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Die Regentin

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Audienzen waren langweilig. Und der Thron war unbequem. Natürlich, er war für einen erwachsenen Mann gedacht, nicht für einen achtjährigen Jungen, der gerade mal so groß war, dass er über das königliche Pfauenfeder-Zepter gucken konnte. Inagoro rutschte auf dem Thron hin und her. Nur ein ganz kleines bisschen, damit es niemand merkte. Viel lieber würde er jetzt mit seinen Freunden spielen. Noch lieber mit seiner Schwester Taephe. Mit der konnte man nicht nur prima Bogenschießen, mit der konnte er sich auch prima unterhalten. Taephe war schlau, und sie kannte alle wichtigen Dinge und Personen im Palast. Taephe konnte man immer fragen.

Natürlich gehörte sich das nicht. Seine Lehrer hatten ihm das immer wieder gesagt. Ein König holte sich keinen Rat bei einer Frau. Nur bei seiner Mutter machten sie eine Ausnahme, weil die so komische Zauberaugen hatte. Manchmal fürchtete Inagoro sich sogar ein bisschen, wenn er diese Augen sah. Aber wirklich nur ein bisschen. Sie war schließlich seine Mutter.

Die Lehrer hatten auch gesagt, er solle statt seiner Schwester lieber seine Freunde um Rat fragen. Besonders Mauro. Schließlich würde sein entfernter Cousin eines Tages sein Erster Feldherr werden, weil er keinen Bruder hatte, der diese Stelle einnehmen konnte. Seinen ersten Feldherren durfte ein König fragen. Mauro wusste auch viele Antworten. Mauro hatte schließlich Erfahrung. Die anderen Jungen waren alle etwas älter als Inagoro, und Mauro war der Älteste von ihnen. Da musste er ja wohl auch am besten Bescheid wissen.

Das Problem war nur, dass Inagoro Mauro nicht traute.

Sirit saß hinter dem seidenen Wandschirm und fächelte sich Luft zu. Zuerst hatte sie es hinderlich gefunden, dass die Regentin für die Mitglieder des Thronrates unsichtbar bleiben musste. Mittlerweile allerdings hatte sie gelernt, dass dieses Arrangement seine Vorteile hatte. So war es bedeutend einfacher, die Kontrolle zu behalten. Sie schrieb ihre Worte auf, und ihr Sprecher trug sie vor. Das gab ihr Zeit, überlegt zu formulieren, und verhinderte ausgesprochen effektvoll, dass die Männer, die auf der anderen Seite des Wandschirmes saßen, sofort wussten, woran sie mit ihr waren.

Nichtwissen erzeugte Furcht. Furcht erzeugte Gehorsam.

Bis zu einem gewissen Grad allerdings nur. Sie war immer noch eine Frau, und die auf der anderen Seite waren Männer. Diese Männer dort würden nie damit zufrieden sein, dass eine Frau genauso gut regieren konnte wie sie. Sirit wusste genau, dass sie nur dank der Unterstützung der Priester Regentin war. Die Männer wussten es ebenso. Und jeder von ihnen fragte sich, warum die Priester das so gewollt hatten.

Sirits Gedanken wanderten nach Tolor. Wie konnte es nur sein, dass diese beiden Länder so unterschiedlich waren? Was hatten die Karapakier gegen Frauen, dass sie ihnen so wenig zutrauten? Es war ja nicht so, dass die karapakischen Frauen dümmer waren als die tolorischen. Sirit dachte an Raina. Die Gildeherrin hatte ihre Gilde besser geführt als mancher Mann. Und trotzdem zählte ihre Stimme bei den Händlern nur, wenn es gar nicht anders ging. Warum nur hatten die Götter beschlossen, dass die Frauen in Karapak nichts zählten?

Ein leises Rascheln riss sie aus ihren Gedanken. Paschko, der Eunuch, der ihre Verbindung war zwischen dem Raum vor dem Schirm und ihrem Platz hinter dem Schirm, hatte sich umgedreht und gab ihr jetzt vollmundig eben jene Frage weiter, die sie doch gerade selbst mit eigenen Ohren gehört hatte. Und die sie nicht mit eigener Stimme beantworten durfte.

Sirits Pinsel flog über das Papier. Dann reichte sie Paschko ihre Antwort.

*

Der König musste einer Audienz beiwohnen. Sehr gut. Sein aufgezwungener Spielgefährte nutzte die Zeit, um sich außerhalb des Palastes in der Stadt zu vergnügen. Gefährlich war das nicht, weil er immer ein paar Palastwachen als Begleitschutz hatte. Allerdings war dieser Begleitschutz lästig, wenn man gewisse Dinge erledigen wollte.

Mauro steuerte ein Bordell an. Dort hinein würden ihm die Wachen nicht folgen. Sie würden auch nichts dabei finden, dass ein Vierzehnjähriger längere Zeit in so einem Haus blieb.

Mauro marschierte in das Haus hinein, durch einen langen Gang, und geradewegs am anderen Ende wieder hinaus. Wie immer wartete dort bereits der Bordellwirt, wie immer warf Mauro ihm ein Silberstück zu und verschwand dann in der angrenzenden Gasse. Es zahlte sich aus, wenn man gut schmierte.

Vier Straßen weiter bog er in einen unordentlichen Hinterhof ein, umrundete einen Schweinekoben und steuerte auf eine niedrige Tür zu. Sie öffnete sich in einen fensterlosen Raum. Als die Tür hinter Mauro zufiel, war es zunächst dunkel. Dann knisterte es, und eine kleine Öllampe leuchtete auf. Mauro schnappte erstaunt nach Luft. Dort am Tisch stand nicht der gewohnte Bote, nein, heute war sein Vater selbst gekommen!

„Und, wie läuft es?“

Mauro zuckte mit den Achseln. „Der König ist noch sehr jung. Ein richtiges Kind halt. Ich denke, er versteht überhaupt noch nicht, was ich ihm sage. Immerhin akzeptiert er, dass ich älter bin und mehr weiß, und tut deshalb meist, was ich ihm rate.“

„Er ist ein Enkel meines Cousin Kanata“, knurrte sein Vater. „Und der Sohn Tolioros. Wenn der wirklich so dumm ist, wie du meinst, würde mich das sehr wundern. Pass auf, was du sagst, übertreibe es nicht. Und geh kein Risiko ein. Solange der Junge im Palast bleibt, darfst du ihm kein Haar krümmen. Wenn ihm etwas passiert, wird der Verdacht automatisch zuerst auf dich fallen. Du wärst derjenige, der den größten Vorteil aus seinem Ableben ziehen würde. Also, halt dich zurück.“

Mauro schon die Unterlippe vor. „Muss ich denn die ganze Zeit vor diesem Bengel buckeln?“

„Blödsinn!“ Sein Vater trat näher und beugte sich etwas vor. Seine Augen glitzerten wie nasse Steine im Licht der Lampe. „Du sollst nicht buckeln. Du darfst ihm durchaus widersprechen. Du darfst nur nie vergessen, wer welchen Rang hat.“

„Und wenn ich nie eine passende Gelegenheit zu mehr bekomme?“

„Solange du im Palast bist, kannst du auch auf eine Gelegenheit warten. Früher oder später wird sich eine ergeben. Das tut es immer.“ Die Hand seines Vaters schoss vor und packte schmerzhaft in Mauros Haare. Der Junge keuchte auf. „Du wirst nur dann keine Gelegenheit bekommen, wenn du aus dem Palast verwiesen wirst.“ Die Stimme seines Vaters klirrte jetzt vor Kälte. „Sollte das je passieren, weiß ich, dass du einen Fehler gemacht hast. In unserer Familie macht niemand einen Fehler. Niemand! Solltest du je einen Fehler machen, bist du nicht mehr mein Sohn. Dann werde ich dich häuten, in kleine Stücke schneiden und den Vögeln zum Fraß vorsetzen. Dann mögen die Windgeister dich für alle Ewigkeiten um die Welt schleifen.“

Er ließ los. Mauro taumelte mit aschfahlem Gesicht zurück.

„Und glaub nicht, dass ich meine Meinung ändere, nur weil du mein ältester Sohn bist. Ich habe andere Söhne, die nur zu bereitwillig deinen Platz einnehmen werden.“

Mauro starrte blicklos auf die Wand. Er hörte, wie sein Vater hinausging. Einen Moment leuchtete eine breite Bahn Sonnenlicht in den Raum. Dann fiel die Tür wieder zu, und nur das Lämpchen auf dem Tisch spendete noch flackernd etwas Helligkeit. Der Lichtkreis war klein. Sehr klein. Mauro stand im Dunkeln. Es war niemand da, der sehen konnte, dass er zitterte.

*

Taephe lehnte im Laubengang hinter einer Säule und beobachtete die Jungen unten im Übungshof. Seit fast einem Jahr hatte sie jetzt nur noch zusehen können. Wie sie die Jungen beneidete! Fast schmerzhaft wach war ihre Erinnerung an jene Zeit, als sie ein Junge gewesen war und selbst im Übungshof hatte lernen dürfen. Noch immer zuckte es sie förmlich in den Fingern, sobald sie einen Bogen sah. Aber die einzigen spitzen Gegenstände, die man einer Palastfrau zumutete, waren Federkiele und Nähnadeln.

Gerade gab es Unterricht im Schwertkampf. Die Jungen übten in ständig wechselnden Zweiergruppen. Inagoro war der kleinste und damit auch der schwächste unter den Jungen. Alle anderen konnten schon besser kämpfen. Kunststück, sie waren ja auch alle mindestens ein oder zwei Jahre älter. Trotzdem gewann Inagoro immer wieder. Die anderen ließen ihn mit Absicht gewinnen. Taephe war sich absolut sicher, dass Inagoro das wusste, und dass es ihn gewaltig wurmte. Sie hatte ihn vor zwei Tagen alleine üben sehen. Inagoro hatte fest vor, eines nicht allzu fernen Tages besser zu sein als sie alle, und zwar aus eigener Kraft.

Gerade hatte der größte der Jungen, Mauro, seinen Gegner entwaffnet. Mauro stand hinter Inagoro. Und Mauro hatte sein Schwert nicht gesenkt, wie man es normalerweise nach einem Kampf tat. Er hielt es immer noch erhoben. Warum? Was tat Mauro da? Einen schrecklichen Moment lang dachte Taephe, Mauro würde Inagoro von hinten anfallen und ihm sein Schwert durch den Schädel treiben. Aber dann bellte der Lehrer einen Befehl, und alle Jungen senkten ihre Schwerter. Auch Mauro. Taephe atmete tief durch und versuchte, ihr wild klopfendes Herz zu beruhigen.

Als die Jungen sich nach dem Unterricht zerstreuten, um sich umzuziehen, passte Taephe ihren Bruder ab.

„Große Schwester!“ Über Inagoros Gesicht glitt ein Leuchten, als er sie sah. „Ich dachte, du bist im Palast?“

„Ich habe euch zugesehen.“

Das Leuchten erlosch schlagartig. „Dann weißt du auch, dass sie mich absichtlich gewinnen lassen. Nur weil ich der König bin. Ich bin einfach ein sehr schlechter Kämpfer.“

„Du bist ein sehr junger Kämpfer“, korrigierte Taephe ihn sanft. „Und deine Gegner sind alle älter und größer als du. Deine Technik ist gut. Dir fehlt nur noch die Kraft. Noch drei oder vier Regenzeiten, und du besiegst sie alle.“

„Glaube ich nicht. Dann sind die anderen nämlich auch alle entsprechend älter. Vielleicht schaffe ich es, ein besserer Kämpfer zu werden als ein paar von ihnen. Aber die wirklich guten, wie Mauro, die werden mich immer übertrumpfen.“

„Über Mauro wollte ich sowieso mit dir sprechen.“

Taephe zog Inagoro neben sich auf einen Sims und berichtete ihm, was sie gesehen hatte.

Inagoro nickte gedankenvoll. „Ich habe ihm nie getraut. Vermutlich ist es besser, wenn ich ihm in Zukunft nicht mehr den Rücken zudrehe.“

„Du bist doch der König. Kannst du ihn nicht einfach wegschicken?“

„Kann ich nicht, und das weißt du.“ Inagoro sah sie mit einem Blick an, der älter war als seine acht Jahre. „Der Thronrat hat das Sagen. Wenn Mutter nicht wäre, würden sie machen, was sie wollen, und ich wäre vollkommen machtlos.“

„Ich könnte mit deiner Mutter reden. Vielleicht fällt ihr etwas ein, wie wir Mauro aus deiner Nähe entfernen können.“

„Das wäre nicht schlecht.“ Inagoro rutsche vom Sims herunter. „Ich muss leider los, große Schwester, sonst bin ich nachher für den Taktik-Unterricht zu spät dran.“ Er umarmte sie kurz. „Ich liebe dich, große Schwester!“

Taephe sah ihm nach, als er den Gang entlanglief. „Ich dich auch, kleiner Bruder“, sagte sie leise.

Mauro wartete, bis Taephe sich in Bewegung setzte. Dann löste er sich aus dem Schatten der Nische, in dem er unerkannt gelauscht hatte.

Diese kleine Schlange! Wollte ihn bei der Mutter des Königs anschwärzen! Vermutlich sogar mit Erfolg. Mauro konnte sich lebhaft vorstellen, wie die verdammte tolorische Regentin mit ihren Zauberaugen den ganzen Thronrat verhexte, für seinen Rauswurf und damit für sein sicheres Ende sorgte. Das durfte auf keinen Fall passieren! Soviel wusste Mauro, sein Vater sprach niemals leere Drohungen aus. Er musste das Mädchen aufhalten.

Was nicht allzu schwierig war. Seine Schritte waren länger, und er wurde nicht durch wallende Kleidung behindert. Mauro machte einen kleinen Umweg, sodass er von der Seite kam. Da war auch schon Taephe. Mauros Arm schoss vor, und bevor die kleine Schlampe auch nur quieken konnte, hatte er sie bereits in den Nebengang und in eine Nische gezogen.

„Miststück!“, zischte er. „Glaubst wohl, dass du mit mir umspringen kannst wie diese tolorische Hure, die unsere Regentin ist. Das kannst du vergessen! Das lasse ich nicht mit mir machen!“

Das Mädchen starrte ihm aus weit aufgerissenen Augen an. Er konnte die Ader an ihrem Hals erregt pochen sehen. Ha, damit hatte sie nicht gerechnet!

„Ihr hättet ein wenig vorsichtiger sein sollen, wo ihr euch unterhaltet, dein Halbblut von einem Bruder und du!“

Mauro spürte, wie ein Zittern durch ihren Körper lief. Trotzdem wagte sie es, den Mund aufzumachen.

„Wie redest du von deinem König! Und überhaupt, du bist derjenige, der sich vorsehen sollte. Du hast versucht, den König zu ermorden!“

„Unfug!“

„Ich habe gesehen, dass du hinter ihm gestanden hast mit erhobenem Schwert!“

„Du hast gar nichts gesehen. Du bist nur ein Mädchen, das vom Kämpfen keine Ahnung hat. Und wenn du das sagst, steht dein Wort gegen meines. Niemand sonst hat etwas gesehen, die andern Jungen nicht, nicht einmal der Lehrer. Niemand wird einem bloßen Mädchen glauben.“

„Inagoro glaubt mir“, sagte Taephe leise.

„Und? Er hat auch nur dein Wort. Er hat nichts selbst gesehen. Vor dem Thronrat würde das nicht gelten.“

Mauros Hand legte sich um ihre Kehle. „Natürlich ist es sicherer, wenn ich dafür sorge, dass du deine Lügen gar nicht erst weiter verbreiten kannst.“

Das Mädchen zitterte stärker. Aber nicht einmal jetzt war sie bereit, den Mund zu halten. „Das wagst du nicht!“, presste sie hervor.

„Und warum nicht?“, höhnte Mauro.

„Wir sind im Palast!“

„Ich bin über eine Dienerin gestolpert, die sich in einer Ecke sehr verdächtig herumdrückte. Es hat ein Handgemenge gegeben, und ich war leider etwas zu gründlich mit meiner Reaktion.“ Mauro drückte versuchsweise etwas zu. Taephes Gesicht lief dunkel an. Er lockerte die Hand noch einmal. „Überaus schade, dass es die Halbschwester unseres geliebten jungen Königs erwischte, aber konnte ich ahnen, dass sie sich außerhalb des Sommerharems aufhalten würde? Niemand wird es wagen, mir daraus einen Vorwurf zu machen.“

„Niemand außer Inagoro“, quetschte Taephe aus ihrer zusammengepressten Kehle mühsam hervor.

„Hm.“ Mauro überlegte kurz. „Vermutlich hast du Recht. Aber wer weiß schon, ob unser junger König überhaupt alt genug wird, um mir Ärger zu machen? Du dagegen … du machst mir jetzt schon Ärger.“

Taephes Stimme war kaum noch zu hören. „Der König wird deinen Kopf fordern. Und die Regentin wird ihn unterstützen.“

Mauro starrte das renitente Geschöpf an. Was, wenn sie recht hatte? Er ließ los. Taephe taumelte zurück gegen die Wand. Und jetzt? Die kleine Schlampe konnte immer noch reden. Und wenn er Pech hatte, fand sie tatsächlich ein offenes Ohr. Frauen sollten wissen, wo ihr Platz war. Das musste er ihr irgendwie zeigen.

Er packte Taephe erneut und zerrte sie mit sich den Gang entlang. Da war ein kleiner, sehr versteckter Erker, der für das, was ihm vorschwebte, ideal geeignet war. Das Mädchen machte schon wieder den Mund auf. Bevor sie schreien konnte, riss er ihre Tunika hoch und verknotete die Enden über ihrem Kopf. Sie zappelte wie wild, aber der schwere Brokatstoff dämpfte ihre Schreie effektiv, wie er gehofft hatte. Mauro grinste. „Ruhig, oder es setzt was!“

Taephe erstarrte und verstummte.

Mauro griff nach einer der Lampen, die bereits für den Abend mit Öl gefüllt worden waren, und zündete sie an. Dann packte er Taephes Hand und hielt sie über die Flamme. Kurz nur, aber es reichte. Er konnte spüren, wie sie vergeblich ihre Muskeln anspannte, um die Hand zurückzuziehen. Er brachte seinen Kopf ganz dicht an den ihren, sodass sie ihn trotz des dicken Stoffes zwischen ihnen gut hören konnte. „Ihr Frauen, ihr tragt immer diese langen, flatternden Gewänder. Was glaubst du, was passiert, wenn dein Gewand – rein zufällig, versteht sich – zu lange in Kontakt mit einer Flamme kommt? Wäre das nicht ein wirklich tragischer Unglücksfall?“

Er hielt ihre Hand wieder über die Flamme, dieses Mal lange genug, um sie ein winziges bisschen zu versengen. Vielleicht auch etwas mehr als nur ein kleines bisschen. Ein gedämpfter Schmerzensschrei kam von dem in Brokat verpackten Kopf.

Mauro nickte zufrieden. „Das sollte reichen, oder? Ich nehme an, du weißt jetzt, was dich erwartet, wenn du dich weiter in Männer-Angelegenheiten einmischst. Beim nächsten Mal werde ich mich nicht so zurückhalten.“

Er bückte sich, entknotete die Tunika, schob den Stoff wieder herunter, so dass er ihr Gesicht sehen konnte. Die Augen des Mädchens waren schmale, zitternde Schlitze in einem verängstigten, kalkweißen Gesicht.

„Und wenn du es wagst, dich bei irgendjemandem über mich zu beklagen …“

An der Art, wie sie zusammenzuckte, erkannte Mauro, dass er nichts dergleichen befürchten musste. Die Kleine hatte ihre Lektion gelernt.

„Aber dir wird ohnehin niemand glauben. Du bist ja nur ein Mädchen. Hau ab, ich will dich nicht mehr sehen!“

Schweigend richtete Taephe sich auf, unsicher schwankend, weil ihre Kleidung immer noch am falschen Platz war. Mit zitternden Händen versuchte sie, den Stoff wieder nach unten zu streichen. Als es ihr endlich geglückt war, verließ sie ohne einen Laut den Erker. Ihre Bewegungen waren wie die einer hölzernen Marionette.

Mauro sah ihr zufrieden nach. Von der Seite hatte er nichts mehr zu befürchten.

*

Sirit wusste sofort, dass etwas nicht in Ordnung war. Nicht nur, dass Taephe ungewohnt schweigsam bei ihr erschienen war, ihre ganze Haltung wirkte gedrückt und ängstlich. Sie wartete geduldig. Aber selbst, als der Kalligrafie-Unterricht zu Ende war und sie beide wie gewohnt eine Tasse Früchtetee tranken, sagte Taephe kein Wort. Und das, was Sirits Spiegelaugen sahen, schrie förmlich nach Verletzung. Eine Verletzung, die vermutlich eher seelisch als körperlich war.

Sirit seufzte. Dann rückte sie zu Taephe, nahm sie in den Arm und strich ihr sanft über das Haar. Taephe brach in Tränen aus.

Es dauerte, bis Sirit imstande war, eine einigermaßen brauchbare Version der Geschehnisse aus dem Mädchen herauszubekommen. Sie ballte die Fäuste. Fitor, Tolioro … Ihre eigenen Erinnerungen an männliche Grausamkeiten waren immer noch so frisch wie am ersten Tag. Und jetzt Taephe und Mauro. Was war das nur, das Männer bewog, Schwächere derart zu quälen? Sie wusste nur zu genau, wie erniedrigt sie sich damals gefühlt hatte. Und sie war eine erwachsene Frau gewesen. Taephe dagegen war nichts als ein junges Mädchen, das noch mit seinen Puppen spielte.

„Das wird kein zweites Mal passieren“, sagte sie hart.

„Mauro … Mauro sagte, dass mir ohnehin niemand glauben wird“, flüsterte Taephe.

Ich glaube dir. Das reicht. In einem hat Mauro Recht. Der Thronrat wird ihn nicht zur Rechenschaft ziehen. Mauro hat schließlich nichts Irreparables getan, deinen Heiratswert nicht angetastet. Er hat dich nur auf deinen Platz verwiesen, nach dem Verständnis dieser Männer. Sie werden ihn also ganz sicher nicht bestrafen, noch nicht einmal tadeln. Inagoro ist noch zu jung, um etwas tun zu können. Ich denke, wir sollten ihm diesen Vorfall überhaupt verschweigen. Mauro wird sein erster Feldherr. Die beiden verstehen sich ohnehin schon nicht sehr gut. Ein König, der seinen ersten Feldherren nicht leiden mag, ist schlimm genug, einer, der seinen ersten Feldherren hasst, wäre eine Katastrophe. Aber ich werde dafür sorgen, dass du das nächste Mal nicht hilflos bist. Dich wird nie wieder ein Mann straflos derart behandeln, das schwöre ich bei der Flammenden Göttin! Und auf Mauro werde ich ein besonderes Auge haben.“

Taephe sagte nichts, aber ihr Gesicht drückte Dankbarkeit aus, und ihre kleine Faust entspannte sich in Sirits Hand.

Hornstachler

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