Читать книгу Der Hüter der Sphären - Chris Vandoni - Страница 18
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Bruder Steven saß auf dem Dach seines Bodengleiters und rauchte einen Joint. Die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten, entfaltete sich kurz nachdem er ihn angezündet und die ersten Züge inhaliert hatte, und vermittelte ihm ein Gefühl der Unbeschwertheit. Auch die anfänglichen Schmerzen in den Beinen, die er für gewöhnlich verspürte, wenn er im Schneidersitz saß, wurden in den Hintergrund verdrängt. Er fühlte sich leicht, als wenn er gleich abheben würde.
Die Scheinwerfer der verschiedenen Gleiter, die zur späten Abendstunde auf der nahegelegenen Avenue vorbeibrausten, verwandelten sich mehr und mehr in bunte, leicht verschwommene Linien. Wie er diesen Moment genoss!
»Meditierst du?« Die Stimme schien von weither zu kommen.
Langsam drehte er den Kopf und erkannte die Silhouette von Master Antonius in der Tür. Steven hob kurz die Hand und richtete seinen Blick erneut auf den Highway. Er mochte es nicht, bei seinem abendlichen Ritual gestört zu werden.
Als Leiter der Bruderschaft stand Master Antonius weit über ihm. Eigentlich hieß er Anthony. Aber seit er der Bruderschaft beigetreten war, wollte er ausschließlich Antonius genannt werden.
Beim Gedanken, wie er selbst heißen würde, wenn er seinen Namen auf dieselbe Weise änderte, musste er laut lachen. Stevius. Wie bescheuert klang das denn! Die Wirkung des Joints bescherte ihm einen länger anhaltenden Lachanfall.
Stevens Blick richtete sich in die Ferne. Dadurch wirkten die farbigen Linien, die durch die vorbeigleitenden Fahrzeuge verursacht wurden, noch verschwommener. Er hatte das Gefühl, die Sterne am Himmel würden sich stetig vermehren. In der mondlosen Nacht waren sie besonders deutlich zu sehen.
Das Gemeinschaftsgebäude der Bruderschaft, die sich vor kurzem der Sekte Verkünder der Apokalypse angeschlossen hatte, lag an der zweiundsechzigsten Avenue Nordost in St. Petersburg an der Westküste Floridas, nahe der Tampa Bay. Diese Halbinsel war in den vergangenen Jahrhunderten mehrere Male von verheerenden Hurrikans heimgesucht und völlig zerstört, oft sogar vollständig überflutet, aber jedes Mal wieder aufgebaut worden.
Das Gebäude der Bruderschaft war u-förmig angeordnet, besaß mehrere Etagen und einen parkähnlichen, gepflegten Innenhof. Die Umgebung um das Anwesen war mit Bäumen, Sträuchern, Hecken und Blumenbeeten bestückt, sodass genügend Distanz zur unmittelbaren Nachbarschaft gewahrt wurde, die sich herzlich wenig aus der Bruderschaft machte.
Langsam ließ sich Steven auf den Rücken nieder, spürte die kühle Oberfläche des Gleiterdachs und starrte zum Himmel empor. Über ihm breitete sich funkelnd die Milchstraße aus. Mitten im Sternenzelt erkannte er einen Lichtpunkt, der sich zusehends vergrößerte. Bestimmt einer der vielen Satelliten, die um die Erde kreisten. Die Tatsache, dass sich dieser Lichtpunkt auf die Erde zubewegte, bereitete ihm dank der Wirkung des Joints keine Sorgen. Doch als dieser die Ausmaße des Mondes erreichte und sich plötzlich nicht weiter vergrößerte, wurde er stutzig.
»Der Mond fällt doch nicht auf die Erde«, murmelte er vor sich hin und kicherte. Dann inhalierte er den nächsten Zug. Er fixierte die helle Kugel, bis seine Augen zu brennen begannen, blinzelte ein paar Mal und starrte weiter nach oben. Die Kugel war ungefähr gleich hell wie der Mond, besaß jedoch eine ganz andere Oberfläche. Die bekannten Schattierungen des Erdtrabanten fehlten gänzlich. Und wenn er es sich genau überlegte, strahlte diese Kugel doch heller als der Mond.
Ein göttliches Raumschiff! Es war einer seiner ironischen Gedanken, die zumeist während seines Rausches auftauchten.
Noch ein letzter Zug am Joint, dann richtete er sich auf und rutschte vom Gleiter hinunter. Leicht benommen schlenderte er zum Gebäude zurück, durchschritt den Eingang und den Empfangsraum und betrat den Hauptsaal, in dem sich die Brüder und Schwestern, weitere Mitglieder der Bruderschaft, aufhielten und miteinander Weisheiten austauschten.
»Die Götter steigen zu uns herunter!«, rief er in den Saal hinein, worauf alle ihre Köpfe drehten und ihn verwirrt anstarrten.
»Was für Götter?«, fragte einer seiner Brüder.
Statt zu antworten richtete er seinen Zeigefinger senkrecht in die Höhe und nickte dabei zweimal kurz nach oben.
»Du bist high, wie immer um diese Tageszeit.«
»Na und? Morgen bin ich wieder nüchtern. Und die Götter werden trotzdem kommen.«
Seine Gefährten wandten sich wieder ab und setzten ihre Gespräche fort.
»So ein Spinner«, hörte Steven aus einer Ecke.
Er trottete in eine andere Ecke, ließ sich auf ein Sofa fallen und streckte seine Beine aus.
Er war der Bruderschaft nur beigetreten, weil sie von einem mächtigen Gönner finanziert wurde und er somit gut versorgt war, ohne einer regelmäßigen Arbeit nachgehen zu müssen. Er liebte es, einfach so in den Tag hineinzuleben. Konkrete Ziele hatte er keine. Mit dem religiösen Quatsch, über den seine Kameraden tagein und tagaus redeten, konnte er nichts anfangen. Aber das übrige Geschehen in der Welt interessierte ihn ebenso wenig.
Master Antonius war der Vorsitzende der Bruderschaft, die mittlerweile eine der vielen Niederlassungen der Sekte Verkünder der Apokalypse bildete, die sich über die ganze Welt verteilten. Der Oberste Prior, genannt Church Master, saß irgendwo auf einer italienischen Insel, nachdem die Sekte aus anderen europäischen Ländern verbannt worden war. Wahrscheinlich hatten sie zu viel Unsinn verzapft, zu viel Weltuntergang verkündet. Steven hielt ohnehin nichts von diesen Voraussagen, und eigentlich war es ihm egal, ob die Welt demnächst unterging oder nicht. Hauptsache, er kam bis zu diesem Zeitpunkt über die Runden.
»Hey Leute, das müsst ihr euch ansehen«, hörte er eine Stimme rufen.
Er drehte sich um und blickte zum Eingang. Dort stand Bruder Gregorius, der eigentlich Gregory hieß, und zeigte mit dem Finger nach draußen.
»Was ist denn los?«, fragte einer seiner Kameraden.
»Ihr glaubt nicht, was sich da draußen abspielt.«
Einige erhoben sich und gingen bedächtig in Richtung Ausgang. Weitere folgten.
Kurz darauf war der Saal leer. Steven genoss die Ruhe. Endlich hatte dieses nervende Geplapper aufgehört. Er legte seinen Kopf nach hinten auf das obere Ende der Rückenlehne und schloss die Augen. Die Stille und der Joint bescherten ihm eine Leichtigkeit, die ihn alles um sich herum vergessen ließ.
»Du solltest dir das auch ansehen«, vernahm er eine weibliche Stimme. Es dauerte eine Weile, bis er realisierte, dass er angesprochen worden war.
Als er die Augen öffnete, erkannte er Schwester Annabeth, die neben ihm stand und auf ihn herabsah.
»Was?«, lallte er verwirrt.
»Du hast doch vorhin gesagt, die Götter würden heruntersteigen.«
Er brauchte noch eine Weile, bis ihm bewusst wurde, wovon sie sprach.
»Schon vergessen?«, fragte sie.
Er richtete sich auf und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. »Welche Götter? Ach so, die. Na ja, ich wollte euch nur verarschen.«
»Aber es ist wahr.«
»Bist du auch high?«
»Red keinen Blödsinn. Du weißt genau, dass ich dieses Zeug nicht anrühre. Es ist Sünde, und du solltest es auch lassen. Da draußen geschieht aber wirklich etwas Himmlisches. Du solltest es dir ansehen.«
Steven erhob sich mühsam und streckte seine Glieder. Zuerst hatte er den Eindruck, sein Gleichgewicht zu verlieren und wieder aufs Sofa zu fallen. Aber er konnte sich noch rechtzeitig auffangen und blieb stehen.
Annabeth dreht sich um und lief zum Ausgang. Leicht schwankend folgte er ihr. Sie hielt ihm die Tür auf, und er trat ins Freie. Sofort bemerkte er seine Kameraden, die beieinander standen und zum Himmel emporstarrten. Da ihm das Vordach des Gebäudes die Sicht verwehrte, machte er einige Schritte in ihre Richtung und blickte ebenfalls nach oben.
Er blieb stehen, öffnete seinen Mund und wollte etwas sagen. Aber er brachte kein Wort heraus. Eigentlich war das, was er sah, nichts Neues. Er hatte es vorhin auf dem Dach seines Gleiters bereits gesehen. Es könnte der Vollmond sein, dessen Oberfläche heller leuchtete als für gewöhnlich, sodass die Schattierungen nicht zu sehen waren. Wenn da nur nicht diese eine Tatsache gewesen wäre:
Es gab drei davon.