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Wie erzieht man einen Zauberer?

„Schule, immer nur Schule. Steck dir deine langweilige Schule sonstwohin!” Der Junge grinste Jo spöttisch an, bevor er zur Tür hinausflitzte. Kein unnormales Verhalten für einen halbwüchsigen Gassenjungen. Aber ein sehr unnormales Verhalten für werdende Zauberer.

Bevor der nächste sich ihm anschließen konnte, packte Jo den Bengel mit hartem Griff im Nacken und schleifte ihn eigenhändig zurück an seinen Tisch. „Du lernst!”, knurrte er und sah sich mit finsterem Blick um. „Und ihr anderen auch! Und was Koik angeht, den werde ich mir nachher vorknöpfen!” Seine Hand brannte wie Feuer. Diese Kinder hatten bereits jetzt Tricks drauf, von denen er in seinem ganzen Leben noch nichts gehört hatte. Und das schlimmste war, sie hatten sie nicht einmal lernen müssen. Diese Drachenbrut konnte das einfach so. Wie sollte ein Zauberer Kinder erziehen, die bereits ohne Ausbildung stärker waren als er selbst?

Am Abend diskutierte er die missliche Situation mit Eishaar.

„Die frisch Geschlüpften brauchen Disziplin. Sie lernen sie nicht von alleine”, dozierte der Drachenherr. „Das ist bei euren Jungen nicht anders als bei unseren.”

„Du hast gut reden”, murrte Jo. „Bei dir parieren sie. Du bist stärker.”

„Na und? Stärker sein alleine besagt überhaupt nichts. Du hast ihnen jahrelange Erfahrung voraus.”

„Deswegen kann ich sie immer noch zu nichts zwingen.”

„Tu´ ihnen weh. Pack sie da, wo sie es merken.”

„Und was sollte das schon sein?”

„Wenn dir der nächste von ihnen querkommt, mach´ ihn zu einem Spiegel.”

Jo starrte Eishaar entgeistert an. „Zu … einem Spiegel? Ist das dein Ernst?”

Eishaar zuckte mit den Achseln. „Du hast drei Dutzend frisch geschlüpfte, undisziplinierte Zauberer. Wenn du kein völliges Chaos willst, musst du ihnen zeigen, dass du es ernst meinst. Nur dann werden sie bereit sein, von dir zu lernen, was sie zum Überleben brauchen.”

„Zum Überleben?”

„Seit wann bist du so schwer von Begriff? Was glaubst du, was passiert, wenn du diese kleinen Zauberer so auf die Welt und sich selbst loslässt? An so etwas sind schon ganze Städte zugrunde gegangen.”

Jo schluckte. Dachte an seine eigene Zeit im Spiegel. Und dann daran, dass die Spiegel kein Gefängnis für ewig sein mussten. „Gut, ich denke, einige Zeit in einem Spiegel könnte dem einen oder anderen wirklich nicht schaden.”

„Falsch!”, fauchte Eishaar. „Du musst sie auch verbrauchen!”

Jo konnte fühlen, wie ihm die Farbe aus dem Gesicht wich.

Eishaar deutete seine Reaktion richtig. „Du bist zu weich geworden hier in Tolor. Denk an das, was du gelernt hast. Es hat verdammt gute Gründe, weshalb deine Zaubererkollegen auf einer so harten Ausbildung bestehen. Ein Zauberer, der keine Disziplin lernt, ist wie eine offene Flamme in einer Pulverkammer. Und der einzige Weg, diese Disziplin nicht nur zu lernen, sondern auch zu verinnerlichen, ist Härte.”

„Aber … Fü?”

„Fü ist ein Sonderfall.” Eishaar fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Ehrlich gesagt, so jemand wie Fü ist mir in meinem ganzen Leben vorher nicht untergekommen. Und ich lebe schon verdammt lange, wie du weißt.”

Jo nickte stumm.

„Fü kann nicht hart sein. Das wäre völlig gegen ihr Naturell. Dieser Teil der Ausbildung unserer Jungzauberer wird also an dir hängenbleiben. Fü … Fü ist etwas Besonderes. Ich weiß nicht, warum die Götter sie geschaffen haben, aber sie hat etwas, das ich noch bei keinem Menschen zuvor gesehen habe. Sie trägt einen Lichtkeim in sich.”

„Lichtkeim? Was ist das?”

„Früher, als es noch mehr Windschwingen gab, hatten wir immer ein oder zwei Träger des Lichtkeims unter uns. Heute … Vielleicht sind wir einfach zu wenige. Und vielleicht sind die Menschen jetzt zahlreich genug, dass so ein Lichtkeim endlich auch einmal bei euch erscheint.”

Das Schweigen zog sich. Endlich hakte Jo noch einmal nach.

„Was ist ein Lichtkeim?”

„So etwas wie ein winziges Stück der Essenz der Flammenden Göttin. Die Lichtkeimträger sind Auserwählte.”

„Du klingst nicht besonders froh darüber.”

„Auserwählte der Götter zu sein, fordert manchmal einen hohen Preis. Bei den meisten schläft der Lichtkeim, solange sie leben. Er erwacht nur dann, wenn sich eine Katastrophe anbahnt. Wenn er erwacht, werden die Auserwählten zu Lichtaugen, ihre Magie wird stärker als alles, was du dir vorstellen kannst.”

„Was ist daran so schlimm?”

„Es brennt sie aus. Die Lichtaugen werden vom Feuer der Göttin verzehrt.”

Dieses Mal unterbrach Jo das Schweigen nicht wieder.

Es dauerte keine zwei Tage, bis Jo Eishaar Rat anwenden musste. Zwei Tage, in denen er wieder und wieder um Ruhe, Aufmerksamkeit und Konzentration bitten musste, zwei Tage, in denen die Kinder immer frecher und aufmüpfiger wurden. Schließlich riss ihm der Geduldsfaden. „Der nächste von euch, der nicht gehorcht, wird es bitter bereuen!“, verkündete er finster. Die Jungen und Mädchen tauschten irritierte bis belustigte Blicke. Aber für einen Moment waren sie tatsächlich still. Jo hegte schon Hoffnung, dass es gutgehen würde.

Nein. Natürlich tat es das nicht. Plötzlich brannte etwas in seinem Nacken. Er wischte mit der Hand und etwas Magie dahinter. Eine kleine Feuerkugel wurde weggeschleudert. Gerade noch rechtzeitig, es stank schon nach angesengtem Haar.

„Wer war das?“

Schweigen.

„Wenn ihr meint …“ Jo konzentrierte sich auf die Feuerkugel. Es war leicht zu sehen, mit wessen Aura sie in Verbindung stand. Marisi. Mit ihren noch nicht ganz acht Wintern war die Kleine jetzt schon stärker als mancher Blaue bei Meister Go. Er sah nicht hin, folgte nur der Energiespur, als die Feuerkugel zu ihrer Schöpferin zurückflog. Und als er bei der Kleinen war, griff er nach seinem Arbeitsspiegel.

Marisi starrte ihn an, eher verblüfft als beängstigt. Dann berührte der Spiegel sie. Ihr Ausdruck wechselte von Verblüffung zu Schrecken und weiter zu nackter Panik, während sie vergeblich gegen den Sog des Spiegels kämpfte. Ihr entsetzter Schrei brach in einem langgezogenen, hohen Wimmern ab, während ihr Körper sich verdrehte, auflöste und in den Spiegel gezogen wurde.

Dann war Marisi fort, der Spiegel um das Dreifache gewachsen.

„Das hier“, sagte Jo schroff und hob den Spiegel, so dass er für alle gut sichtbar war, „ist jetzt kein Arbeitsspiegel mehr. Es ist ein Seelenspiegel. Marisis komplette Energie ist jetzt darin, Seele wie Körper. Jedes noch so kleine Stück von ihr. Und wer immer von euch sich jetzt noch einmal muckt, kann ihr darin Gesellschaft leisten.“

Ein erschrockenes Aufkeuchen lief durch die Schülerreihen.

Jo ging zurück zu seinem Lehrpult. „Eigentlich solltet ihr das erst sehr viel später lernen. Aber da ich nun schon einmal einen Seelenspiegel in der Hand habe, werde ich euch zeigen, was die Unterschiede zwischen Seelen- und Arbeitsspiegeln sind und wie man sie benutzt.“

Bevor der Tag zu Ende ging, hatte Jo so gut wie alle Gegenstände im Raum in ihrer Substanz gewandelt. Holz zu Stein, Stein zu Metall, Papier zu Stoff … Alles, was viel Energie fraß. Der Spiegel war kleiner und kleiner geworden. Bei der letzten Umwandlung, als er sein Tintenfass in Gold wandelte, löste der Spiegel sich endgültig auf.

Niemand in der Gruppe rührte sich. Alle sahen ihn mit fast ängstlicher Spannung an.

„Marisi?“, fragte Koik schließlich. „Wo ist sie? Wann kommt sie wieder?“

„Sie ist nirgends“, sagte Jo hart. „Sie war in diesem Spiegel. Und wie ihr seht, habe ich den Spiegel verbraucht. Sie ist fort, für immer, nichts ist von ihr übrig.“

Ein kollektives Aufstöhnen. Koik zuckte sichtlich zusammen. Offenbar begriff er, dass er selbst nur ganz knapp an diesem Schicksal vorbeigeschrammt war.

Danach hielten die Kinder Disziplin.

Jo sah Füs traurige Augen, als er ihr davon erzählte. An jenem Abend konnte er nicht einschlafen. Wieder und wieder stand das Geschehen vor seinen Augen. Wenn es bloß nicht ausgerechnet Marisi gewesen wäre. Sie war eine der Bravsten gewesen, ein fröhliches, fast immer lachendes Kind. Warum musste es ausgerechnet sie sein? Warum nicht Koik oder ein anderer aus seiner Bande?

Aber Jo kannte die Antwort. Dass es Marisi getroffen hatte, war im Grunde für seine Zwecke ideal. Jetzt wussten alle Schüler, dass die angedrohten Konsequenzen stattfanden, egal, wen sie trafen. Dass weder früheres gutes Benehmen noch persönliche Zuneigung ihren Lehrer beeinflussen würde. Und dass sie Jo zu fürchten hatten.

So, wie er früher Meister Go gefürchtet hatte.

Jo fühlte, wie sich sein Magen umdrehte. Er schaffte es gerade noch bis zum Abort.

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