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Das erste Jahr der Duka

Es kribbelte in ihrem Nacken. Jemand beobachtete sie. Die Duka hielt inne, ihre Hand, die gerade die Schoten abstreifte, sank auf die geflickte Schürze. Sie sah hoch. Und sah genau in ein paar eishelle Augen, die sie einen Moment intensiv musterten und dann schnell abschweiften.

Schon wieder dieser Junge. Die Duka war sich nicht sicher, weshalb, aber irgendwie beunruhigte der Junge sie. Strich ständig um die Koppeln und Hundezwinger, mit einem irgendwie hungrigen Ausdruck.

Der Junge gehörte zu dem Mann aus den Eisbergen, der seit einigen Tagen in der Stadt weilte, um Pelze zu verkaufen. Soviel hatte die Duka bereits herausgekriegt. Die beiden behauptete, Vater und Sohn zu sein, auch wenn sie sich nicht sehr ähnlich sahen. Das heißt, irgendwo waren sie sich schon ähnlich. Nicht im Aussehen, wenn man von ihrer auffallend hellen Färbung absah, vielleicht aber in der Art, wie sie redeten, oder besser gesagt, meist nicht redeten, und wie sie sich bewegten. Die Duka war nicht umsonst, was sie war. Der Mann war gefährlich. Der Junge vermutlich auch.

Die Duka beschloss, die beiden besonders überwachen zu lassen.

Der Junge sah das Mädchen zur Quelle gehen. Sie bewegte sich, als ob sie tanzen wollte, und summte dabei ein Lied. Der Junge mochte das Lied. Langsam schob er sich näher.

Das Mädchen füllte den großen Wasserkrug. Er musste sehr schwer sein, denn als sie ihn hochheben wollte, hielt sie einen Moment inne und setzte ihn wieder ab. Der Junge verhielt unschlüssig. Dann ging er zu ihr „Ich kann dir helfen.“

Das Mädchen sah ihn mit einem nachsichtigen Lächeln an. „Kleiner, du bist kaum halb so groß wie ich. Danke für dein Angebot, aber meine Arbeit mach ich besser selbst.“

Statt zu antworten, griff der Junge nach dem Krug und hob ihn hoch. Es war einfacher, als er gedacht hatte. Der Krug war sogar ziemlich leicht. Der Junge überlegt kurz, dann begriff er. Die Menschen mussten deutlich schwächer sein als seinesgleichen. Was auch immer seinesgleichen war. Er würde entsprechend aufpassen und seine Kraft sparsam einsetzen müssen.

„Oh!“ Das Mädchen sah ihn überrascht an. „Du bist entschieden kräftig für dein Alter. Sag mal, ich habe dich noch nie zuvor gesehen. Zu welcher Sippe gehörst du, und wie heißt du?“

„Ich heiße Grau. Ich gehöre zu keiner eurer Sippen. Mein Vater und ich, wir sind hierher gekommen, um zu handeln.“

Das hatte ihm der Mann eingetrichtert. Nur das sollte er sagen, und sonst nichts.

„Und wer ist dein Vater?“

„Mein Vater ist … mein Vater.“

Ihre Lippen kräuselten sich ein wenig, aber ihre Stimme blieb ernst.

„Dann danke ich dir für deine Hilfe, Grau, Sohn eines namenlosen Händlers.“

Sie ging zurück in Richtung ihres Sippenhauses. Grau trottete nebenher, den Wasserkrug in den Armen.

„Woher kommt ihr überhaupt?“

Grau zuckte mit den Achseln, was mit dem Krug im Arm unbequem war. „Von dahinten, wo die Berge höher sind.“

„Da würde ich gerne einmal hingehen“, sagte sie. „Die Berge sehen so schön aus, wenn die Sonne sie erleuchtet.“

Der Junge dachte an die Berge. Die Berge … waren die Berge. Felsen, die man nicht essen konnte. Was war daran schön?

„Leider hat meine Großmutter es verboten“, fuhr das Mädchen fort. „Sie meint, ich sei noch zu jung, und die Berge seien zu gefährlich.“

„Ich könnte dich begleiten“, bot der Junge an. „Für mich sind die Berge nicht gefährlich. Ich lebe dort. Ich kann dich beschützen.“

Jetzt lächelte sie wieder. „Vielleicht später. Wenn du etwas größer bist. Und wenn ich etwas älter bin. Wenn ich jetzt gehen würde, wäre meine Großmutter zu Recht verärgert. Niemand verärgert meine Großmutter. Ich auch nicht. Schließlich ist sie die Duka.“

Der Junge erinnerte sich an das, was ihm der Mann erzählt hatte.

„Dann werde ich warten“, sagte er. „Vielleicht nächstes Jahr, wenn ich wiederkomme.“

„Vielleicht.“

Sie hatten das Sippenhaus erreicht.

„Willst du mit hereinkommen?“, fragte das Mädchen. „Wir haben gerade einen leckeren Hammeleintopf auf dem Feuer. Du kannst nachher mit uns essen.“

Der Junge zögerte. „Ich glaube, ich sollte erst meinen Vater fragen.“

„Mach das. Ich würde mich freuen, wenn du nachher wieder zu uns kommst.“

Sie nahm ihm den Krug ab. Ihren verkrampften Händen nach musste sie den Krug wirklich sehr schwer finden.

„Übrigens, ich heiße Marle“, sagte sie.

Der Junge lächelte scheu und wandte sich zum Gehen.

„Bleibt ihr länger?“, rief sie ihm hinterher.

Er drehte sich noch einmal zu ihr um. „Keine Ahnung. Mein Vater hat nichts gesagt.“

Grau kam zum Essen. Verblüfft sah Marle zu, wie viel Fleisch der kleine Kerl in sich hinein schaufelte. Der musste doch beinahe platzen!

„Womit handelt ihr eigentlich?“

„Wir haben Pelze. Schöne, warme Pelze.“

„Die würde ich mir gerne einmal ansehen.“ Marle tastete nach dem Pelzbesatz ihres Rockes. Zum Winter wollte sie sich ein neues Tanzkleid nähen.

„Du kannst ja nachher mit zum Markt kommen.“

„Da musst du mich etwas später abholen. Ich muss erst noch hier meine Arbeit erledigen.“

Der Junge nickte nur.

Nach dem Essen trottete er ohne ein weiteres Wort davon.

Marle erhob sich mit einem Seufzer und begann, das dreckige Geschirr nach draußen zum Wasserbecken zu schaffen.

Jemand trat ihr in den Weg. Verblüfft sah sie auf. Großmutter!

„Du wirst ihn nicht wieder treffen.“

Marle sah die Duka überrascht an. „Warum nicht?

„Dieser Junge…“

„Grau“, unterbrach Marle sie. „Er heißt Grau.“

„… dieser Junge könnte gefährlich sein.“

„Großmutter! Er ist vielleicht neun Winter alt, und ich bin fast eine erwachsene Frau! Wie soll mir dieser Junge gefährlich werden?“

Die Duka starrte ihre Enkelin an. „Ich habe ein schlechtes Gefühl bei ihm“, sagte sie schließlich. „Und mein Gefühl hat mich noch nie getrogen. Bleib weg von ihm!“

Ich habe aber ein gutes Gefühl bei ihm“, trotzte Marle. „Sagst du nicht immer, eine Frau soll ihrem eigenen Urteil vertrauen?“

„Nur, solange sie dabei auch ihren Verstand einsetzt. Was weißt du über den Jungen oder seinen Vater? Vermutlich so viel wie ich, nämlich nichts. Wie kannst du jemandem vertrauen, über den du nichts weißt?“

„Ich weiß, dass er mir geholfen hat. Und dass er ein freundliches Lächeln hat.“

„Das ist nichts. Das ist nur seine Oberfläche. Du weißt nicht, was er denkt, kannst es gar nicht wissen. Er könnte ein Feind sein, der dir bei nächste Gelegenheit mit eben diesem freundlichen Lächeln ein Messer zwischen die Rippen stößt. Du wirst nach mir die Duka sein. Als Duka musst du auch an solchen Möglichkeiten denken. Du darfst dich nicht von einer glatten Oberfläche täuschen lassen. Versprich mir, dass du ihn nicht wieder triffst.“

Marle senkte den Kopf. „Das kann ich nicht. Ich habe ihm versprochen, mit ihm zum Markt zu gehen. Ich breche mein Versprechen nicht.“

Die Duka spürte den Hauch des Unheils. Fern noch, aber es war da. „Dann versprich mir wenigstens eins, Tochter meiner Tochter. Versprich mir, dass du vorsichtig bist. Dass du weder ihm noch seinem Vater aus dem Ort hinaus folgst. Dass du weder ihm noch seinem Vater Dinge verrätst, die uns gefährden könnten. Versprich mir, dass du deine Zunge hütest und mit deinem Verstand denkst, nicht mit deinem Herzen.“

Marle nickte sehr ernst. „Das verspreche ich, Großmutter.“

Wenn die Großmutter Recht hatte? Marle gab es ungern zu, aber es war tatsächlich etwas Mysteriöses um ihren kleinen Freund und seinem Vater. Sie handelten mit Pelzen aus den Eisbergen. Aber keiner von beiden sah aus wie einer der Eisleute. Und sie erzählten nichts. Alle anderen Händler erzählten von sich, spätestens dann, wenn sie betrunken waren und bei einer der Frauen unter die Decken krochen. Graus Vater trank nicht. Und er kroch auch unter keine Decke.

Marle ging mit Grau zum Markt. Was immer mit seinem Vater war, der Junge schien ihr trotzdem ungefährlich. Nicht nur ungefährlich. Grau war nett. Und im Gegensatz zu den Jungen und Männern ihres Volkes, die fast vor Ehrfurcht erstarrten, wenn die zukünftige Duka das Wort an sie richtete, behandelte Grau sie nicht anders als die anderen Sippenfrauen.

Marle schlug den Rat der Duka nicht in den Wind. Aber sie beschloss, ihn vorübergehend auszusetzen. Zumindest, soweit es den Jungen betraf.

Hornstachler

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