Читать книгу Die Welt wird sich ändern - Chris Cenatti - Страница 7
ОглавлениеDas Märchen von der schönen neuen Welt
Wenn man klein ist, erzählen einem die Erwachsenen Geschichten, Märchen, die der Fantasie entspringen. Hier kämpfen edle Ritter mit Drachen um schöne Burgfräuleins, immer verfolgt von schlechtgelaunten Vätern, von missgünstigen Stiefmüttern oder anderen Schreckgespenstern. Am Ende siegt immer das Gute und Edle. Das Böse wird vernichtet und muss weichen.
Mit diesen Geschichten gehen wir als junge Menschen hinaus in die Welt und glauben, dass auch im richtigen Leben das Gute über das Böse siegt. Es dauert eine Weile, bis wir feststellen, dass das keineswegs immer so ist. Ganz im Gegenteil: Im wahren Leben siegen meist die Rücksichtslosen und die Schurken. Die Guten scheinen ihnen nichts entgegensetzen zu können. Und dann kommt irgendwann die Entscheidung wie bei dem jungen Skywalker in der bekannten Filmproduktion „Star Wars“, ob man sich auf die gute oder auf die böse Seite der Macht begibt. Manche sträuben sich auch dagegen, sich endgültig festzulegen. Sie sind zeitlebens immer in einem Zwiespalt für welche Seite sie sich entscheiden sollen.
Und so erschafft der Mensch seine eigene Wirklichkeit. Die kann gut sein und voll mit Menschlichkeit und Liebe, sie kann aber auch abgrundtief böse und gemein sein. Viele Menschen wirken kalt und rücksichtslos. So kommt es, dass auch heute noch die guten gegen die schlechten Mächte kämpfen. In der realen Welt finden wir die edlen Prinzessinnen und Prinzen aus unserem Märchenbuch nicht mehr. Im echten Leben wird den Kindern und Jugendlichen vorgegaukelt, wenn sie nur immer schön dem Konsumgott dienen, dann werden sie begehrt und erfolgreich sein. Die Liebe und Anerkennung erkauft man sich durch den Besitz von Markenklamotten und dem neuesten Mobiltelefon. Auf den sozialen Netzwerken findet man viele Freunde und kann rund um die Uhr mit jedem weltweit chatten. Aber trotz vieler Chats und tausender digitaler Freunde bleibt der Mensch einsam. Er braucht die Nähe anderer Menschen, die er um sich hat, die ihn lieben und verstehen.
Angeschlossen an die digitalen Netzwerke, in denen schon Kinder und Jugendliche alle privaten Dinge für jedermann preisgeben, bemerken viele bald wie einsam sie sind. Gefangen in einem Körper, der trotz aller Hungerkuren nicht dazu taugt zu „Germany´ s Next Top Model“ aufzusteigen und ohne jede exhibitionistische Showqualitäten, die für „Deutschland sucht den Superstar“ ausreichen könnten. Der Alltag bleibt glanzlos und hart, mit wenig Freizeit und hohem Stresspotential bereits im jungen Alter. Schon sehr früh wird aussortiert. Die Noten und vor allem auch die Herkunft entscheiden darüber, wer eine höhere Schullaufbahn einschlagen kann und wer erfolgreich und wohlhabend sein wird. Wer keine Eintrittskarte zu einem besseren Leben hat, bleibt draußen.
Fernsehsender zeigen den Jugendlichen, wie man als Immobilienmakler oder Autohändler cool und möglichst ohne Anstrengung viel Geld verdient. Andere wieder verdienen viel Geld als Influencer mit tausenden Followern, für die sie gezielt Werbebotschaften platzieren. Den Erfolg erkennt man an den Statussymbolen: „Mein Haus, mein Auto, meine Yacht“. Andere Werte, wie Freundschaft, Familie oder Hilfsbereitschaft und Charakter zählen nicht in dieser Welt der Statussymbole. Viele junge Menschen flüchten sich so in eine Traumwelt, die sich aber leider nur für die wenigsten von ihnen öffnet.
Es gibt dann später bei den Erwachsenen die Gewinner und Verlierer. Wenn man es geschafft hat, kostet man seinen Erfolg aus. Die Verlierer sind ja selbst schuld, wenn sie zu wenig Ehrgeiz zeigen. Inzwischen öffnet sich eine breite Schere zwischen Arm und Reich. 1 Die arbeitende Bevölkerung verdient nicht genug, um auch am Luxus teilzuhaben. Gerade in den ärmeren Ländern kämpfen viele täglich ums Überleben. Andere schwelgen im Luxus. Anstatt uns human vorwärts zu bewegen, gelten wieder die alten Gesetze eines Steinzeitkapitalismus: „Nimm Dir was Du brauchst! Achte nicht auf andere! Wer nichts hat ist selbst schuld!“ Sozialhilfe, Rentenanpassung, soziale Projekte? „Nein danke!“
Betrachtet man unsere Erde weltweit, ist die schöne neue Welt nur für ganz wenige eine Traumwelt aus Konsum und Selbstverwirklichung. Viele Menschen in den armen Ländern leben heute noch wie moderne Sklaven aus einem anderen Jahrhundert. Für einen Hungerlohn müssen sie ihr ganzes Leben, oft schon von Kindesbeinen an, für den Wohlstand der anderen schuften. Gezielt wird diesen Menschen die Möglichkeit, sich zu bilden verwehrt. Sie könnten ja auf die Idee kommen aus ihrem Sklavendasein auszubrechen. Sieht man die Verteilung des Reichtums auf nur wenige und die große, bittere Armut von so vielen, fühlt man sich um hunderte von Jahren zurückversetzt. Schon im alten Ägypten und Rom, später im Mittelalter bis hin zu den Zeiten der Industrialisierung gab es auf unseren Planeten nur wenige reiche Menschen. Die Mehrheit der Menschen war arm und wurde ausgebeutet und unterdrückt.
Das Recht des Stärkeren gilt immer noch. Wenige reiche Staaten beuten die ärmeren Länder heute noch wie zu den Zeiten des Kolonialismus aus. Glück hat, wer wohlhabend geboren wird. Die anderen haben nun mal Pech. Da kann man nichts machen, sonst würde man seinen eigenen Wohlstand gefährden. Das versuchen die Mächtigen uns Unentschlossenen als unabänderliche Wahrheit darzustellen. Den Armen macht man vor, sie könnten den amerikanischen Traum leben: „Vom Tellerwäscher zum Millionär.“ Viele der Armen glauben allerdings schon lange nicht mehr an dieses Märchen.
Wie lange können wir reichen Länder uns die Überzahl an armen Menschen noch mit bewachten Grenzen und Soldaten vom Leibe halten? Wie lange geben sich die verarmten Massen zufrieden mit dem Wenigen, das sie vom Kuchen abbekommen? Wie lange geben wir uns selbst noch zufrieden mit diesen unmenschlichen Zuständen, die wir tolerieren sollen, um unseren kleinen Wohlstand mit Eigenheim, Auto und Mobiltelefon nicht zu gefährden? Wer nimmt uns die Angst für Menschlichkeit und unsere Ideale zu kämpfen? Wann werden wir zum kühnen Ritter, wann werden wir zur holden Prinzessin, die nicht nur vor dem Spiegel steht und sich schön macht? Die schöne neue Welt, die uns die Reichen und Mächtigen hinterlassen haben, ist voll mit Ungerechtigkeit, Hunger und Leid.
Es gibt viel zu tun. An oberster Stelle steht die Abwehr der Gefahren, die sich durch den jahrzehntelangen Raubbau an unserem Planeten Erde ergeben haben. Genauso rücksichtslos, wie sich die alte Machtriege gegenüber den Erdbewohnern verhält, genauso rücksichtlos beutet sie unseren Planeten Erde aus. Doch dieser von Abholzung und Schmutz schwer angegriffene Planet wehrt sich nun. Sturm, Erdbeben, eine globale Erderwärmung, das Ozonloch und das Schmelzen des Eises an den Polen sind furchtbare Vorboten einer anstehenden Katastrophe, wenn nicht sehr bald etwas geschieht. Die Menschen müssen umdenken, sonst werden sie dieses Jahrhundert nicht überleben. Noch wird uns vorgemacht, dass die reichen Länder sich abschirmen können vor solchen Katastrophen und vor den armen und hungrigen Menschen aus anderen Ländern. Das wird uns aber nicht auf Dauer gelingen. Eine schöne neue Welt sieht anders aus. Sie darf nicht mehr nur Wenigen ein Leben im Luxus garantieren. Es muss eine solidarische Gemeinschaft aller Menschen entstehen, bei der der Einzelne auch mal verzichtet zum Wohle aller. Die Vernunft muss siegen über die Gier und den Unverstand.
Schaffen es die Menschen nicht, die alten Denkweisen und Machtmuster zu überwinden und hören sie nicht damit auf, das meiste Geld in Waffen zur gegenseitigen Vernichtung und in die Ausbeutung von Ressourcen zu stecken, werden weitere Katastrophen folgen. Noch werden Luxusträume für wenige Auserwählte aufgebaut anstatt Geld in die Entwicklung von neuen Technologien und in eine nachhaltige Produktion zu investieren.
Es wird Zeit für einen Umdenkprozess. Wenn wir die Medien verfolgen, sehen wir, dass eine weltweite Bewegung entsteht. Überall machen sich junge und auch ältere Menschen auf den Weg, die den Irrsinn von Kriegen und massiver Umweltzerstörung satt haben. Es sind Menschen, die an die Zukunft unseres Planeten glauben, die ihn schützen wollen vor skrupelloser egozentrischer Ausbeutung. Es sind Menschen, die andere Werte haben, als immer nur das Beste auf Kosten anderer für sich herauszuschlagen. Die neue Bewegung schließt sich zusammen, um gegen den gemeinsamen Feind, der Unmenschlichkeit und Ignoranz, die sich in unserer Gesellschaft ausgebreitet haben, vorzugehen. Neue Werte werden die alten ersetzen. Nichts bleibt, wie es war.
1 https://www.oxfam.de/ueber-uns/aktuelles/2018-01-22-82-prozent-weltweiten-vermoe-genswachstums-geht-reichste-prozent