, als Sie zuerst nach England kamen, besser als noch vor einer Woche – noch vor einem Tag. Ich begreife, dass es Ihre Pflicht ist, danach zu streben vorwärts zu kommen, und dass es nichts für Sie wäre, romantisch zu sein, aber Sie müssen mich auch künftig nicht missverstehen, wenn ich freundlich gegen Sie bin. Sie missverstanden mich diesen Morgen, nicht wahr?«

»Was lässt Sie dies glauben?«

»Ihr Blick – Ihr Benehmen.«

»Sehen Sie mich doch jetzt an!«

»Oh, jetzt sind Sie ganz anders. Jetzt kann ich es wagen, mit Ihnen zu sprechen.«

»Und doch bin ich derselbe, ausgenommen, dass ich den Handelsmann in Hollow’s Mill zurückgelassen habe. Jetzt steht nur Ihr Verwandter vor Ihnen.«

»Mein Cousin Robert, nicht Mr. Moore.«

»Kein Stückchen von Mr. Moore. Caroline –«

Hier hörte man, wie die Gesellschaft im anderen Zimmer aufstand. Man öffnete die Tür. Das Pony-Fuhrwerk wurde bestellt. Nach Umhängen und Hüten gesucht. Mr. Helstone rief nach seiner Nichte.

»Ich muss nun fort, Robert.«

»Ja, das müssen Sie, oder jene kommen sonst hierher und finden mich hier, und ich will lieber, als diesem ganzen Schwarm unterwegs zu begegnen, meinen Abschied durch das Fenster nehmen. Glücklicherweise öffnet es sich wie eine Tür. Noch eine Minute bloß – stellen Sie das Licht weg – gute Nacht! – Ich küsse Sie, weil wir Verwandte sind, und da wir es sind, sind auch – ein – zwei – drei Küsse erlaubt. Caroline, gute Nacht!«

Shirley (Deutsche Ausgabe)

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