Читать книгу Der Hüter der Sphären - Chris Vandoni - Страница 11
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Als Kim drei Stunden später zu Hause ankam, sah sie ihren Nachbarn Benjamin Rosenberg alleine auf seiner spärlich beleuchteten Veranda sitzen. Schon aus einiger Entfernung bemerkte sie, dass mit ihm etwas nicht in Ordnung war. Für gewöhnlich saß er nie alleine im Garten, sondern immer zusammen mit seiner Frau.
Kim parkte den Roller vor ihrem Bungalow, verstaute den Helm im Gepäckkasten und schritt langsam auf das Grundstück der Rosenbergs zu.
»Hallo Ben«, rief sie aus einiger Entfernung.
»Kim«, sagte er und winkte ihr zu.
»Wie geht’s dir?«
»Na ja, es geht so. Und dir?«
»Danke gut. Wo ist Jenny?«
Benjamins Gesichtsausdruck verdüsterte sich. Er senkte seinen Blick.
»Ist etwas passiert?«, erkundigte sich Kim besorgt.
Eigentlich wollte sie Benjamin von ihrer Begegnung mit den eigenartigen Schwärmen erzählen. Doch als sie seinen Gemütszustand bemerkte, rückte dieses Erlebnis in den Hintergrund.
»Jenny ist angeblich zu ihrer Mutter gefahren. Als ich nach Hause kam, fand ich eine Notiz auf dem Notepad. Die Speicherzeit zeigte zwanzig Uhr dreiundzwanzig an. Also ist sie gestern Abend gleich nach der Arbeit gefahren.«
»Sie hat dir vorher nichts davon gesagt?«
»Nein. Das sieht ihr gar nicht ähnlich.«
»Hat sie geschrieben, warum sie gefahren ist?«
»Nein, aber ich habe vor einer halben Stunde ihre Mutter angerufen. Nur, die wusste nichts davon und war völlig überrascht.«
»Hattet ihr Streit?«
»Um Gotteswillen, nein. Wo denkst du hin?«
»Sonst ist nichts passiert?«
»Nicht, dass ich wüsste … Sie war in letzter Zeit vielleicht etwas ruhiger als sonst. Aber nicht so, dass man sich darüber hätte Sorgen machen müssen.«
»Hast du sie nach dem Grund gefragt?«
»Nein, ich hatte nicht darauf geachtet. Aber jetzt, wo sie weg ist, ist es mir plötzlich eingefallen. Wahrscheinlich bilde ich es mir auch nur ein.«
Die Rosenbergs waren ein liebenswertes Ehepaar in den Sechzigern. Benjamin arbeitete als Geschichtslehrer an der Schule, während Jenny als Sachbearbeiterin bei der Niederlassung des Pharmakonzerns Norris & Roach in Tuba City ihren Anteil zum Lebensunterhalt beitrug.
Seit Kim in ihren Bungalow eingezogen war, hatte sich zwischen ihr und den Rosenbergs ein herzliches Nachbarschaftsverhältnis entwickelt. Man half sich gegenseitig aus, wenn etwas fehlte; man achtete aufs Haus, wenn die Gegenseite in den Urlaub fuhr. Kim fütterte die Katzen der Rosenbergs und gab den Hauspflanzen Wasser, während die Rosenbergs umgekehrt nicht so viel zu tun hatten, da Kim weder Haustiere noch Zimmerpflanzen besaß.
»Hat sie dir gegenüber irgendetwas erwähnt?«, fragte Benjamin, während Kim vor sich hin sinnierte.
»Oh, entschuldige, ich war gerade in Gedanken versunken. Was hast du gefragt?«
»Ob sie dir vielleicht etwas erzählt hat. Ich meine, so im Vertrauen, von Frau zu Frau.«
»Nein, nicht, dass ich wüsste. Ehrlich nicht. Ich kann mir echt nicht vorstellen, was mit ihr nicht in Ordnung sein sollte.«
Benjamin dachte einige Augenblicke nach. Dann murmelte er: »Also, ich werde mir jetzt etwas zu essen machen. Großen Hunger habe ich zwar nicht.« Er sah kurz zu Kim, erhob sich und wollte sich auf den Weg ins Haus machen, als er sich noch einmal umdrehte und sagte: »Wenn du möchtest, können wir zusammen etwas essen. Alleine macht es keinen Spaß.«
»Sehr gerne. Ich geh mich nur schnell umziehen und etwas frisch machen und komme dann rüber.«
»Okay, einen Drink lehnst du nicht ab, oder?«
»Nein, bestimmt nicht«, antwortete sie schmunzelnd.
Benjamin drehte sich um und verschwand im Haus. Kim blieb noch ein paar Sekunden nachdenklich stehen, ging ebenfalls heim und schloss die Tür auf. Im Vorbeigehen griff sie nach ihrem Kommunikator, der einsam auf der Kommode im Flur lag, und erkundigte sich nach eingegangenen Nachrichten. Während ihrer regelmäßigen Streifzüge durch die Wüste ließ sie das Gerät bewusst zu Hause. Sie wollte in der freien, unberührten Natur alleine und ungestört sein.
Keine neuen Nachrichten. Auch gut, dachte sie.
Zwei Stunden später saßen Kim und Benjamin immer noch am Tisch und plauderten über alltägliche Dinge. Das von Benjamin zubereitete Abendessen hatte vorzüglich geschmeckt. Der Wein hatte sein Gemüt etwas aufgeheitert. Aber zwischendurch versank er immer wieder ins Grübeln.
»Heute ist mir etwas Unheimliches passiert«, begann Kim irgendwann, als Benjamin erneut schweigsamer wurde. Sofort blickte er auf und sah ihr in die Augen.
»Ich war wieder beim Canyon. Auf der Rückfahrt flitzte plötzlich etwas vor mir über den Weg. Ich hielt an, ging zurück, fand aber nichts. Doch nicht dies war das Unheimliche, sondern das, was danach geschah.«
Benjamin blickte sie neugierig an.
»Als ich so auf dem Boden kauerte, sah ich am Abgrund plötzlich einen dunkelgrauen Schwarm. Zuerst dachte ich, es wären Insekten. Aber es muss etwas ganz anderes gewesen sein. Es sah aus wie ein Teppich, der sich vorwärtsbewegte und seine Form veränderte. Und er kam auf mich zu. Ich floh auf einen großen Stein und stach mit einem Holzstecken mitten hinein. Doch dieser gab gleich nach, als würde er im Boden versinken.«
»Du bist sicher, dass es keine Insekten waren?«
»Ja, die einzelnen Partikel des Schwarms waren kaum auszumachen. Der Stecken wurde dann vollständig aufgelöst, als hätte ihn der Schwarm gefressen.«
»Ich kenne keine Insekten, die Holz so schnell auflösen können.«
»Das dachte ich mir auch. Also bin ich blitzartig abgehauen, als noch weitere Schwärme auftauchten.«
Benjamin schien in Gedanken versunken.
»Kommt dir das bekannt vor?«, fragte ihn Kim nach einigen Augenblicken.
»Ich hatte nur gerade an etwas gedacht. Es gab vor etwa hundertzwanzig Jahren einen Vorfall in einem Pharmakonzern mit einem Phänomen, auf das deine Beschreibung passen könnte. Aber das Problem wurde damals gelöst.«
»Was war das für ein Vorfall?«
»Man hat mit einer Art von Nanopartikeln experimentiert, bis sie mutierten und großen Schaden anrichteten. Es gab einige Tote.«
»Du glaubst, es könnten solche Partikel gewesen sein?«, fragte Kim erschrocken.
»Deiner Beschreibung nach könnte es sich um ähnliche Partikel handeln. Aber es ist ausgeschlossen, dass von den damaligen Experimenten nach so langer Zeit noch etwas übrig ist.«
»Welcher Pharmakonzern war es denn?«
»Einer der größten. Norris & Roach.«
»Das ist doch der, bei dem Jenny arbeitet.«
»Die haben weltweit viele Niederlassungen. Derjenige in Tuba City, in dem sie arbeitet, ist unbedeutend und klein. Ich weiß gar nicht, was genau die da machen. Jenny darf ja nichts verraten.«
»Von den Experimenten in der Vergangenheit habe ich noch nie etwas gehört. Woher weißt du davon?«
»Als Geschichtslehrer befasse ich mich viel mit der Vergangenheit. Damals wurde in den Medien ausführlich über diesen Vorfall berichtet. Aber irgendwann verschwand die Angelegenheit von der Bildfläche und es interessierte niemanden mehr.«
»So ist es oft, wenn etwas Schlimmes passiert«, sagte Kim verächtlich. »Zuerst wird fast über nichts anderes berichtet, bis die Menschen es nicht mehr sehen oder hören können. Aber wie es danach für die Betroffenen weitergeht, interessiert niemanden mehr.« Kim dachte kurz nach. »Könnte es sein, dass irgendjemand erneut mit solchen Partikeln experimentiert?«
»Davon ist mir nichts bekannt. Aber man weiß ja nie, was im Geheimen alles vor sich geht.« Benjamin machte eine kleine Pause, bevor er sagte: »Lass mich etwas nachsehen.«
Er griff nach seinem Kommunikator. Kim rutschte mit dem Stuhl neben ihn und blickte gespannt auf das Display.
»Da haben wir es«, sagte er. »Ein altes Dokument, in dem diese Experimente von damals beschrieben werden. Ich weiß auch nicht, warum ich es aufbewahrt habe. Aber hier drin steht, in welcher Niederlassung von Norris & Roach diese Vorfälle passierten.«
Benjamin blätterte eine Weile auf seinem Kommunikator. Dann hielt er plötzlich inne, starrte kurz auf das Display und schob das Gerät zu Kim. Gespannt blickte sie an die Stelle, auf die sein Finger zeigte. Dann sah sie es und erstarrte.
Norris & Roach, Tuba City.
Kim hob ihren Blick und sah Benjamin bestürzt in die Augen. »Jenny …«, hauchte sie entsetzt.
»Ja, und der Ort befindet sich nur einhundert Kilometer östlich von der Stelle entfernt, an der dir die Schwärme begegnet sind.«