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Die Braut

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Hinen nannte sich die rundgesichtige Bergfrau in den bunten, weiten Röcken, die mit einem Brief der Duka zu Sirit gekommen war und sich zum Bleiben eingerichtet hatte. Sehr schnell hatte Sirit Hinen davon überzeugt, dass die schwere Kleidung der Berge hier in Karapak eher hinderlich war. Hinen schien erleichtert, als sie sich aus den dicken Stofflagen geschält und ein dünneres karapakisches Kleid angelegt hatte. Erleichtert, aber auch ein wenig irritiert. Sie drehte sich wie ein Kreisel um sich selbst. „Hm“, stellte sie kritisch fest. „Ein wenig hinderlich in der Bewegung. Aber deutlich besser in dieser Wärme. Und es wiegt verdammt wenig. Vermutlich werde ich mich immer wieder überzeugen müssen, dass ich überhaupt etwas anhabe.“

Aber das musste sie nicht. Es dauerte kaum zwei, drei Tage, dann hatte Hinen sich perfekt an die karapakische Kleidung gewöhnt. Sie bewegte sich im Palast, als ob sie nie etwas anderes getan hätte. Nur ihre sehr viel raumgreifenderen Bewegungen, ihre hellen Augen und der schwere Akzent ihrer Sprache verrieten noch, dass sie nicht aus Karapak stammte.

Taephe war begeistert. Eine Frau als Lehrer, eine Lehrerin alleine für sie! Noch dazu eine, die ihr nicht nur langweilige Dinge wie Sticken, Singen und Tee ausschenken beibrachte, wie es die anderen Frauen im Palast versuchten. Außer Sirit natürlich, die lehrte Taephe interessantere Dinge. Aber Sirit hatte immer so schrecklich wenig Zeit.

Hinen dagegen hatte Zeit, schließlich war sie nur Taephes wegen gekommen. Hinen lehrte Taephe kirsitanische Geschichte und kirsitanische Sprache. Hinen lehrte Taephe kirsitanische Bräuche. Und sie lehrte Taephe den Umgang mit Frauenwaffen. Hinen hatte ein kleines Arsenal davon mitgebracht. Auf Sirits Befehl wurde ein kleiner Meditationshof im Sommerharem zum Übungsplatz umfunktioniert, und Sirit sorgte dafür, dass Hinen und Taephe bei ihren Übungen ungestört und unbeobachtet blieben. „Hätte ich nicht zu kämpfen gelernt, wäre ich heute nicht mehr“, hatte die Mutter des Königs als Begründung gesagt. Taephe hätte die Frau am liebsten in den Arm genommen und sich überschwänglich bedankt. Aber das war nicht schicklich. So hatte sie nur vor Sirit gestanden und ein leises „Danke“ gehaucht. Die Mutter des Königs hatte zur Antwort gelächelt.

Hinen war froh, dass sie den Palast nie verlassen musste. Diese riesige, lärmende Stadt da draußen machte ihr Angst. Wie konnten so viele Menschen es nur aushalten, so eng zusammen zu leben?

Verstohlen musterte sie die Nichte der Duka. Sirit war in den letzten Monden dazu übergegangen, eine meelasianische Stirnbinde zu tragen. Die herabhängenden Perlfransen verdeckten weitgehend den Blick auf ihre unheimlichen Spiegelaugen. Die Damen im Palast schwärmten für diese Stirnbinde. Hinen nicht. Immerhin befanden sich Meelas und Kirsitan seit einigen Jahrhunderten in Dauerfehde. Hinen hätte die Scherbenaugen vorgezogen.

„Und wie macht sich Taephe?“, fragte Sirit.

„Sie ist eine intelligente und wissbegierige Schülerin“, gab Hinen zurück. „Ein wenig steif in den Übungen, natürlich. Man merkt, dass sie hier wenig Bewegung hatte. Aber das werde ich im Laufe der Zeit regeln können. Sie ist noch jung genug.“

„Nimm dir nicht zuviel Zeit“, sagte Sirit. „Taephe muss schnell lernen. Ich fürchte, die Männer, die über ihr Schicksal entscheiden können, werden sie nicht mehr sehr lange hier dulden. Bring ihr die wichtigsten Dinge zuerst bei. Zeig ihr, wie sie überleben kann.“

Hinen nickte stumm. Sirit wusste, wovon sie sprach. Ihre Narben legten Zeugnis davon ab.

Taephe hatte Bauchschmerzen. Seit einem Tag schon. Verzweifelt marterte sie ihr Gehirn, was sie falsches gegessen haben könnte. Ihr wollte nichts einfallen. Schon wieder ein heftiger Krampf. Taephe stöhnte auf. Hinen erhob sich und kam zu ihrem Bett. „Was ist los?“, fragte sie. Taephe biss sich auf die Unterlippe. Es war nicht ehrenhaft, Schmerz so deutlich zu zeigen.

Hinen wartete nicht auf eine Antwort. Sie griff nach der dünnen Decke und schlug sie zurück. „Oh!“, sagte sie nur. Dann ging sie mit energischen Schritten zu ihrer Truhe und kramte etwas heraus. Als sie zurückkam, erkannte Taephe einige lange, weiße Stoffstreifen. „Mir scheint, du wirst jetzt eine richtige Frau“, stellte Hinen mit einem Lächeln fest. „Du blutest. Ein warmes Bad wird dir jetzt gut tun. Komm, ich bringe dich hin.“

Taephe rutschte aus dem Bett und nahm dankbar Hinens Arm. Erst jetzt registrierte sie, dass es zwischen ihren Schenkeln nass war, und dass sich auf ihrem Bett ein dicker roter Fleck gebildet hatte.

*

„Das kann nicht Euer Ernst sein!“ Sirit spürte, wie die Ader an ihrer Schläfe pulsierte. Dieser Thronrat! Idiotische alte Männer! Nur die konnten auf eine so schwachsinnige Idee komme. „Taephe hat gerade erst zum ersten Mal geblutet. Sie ist noch viel zu jung! Bei der Göttin! Soweit ich weiß, ist es selbst hier in Karapak üblich, wenigstens eine Regenzeit zu warten, wenn ein Mädchen zur Frau wird, bevor sie verheiratet wird!“

Die Herren des Thronrates hatten noch nicht einmal den Anstand, beschämt auszusehen. „Dieses Mädchen muss so schnell wie möglich aus Inagoros Nähe verschwinden. Sie ist ein Fleck auf seiner Ehre. Je eher sie fort ist und vergessen wird, desto besser. Und wenn wir damit zusätzlich einen unzuverlässigen Mann an den Thron binden können, gewinnen wir doppelt. Abgesehen davon kann dieses Mädchen froh sein, dass sie überhaupt jemand nimmt.“

„Wenn Ihr sie mit dem Mann verheiratet, schickt ihr sie wahrscheinlich geradewegs in den Tod.“

Die Herren des Thronrates reagierten nicht. Lediglich ihr Sprecher zuckte kurz mit den Achseln. „Das hat keine Bedeutung. Sie ist nur die Tochter einer Konkubine.“

Einen Moment lang fühlte Sirit sich versucht, eine der Zeremonialwaffen von der Wand zu greifen und den gesamten Thronrat damit niederzustrecken. Leider war das Staatsrecht auf Seiten der Männer. Sie würde versuchen müssen, ihnen diesen dämlichen Plan auszureden. Oder ihn zumindest abzumildern, irgendwie. Das war sie Taephe schuldig.

Aber Sirit wusste beim besten Willen nicht, wie sie das Taephe beibringen sollte, wenn die Männer auf diesem speziellen Ehekandidaten beharrten.

Am Ende lud sie Hinen und Taephe zu einem Tee. Hinen war vorgewarnt. Gemeinsam brachten sie das Gespräch auf jene Zukunft, die für Taephe außerhalb des Palastes liegen musste. Das Mädchen argumentierte überaus rational. Hinen hatte sie gut unterrichtet.

Sirit musterte die Teeschale unschlüssig. Liebend gerne hätte sie dieses Gespräch zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt geführt. Aber es brachte nichts. Der Kronrat hatte sich bereits vor zwei Tagen endgültig entschieden, und Taephe musste es wissen.

„Was willst du, Taephe? Was siehst du für dein Leben?“

Das Mädchen zögerte kurz. „Verehrte Mutter des Königs, ich bin nur die Tochter einer bedeutungslosen Konkubine.“

„Ja“, sagte Sirit, „und die eines wenig geschätzten toten Königs. Aber“, setzte sie hinzu, „du bist auch die Enkelin Kanatas, eines großen Herrschers aus dem Mehme-Geschlecht, dessen Hand nach Tolor griff und der fast erreicht hätte, dass sich beide Länder vereinen.“

„Wäre Euch das Recht gewesen?“

„Vielleicht. Je nachdem, wer König gewesen wäre.“

Taephes Augen waren dunkel von dem Wissen, das ihre Jahre überstieg. „Inagoro hätte es sein können.“

„Inagoro“, sagte Sirit sanft, „hat die undankbare Aufgabe, aus den Scherben, die sein Vater hinterließ, wieder ein starkes Reich zu schaffen. Du könntest ihm dabei helfen.“

„Wen soll ich heiraten?“

„Wieso …“ Sirit unterbrach sich. Taephe war nicht dumm. Im Gegenteil. Sie setzte erneut an. „Was denkst du, wer dafür infrage kommt?“

Taephes Gesicht verriet nichts. Auch ihre Stimme nicht. Sie zählte die Kandidaten auf, als ob es sich um Diener handelte, die sie zur Arbeit schicken wollte. „Viridase, der Sohn des Prakatori-Grafen, der den Norden und die Handelsschiffe sichert. Fugata, der Sohn Trimikis, der das Delta schützen soll, aber dick und faul und unfähig und bestechlich ist. Tusikomo aus der Pakteri-Sippe, dessen Vater im letzten Wüstenkrieg gefallen ist und der dringend einen Erben braucht und zudem jemanden, dessen Existenz ihn mit dem Königshaus verbindet. Vielleicht auch noch Kohame, den Sohn des erst kürzlich geadelten Schanka aus der Kaufmannsgilde, um diese einflussreiche Gilde zu einer besseren Zusammenarbeit mit dem Königshaus zu bewegen.“

Nicht schlecht. Das Mädchen dachte mit.

„Da ist noch einer“, sagte Sirit. „General Ordunats Sohn. Shioge. Wir hätten allen Grund, das Haus Ordunat wieder zu besänftigen.“

Taephe zuckte zusammen. „Shioge hasst meinen Vater. Er hasst ihn über den Tod hinaus“, sagte sie leise. „Er wird auch mich nicht lieben.“

Hinens Hand wanderte herüber zu Taephe und legte sich auf ihren Arm.

Einen Moment sah es aus, als ob Taephe weinen wollte. Aber sie schluckte nur und senkte den Kopf. „Wann?“

„Der Thronrat will dich noch vor der Regenzeit zu ihm schicken.“

„Wie viele Tage bleiben mir noch?“, fragte Taephe tonlos.

„Vier.“

Jetzt begann Taephe doch zu weinen. Hinen nahm sie in den Arm und strich ihr übers Haar. Sirit erhob sich leise und ging hinaus. Taephe sollte wenigstens in Ruhe weinen dürfen.

*

Da stand er. Shioge.

Wenn Taephe noch irgendwelche Zweifel über die Art ihrer Ehe gehabt hätte, wären sie jetzt verflogen. Ihr zukünftiger Ehemann musterte sie, wie man ein giftiges Insekt musterte. Shioges ganze Haltung zeigte, wie sehr er diese aufgezwungene Ehe als Zumutung betrachtete. Natürlich hatte er sowenig eine Wahl gehabt wie Taephe. Ein Provinzadeliger, der die Tochter eines Königs angeboten bekam, sagte nicht nein. Nicht einmal dann, wenn besagte Tochter die Tochter eines glücklosen, toten Königs und seiner ebenso glücklosen, toten Konkubine war.

Sirit hatte lange genug mit dem Thronrat diskutiert und versucht, das Unheil doch noch abzuwenden. Taephe hatte hinter dem Wandschirm neben ihr gesessen und alles gehört. Sirit hatte mindestens ein Dutzend anderer möglicher Heiratspartner vorgeschlagen. Aber die Herren des Kronrates waren der Meinung, Ordunats Sohn sei der optimale Heiratskandidat für sie. Ein unzuverlässiger, aber einflussreicher junger Adeliger in einer wichtigen militärischen Position wurde damit an den Thron gebunden. Und für eine bessere Partie hätte ihre Abstammung eh nicht gelangt.

Taephe hatte Sirits Gesichtsausdruck bei diesen Worten gesehen. Kurz hatte sie überlegt, ob sie jetzt schon ein Kondolenzschreiben für die Familie des betreffenden Ratsherren ausstellen sollte.

Wie auch immer, die Männer hatten das letzte Wort gehabt. Nicht einmal Inagoros entrüsteter Einspruch hatte geholfen. Plötzlich war er für den Thronrat, der ihn sonst doch immer hofierte, nur ein kleiner Junge, dessen Worte nicht zählten. Inagoro hatte kein Wort mehr gesagt, danach. Aber hinterher war er zu Taephe gekommen, hatte sie umarmt und leise geflüstert: „Große Schwester, ich schwöre dir, wenn es dir in dieser Heirat nicht gutgeht, dann werden die es mir mit ihrem Blut büßen.“ Und in seinen Augen hatte die Liebe gestanden, die ein König von Karapak einer Frau gegenüber niemals äußern durfte.

In Shioges Augen stand alles andere als Liebe. Er bellte schroff nach einer Feder, setzte dann seine Unterschrift auf die Heiratsurkunde, drückte sie dem Hauptmann der Eskorte in die Hand, drehte sich wortlos um und ging in die Burg. Und damit war Taephe Ehefrau.

Mit gesenktem Kopf folgte sie ihrem Ehegatten.

Verdammter Kronrat! Verweichlichter Stadtadel, dicke Kaufleute, senile Ex-Generäle. Nur solche alten Idioten konnten auf die Idee kommen, ihm ausgerechnet die Tochter jenes Königs als Ehefrau anzudienen, der seinen Vater auf dem Gewissen hatte. Vermutlich glaubten die auch noch wirklich, das würde ihn beschwichtigen. Ganz im Gegenteil! Shioge war wild entschlossen, seine Aktivitäten noch auszudehnen. Solange, bis das Haus Mehme vernichtet war. Allzu viele Mitglieder gab es davon ja, der Göttin sei Dank, nicht mehr. Allerdings hatte er jetzt eines davon in seinen eigenen Mauern. Er dachte daran, wie jung dieses Mädchen noch war, zwölf Regenzeiten gerade erst. Jung und zart. Ohne die Mehme Nase hätte sie bestimmt sogar gut ausgesehen.

Die beste Möglichkeit, so ein junges Mädchen unauffällig loszuwerden, war vermutlich, sie so schnell wie möglich zu schwängern. Solche Kindfrauen starben häufig schon bei der ersten Geburt.

Shioge beschloss, seine neue Frau gleich heute Abend aufzusuchen und ihr ein Kind zu machen. Damit konnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, denn die Ehe würde ohnehin erst mit dem Beischlaf endgültig besiegelt.

Taephe wartete in den Räumen, die ihr Ehemann ihr zugewiesen hatte. Sie waren besser als erwartet. Zwei Zimmer für sie, eines für ihre Zofe, und ein eigenes Bad. Shioges Burg lag in den Vorbergen, in dem Grenzzipfel, in dem Meelas, Kirsitan und Karapak aneinanderstießen. Eine strategisch gute und wichtige Platzierung. Vom Fenster aus konnte sie in der Ferne die Gletscher auf den Eisgipfel glitzern sehen. Kaltes, festes Wasser. So ein Wunder würde sie gerne mal zu sehen bekommen. Ob sie wohl ihren Gatten überreden konnte …

Taephe verwarf den Gedanken so schnell wieder, wie er gekommen war. Shioge hatte nicht so gewirkt, als wolle er ihr auch nur den allerkleinsten Gefallen tun. Eher das Gegenteil. Vermutlich tat sie gut daran, überhaupt keine Wünsche zu erkennen zu geben.

Ob Sirit Recht behalten würde? Taephe tastete ihren Haarknoten ab. Ja, alles war an Ort und Stelle. Nervös strich sie ihr ohnehin faltenfreies schweres Brokatgewand noch einmal glatt. Die Sonne berührte bereits den Horizont. Die Gletscher färbten sich rosa. Dann wurden sie dunkelblau. Und dann begann das Licht des Himmels zu erlöschen. Wenn Shioge kommen würde, dann jetzt bald.

Richtig. Kaum eine halbe Kerze später polterten harte Schritte den Flur entlang, und dann stieß jemand die Tür so schwungvoll auf, dass sie gegen die Wand krachte. Taephe blinzelte in der plötzlichen Helligkeit.

„Was sitzt du hier im Dunkeln, dummes Gör!“, schnauzte ihr Ehegatte und hob den mehrarmigen Kerzenleuchter, den er in der Hand hielt. „Lass sehen. Ich will wissen, was ich mir eingehandelt habe.“

Taephe trat stumm in die Mitte des Raumes.

„Worauf wartest du? Zieh dich aus!“

Taephe zuckte zusammen. Ihre Unterlippe begann zu zittern. Es war genauso, wie Sirit und sie es befürchtet hatten. Aber sie sagte nichts, löste nur langsam die Bänder ihrer Kleidung. Der schwere Stoff sackte zu Boden und bauschte sich um ihre Füße. Ihr war plötzlich kalt, und sie hob die Arme.

„Arme runter!“, schnauzte ihr Ehegatte. „Ich hab’ doch gesagt, ich will dich ansehen! Wie soll ich das wohl tun, wenn du die Arme nicht stillhältst! Und jetzt dreh dich gefälligst, ich will sehen, ob du überall intakt bist.“

Jetzt traten Taephe doch Tränen in die Augen. Sie blinzelte sie krampfhaft weg und drehte sich, wie ihr Gatte es befahlen hatte. Als sie ihn wieder ansah, nickte er. „Zumindest ist der Rest von dir nicht so hässlich wie deine Nase.“ Er stellte den Kerzenleuchter auf einer Truhe ab und kam zu ihr. Mit einer Hand griff er unter ihr Kinn. Seine Hand war rau und schwielig. Die Hand eines Soldaten. „Ich werde meine Pflicht erfüllen. Du wirst deine Pflicht erfüllen. Sobald du schwanger bist, lasse ich dich in Ruhe. Also gib dir Mühe.“ Er stieß sie in Richtung auf das Bett.

Taephe wankte zurück, verhedderte sich in ihren Kleidern und fiel zu Boden. Sie konnte gerade noch einen Schmerzenslaut unterdrücken. Er stand nur da und beobachtete sie. Um seinen Mund spielte ein kaum wahrnehmbares, spöttisches Lächeln. Taephe rappelte sich wieder auf und ging zu dem Bett. Sie setzte sich auf den Rand.

Er schnob irritiert. „Was glaubst du, was wir machen wollen? Bestimmt nicht auf der Bettkante sitzen und Händchen halten!“ Mit zwei langen Schritten war er bei ihr. Schon nestelten seine Hände unter seinem Gürtel.

Genau darauf hatte Taephe gewartet.

Shioge erstarrte. Er konnte fühlen, wie seine Erektion sich in nichts auflöste, während er auf die bedrohlich glänzende Spitze starrte, die sich fast in seinen Bauch bohrte. An einer Stelle, wo sie vermutlich ein lebenswichtiges Organ treffen würde. Shioge kannte sich damit aus. Schließlich war er Soldat. Wie bei den Sandgeistern hatte die kleine Schlange einen Dolch hier herein schmuggeln können? Und was hatte sie jetzt vor? Wollte sie ihn abstechen?

Das Mädchen musterte ihn, ohne eine Miene zu verziehen. „Es ist richtig“, sagte sie, „Ihr seid mein Ehegatte, und es ist meine Pflicht, das Lager mit Euch zu teilen und Euch Kinder zu gebären. Genauso, wie es übrigens Eure Pflicht ist, so lange darauf zu warten, bis ich zu Letzterem tatsächlich imstande bin. Nicht zu Euren Pflichten gehört, mich dazu zu zwingen vor der Zeit.“ Sie verstärkte den Druck. Shioge konnte die Spitze des Dolches in seinem Fleisch fühlen. „Ich nehme an, dass Ihr in der Freude über Eure Heirat einfach vergessen habt, wie jung ich noch bin. So, wie ich vergessen werde, was heute Abend hier beinahe geschehen ist. Ich nehme an, Ihr seid damit einverstanden?“

Shioge nickte mit zusammengebissenen Zähnen. Es brachte nichts, mit einem blanken Dolch zu diskutieren.

„Ich schlage Euch etwas vor, mein Gemahl.“

Jetzt lächelte diese kleine Wildkatze tatsächlich noch. Shioge hätte sie mit dem größten Vergnügen erwürgen können.

„Ihr werdet mich in Ruhe lassen. Sobald ich entscheide, dass ich alt genug bin um Euer Lager zu teilen, werde ich es Euch wissen lassen. Dann könnt ihr mir unverzüglich ein Kind zeugen, so Euch gerade danach ist. Seid Ihr einverstanden?“

Shioge presste ein wütendes „Ja!“ hervor.

„Schwört es mir. Bei der Ehre Eurer Familie.“

Shioge zuckte zusammen. „Du wagst es …“

Der Druck des Dolches wurde stärker. „Bei der Ehre Eurer Familie. Ich weiß genau, wie wichtig Euch diese Ehre ist, und glaubt mir, ich will sie nicht zerstören.“

Auch wenn er immer noch Mordgelüste hegte, Shioge glaubte ihr. Die Augen des Mädchens strahlten Ehrlichkeit aus. Nun gut, dann würde er sie vorerst in Ruhe lassen. Nicht, dass er eine Wahl hatte. Der Dolch sprach eine zu deutliche Sprache.

„Ich schwöre es beim Namen meines Vaters und der Ehre meiner Familie!“, zischte er.

Sie senkte den Dolch und lächelte. Das Lächeln machte sogar dieses verhasste Mehme-Gesicht schön. „Dann wünsche ich Euch eine angenehme Nacht, mein Gemahl.“

Shioge kapitulierte und verließ schleunigst das Zimmer. Soviel wusste er sicher, diesen Teil seiner Burg würde er in der nächsten Zeit meiden.

Taephe sah ihrem Gemahl nach. Dann tat sie einen tiefen, erleichterten Atemzug. Sie hatte Zeit gewonnen. Jetzt musste sie das Beste aus dieser Zeit machen.

Sie griff nach ihrem Haar, drehte die Strähnen wieder fest, die sich vorhin gelöst hatten, und steckte den Dolch wieder zwischen den Haarnadeln in den dicken Haarknoten hinein. Hinen hatte Recht gehabt. Das war das einzige Versteck, auf das sie im Ernstfall zurückgreifen konnte.

Hinen.

Taephes Herz war schwer, als sie an ihre Freundin dachte. Hinen hatte es vorgezogen, wieder nach Kirsitan zu gehen. „Shioge lebt an der Grenze“, hatte Hinen gesagt. „Die Leute dort kennen uns in erster Linie als Feinde. Es wäre nicht gut für dich, wenn ich dort mit dir auftauche.“

Wahrscheinlich hatte Hinen Recht, wie immer. Taephe vermisste sie trotzdem.

Shioges Burg war interessant. Taephe stellte recht schnell fest, dass eine Frau auf so einem Außenposten bedeutend mehr Freiheiten hatte als im Palast. Die Dienerin hatte sie verblüfft angesehen, als sie gefragt hatte, ob sie mal in den Garten gehen dürfe. „Aber es ist doch Eure Burg!“, hatte sie gesagt.

Der Garten war nur ein kleiner Küchengarten. Kein Vergleich mit dem Palastgarten. Aber er lag vor den Mauern der Burg, und sie konnte von hier aus ungehindert über die Weite der Landschaft sehen. Und niemand schalt sie, wenn sie selbst eine Schaufel in die Hand nahm oder ein Pflänzchen anband.

Auch sonst schien es keinen Raum zu geben, der ihr als der Gemahlin des Burgherren nicht offenstand. Hätte sie einen anderen als Ehemann bekommen, hätte Taephe vielleicht sogar hier glücklich werden können. Aber ihr war bewusst, dass es nur ein Glück auf Zeit war. Früher oder später musste sie ihrem Ehemann den Beischlaf erlauben. Taephe war durchaus bewusst, wie hoch das Risiko war, bei einer Geburt zu sterben, und Shioge hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass er das überaus billigend in Kauf nehmen würde, solange sie nur seine Kinder gebar.

Taephe dachte an das kleine Kräuterbündel, das Hinen ihr gegeben hatte.

Die Bergfrauen wussten, wie man Schwangerschaften verhinderten.

Natürlich war das keine Dauerlösung, irgendwann musste sie schwanger werden, sonst würde ihr Gatte sie als unfruchtbare Frau verstoßen und zur Dienerin degradieren. Das wollte Taephe ganz bestimmt nicht.

Aber sie wollte auch nicht dauernd schwanger sein, bis sie draufging wie eine Zuchtkuh, die am Ende ihrer produktiven Zeit nur noch für den Schlachter taugte.

Es musst einen Mittelweg geben. Es musste einfach.

*

Da draußen schimpfte jemand ganz fürchterlich. Eine Frau, deren Stimme Taephe nicht kannte. Taephe hörte Stimmengewirr und Männerlachen. Die Stimme der Frau überschlug sich jetzt fast. „Dummer Mann!“, schrie sie. „Ich schneide dir die Eingeweide heraus und lasse dich vor dem Tor daran baumeln!“

Die Drohung klang ernst gemeint. Und, wie Taephe jäh bewusst wurde, sie wurde auf Kirsitanisch ausgesprochen. Da draußen bahnte sich offensichtlich Unheil zusammen. Taephe eilte zur Tür und trat in den Hof.

Eine kleine Gruppe von vier kirsitanischen Frauen und drei Männern stand dort neben einem kleinen Karren mit Handelswaren. Um sie herum hatte sich fast die halbe Burg versammelt. Die Leute lachten und zeigten mit den Fingern auf ihre Besucher.

Taephe steuerte zielsicher in ihre Mitte. „Was ist hier los?“, verlangte sie zu wissen.

Der Oberst der Burgwache, der seine Burgherrin erkannte, verbeugte sich kurz, aber ehrerbietig. „Diese Leute sind zum Handeln hierhergekommen“, sagte er. „Aber sie scheinen nicht zu verstehen, was wir mit ihnen handeln wollen. Koro versucht sein einer halben Kerze, ihnen begreiflich zu machen, dass er diese kleine Puppe für seine Tochter erwerben will.“ Er zeugte auf eine kleine geschnitzte Figur, die vorne an dem Karren baumelte.

Taephe besah sich das Objekt des Streites. Kein Wunder, dass die Kirsitaner so erbost waren! „Ich fürchte, Koro hat sich ein sehr schlechtes Handelsobjekt ausgesucht“, sagte sie. „Das ist ein Rigitarat. Eine Statue des Glücksgottes. Keine Puppe, und ganz sicher kein Handelsgut, oder würdet Ihr einem Fremden eine Statue Eures Hausgottes verkaufen wollen?“

Sie wartete die Antwort nicht ab, sondern wandte sich gleich auf Kirsitanisch an die Händlerin, die mit hochrotem Kopf dastand und deren Hand bereits auf dem Dolchgriff lag. „Verzeiht meinen Leuten, Meisterin. Sie sind leider schrecklich unwissend. Es war dumm, dass sie Euch derart bedrängten, und ich entschuldige mich für sie. Wäret ihr geneigt, als Ausdruck meines Bedauerns einen Ballen Seide zu akzeptieren?“

Die Händlerin atmete sichtlich auf, als sie die kirsitanische Sprache hörte. „Werte Frau“, sagte sie und neigte leicht den Kopf, „es ist eine Wohltat, zu sehen, dass wenigstens eine Person in dieser Burg Verstand und Verständnis zeigt. Ich nehme Eure Entschuldigung an und werde mit Freuden weiter meinen Geschäften hier nachgehen.“

Taephe nickte und wollte gerade gehen, um den versprochenen Ballen Seide aus ihrer Aussteuerkiste zu holen, als ihr Blick auf ihren Gatten fiel. Shioge stand oben auf der Treppe, die zur Haupthalle führte, und mustere sie mit einem Blick, den sie nicht deuten konnte. Taephe überlegte kurz. Nein, sie war sich sicher, alles richtig gemacht zu haben. Mit hocherhobenem Kopf eilte sie an ihm vorbei und in die Burg.

Welcher Ballen war angemessen? Die blaue Seide nicht, das war die Farbe ihres Hauses, die durfte sie nicht fortgeben. Rot war die Farbe Tolors, und Tolor hatte bestenfalls einen halbherzigen Waffenstillstand mit Kirsitan. Blieb nur Grün oder Gelb. Taephe entschied sich für einen Ballen mit gelben Blumen. Hinen war immer fasziniert gewesen von der Vielfalt karapakischer Blumen.

„Eine gute Wahl für einen schlechten Anlass.“

Taephe ließ fast den Ballen fallen. Sie drehte sich um. Ihr Gatte stand in der Tür.

„Verzeiht“, murmelte Taephe. „Ich weiß, dass es sich für eine Frau meines Standes nicht gehört, in der Öffentlichkeit aufzutreten. Es ist Euer Recht, mich zu tadeln.“

Seine Augenbrauen rutschen hoch. „Eigentlich hatte ich das genaue Gegenteil vor. Es war genau richtig von Euch, einzugreifen. Diese kirsitanischen Frauen messen dem Wort einer anderen Frau ohnehin mehr Bedeutung zu als dem Wort eines Mannes. Überdies hat es mich angenehm überrascht, dass Ihr Euch die Mühe gemacht habt, die kirsitanische Sprache zu lernen. Vielleicht habt Ihr ja doch noch einen Wert für mich.“

Mit diesen Worten drehte Shioge sich um und ging wieder. Taephe schaute ihm reglos nach. Wenn sie das richtig verstanden hatte, waren soeben ihre Chancen, die kommenden Monde lebend zu überstehen, deutlich gestiegen. Sie konnte Sirit und den Göttern dankbar sein, dass sie Hinen gehabt hatte.

Hornstachler

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