Читать книгу Shirley (Deutsche Ausgabe) - Charlotte Bronte, Шарлотта Бронте - Страница 7

V – Hollows’s Cottage

Оглавление

Moore war noch gut aufgelegt, als er am nächsten Morgen aufstand. Er und Joe Scott hatten die Nacht in der Fabrik verbracht, sich gewisser Schlafbequemlichkeiten bedienend, die sich in dem vorderen und hinteren Kontor vorfanden. Moore, der immer früh aufzustehen pflegte, war dieses Mal noch früher auf als gewöhnlich. Er weckte die Seinen, indem er beim Anziehen ein französisches Lied sang.

»Sie sind also nicht verdrießlich, Master?« rief Joe.

»Nicht im Mindesten, mon garçon, was heißt – mein Junge! Steh auf und mach mit mir einen Gang durch die Fabrik, bevor die anderen hereinkommen, dabei will ich dir von meinen zukünftigen Plänen berichten. Wir werden die Maschinen doch noch bekommen! Du hast wohl noch nie etwas von Bruce gehört?«

»Und der Spinne? Oh ja! Ich habe die Geschichte von Schottland gelesen, und weiß vielleicht ebenso viel davon wie Sie. Ich merke also, dass Sie damit sagen wollen, dass Sie es doch durchsetzen werden!«

»Das will ich auch.«

»Gibt es denn viele so wie Sie in Ihrem Land?« fragte Joe, als er sein provisorisches Bett zusammenfaltete und wegtrug.

»In meinem Land? Welches ist denn mein Land?«

»Ja nun, Frankreich. Ist es nicht so?«

»Durchaus nicht. Der Umstand, dass die Franzosen sich Antwerpens bemächtigt haben, wo ich geboren wurde, macht mich noch nicht zum Franzosen.«

»Also Holland?«

»Ich bin kein Holländer. Jetzt verwechselst du wieder Amsterdam mit Antwerpen.«

»Nun denn, Flandern?«

»Das wollte ich mir verbitten, Joe! Ich bin kein Flame! Habe ich ein flämisches Gesicht? Die dicke, vorstehende Nase – die kleine fliehende Stirn die fahlen, blauen Augen, aus dem Kopf herausglotzend? Bin ich denn an Leib und Seele wie ein Flame? Doch du weißt nicht, wem sie ähnlich sind, diese Niederländer. Joe, ich bin ein Antwerpener: Meine Mutter war eine Antwerpenerin, obgleich sie von Franzosen abstammte, was auch der Grund ist, warum ich französisch spreche.«

»Aber Ihr Vater war aus Yorkshire, und dadurch sind Sie auch ein bisschen Yorkshirer, und jedermann wird auch gleich seh’n, dass Sie mit uns verwandt sind, Sie geh’n gleich so hitzig drauf los und wollen immer nur vorwärts.«

»Joe, du bist ein unverschämter Bursche! Aber ich bin stets an deine bäurische Art von Unverschämtheit von Jugend auf gewohnt gewesen. Die classe ouvrière – das heißt die arbeitende Klasse in Belgien – benimmt sich brutal gegen ihre Herren, und unter ›brutal‹, Joe, verstehe ich ›brutalement‹, was vielleicht am bestem übersetzt, ›roh‹ heißen würde.«

»Wir sprechen in diesem Land alle wie wir denken, und dann erschrecken die jungen Leute und das vornehme Volk aus London über unsere Unhöflichkeit, und wir geben ihnen auch gern etwas, worüber sie sich erschrecken können, denn es macht uns Spaß zu sehen, wie sie die Augen aufreißen und die Hände ringen, und wir dann zuhören, wie sie mit abgehackten Worten ausrufen: Oh Gott! Was für rohe Menschen! Wahre Wilde!«

»Ihr seid auch Wilde, Joe! Ihr glaubt doch nicht etwa, dass ihr zivilisiert seid?«

»Mittelmäßig, mittelmäßig, Master! Ich rechne damit, dass unsere jungen Leute in den Fabriken des Nordens zum Teil vernünftiger sind und ein bisschen mehr wissen als das Pachtvolk im Süden. Der Handel schärft den Verstand, und Mechaniker wie ich müssen schon deshalb denken lernen. Sie wissen, dass ich beim Hinsehen auf die Maschinerie und dergleichen, dahin gekommen bin, dass, wenn ich ‘ne Wirkung sehe, ich auch gleich nach der Ursache suche, und oft auch dahinterkomme. Und dann lese ich auch gern und bin neugierig zu wissen, was denen, die sich für berufen halten, uns zu regieren, für geeignet halten, uns zu tun zu geben. Und so gibt es viele unter diesen fetten Jacken, die nach Öl riechen und unter diesen Färbern mit blauen und schwarzen Häuten, die ‘nen tüchtigen Kopf haben und sagen können, was der Grund eines Gesetzes ist, ebenso gut wie Sie oder der alte Yorke, und zum Teil besser, und uns nicht besänftigen lassen, wie Christoph Sykes von Winnbury und nichts abtrotzen, wie’s jener irische Pater, Helstones Hilfsgeistlicher, tut.«

»Ja, ja, ich weiß, Scott, dass du dich selbst für einen tüchtigen Kerl hältst.«

»Ei, ich bin gar nicht übel: Ich lass’ mir kein X für ‘n U verkaufen, und weiß recht gut, dass ich die Möglichkeiten, die ich hatte, etwas besser als viele, die unter mir stehen, genutzt hab’, aber ‘s gibt Tausende in Yorkshire, die ebenso gut sind wie ich, und auch ein paar Tausend, die besser sind.«

»Du bist ein großer Mann – ein prächtiger Kerl, aber du bist bei alledem ein vorlauter, eingebildeter Schafskopf, Joe! Du darfst nicht denken, dass, weil du ein bisschen Kenntnis von praktischer Mathematik aufgelesen hast, und einige Teile der Elemente der Chemie auf dem Boden einer Färberkufe gefunden hast, dass du deshalb ein vernachlässigter Mann der Wissenschaft seist, und musst nicht meinen, dass, weil der Lauf des Handels nicht immer sanft geht, und du und deinesgleichen manchmal in Arbeit und Brot kurz gehalten werden, deine Klasse deshalb als Märtyrer lebe und die ganze Regierungsform, unter welcher ihr steht, schlecht sei. Und überdies musst du nicht für einen Augenblick annehmen, dass alle Tugenden ihre Zuflucht in Hütten genommen und stattliche Häuser gänzlich verlassen hätten. Ich kann dir sagen, dass ich diese Art von Albernheit ganz gewaltig hasse, weil ich nur zu gut weiß, dass Menschennatur überall Menschennatur bleibt, ob nun unter Ziegel oder Stroh, und dass Laster und Tugend bei jeder atmenden Menschenseele in größerem oder kleinerem Verhältnis gemischt sind, die Stellung aber dieses Mischungsverhältnis nicht bestimmt. Ich habe Schurken gesehen, die reich waren und habe Schurken gesehen, die arm waren, und ich habe Schurken gesehen, die weder reich noch arm waren, und in bescheidener Mittelmäßigkeit lebten. Aber es wird gleich sechs Uhr schlagen, also fort mit dir und läute die Fabrikglocke.«

Man befand sich in der Mitte des Februars, um sechs Uhr fing also gerade der Tag an, sich aus der Nacht zu stehlen, er durchdrang mit bleichem Strahl deren braunes Dunkel und gab ihren dichten Schatten ein halbes Durchleuchten. Besonders an diesem Morgen war dieser Strahl sehr bleich; keine Farbe malte den Osten, keine Röte färbte ihn. Wenn man sah, welch schweres Augenlid sie öffnete, welchen matten Schimmer sie über die Hügel verbreitete, hätte man glauben sollen, das Feuer der Sonne sei von den letzten Nachtregen ausgelöscht worden. Der Atem dieses Morgens war kalt wie sein Anblick. Ein rauer Wind durchtobte die dichten Nachtwolken, und zeigte, als er langsam weiterzog, einen farblosen, silbern schimmernden Ring, der sich um den Horizont bildete, nicht den blauen Himmel, sondern eine Schicht von bleichen Dünsten darunter. Es hatte aufgehört zu regnen, aber die Erde war gesättigt und die Sümpfe und Bäche voll.

Die Fenster in der Fabrik waren hell, die Glocke tönte noch laut, und jetzt kamen die kleinen Kinder herein, hoffentlich in zu großer Eile, um bei dem widrigen Wetter zu sehr zu frieren, und tatsächlich erschien ihnen statt dessen dieser Morgen vielmehr freundlich, denn sie waren oft im Winter durch Schneestürme, heftigen Regen und harten Frost herbeigekommen.

Mr. Moore stand am Eingang, um sie vorübergehen zu lassen. Er zählte sie so wie sie kamen. Zu denen, die etwas spät kamen, sprach er ein tadelndes Wort, das etwas schärfer von Joe Scott wiederholt wurde, wenn die Säumigen die Arbeitsräume betraten. Weder Herr noch Aufseher sprachen jedoch hart und roh; keiner von beiden war es, obgleich alle beide streng waren, wie es sich zeigte, denn sie verurteilten einen Delinquenten, der beträchtlich zu spät kam. Mr. Moore bestimmte, dass er, ehe er hereintrete, seinen Penny bezahlen solle, und sagte ihm, dass die nächste Wiederholung dieses Fehlers ihn zwei Pence kosten werde.

Regeln sind in solchen Fällen durchaus notwendig und grausame und schlechte Herren werden auch grausame und schlechte Regeln aufstellen, welche sie in der Zeit, die wir hier vor uns haben, oft bis zur Tyrannei steigerten. Obgleich ich jedoch unvollkommene Charaktere beschreibe (jeder Charakter in diesem Buch ist mehr oder weniger unvollkommen, da meine Feder sich weigert, eine Mustervorlage zu zeichnen) habe ich es doch nicht unternommen, ganz entwürdigte oder völlig schlechte zu entwerfen. Kinderquäler, Sklavenherren und -treiber überlasse ich den Händen der Kerkermeister. Der Romanautor muss entschuldigt werden, wenn er seine Blätter nicht mit der Erinnerung an ihre Taten beschmutzt.

Anstatt also meines Lesers Gemüt zu quälen, und seinen Sinn für das Wundervolle durch wirkungsvolle Beschreibungen von Peitschenhieben und Geißelungen zu ergötzen, bin ich so glücklich, ihm mitteilen zu können, dass weder Mr. Moore noch sein Aufseher jemals ein Kind in ihrer Fabrik geschlagen haben. Joe hat allerdings einmal seinen eigenen Sohn streng gezüchtigt, weil er eine Lüge gesagt und dabei geblieben war. Er war aber, gleich seinem Herrn, zu gleichmütig, zu ruhig, und zugleich zu vernünftig, körperliche Züchtigungen anders als eine Ausnahme bei seiner Behandlung der Kinder eintreten zu lassen.

Mr. Moore ging in seiner Fabrik herum, durch seinen Garten, sein Färbehaus und sein Warenlager, bis der kranke Morgenschimmer zum Tag anwuchs. Die Sonne ging eben auf – wenigstens guckte der in Silber verwandelte Saum einer Wolke über einen dunklen Hügelgipfel und schaute feierlich auf die ganze Länge der Schlucht oder des engen Tales nieder, auf dessen enge Grenzen wir jetzt beschränkt sind.

Es war acht Uhr. Die Lichter in der Fabrik waren alle ausgelöscht. Das Zeichen zum Frühstück ertönte; die für eine halbe Stunde von der Arbeit befreiten Kinder begaben sich sämtlich zu den kleinen Zinnkannen, in denen sich ihr Kaffee befand, und zu den kleinen Körbchen, worin ihr Brot lag. Hoffen wir, dass sie genug zu essen haben werden. Es wäre traurig, wenn es anders wäre.

Und nun endlich verließ Mr. Moore den Fabrikhof und wandte seine Schritte zum Wohnhaus. Es lag nur in kleiner Entfernung von der Werkstatt, aber die Hecke und die Erhöhung an jeder Seite des Fußweges, der zu ihm führte, schienen ihm das Aussehen und den Eindruck von Abgeschiedenheit zu geben. Es war ein schmales, weiß gestrichenes Gebäude mit einem grünen Portal über der Tür. Einige braune Stiele zeigten den Gartenboden neben diesem Portal ebenso wie unter den Fenstern an, knospen- und blumenlose Stiele, die aber doch Aussicht auf lange und blühende Ranken in Sommertagen gaben. Ein Grasflecken und einige Einfassungen umgrenzten das Haus. Die Einfassungen bestanden jetzt nur aus schwarzem Schlamm, ausgenommen wo in geschützteren Winkeln die ersten Knospen von Schneeglöckchen oder Krokus, grün wie Smaragd, aus der Erde hervorbrachen. Der Lenz war verspätet. Es hatte einen strengen und langen Winter gegeben. Eben war der letzte tiefe Schnee nach dem gestrigen Regen verschwunden, doch leuchteten auf den Hügeln noch weiße Überbleibsel desselben, befleckten die Schluchten und krönten die Gipfel. Der Grasplatz grünte nicht, sondern war bleich geworden, wie das Gras an den Dämmen und unter der Hecke am Weg. Drei lieblich gruppierte Bäume erhoben sich neben dem Haus. Sie waren nicht sehr hoch, da sie aber keine Nebenbuhler in der Nähe hatten, sahen sie beeindruckend und schön aus. Dies war Mr. Moores Heimat. Ein freundliches Nest an Zufriedenheit und Beschaulichkeit, aber auch eines, worin die Flügel der Tatkraft und des Ehrgeizes nicht lange gefaltet bleiben konnten.

Seine Miene bescheidener Bequemlichkeit schien für dessen Besitzer keine besondere Anziehungskraft zu haben. Anstatt geradezu ins Haus zu treten, holte er einen Spaten aus einem kleinen Schuppen und begann in dem Garten zu arbeiten. Eine Viertelstunde lang grub er ununterbrochen, endlich aber öffnete sich ein Fenster und eine weibliche Stimme rief ihm auf Französisch zu: »Eh, bien! Tu ne déjeûnes pas ce matin?«8

Die Antwort wie der übrige Teil der Unterhaltung wurde auch auf französisch geführt.

»Ist das Frühstück fertig, Hortense?«

»Versteht sich, schon vor einer halben Stunde.«

»Dann bin ich auch fertig. Ich habe teuflischen Hunger.« Er warf nun seinen Spaten weg und ging ins Haus. Der enge Gang führte ihn in einen kleinen Salon, wo ein Frühstück bestehend aus Kaffee, Brot und Butter mit der etwas unenglischen Begleitung von Birnenkompott auf dem Tisch stand. Diesen Gerichten saß die Dame, die aus dem Fenster gesprochen hatte, vor. Ich muss sie noch beschreiben, ehe ich weitergehe.

Sie schien etwas älter als Mr. Moore zu sein, sie war vielleicht fünfunddreißig, groß und kräftig. Sie besaß sehr schwarzes Haar, das sich gegenwärtig in Papierwickeln befand. Ihre Wangen waren hochgerötet, ihre Nase klein, ihre Augen ebenso und schwarz. Der untere Teil ihres Gesichts war im Verhältnis zu dem oberen breit, ihre Stirn schmal und etwas gerunzelt. Sie sah einigermaßen verdrießlich, doch nicht bösartig aus. Es lag etwas in ihrem ganzen Aussehen, von dem man fühlte, dass es einen halb ärgern und halb unterhalten werde. Das Sonderbarste war ihre Garderobe, ein wollener Unterrock und ein gestreiftes baumwollenes Jäckchen. Der Unterrock war kurz, und ließ recht gut ein paar Füße und Knöchel sehen, die sehr viel in Bezug auf Symmetrie zu wünschen übrig ließen.

Der Leser wird denken, ich hätte das Bild einer völlig liederlichen Person gezeichnet – doch keineswegs. Hortense Moore (sie war Mr. Moores Schwester) war eine sehr ordentliche und ökonomische Person. Der Unterrock, das Jäckchen und die Papierwickel waren ihr Morgenkostüm, in welchem sie des Vormittags stets gewohnt gewesen war, in ihrem Vaterland ihren Haushalt zu beschicken. Sie hielt es nicht für notwendig, englische Moden anzunehmen, weil sie in England zu leben genötigt war, sondern hing ihren alten belgischen Gebräuchen an, überzeugt, dass es ein Verdienst sei, dies zu tun.

Mademoiselle hatte eine vortreffliche Meinung von sich selbst, eine nicht ganz unverdiente Meinung, denn sie besaß einige gute und hervorragende Eigenschaften, aber sie überschätzte die Art und den Grad dieser Eigenschaften und vergaß es ganz, gewisse kleine Mängel in Abrechnung zu bringen, die ihnen zugesellt waren. Man würde sie nie davon überzeugen können, dass sie vorurteilsvoll und engherzig sei, dass sie es in Hinsicht ihrer eigenen Würde und Bedeutung zu hoch nehme und sich zu leicht durch Kleinigkeiten beleidigt fühle. Aber alles dies traf dennoch zu. Wo aber ihren Ansprüchen auf Auszeichnung nicht entgegengetreten und ihre Vorurteile nicht verletzt wurden, konnte sie gut und freundlich sein. An ihren beiden Brüdern (denn außer Robert gab es noch einen anderen: Gérard Moore) hing sie außerordentlich. Als die einzigen übrig gebliebenen Repräsentanten ihrer in Verfall gekommenen Familie waren beide Personen in ihren Augen fast heilig. Von Louis wusste sie jedoch weniger als von Robert. Er war bereits als Knabe nach England geschickt worden, und hatte seine Erziehung in einer englischen Schule genossen. Da sie nicht dazu geeignet war, ihn für den Handel geschickt zu machen, vielleicht auch sein Naturell nicht dazu nicht neigte, hatte er, als das Verlöschen erblicher günstiger Aussichten es für ihn nötig machten, selbst für sein Glück zu sorgen, die sehr schwere und bescheidene Laufbahn eines Lehrers ergriffen. Er war Unterlehrer in einer Schule geworden, und jetzt wie man sagte, Hauslehrer in einer Familie. Wenn Hortense Louis erwähnte, beschrieb sie ihn als jemand, der Mittel genug gehabt habe, der aber zu zurückhaltend und untätig gewesen war, dagegen war ihr Lob Roberts in anderer Weise weniger angemessen. Sie war sehr stolz auf ihn; sie hielt ihn für den größten Mann in Europa; alles, was er sagte und tat, war in ihren Augen ausgezeichnet, und sie erwartete, dass auch andere ihn nach denselben Gesichtspunkten betrachten sollten. Nichts konnte unverständiger, ungebührlicher und schändlicher sein, als irgendeine Art von Kritik gegen Robert, als höchstens eine solche gegen sie selbst.

Als sich daher Robert an den Frühstückstisch gesetzt und sie ihm zu einer Portion Birnenkompott verholfen und eine tüchtige belgische Butterschnitte bereitet hatte, begann sie in eine Flut von Verwunderung und Schrecken über die Vorgänge der letzten Nacht und die Zerstörung der Maschinen auszubrechen.

»Quelle idée, diese Zerstörung! Was für eine schändliche Tat! Quelle action honteuse! On voyait bien que les ouvriers de ce pays étaient à la fois betes et méchants. C’était absolument comme les domestiques anglais, les servantes surtout: rien d’insupportable comme cette Sarah, par exemple!«9

»Sie sieht aber doch nett und arbeitsam aus«, bemerkte Mr. Moore.

»Sieht aus? Ich weiß nicht wie sie aussieht, und ich sage nicht, dass sie schmutzig oder eitel sei, mais elle est d’une insolence!10 Gestern stritt sie mit mir eine Viertelstunde über das Rindfleischkochen. Sie sagte, ich zerkoche es zu Brei, und ein Engländer würde nie imstande sein, eine Schüssel unseres bouilli zu essen; ebenso sei auch die Bouillon nichts besseres als fettiges warmes Wasser, und was das choucroute11 betreffe, so könne sie es nicht anrühren. Die Tonne, die wir davon im Keller haben – köstlich von meiner eigenen Hand bereitet – nennt sie ein Fass mit Spülwasser, das sich allenfalls für Schweine eigne. Ich bin mit dem Mädchen geplagt, und kann sie doch nicht fortschicken, ohne dass ich vielleicht eine noch Schlimmere bekäme. Du bist in derselben Lage mit deinen Arbeitern, pauvre cher frère!12«

»Es tut mir sehr leid, dass du in England nicht sehr glücklich bist, Hortense.«

»Es ist meine Pflicht, Bruder, da glücklich zu sein, wo du bist, aber zudem gibt es freilich tausend Dinge, die mich meine Vaterstadt vermissen lassen. Alle Welt kommt mir hier schlecht erzogen vor. Ich finde, dass man meine Gewohnheiten für lächerlich hält. Wenn ein Mädchen aus deiner Fabrik zufällig in die Küche kommt und mich in meinem Unterrock und Jäckchen antrifft, wie ich das Essen zubereite – denn du weißt ja, ich kann Sarah nicht eine einzige Schüssel anvertrauen – dann lacht es. Nehme ich eine Einladung zum Tee an, was ich zwei bis drei Mal getan habe, muss ich bemerken, dass ich ganz in den Hintergrund gestellt werde, und nicht die Aufmerksamkeit erhalte, die man mir schuldig ist. Von was für einer vortrefflichen Familie sind die Gérards, wir wissen es, und die Moores auch! Sie besitzen das Recht, einen gewissen Respekt zu fordern, und sich verletzt zu fühlen, wenn er ihnen nicht gewährt wird. In Antwerpen wurde ich stets mit Achtung behandelt, hier aber sollte man glauben, dass, wenn ich den Mund in Gesellschaften auftue, ich mit einem lächerlichen Akzent englisch spreche, obgleich ich doch überzeugt bin, dass ich es vortrefflich spreche.

»Hortense, in Antwerpen kannte man uns als reich, in England galten wir immer nur als arm.«

»Freilich, und so kaufmännisch denken viele. Sieh, lieber Bruder, vorigen Sonntag, wenn du dich noch erinnerst, war es sehr nass, ich ging daher in meinen netten schwarzen Holzschuhen zur Kirche, die man freilich nicht in einer vornehmen Stadt anziehen würde, derer ich mich aber auf dem Land stets bedient habe, um auf schmutzigen Wegen voranzukommen. Glaub’s mir, dass, als ich, ruhig und still wie ich stets bin, durch den Chor-Gang gehe, vier Frauen und ebenso viele Männer lachten und die Gesichter hinter den Gebetbüchern verbargen.«

»Gut, gut! Dann ziehe die Holzschuhe nicht wieder an. Ich sagte es dir gleich, dass sie sich für diese Gegend als unpassend erweisen würden.«

»Aber, Bruder, es sind ja keine gewöhnlichen Holzschuhe, solche wie sie die Bauern tragen. Es sind schwarze, sag’ ich dir, sehr anständige und reinliche. In Mons und Leure – Städten, die nicht weit von der höchst eleganten Hauptstadt Brüssel entfernt sind – geschieht es sehr selten, dass angesehene Leute etwas anderes tragen, wenn sie im Winter ausgehen. Lass es mich einmal versuchen, durch den Schlamm der flämischen Chausseen mit ein Paar Pariser Pantöffelchen zu waten, und ich würde schön ankommen.«

»Denke nicht weiter an Mons und Leure und an die flämischen Chausseen. Tue in Rom was die Römer tun, und was das Jäckchen und den Unterrock betrifft, so bin ich auch deshalb nicht ganz sicher. Ich sah noch nie eine englische Dame in einem solchen Aufzug. Frag nur Caroline Helstone.«

»Caroline! Ich soll Caroline fragen? Ich sie über meine Bekleidung um Rat fragen? Sie soll mich wohl etwa über alles belehren? Sie ist noch ein Kind!«

»Sie ist achtzehn Jahre alt, oder wenigstens siebzehn. Alt genug, um alles über Unterröcke, Schuhwerk und dergleichen zu wissen.«

»Tu Caroline keinen Schaden, Bruder, ich bitte dich! Miss ihr keine größere Bedeutung bei als ihr zusteht. Jetzt ist sie noch bescheiden und anspruchslos. Lass uns sie so erhalten.«

»Mit der größten Freude. Kommt sie diesen Morgen her?«

»Sie wird um zehn Uhr in ihren französischen Unterricht kommen.«

»Findest du etwa auch, dass sie dich auslacht?«

»Das tut sie nicht. Sie weiß mich besser zu würdigen als irgendjemand hier, aber sie hat auch die beste Gelegenheit mich kennenzulernen, sie sieht, dass ich Erziehung habe, und Kenntnisse und Benehmen und Grundsätze, kurz alles, was zu einer wohlgeborenen und wohlerzogenen Person gehört.«

»Du hast sie also wohl recht sehr lieb?«

»Lieb? Das will ich nicht gerade sagen. Ich bin nicht von der Art sogleich Feuer zu fangen, und folglich kann man sich auf meine Freundschaft umso mehr verlassen. Ich nehme Rücksicht auf sie als meine Verwandte, und auch ihre Lage flößt mir Anteilnahme ein. Ihr Benehmen als mein Pflegekind ist bisher der Art gewesen, dass es die Anhänglichkeit, die aus anderen Ursachen entspringt, eher vermehrt als vermindert hat.«

»Sie benimmt sich beim Unterricht wohl recht gut?«

»Gegen mich sehr, aber du weißt auch, Bruder, dass ich eine Art habe, die geeignet ist, zu große Vertraulichkeit zurückzuweisen, Achtung zu gewinnen und Respekt einzuflößen. Da ich sehr aufmerksam bin, sehe ich sehr deutlich, dass Caroline noch nicht vollkommen ist, dass man bei ihr noch manches vermisst.«

»Schenke mir die letzte Tasse Kaffee ein, und während ich trinke, unterhalte mich mit einer Aufzählung ihrer Fehler.«

»Lieber Bruder, es freut mich sehr, dass du dein Frühstück nach der anstrengenden Nacht, die du durchlebt hast, so gemütlich verzehrst. Caroline fehlt allerdings noch vieles, aber bei meiner bildenden Hand und fast mütterlichen Sorge wird sie wohl immer weiter kommen. Es liegt so etwas in ihr, eine gewisse Zurückhaltung, die mir nicht ganz recht ist, weil sie nicht ganz mädchenhaft und untergeben ist, und dann zeigen sich auch wieder Spuren einer ungezügelten Aufregung in ihrem Wesen, die mich aufregt. Und doch ist sie gewöhnlich sehr ruhig, ja, manchmal zu niedergeschlagen und nachdenklich. Mit der Zeit hoffe ich, sie gleichbleibend gesetzt und sittsam zu machen ohne dabei unerklärlichen Gedanken nachzuhängen. Ich kann alles, was unverständlich ist, nicht leiden.«

»Ich verstehe dich in dieser Beziehung durchaus nicht. Was verstehst du zum Beispiel unter ›ungezügelter Aufregung‹?«

»Vielleicht wird es dir ein Beispiel am besten erklären. Du weißt, dass ich sie oft französische Dichter lesen lasse, damit sie die Aussprache lernt. So hat sie denn nacheinander Corneille und Racine mit großem Eifer und ruhiger Haltung gelesen, wie ich es gern habe. Zuweilen zeigte sie zwar eine Art von Mattigkeit bei der Lektüre dieser geschätzten Autoren, die mehr wie Apathie als ruhige Haltung aussah, und Apathie ist das, was ich bei denen, die die Wohltat meines Unterrichts genießen, durchaus nicht ertragen kann, und noch dazu soll niemand beim Studium klassischer Werke apathisch sein. Neulich gebe ich ihr nun ein Buch mit kurzen, kleinen Gedichten in die Hand. Ich setzte sie ans Fenster, um eins davon auswendig zu lernen, und als ich aufsah, bemerkte ich, wie sie die Blätter ungeduldig umschlug und beim flüchtigen Überlesen der kleinen Gedichte die Lippen verächtlich aufwarf. Ich schalt sie aus. ›Liebe Cousine‹, sagte sie, ›das alles langweilt mich aufs Schrecklichste.‹ Ich sagte ihr, dass sich das gar nicht schicke. ›Aber mein Gott‹, rief sie aus, ›gibt es denn auch nur zwei poetische Zeilen in der französischen Literatur?‹ Nun fragte ich, was sie damit meine, da bat sie mich denn wieder mit angemessener Demut um Verzeihung. Nun war sie lange still. Ich sah sie über dem Buch vor sich hinlächeln. Sie fing an, höchst eifrig zu lernen. Nach einer halben Stunde kam sie, stellte sich vor mich, gab mir das Buch, faltete die Hände, wie ich es ihr immer zu tun vorgeschrieben habe, und fing an, ein kurzes Stück von Chenier, ›Die junge Gefangene‹, aufzusagen. Wenn du die Art und Weise gehört hättest, wie sie das tat, und wie sie, als es geschehen war, noch einige unzusammenhängende Bemerkungen herausstieß, würdest du wissen, was ich unter dem Ausdruck ›ungezügelte Aufregung‹ verstehe. Man hätte glauben sollen, Chenier sei ergreifender als Racine und Corneille. Du, lieber Bruder, wirst bei deinem großen Scharfsinn einsehen, dass diese unangemessene Vorliebe von einem ungezügelten Geist zeugt. Aber sie hat glücklicherweise mich zur Lehrerin. Ich will ihr ein System, eine Methode zu denken, einen Schatz von Ansichten beibringen, will ihr die vollkommene Leitung und Zügelung ihrer Gefühle beibringen.«

»Das tue doch, ja, Hortense. Da kommt sie. Ich dachte, ihr Schatten wäre es gewesen, der eben am Fenster vorüberstreifte.«

»Gewiss, gewiss! Sie kommt immer zu früh – eine halbe Stunde vor der Zeit. – Mein Kind, was bringst du mir denn noch vor dem Frühstück?«

Diese Frage wurde an eine Person gerichtet, die jetzt ins Zimmer trat, ein junges Mädchen, in einen Wintermantel gehüllt, dessen Falten sich nicht ohne Liebreiz um die dem Anschein nach schlanke Gestalt schmiegten.

»Ich eilte, zu sehen, Hortense, wie es Ihnen gehe, und Robert auch. Ich war überzeugt, dass sie beide über das, was in der letzten Nacht geschah, betrübt wären. Ich hörte es erst heute früh. Mein Onkel sagte es mir beim Frühstück.«

»Oh! Es ist unaussprechlich! Sie verstehen uns? Ihr Onkel versteht uns?«

»Mein Onkel ist sehr ärgerlich, aber er war bei Robert, glaube ich, nicht wahr? Ging er nicht mit Ihnen ins Moor von Stilbro’?«

»Ja, wir marschierten in echt kämpferischem Stil aus, Caroline, aber die Gefangenen, die wir befreien wollten, begegneten uns schon auf halbem Weg.«

»Es wurde also niemand verletzt?«

»Nein, bloß Joe Scotts Knöchel wurden ein wenig geschunden, weil ihm die Hände zu fest auf den Rücken gebunden waren.«

»Sie waren nicht mit dabei? Sie waren nicht mit bei den Wagen, als sie angegriffen wurden?«

»Nein, man hat selten das Glück dabei zu sein, wenn man es ganz besonders wünscht.«

»Wo gehen Sie heute Morgen hin? Ich sah Murgatroyd im Hof Ihr Pferd satteln.«

»Nach Whinbury: Es ist Markttag.«

»Mr. Yorke ist auch hingegangen. Ich begegnete ihm in seinem Gig. Kommen Sie mit ihm zurück?«

»Warum?«

»Zwei sind besser als einer, und Mr. Yorke hat keine Feinde, wenigstens nicht unter dem armen Volk.«

»Er würde also für mich, der gehasst wird, ein Schutz sein?«

»Der missverstanden wird, das ist bestimmt das richtige Wort. Sollte man Sie hassen? Sollte man ihn hassen können, Cousine Hortense?«

»Es ist leider nur allzu wahrscheinlich. Er hat oft in Whinbury viele Geschäfte zu tätigen. Haben Sie Ihr Übungsbuch mitgebracht, Kind?«

»Ja. Wann werden Sie wiederkommen, Robert?«

»Gewöhnlich komme ich um sieben Uhr wieder. Wünschen Sie, dass ich früher nach Hause komme?«

»Versuchen Sie lieber um sechs Uhr zurück zu sein. Es ist jetzt noch nicht ganz finster um sechs, aber um sieben ist die Tageshelle völlig vorüber.«

»Und was hätte ich denn zu befürchten, Caroline, wenn es nicht mehr hell ist? Welche Gefahr meinen Sie denn, die in Begleitung der Finsternis über mich komme?«

»Ich glaube kaum, dass ich meine Befürchtungen deutlich erklären kann, aber wir alle haben jetzt eine gewisse Ängstlichkeit wegen unserer Freunde. Mein Onkel sagt, dass diese Zeiten gefährlich sind; er sagt auch, dass die Fabrikbesitzer unpopulär sind.«

»Und ich einer der unpopulärsten? Ist es nicht so? Sie scheuen sich, das offen auszusprechen, aber im Herzen glauben Sie, dass ich Pearsons Schicksal ausgesetzt sei, auf den geschossen wurde – nicht allerdings hinter einer Hecke hervor, sondern in seinem eigenen Haus, durch sein Treppenfenster, als er zu Bett gehen wollte.«

»Anna Pearson zeigte mir die Kugel in der Kammertür«, bemerkte Caroline ernst, nahm ihren Mantel und legte ihn samt dem Muff auf einen Seitentisch.

»Sie wissen, es geht eine Hecke längs des ganzen Weges von hier nach Whinbury entlang, und man muss an den Fieldhead-Anpflanzungen vorbei. Aber Sie kommen um sechs Uhr wieder oder noch früher?«

»Das wird er gewiss«, versicherte Hortense. »Und jetzt, mein Kind, sehen Sie Ihre Aufgaben noch einmal durch, während ich die Erbsen einweiche, zum Püree für das Mittagsessen.«

Daraufhin verließ sie das Zimmer.

»Glauben Sie denn, Caroline, dass ich viele Feinde habe?« fragte Mr. Moore: »Und ebenso sicher auch, dass ich wenig Freunde besitze?«

»Das nicht, Robert. Da sind ja Ihre Schwester und Ihr Bruder Louis – den ich noch nie gesehen habe – und Mr. Yorke, und auch mein Onkel, ach, und gewiss auch noch viele andere.«

Robert lächelte. »Es würde Ihnen schwer fallen, die vielen anderen zu nennen«, sagte er. »Aber zeigen Sie mir Ihr Aufgabenbuch. Was für außerordentliche Mühe Sie sich doch mit dem Schreiben geben! Zweifelsohne verlangt dies meine Schwester. Sie will Sie gern in allem nach Art eines flämischen Schulmädchens bilden. Wozu ist aber Ihre Zukunft bestimmt, Caroline? Was werden Ihnen Ihr Französisch, Ihr Zeichnen und andere Fähigkeiten helfen, wenn sie erworben sind?«

»Sie sagen sehr deutlich, wenn sie erworben sind, denn Sie wissen ja, dass ich, bis Hortense ihren Unterricht begann, ungemein wenig wusste. Was übrigens meine Zukunft betrifft, zu der ich bestimmt bin, kann ich Ihnen nichts darüber sagen. Ich bilde mir ein, dass ich meines Onkels Haushalt führen werde«, hier stockte sie.

»Bis wann? Bis er gestorben ist?«

»Nein. Wie hart das ist, so zu sprechen! Ich denke nie an seinen Tod, auch ist er erst fünfundfünfzig Jahre alt. Also bis die Verhältnisse andere Beschäftigung für mich bieten.«

»Eine sehr unbestimmte Aussicht! Sind Sie zufrieden damit?«

»Früher war ich es wohl. Kinder pflegen, wie Sie wissen, wenig nachzudenken, oder ihr Denken beschränkt sich gewöhnlich auf Wunschvorstellungen. Jetzt aber gibt es Augenblicke, wo ich es nicht ganz bin.«

»Warum?«

»Ich kann kein Geld verdienen – nichts erwerben.«

»Sie kommen auf den Punkt, Lina. Also auch Sie wünschen, Geld zu erwerben?«

»Allerdings. Ich würde gern eine Beschäftigung haben, und wäre ich ein Knabe, würde ich sie wohl bald gefunden haben. Ich sehe so einen leichten und angenehmen Weg zur Erlernung eines Geschäfts vor mir, wodurch ich mir im Leben weiterhelfen könnte.«

»Und dies wäre?«

»Ich könnte Ihr Geschäft, den Tuchhandel, erlernen. Da wir entfernte Verwandte sind, könnte dies bei Ihnen geschehen. Ich würde die Kontor-Arbeit übernehmen, die Bücher halten und Briefe schreiben, während Sie auf den Märkten wären. Ich weiß, dass Sie danach streben, reich zu werden, damit Sie Ihres Vaters Schulden bezahlen können, vielleicht könnte ich Ihnen dabei helfen, reich zu werden.«

»Mir helfen? Sie sollten doch zuerst an sich selbst denken.«

»Ich denke auch an mich selbst, aber muss man denn immer nur an sich selbst denken?«

»An wen denke ich denn sonst? An wen darf ich denken? Der Arme darf nicht viel Mitleid haben. Es ist seine Pflicht, engherzig zu sein.«

»Nein, Robert, das nicht –«

»Und doch, Caroline. Armut ist notwendigerweise selbstsüchtig, zurückgezogen, mürrisch und ängstlich. Dann und wann kann wohl auch eines armen Mannes Herz, wenn es gewisse Sonnenstrahlen und Tautropfen besuchen, anschwellen wie an diesem Frühlingstag die knospende Vegetation in diesem Garten, sich reif fühlen, sich in Blätter entfalten – vielleicht in Blüten, aber er darf diesen lieblichen Trieb nicht ermutigen, muss die Klugheit herbeirufen, ihn mit ihrem frostigen Atem zu unterdrücken, der so tödlich ist wie der Hauch des Nordwindes.«

»Dann könnte ja in keiner Hütte Glück wohnen.«

»Wenn ich von Armut spreche, meine ich nicht die natürliche, gewöhnliche Armut des arbeitenden Mannes, sondern vielmehr die in Verlegenheit setzende Armut des verschuldeten Mannes. Mir liegt stets ein verkommener, ankämpfender, sorgenvoller Handelsmann im Sinn.«

»Nähren Sie Hoffnung, nicht Ängstlichkeit. Gewisse Vorstellungen sind bei Ihnen zu fest verwurzelt. Es mag wie Anmaßung aussehen, aber ich muss Ihnen sagen, dass ich das Gefühl habe, es liege etwas Falsches in Ihren Ansichten über die besten Mittel, Glück zu erreichen; so zum Beispiel in – «

Sie zögerte.

»Ich bin ganz Ohr, Caroline.«

»In – Mut! Lassen Sie mich die Wahrheit offen sagen – in Ihrem Benehmen – bedenken Sie wohl, ich sage nur Benehmen – gegen dieses Yorkshirer Arbeitervolk.«

»Sie haben mir das schon oft sagen wollen, nicht wahr?«

»Ja, oft – sehr oft.«

»Die Fehler meines Benehmens sind, glaube ich, bloß negativ. Ich bin nicht stolz, worauf sollte ein Mann in meiner Lage auch stolz sein? Ich bin bloß schweigsam, gleichmütig und unlustig.«

»Als ob Ihre lebenden Tuchweber bloße Maschinen wären wie Ihre Rahmen und Scheren! In Ihrem eigenen Haus sind Sie ganz anders.«

»Weil ich denen, die zu meinem Haus gehören, kein Fremder bin, wie diesen englischen Bauern. Ich möchte gern den Wohlwollenden ihnen gegenüber spielen, aber spielen ist nicht meine Stärke. Ich finde sie unvernünftig und verdorben. Sie hindern mich, das zu erreichen, wonach ich strebe. Indem ich sie gerecht behandle, erfülle ich meine ganze Pflicht gegen sie.«

»Also erwarten Sie auch keine Liebe von ihnen?«

»Wünsche sie nicht einmal.«

»Ach!« sagte die Mahnende, schüttelte den Kopf und stieß einen tiefen Seufzer aus. Mit diesem Ausruf, der anzeigte, dass sie nicht ganz miteinander einig waren, es aber nicht in ihrer Macht stehe, dies zu erreichen, beugte sie sich über ihre Grammatik und suchte die heutige Regel und Aufgabe.

»Ich meine kein sehr herzlicher Mensch zu sein, Caroline. Die Zuneigung einiger weniger Personen genügt mir.«

»Wären Sie wohl so gütig, mir, ehe Sie fortgehen, ein paar Federn zu schneiden?«

»Lassen Sie mich vor allen Dingen Ihr Buch in Ordnung bringen, denn Sie ziehen stets die Linien schief. … Da, so ist es gut! … Und nun die Federn. Sie wollen sie gern recht scharf, glaube ich.«

»So wie Sie sie gewöhnlich für mich und Hortense schneiden, nicht so breit wie Ihre eigenen Federn.«

»Wäre ich jetzt an Louis Stelle, könnte ich zu Hause bleiben und diesen Morgen Ihnen und Ihren Studien widmen, so aber muss ich ihn in Sykes Wolllager zubringen.«

»Da werden Sie Geld erwerben.«

»Oder noch wahrscheinlicher verlieren.«

Als er die Federn geschnitten hatte, brachte man ein Pferd gesattelt und gezäumt an die Gartentür.

»Da ist mein Ross fertig. Ich muss gehen. Ich will nur noch einen Augenblick nachsehen, was der Frühling bereits an der südwärts gelegenen Grenze getan hat.«

Er verließ das Zimmer und ging in den Garten hinter der Fabrik. Einige Spitzen jungen Grüns und aufgeblühter Blumen, Schneeglöckchen, Krokus, selbst Primeln, blühten im Sonnenschein an den heißen Mauern der Werkstatt. Moore pflückte hier und da eine Blüte, ein Blatt, bis er einen kleinen Strauß beisammen hatte, dann ging er in den Salon zurück, nahm einen seidenen Faden aus dem Arbeitskörbchen seiner Schwester, band die Blumen damit zusammen und legte sie auf Carolines Tischchen.

»Nun, guten Morgen!«

»Vielen Dank, Robert. Das ist wunderschön. Es sieht aus, wenn es so daliegt, wie Funken von Sonnenschein und blauem Himmel. Guten Morgen!«

Er ging an die Tür – hielt an – öffnete die Lippen, als wolle er sprechen, sagte jedoch nichts und ging weiter. Er ging durch die Pforte und bestieg sein Pferd. Nach einer Sekunde sprang er schon wieder aus dem Sattel, übergab Murgatroyd die Zügel und ging wieder ins Cottage.

»Ich hatte meine Handschuhe vergessen«, sagte er, tat, als nähme er etwas vom Seitentisch, und bemerkte dann wie nach einer plötzlichen Eingebung: »Sie haben wohl heute keine bestimmte Beschäftigung, Caroline?«

»Die habe ich nie. Einige Kindersöckchen, die Mrs. Ramsden für den Judenkorb zu stricken bestellt hat. Aber es hat Zeit.«

»Judenkorb – zu verkaufen! Nie wurde ein Gerät zweckmäßiger benannt. Etwas jüdischeres als dieses, seinem Inhalt und seinem Preis nach, kann man sich nicht vorstellen. Aber da sehe ich so ein kleines Schmollen am äußersten Rand Ihrer Lippen, das mir sagt, Sie kennen dessen tatsächlichen Wert ebenso gut wie ich. Lassen Sie also den Judenkorb im Stich und verbringen Sie den heutigen Tag stattdessen hier. Ihr Onkel wird über Ihre Abwesenheit doch nicht traurig sein?« Lächelnd sagte sie: »Oh nein!«

»Der alte Kosak! Ich glaube nicht!« murmelte Moore. »Dann bleiben Sie und speisen mit Hortense zu Mittag. Sie wird große Freude über Ihre Gesellschaft haben. Ich komme zeitig wieder. Abends wollen wir etwas lesen. Der Mond geht nach halb acht auf und um neun Uhr will ich Sie dann in die Pfarrei zurückbegleiten. Ist es Ihnen so recht?« Sie nickte mit dem Kopf und schlug die Augen weit auf.

Moore blieb noch zwei Minuten. Er neigte sich über Carolines Tisch und blickte auf ihre Grammatik. Er ergriff ihre Feder, er hob ihren Strauß auf und spielte mit ihm. Ungeduldig stampfte sein Ross. Murgatroyd räusperte sich und hustete an der Hoftür, als wundere er sich, was in der Welt sein Herr nur zögere.

»Guten Morgen!« sagte Moore nochmals und verschwand endlich.

Als Hortense zehn Minuten später eintrat, stellte sie zu ihrer Verwunderung fest, dass Caroline ihre Aufgabe noch nicht angefangen hatte.

Shirley (Deutsche Ausgabe)

Подняться наверх