Читать книгу Wüstenkrieger - Chris Svartbeck - Страница 10

Auch Zauberer irren

Оглавление

Der Befehl war eindeutig. Jo sollte zu seinem Turm zurückkehren und dort für Meister Ro nach einem Schriftstück suchen. Persönliche Aufzeichnungen seines alten Meisters, Go. Skane hatte keine Einwände. Alles war besser, als in Jos Identität in der Kristallkammer zu hocken und jeden Tag aufs neue Lektionen zu erlernen, die er seit Jahrhunderten im Schlaf beherrschte. Er hatte es sich deutlich einfacher vorgestellt, in Jos Körper zu spionieren. Aber wer hätte ahnen können, dass die alten Narren, die die Kristallkammer regierten, tatsächlich so versessen darauf waren, ihren jungen Kollegen richtig auszubilden?

Ein paar Tage außerhalb der Kristallkammer waren da die reinste Erholung. Auch, wenn sie nur eine bedeutungslose Fahrt zu einem Zaubererturm in der tiefsten Provinz beinhalteten.

Das hieß, Skane hielt diese Fahrt für bedeutungslos. Solange, bis Meister Ro ihn zu sich rief und ihm eine persönliche Botschaft für die Verwalterin des Turmes überreichte. Solange, bis Skane den Namen dieser Verwalterin erfuhr. Ak!

Ausgerechnet Ak!

Ak, die eine führende Rolle in den diversen Zaubererkriegen gespielt hatte! Ak, die berüchtigt war für ihr gutes Gedächtnis, die die Signaturen ihrer ehemaligen Gegner vermutlich heute noch wie im Schlaf kannte. Ak würde sofort erkennen, dass er nicht Jo war. Frauen waren unschlagbar im Signaturenlesen. Und Ak kannte Jo gut genug.

Dazu durfte es nicht kommen. Er durfte auf keinen Fall enttarnt werden. Noch wussten die Herren der Kristallkammer nichts davon, dass einige ihrer alten Gegner überlebt hatten. Und dabei sollte es möglichst auch bleiben. Er durfte kein Risiko eingehen. Skane präparierte sich für den Kampf.

Wenn er Ak vernichten wollte, durfte es keine Zeugen geben. Einen Moment spielte Skane mit dem Gedanken, den ganzen Turm mit allem Drum und Dran einfach zu vernichten. Aber das wäre nur dann ein glaubwürdiger Unfall, wenn er so täte, als ob er selbst, oder besser gesagt Jo, beim unsachgemäßen Gebrauch seiner Zauberkräfte mit draufgegangen wäre. Was wiederum jede weitere Spionagetätigkeit in der Kristallkammer wirkungsvoll unterbunden hätte. Nein, er musste Ak aus dem Turm locken und an einer anderen Stelle vernichten.

Unauffällig zog er ein paar Erkundigungen ein. Ak verwaltete den Turm offenbar gut. Die Dörfer um den Turm hatten ihre Dienste schon mehrfach in Anspruch genommen. Ak half schnell, gut, und verlange relativ wenige Schüler als Bezahlung. Sie aus dem Turm zu bekommen, würde also einfach sein und niemandem auffallen.

Skane schickte eine fingierte Nachricht. Es war nur ein kleines, unbedeutendes Dorf von rund drei Dutzend Bauern, außer Sichtweite anderer Ansiedlungen. Eine Seuche sei ausgebrochen, ließ Skane in seiner Botschaft wissen. Es war einfach, diese Seuche zu bewerkstelligen. Eine kleine Manipulation an einem lokalen Erreger, und in weniger als einer halben Kerze war das ganze Dorf krank. Und noch bevor Ak eintraf, waren alle Dorfbewohner tot. Keine Zeugen, kein Ärger. Skane war mit seiner Arbeit zufrieden. Er setzte sich auf den entvölkerten Dorfplatz und wartete auf Aks Eintreffen.

*

Ak traf zur Mittagszeit mit einem rumpelnden Ochsenkarren ein. Die Aasvögel, die bereits über dem Dorf kreisten, alarmierten sie sofort. Skane konnte sehen, dass Ak einen Arbeitsspiegel in der Hand hielt, und ihre Signatur verriet ihm, dass sie bereits einen Schutzschild aufgebaut hatte. Allerdings vermutlich nur einen sehr schwachen, um sich vor der Seuche zu schützen. Ak hatte keinen Grund, an etwas Gefährlicheres zu denken.

Skane legte Jos Gesicht in traurige Falten und erhob sich. Ak stieg von ihrem Wagen und kam auf ihn zu. Immer noch erkannte sie ihn nicht, auch wenn ihre Miene wachsam war. Skane griff nach seinem Stab. In dem Moment, in dem seine Hände ihn berührten, ging eine jähe Verwandlung durch Ak. Fort war die etwas müde, leicht besorgte, mütterliche Frau. Fort war der kleine Arbeitsspiegel. Vor ihm stand eine Zauberin, gehüllt in eine fast greifbare Wolke der Macht, in der Hand einen Seelenspiegel, und auf ihrer Miene unerbittliche Entschlossenheit. „Du bist nicht Jo!”

Skane sparte sich eine Antwort auf das Offensichtliche.

„Ich kenne dich … irgendwoher.”

Skane gab ihr keine Gelegenheit, in ihrer Erinnerung zu suchen. Er griff an, hart, direkt. Die Luft ging in Flammen auf. Die Ochsen brüllten wie am Spieß, bevor sie tot umfielen und sich zusammen mit dem Wagen in Asche auflösten. Der Feuersturm tobte durch das ganze Dorf, löschte alles aus, was in seinen Weg kam.

Aber Ak hielt stand. Eis kristallisierte an der Schutzwand, die sie um sich gewoben hatte, Eis, das das Feuer dämpfte und schließlich zum Erlöschen brachte. „Ich … kenne … dich!” Skane konnte Aks Gedanken wie spitze Dornen fühlen. „Ich … habe … schon … früher … gegen … dich … gekämpft!” Die Dornen wurden zu Pfeilen, rasten auf ihn zu. Skane zog eine steinerne Barriere. Die Pfeile prallten dagegen, die Barriere explodierte in einer Myriade Splittern. Schon brandete die nächste Angriffswelle auf ihn zu, eine zähe, glosende Masse geschmolzener Erde, wallte aus dem Boden, kreiste ihn ein, wölbte sich über ihn und drohte auf ihn herabzubrechen. Skane schwang seinen Stab. Die Wogen zuckten zurück wie Spatzen unter einem Habicht. Sie verformten sich zu dornengespickten stählernen Ranken, die auf Ak herabpeitschten. Ak konterte, indem sie die Stahlranken in einen Schwarm wütender Bienen verwandelte. Einen Moment war Skane aus dem Konzept gebracht. Seit wann konnte man unbelebte Materie in belebte umwandeln? Ak nutzte sein Zaudern, um die Bienen fast auf Tuchfühlung mit ihm zu bringen. Gerade noch rechtzeitig gelang es Skane, eine Wasserwand um sich zu formen, in der die Bienen erstickten. Nun, wenn Ak mit Neuigkeiten aufwartete – das konnte er auch!

Ak rang nach Luft. Der Zauberer, der Jos Körperbild trug, war stark, verdammt stark. Und sie hatte schon einmal gegen ihn gekämpft. Früher. Sehr viel früher. Aks Gedanken glitten zurück in der Zeit. Ja, sie kannte diesen Zauberer. Sie hatte beim Aufstand gegen ihn gekämpft. Damals war er noch Anfänger gewesen. Aber ein sehr begabter. Skane, richtig! Skane hieß er. Und er war damals schon ein starker Gegner gewesen. Ak rang erneut nach Luft. Verdammt, warum fiel ihr der Kampf heute so schwer? Dunkle Punkte kreisten vor ihren Augen. Sie versuchte, tief einzuatmen. Aber da war nichts … nichts? Jäh begriff Ak. Skane hatte ihr die Luft genommen. Und sie hatte nichts bemerkt. Sie sah direkt in seine Augen. Augen, in denen Triumph blitzte. Skane wusste, dass er sie in der Falle hatte. Ihr Körper hatte nicht mehr genug Energie, um diesen Kampf fortzusetzen. Sie war verloren. Ihr Gegner war zu stark.

Ak griff zu dem allerletzten Ausweg. Einem, von dem sie gedacht hatte, dass sie ihn niemals benutzen würde. Sie berührte ihren kleinen Arbeitsspiegel und ließ sich hineinfallen.

Spiegel. Die letzte Zuflucht aller Feiglinge. Skane starrte auf das blanke Oval in der fein ziselierten Fassung. So … feminin. Der Spiegel passte zu Ak. Er würde ihre Seele bewahren, solange er existierte. Aber er würde nicht lange existieren. Wenn die anderen Zauberer der nördlichen Kristallkammer diesen Spiegel fanden, würden sie mit Ak kommunizieren und die Wahrheit herausfinden können. Das durfte niemals sein. Skane packte seinen Stab mit beiden Händen und hob ihn hoch. Dann rammte er ihn mit all seiner Kraft in den Spiegel.

Der Spiegel wehrte sich. Die Oberfläche wölbte sich auf gegen den Stab. Skane verstärkte den Druck, ließ weiteren Zauber in seinen Stab fließen. Der Spiegel wölbte sich höher. Skane lächelte grimmig. Genau so brauchte er ihn. Abrupt zog er den Stab zurück. Und noch während der Spiegel ein weiteres Stück nach oben federte, sauste der Stab mit voller Wucht wieder herab, krachte in den Spiegel und zersplitterte ihn unter lautem Klirren. Skane hielt inne, wartete. Um ihn herum setzte sich das Klirren fort, nahm niedrigere Frequenzen an, bis es zu einem dunklen, donnerartigen Rumpeln wurde. Dann begannen sich im Boden Risse zu bilden, klafften auseinander, verbreiterten sich rasend schnell. Um ihn wichen die Bruchstücke zurück, schienen ein Stück weit zu versinken, während von allen Seiten ein dichter Staubnebel aufstieg.

Skanes Augen tränten. Sein linkes Auge schmerzte, etwas rieb darin, ein winziger Splitter. Vorsichtig wischte er ihn fort. Auch wenn es ein magischer Spiegel war, die Glassplitter blieben scharf, und ein Auge zu heilen brauchte seine Zeit. Auch in seinen Händen fand er ein, zwei Glasstückchen, die er sorgsam entfernte. Den Rest hatte seine Robe abgefangen. Nun ja, gemessen an dem, was er bereits früher in den Kriegen erlebt hatte, waren das Bagatellen. Ganz offensichtlich war Ak alt geworden. So miserabel hätte sie früher nicht gekämpft. Skane nahm seinen Stab fest in beide Hände, stützte ihn auf den Boden und richtete sich auf.

Dann kehrte Ruhe ein. Der Staub sank herab. Aus dem Staub schälte sich eine einzelne Felsennadel, die hoch über allem ragte, umgeben von einer Senke, die von tiefen, spinnwebartig nach allen Seiten zerfasernden Schluchten durchzogen war.

Skane sah sich zufrieden um. Keiner der verbliebenen Splitter war groß genug, um ein identifizierbares Stück Seele zu beherbergen. Spöttisch stieß er mit dem Stab gegen einen verbogenen, zusammengeschmolzenen Rahmenrest zu seinen Füßen. „Gehab´ dich wohl, Ak!” Er gestattete sich ein schmallippiges Lächeln. Diese Zauberin würde ihm niemals wieder in die Quere kommen. Dann konzentrierte er sich auf seinen Spiegel und verschwand.

*

Am Hang einer der neu gebildeten Schluchten, mitten in einem Dornbusch, der halb den Hang heruntergerutscht war, lag Aks Spiegel. Der, den sie zum Schluss benutzt hatte. Ihr kleiner Arbeitsspiegel. Er war merklich größer geworden durch die Seele, die er nun beherbergte. Es war ein schöner Spiegel, mit geschwungenen Formen und einer kleinen, sternförmigen Verzierung an der Basis. Der Spiegel lag halb im Sand vergraben. Wind wehte. Sand rieselte. Wenige Stunden nur und der stetig vom Rand der Schlucht herabrieselnde Sand hatte den Spiegel und den halben Dornbusch unter sich begraben.

Dann regnete es und der Dornbusch begann Knospen zu treiben. Er bildete neue Wurzeln, die sich fest um den Spiegel schlossen. Der Spiegel wartete. Der Sand rieselte weiter.

*

Der Wind wehte.

Etwas blitzte in der Ferne auf. Spiegelenergien stoben wie ein Feuerwerk in den Himmel. Spiegelenergie peitschte wie eine achtköpfige Kobra durch das Land. Einer der Energielinien berührte den tagträumenden Geist, achtlos, beiläufig, fing ihn wie die Leimrute eine Fliege, wehte ihn durch die Luft, rollte ihn über die Felder, zog ihn dann zum Zentrum der Explosion zurück.

Und der Geist, aufgeschreckt durch das Feuerwerk der Energien und wach trotz des Tages, erkannte seine Chance. Hier gab es endlich eine Verbindung zur Lebendwelt! Ein Spiegelsplitter, ein herrenloser Splitter, der für einen Moment die Präsenz in der Lebendwelt berührte, gab ihm endlich den ersehnten Ansatzpunkt. In diesem unachtsamen Moment jener Präsenz, die die Spiegelenergien entfesselt hatte, warf er seine Fühler über das Spiegelkorn in den Körper eben dieser Präsenz, verankerte sich in ihm, suchte sich in ihm ein Versteck.

Der Wind mochte wehen, soviel er wollte. Dieser Geist saß wieder in einem Körper. Ihm konnte der rastlose Wind nichts mehr anhaben. Er war sicher. Solange der Hausherr ihn nicht fand und wieder vertrieb.

Der Wind wehte.

Der Wind wehte.

Der Geist erkundete seinen Wirt. Ein alter, sehr erfahrener Wirt, dessen Nähe sich anfühlte wie ein glühendes Messer. Der Geist schrak zurück, verkroch sich in einen winzigen, unbeleuchteten Winkel.

Der Geist wartete. Hin und wieder drang ein Bruchstück der Gedanken seines Wirtes zu ihm vor. Der Geist sammelte diese Bruchstücke, setzte sie geduldig zusammen und wartete darauf, dass sich aus ihnen ein Bild ergab.

Der Wind wehte.

Der Wind wehte.

Der Geist sammelte. Erneut bekam er eine Information zu fassen.

Irgendetwas war anders. Der Geist konnte es fühlen. Diese Information, die er gerade eingefangen hatte … Sie war wichtig. Sie war der Schlüssel. Der Geist drehte und wendete die Information in seinen Gedanken, passte sie versuchsweise ein in das Gewebe. Das Puzzlestück klickte in die bereits gefundenen Informationen.

Der Geist erkannte seinen Wirt.

Er kannte seinen Wirt.

Das war die Hand, die ihn von der Straße gesammelt hatte. Das war die Stimme, die ihn dem Alten empfohlen hatte. Das war der Blick, der ihn verächtlich gemustert hatte. Das war der Fuß, der ihn getreten hatte, hinab in den Abgrund, als er im Sterben lag.

Einen Moment lang war der Geist in Versuchung, den Körper fahren zu lassen, sich wieder dem Wind zu überantworten. Dann klang ihn wieder das Lachen im Ohr, das sein Sterben begleitet hatte. Nein. Er würde nicht aufgeben noch vergeben. Dieser hier trug die Schuld an seinem Schicksal. So ungeschoren sollte er nicht davonkommen.

Der Wind wehte.

Hätte er noch eine Stimme gehabt, der Geist hätte in wilder Verzweiflung gelacht. So aber hakte er nur seine spinnwebartige Existenz fester in den Körper.

Der Wind wehte.

Der Geist zog seine Essenz enger zusammen. Nicht auffallen. Warten. Weiter Informationen sammeln. Irgendwann würde er eine Chance bekommen. Irgendwann würde er seine Rache finden.

Der Geist wartete, geduldig, bespähte seinen Wirt wie die Sandotter die Maus. Ein falscher Gedanke, eine falsche Handlung … eine Chance für ihn …

Der Wind wehte.

Skane gestattete sich ein spöttisches Lächeln. Großmeister Ro hatte seine Geschichte anstandslos geschluckt. Sie klang ja auch logisch genug. Es kam immer wieder vor, dass ein uralter Zauberer seinen Geist nicht mehr ausreichend disziplinieren konnte und bei einem seiner Zauber draufging. Ro hatte ihm sofort abgenommen, dass er, Jo, bedauerlicherweise Ak nicht mehr lebend und stattdessen einen großen Krater und etliche neue Schluchten in der Landschaft angetroffen habe. Typische Anzeichen eines entfesselten Spiegels. Inzwischen musste der neue Verwalter des Turms, ein weiterer von diesen alten Zauseln, dort eingetroffen sein. Schließlich war Jo, dessen Gestalt Skane derzeit trug, offiziell immer noch in der Ausbildung und damit nicht befugt, einen Turm in eigener Regie zu leiten.

Skane hätte nur zu gerne gewusst, was das für ein geheimnisvolles Buch war, das Meister Ro so am Herzen lag. Aber obwohl er wirklich gründlich gesucht hatte, durch alle Dimensionen des Turmes hindurch, hatte er nichts gefunden. Ein kleines Buch in einem auffallend blauen Einband. Wo immer Meister Go das versteckt hatte, in seinem alten Turm war es jedenfalls nicht.

Aber der Gedanke an das Buch brachte ihn auf eine Idee. Hatte da nicht neulich einmal ein Diener diese neue Mode in Karapak erwähnt? Bücher, die nur zur Unterhaltung geschrieben wurden? Ziemlich dekadent, wie so vieles in Karapak. Angeblich sollten die Damen des Palastes diese Bücher wie reife Trauben verschlingen. Besonders die Bücher, in denen ziemlich freizügig über erotische Experimente berichtet wurde. Die wollte er jetzt einmal ausprobieren. Sie konnten ja nur interessanter sein als dieser blöde Unterricht, zu dem er in Jos Gestalt zwangsverpflichtet war.

Der Wind wehte.

Der Geist ignorierte ihn. Wer hätte gedacht, dass er so viel finden würde? Sein Wirt bemerkte nicht einmal, dass jemand seine Erinnerungen plünderte. Der Geist glitt einen Nervenstrang entlang. Der Wirt las in einem Buch, amüsierte sich.

Er sollte sich nicht amüsieren! Er sollte nicht lesen können! Ein Impuls raste durch die Nerven.

Skane blinzelte irritiert. Was war denn plötzlich mit seinem Sehen los? Warum verschwamm die Schrift vor seinen Augen? Irritiert legte er das Buch zur Seite und machte ein paar Schritte. Ein erneuter Blick auf das Buch. Die Schrift sah wieder normal aus. Übermüdet, entschied Skane. Es wurde Zeit, dass er mal eine Runde schlief.

Hätte er noch seinen Körper gehabt, der Geist hätte vor Freude getanzt. Er konnte den Körper seines Wirtes beeinflussen! Wenn er behutsam genug vorging, mochte es eine ziemliche Weile dauern, bevor der Wirt merkte, was los war. Und bis dahin ließ sich einiger Schaden anrichten. Vielleicht konnte er ja nicht nur den Körper, sondern auch die Gedanken seines Wirtes beeinflussen?

Das würde er gleich morgen ausprobieren, wenn sein Wirt wieder wach war.

Der Wind wehte.

Aber heute war es dem Geist egal.

*

„Na ist wieder hier.“

Skane brauchte einen Moment, um zu registrieren, dass Meister Uw mit ihm sprach. Fieberhaft kramte er in seinem Gedächtnis. Wer war noch mal Na? Ach ja, der junge Zauberer, der zusammen mit Jo Adept bei Meister Go gewesen war.

Verdammt. Das konnte gefährlich werden. Wenn Na Jo gut genug kannte, fiel ihm die subtile Veränderung von Jos Signatur möglicherweise auf. Wenn man jetzt von ihm erwartete, dass er sich mit diesem Na traf …

„Na braucht von dir Informationen über Ioro. Nach dem Unterricht könnt ihr euch in seinem Turm treffen.“

Scheiße. Informationen über Ioro? Das war das letzte, was Skane liefern konnte. Er hatte zwar Jos Gestalt, aber keine seiner Erinnerungen. Alles, was ihn vor der Enttarnung bewahrte, war die Tatsache, dass die Narren der nördlichen Kristallkammer sich so rein gar nicht für das Leben ihrer jungen Kollegen interessierten. Nur bei Na hatte er Pech. Der kannte Jo zu gut, hatte ihn ja selbst ein Stück weit ausgebildet. Damit war so gut wie sicher, dass Na etwas merken würde.

Wenn er sich andererseits weigerte, dorthin zu gehen, fiel er sofort auf. Skane verfluchte in Gedanken jeden einzelnen Gott, den er kannte.

„Da steckst du ja, Jo!“

Der Mann, der gerade seine Nase in die Bibliothek steckte, musste dieser Na sein. Skane stand mit einem Seufzer auf.

„Tu nicht so, als ob dich diese alten Wälzer mehr interessieren als unser Projekt“, knurrte Na. „Bist doch sonst nicht so ein Stubenhocker! Komm schon.“

Skane verstärkte seine Abschirmung.

Dann folgte er Na in den Turm.

„Also, heraus mit der Sprache“, sagte Na, als sie unter sich waren. „Was brütest du gerade aus?“

„Gar nichts.“

„Halte mich nicht für einen Idioten.“ Nas Stimme sank zu einem gefährlichen Flüstern. „Ich kenne dich gut genug. Wir wissen alle, dass Ioro noch lebt, irgendwo bei diesen Wilden in der Wüste. Seine Signatur ist noch immer sehr aktiv. Und wir wissen auch, dass du irgendwie noch mit ihm Verbindung hältst, weil auch deine Signatur immer wieder, wenn auch schwach, dort geortet wird. Ich kann mir sogar vorstellen, wie du das machst. Du fliegst wieder einen Falken, nicht wahr?“

Einen Falken? In Skane blitzte eine Erinnerung auf. Das Bild in dem Spiegel, wo er einen Falken sitzen sehen hatte in einem Ring von Mäusen. Sollte dieser Jo …

So schnell, wie der Gedanke aufgetaucht war, so schnell verdämmerte er wieder. Was hatte Na gerade Wichtiges gesagt? Skane hatte das deutliche Gefühl, dass er gerade etwas sehr Wichtiges vergessen hatte.

Der Geist triumphierte. Er konnte nicht nur den Körper seines Wirtes beeinflussen, sondern auch seine Gedanken. Und sein Feind hatte nichts bemerkt, keinen Verdacht geschöpft. Der Geist war sich jetzt sicher, das Instrument seiner Rache gefunden zu haben. Er musste nur umsichtig damit umgehen.

„… und ich brauche die Informationen über Ioro, damit ich Tolioro ein paar Brocken hinwerfen kann“, sagte Na gerade. „Dieser königliche Psychopath langweilt sich schnell. Wenn ich ihm nichts Interessantes biete, wird er mich nicht länger in seiner Nähe wünschen. Und es liegt mir einfach nicht, ihn bei seinen sonstigen Vergnügungen zu unterstützen. Also, was ist mit Ioro?“

Skane überlegte, ob er sofort zuschlagen sollte.

Nas Augen verengten sich. „Verdammt, Jo, was ist los mit dir?“ Er musterte sein Gegenüber kritisch. „Was verbirgst du? Deine Haltung ist anders. Selbstsicherer. Und selbst deine Signatur …“

Weiter ließ Skane ihn nicht kommen. Aus dem Nichts materialisierte sein Stab in seiner Hand. Er stieß zu.

Dem völligen Unglauben nach, der sich auf Nas Gesicht abzeichnete, hatte der junge Zauberer noch nie in seinem Leben von den schwarzen Stäben gehört. Nas Abschirmung hielt keinen Wimpernschlag lang. Ein langgezogenes Stöhnen entrang sich ihm, als der Stab lebendig wurde, sich wie eine armdicke schwarze Schlange um seinen Körper legte und begann, ihn zu verschlingen.

Die letzten Momente in Nas Leben nutzte Skane, um sich die Signatur seines Gegners, seine Erinnerungen und seinen Körper anzueignen. Dieses Mal war er besser vorbereitet. Seine Tarnung würde kein zweites Mal in Gefahr kommen.

Der Geist wich zurück, als fremde Erinnerungen den Körper seines Wirtes überfluteten. Aber nur kurz, denn er begriff etwas Wichtiges. Diese Erinnerungen durften auf gar keinen Fall seinem Wirt voll zugänglich werden. Der Geist streifte durch die fremden Erinnerungen, selektierte sie, schob einige von ihnen fort und versteckte sie gründlich. Skane würde nicht einmal bemerken, dass ihm Erinnerungen fehlten. Und dadurch würde er irgendwann die nötigen Fehler machen. Der Geist würde schon dafür sorgen.

Skane reckte sich zufrieden. Dieser neue Körper war besser als Jos. Als Adeliger hatte Na in seiner Kindheit weder gehungert noch unnötig unter Krankheiten gelitten. Und Nas Leben war interessanter. Spionage bei Tolioro, soso. Wenn Skane richtig informiert war, war das Verhältnis zwischen dem karapakischen Königshaus und den karapakischen Zauberern nicht gerade das beste. Auch Tolioro nutzte die Zauberer zwar, schätzte sie aber ganz und gar nicht. Damit ließ sich etwas anfangen, zumal Tolioro Na nicht als Zauberer erkannt hatte. Es würde ihm ein Vergnügen sein, noch mehr Zwietracht zu säen. Teile und herrsche. Ein geteilter Feind war ein schwacher Feind. Skane war ausgesprochen zufrieden.

Jetzt musste er nur noch eine Erklärung für Jos Verschwinden finden.

*

Großmeister Ro war sich absolut nicht sicher, was er von dieser Entwicklung halten sollte. Diese jungen Zauberer heutzutage waren extrem unzuverlässig. Es sah diesem Jo zwar durchaus ähnlich, schon wieder seine Ausbildung zu unterbrechen und einfach irgendwo in Richtung Wüste zu seinem Freund Ioro zu verschwinden. Aber irgendetwas stimmte an dem Bild nicht. Ro konnte nur nicht den Finger darauf legen, was ihn störte.

Außerdem war da immer noch das völlig ungeklärte Verschwinden von Meister Ul. Und Aks plötzlicher Tod, durch nichts angekündigt. Normalerweise bemerkte man es an einigen sicheren Anzeichen, wenn ein Zauberer instabil wurde. Ak war Ro immer als die stabilste Seele unter den alten Zauberern vorgekommen.

Und Na war wieder zu Tolioro verschwunden. Fünf Zauberer weniger im Kristallpalast, da sie ja auch noch Ersatz für Jos Turm gebraucht hatten. Sie waren empfindlich geschwächt, soviel war sicher. Was für ein Glück, dass es derzeit weder Gegner noch Krisen für die Kristallkammer gab.

Wüstenkrieger

Подняться наверх