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Ein Brief in die Provinz

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Ein Brief aus Karapak. Seit Sirit dort Regentin war, hatten sich die Beziehungen zwischen Karapak und Kirsitan weit genug entspannt, dass solche Nachrichten möglich geworden waren. Die Duka lächelte. Dass die karapakische Regentin ihre Cousine war, war an dieser Entspannung nicht ganz unschuldig. Sie öffnete den Brief. Las ihn verwundert.

Schwester meiner Mutter,

ich schreibe, um Euch um einen Gefallen zu bitten. Mein verstorbener Gatte hat mir eine Tochter hinterlassen, das Kind seiner Ersten Konkubine. Das Mädchen wird in Karapak aufwachsen und leben. Bereits jetzt ist der Thronrat auf der Suche nach einem passenden Ehemann für sie, obgleich sie kaum mehr als elf Regenzeiten zählt. Ich stelle fest, dass ich eine gewisse Sympathie zu dem Mädchen fühle, seitdem ich sie in meine Familie aufgenommen haben. Nach allen Erfahrungen, die ich gemacht habe, widerstrebt es mir, sie, wenn es soweit ist, dass sie heiraten muss, ohne Ausbildung und ohne Schutz aus dem Palast zu schicken. Ich selbst kann eine solche Ausbildung nur begrenzt übernehmen, ich werde vom Thronrat scharf beobachtet. Wäre es eventuell möglich, dass eine der Frauen unserer Sippe zu mir in den Palast kommt und sich um Taephe kümmert? Eine Dienerin und ein Mädchen, das kaum von Bedeutung ist, wird man nicht so scharf kontrollieren wie die Regentin.

Sirit (die immer noch von den Bergen und den blauen Blumenwiesen träumt)

Die Duka starrte auf das Papier. Sirit musste gute Verbindungen haben, dass so ein Brief unbeschadet durch die Zensur und nach Kirsitan kam. Soso, Ausbildung brauchte das junge Prinzesschen. Kirsitanische Ausbildung. Die sollte sie haben, Die Duka sah keinen Grund, einer lieben Verwandten einen kleinen Freundschaftsdienst zu verweigern. Gut, dass man in Karapak ignorierte, dass zur Ausbildung kirsitanischer Frauen auch der Umgang mit Waffen gehörte.

Nur eines machte der Duka Sorgen. Weshalb träumte Sirit ausgerechnet von den blauen Blumenwiesen der Drachenberge?

Sie trat zum Fenster und sah hinaus. Weit hinten gleißten die Eiswipfel der Drachenzahnberge in der Sommersonne. Dort musste mittlerweile der lange Bergwinter auch vorbei sein. Mit einem nicht ergründbaren Unbehagen erinnerte sich die Duka daran, dass um diese Zeit die Bergglockenblumen in den nördlichen Drachenzahntälern zu blühen begannen. Aber das konnte Sirit eigentlich überhaupt nicht wissen.

*

Drei Jahre hatte es gedauert, bis der Südwind wieder seinen Weg in die Drachenzahnberge fand. Drei Jahre, in denen die Sommer zu kühl und die Winter zu lang waren, drei Jahre, in denen die feinen Samen im Boden schliefen. Doch jetzt waren sie erwacht,

Von dem warmen Wind geweckt, entfaltete das Wesen überlange Gliedmaße und machte einen taumeligen Schritt in die neuerdings blaue Bergwiese. Verwundert zog es seinen Fuß wieder zurück, als es die nickenden Blütenköpfe berührte, und beugte sich interessiert hinab. Einen Moment bildete sich an seinem Kopf eine Öffnung, eine lange Zunge schnellte heraus und tastete vorsichtig über die Blüten. Die Zunge verschwand, der Rachen schloss sich wieder, das Wesen hob fragend den Kopf. Der Mann, der mit dem Südwind wieder aufgetaucht war und jetzt näher herankam, sagte freundlich: „Das sind nur Blumen. Pflanzen. Es schadet nicht, wenn man auf ihnen geht.“ Wie zum Beweis seiner Worte machte er ein paar weitere Schritte durch das blaue Blütenmeer und stand nun direkt vor dem Wesen.

Das Wesen sandte eine wortlose Frage.

„Wir sind … verwandt“, sagte der Mann. „Deshalb bin ich bei dir.“

Die Frage wurde drängender.

Der Mann lächelte. „Es gibt so etwas wie Worte, weißt du? Damit kann man Fragen sehr viel genauer formulieren als nur mit Gefühlen. Hier, sieh dir an, wie ich es mache.“ Und er öffnete seinen Geist.

Das Wesen sah, was der Mann tat, und wie er es tat, und eignete sich dieses Wissen an. Dann sandte es erneut eine Frage, dieses Mal aber in Worte gekleidet. Warum bist du alleine hier?

„Die Frau, die dich gebar, ist zu weit fort. Nicht nur das, sie ist zudem völlig unwissend.“

Das Wesen drückte zweifelndes Bedauern aus. Kannst du sie nicht wissend machen?

Der Mann schüttelte den Kopf. „Das hätte eine andere machen müssen.“ In seinem Geist formte sich das Bild einer Frau, die nicht die Frau war, die das Wesen geboren hatte.

Das Wesen zuckte zusammen und zischte.

Der Mann wartete.

Das Wesen beruhigte sich wieder. Bring mich zu jener anderen.

„Willst du das wirklich?“

Ja.

Der Mann sah das Wesen an.

Das Wesen sah den Mann an.

Der Mann seufzte. „Dann wirst du dich noch einmal wandeln müssen“, sagte er. „In eine … gebräuchliche … Gestalt.“

Das Wesen sandte eine wortlose Frage.

Der Mann überlegte kurz. „Die Frau, die dich geboren hat, gebar noch andere Kinder. Deine Brüder. Das gleiche Blut verbindet euch. Taste dich an dem entlang, was dich mit ihr verbindet, bis zu dem, was sie mit deinen Brüdern verbindet. Dann nimm dir ihre Gestalt.“

Das Wesen gehorchte.

Als es fertig war, stand ein nackter Junge von vielleicht acht Wintern auf der Bergwiese. Ein Junge, der die Gestalt seiner Brüder hatte. Ein Junge, dessen Haut und Haare fast so hell waren wie das Gespinst, und dessen Augen farblos waren wie Eis.

Der Junge sandte eine weitere Nachricht.

Wer bin ich?

Der Mann lächelte. „Du bist ihr Sohn. Du bist mein Sprössling. Ich werde dich also ebenfalls als meinen Sohn bezeichnen. Vorerst. Du wirst leben und wachsen und lernen, und irgendwann wirst du deinen wahren Namen finden. Dann wirst du wissen, wer du bist. Bis dahin werde ich dich Grau nennen. Und du wirst lernen müssen, zu reden. Die Menschen werden dich sonst nicht verstehen.“

Einen Moment schien es, als ob der Junge protestieren wollte. Aber aus seinem Mund kam kein Laut. Dann sandte er:

Ich habe Hunger.

Der Mann nickte nur. „Komm.“

Er ging fort, ohne sich umzusehen.

Der nackte Junge trottete hinter ihm her.

Hornstachler

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