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13.

Als Christopher aufwachte, lag er auf dem Rücken und blickte direkt an eine leuchtende Kuppel. Als seine Hände die Oberfläche des Bodens berührten, kam ihm das Material bekannt vor. Er neigte den Kopf zur Seite und erkannte das vertraute matte Blau der vielen Plattformen, die an den Rändern von leichten Wellen überflutet wurden.

Er richtete seinen Oberkörper auf. Das Fehlen jeglicher Kleider stellte für ihn keine Überraschung mehr dar. Dies hatte er bei seinen Besuchen in Sphären jedes Mal erlebt. Er konnte nicht mehr sagen, das wievielte Mal er sich in einer solchen Kugel befand, da er nicht jedes Mal physisch anwesend gewesen war. Die Sphären konnten Menschen ins Innere transferieren und auch wieder zurückschicken. Das hatte Christopher mehrmals erlebt. Doch es gab auch Situationen, in denen er sich lediglich mittels Mentalprojektion darin aufhielt, während sich sein Körper irgendwo in meditativem Zustand befand. Während des Aufenthalts in einer Sphäre merkte Christopher jedoch keinen Unterschied. Der Grund für diese zwei Arten war ihm nicht bekannt.

Neben ihm saß Ahen im Schneidersitz, die Unterarme in seinen Schoß gelegt, und blickte ihn lächelnd an.

»Du hattest einen unheimlichen Traum«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Eigentlich war es eine Mentalprojektion.«

In diesem Moment erschienenen Christopher die Erinnerungen wieder. Sie versetzten ihm einen fürchterlichen Schrecken. »Es wirkte so real. Ich wäre fast wahnsinnig geworden.«

Ahen sah ihn ausdruckslos an.

»Kennst du den Inhalt dieser Projektion?« Christopher war versucht, seiner Frage einen zynischen Unterton zu verleihen, da er vermutete, Ahen sei für diese Projektion verantwortlich.

Dieser sah ihn emotionslos an. »Ja, ich weiß, was du gerade erlebt hast.«

»Was ist der Grund dafür?«

»Es ist eine Möglichkeit der Zukunft.«

»Eine Möglichkeit?« Christopher verstand nicht. »Wie viele Möglichkeiten gibt es denn?«

»Es gibt immer verschiedenste Möglichkeiten. Die Menschen stehen in einer kausalen Beziehung zueinander. Jede ihrer Aktionen und jedes Verhalten gegenüber anderen beeinflusst die Abfolge des Geschehens.«

»Das heißt, jede noch so geringfügige Änderung des Verhaltens kann die Zukunft verändern? Ist denn die Zukunft nicht vorbestimmt?«

»In gewisser Hinsicht schon. Trotzdem ist sie abhängig von allem. Ein einziges gesprochenes oder nicht ausgesprochenes Wort beeinflusst den Lauf der Dinge. Was du in deiner Projektion erlebt hast, ist eine von Milliarden Möglichkeiten der Zukunft, die deine unmittelbare Umgebung betrifft.«

»Wie kann ich verhindern, dass das geschieht, was ich gesehen habe?«

»Ich habe dir bei unserer ersten Begegnung von einer Bedrohung erzählt, die von deinem Heimatplaneten ausgeht. Diese Bedrohung ist real geworden.«

»Du meinst die grauen, aggressiven Partikel, die sämtliche Materie assimilieren?«

»Ja, die meine ich. Gegen diese Partikel sind auch die Sphären machtlos.«

»Ich dachte, wir hätten sie auf MOLANA-III unschädlich gemacht.«

»Was ihr auf MOLANA entdeckt habt, war das Endprodukt einer Mutation und die Folge einer riesigen Vertuschungsaktion, die vor über einhundert Jahren von Menschen begangen worden ist.«

»Norris & Roach. Also doch. Wie wir vermutet hatten.«

»Die Partikel auf MOLANA waren das Ergebnis von missglückten Experimenten und Klonversuchen. Man hat die missratenen Partikel einfach dorthin gebracht, wo sie ihre Mutation fortsetzen konnten. Die Menschen haben nicht daran gedacht, was für Folgen es für diesen Planeten haben könnte. Für sie war das Problem gelöst. Es kümmerte sie nicht, was auf MOLANA später passieren würde. Eine typische Eigenschaft von euch Menschen, Experimente an gefährlichen Dingen durchzuführen, ohne euch der Folgen bewusst zu sein. Das war schon vor einigen Jahrhunderten der Fall, als ihr mit den Atomen herumgespielt habt. Auch mehrere nukleare Katastrophen hat die Menschheit nicht davon abgehalten weiterzuexperimentieren. Ebenso wenig hat die Menschheit gelernt, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen.«

»Es war nie die Menschheit als Ganzes. Es waren immer einige wenige. Die Bevölkerung wurde in Vielem nicht richtig oder gar nicht informiert.«

»Das ist keine Rechtfertigung. Ihr habt es zugelassen. Ihr habt nichts hinterfragt, was um euch herum geschah, solange es euch nur gut ging. Das macht euch genauso verantwortlich. Zudem hat jeder Mensch für sich selbst in seinem Leben immer wieder Handlungen begangen, ohne die Folgen zu bedenken.«

»Da hast du wohl recht.«

»Ihr wurdet für eure Versäumnisse mehrmals hart bestraft, sei es durch Einzelschicksale oder durch globale Ereignisse. Die Menschheit wurde durch Seuchen, Naturkatastrophen, Kriege und durch wirtschaftliche, gesellschaftliche, soziale und kulturelle Auseinandersetzungen fast ausgerottet. Ihr wurdet in eurer Entwicklung um Jahrhunderte zurückgeworfen, musstet in vielen Bereichen wieder von vorne beginnen. Aber ihr habt trotz allem nichts daraus gelernt. Heute steht die Bevölkerung der Erde wieder vor dem Abgrund. Es braucht nur noch eine einzige falsche Entscheidung und deine Projektion wird Wirklichkeit.«

Christopher starrte auf die Oberfläche der Plattform und wusste nicht, was er dazu sagen sollte.

Stattdessen fuhr Ahen fort: »Aber wir werden es nicht zulassen!«

Christopher hob den Kopf und sah ihm in die Augen. »Was soll das heißen? Wen meinst du mit wir?«

Als er den Gesichtsausdruck und den Blick seines Gegenübers sah, erschrak er zutiefst.

»Wir müssen verhindern, dass diese Partikel die Erde verlassen. Wenn es sein muss, mit Gewalt! Damals, als du Neha in ihrer Sphäre lebend wiedergefunden hast, wurden dir Informationen über die Sphären, die Nanopartikel und über die ursprünglichen Erbauer der Sphären übermittelt. Die Sphären handeln im Kollektiv, anfänglich im Auftrag der Erbauer. Ich bin lediglich der Hüter der Sphären und der Vermittler zwischen ihnen und der Menschheit.«

»Wer sind diese Wesen? Und warum ursprünglich?«

»Diese Wesen sind euch Menschen sehr ähnlich und doch ganz anders. Ihr seid zu einem Teil mit ihnen verwandt, aber auch wieder nicht. Ursprünglich, weil sie die Geschicke nicht mehr lenken.«

»Du sprichst in Rätseln.«

»Wenn ich dir zu viel verrate, könnte es den Lauf der Dinge zu stark beeinflussen.«

»Was kann ich tun?« Christopher hatte sich schon lange nicht mehr so hilflos gefühlt wie in diesem Moment. Er fragte sich immer mehr, wer eigentlich die Macht hinter den Sphären war. Anscheinend war Ahen auch nur ein Befehlsempfänger. Aber er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ihm sehr viel an der Menschheit lag.

»Versuche, die Anführer der Menschheit von der Not­wendigkeit zu überzeugen, die Experimente mit den Partikeln einzustellen.«

»Das werden sie niemals tun. Die Grundlage der gesamten Mikro- und Nanoelektronik basiert auf diesen Partikeln.«

»Niemand verbietet euch, die Partikel zu erforschen und zu nutzen. Aber ihr versucht nach wie vor, sie zu verändern oder sie auf primitive Art zu klonen. Das Ergebnis kennst du.«

»Was kann ich schon ausrichten? Ich bin ein Nichts, ein unbedeutender Pilot eines kleinen Raumschiffs. Niemand wird auf mich hören.«

»Es wird hart für dich werden. Aber irgendwann wird man auf dich hören, wenn du den richtigen Weg wählst.«

»Was passiert, wenn ich versage?«

»Dann habe auch ich versagt«, antwortete Ahen mit ernster Miene. »Sogar ich weiß nicht, was dann geschieht.«

»Bist du den Erbauern der Sphären schon einmal begegnet?«

»Nein. Ich weiß nicht, wer sie sind. Aber ich weiß, dass sie existieren. Und ich weiß, dass sie hierherkommen werden, falls auch nur die geringste Möglichkeit eines Versagens unsererseits besteht.«

Ahens Gesichtsausdruck bei diesem letzten Satz ließ Christopher frösteln.

Als er erneut aufwachte, war er von einem düsteren, bläulichen Licht umgeben. Er lag in Fötusstellung auf dem dunkelblauen Boden.

»Bist du wieder wach?«, hörte er Michelles Stimme unmittelbar neben sich.

Er hob den Kopf und sah sich um. Michelle kniete neben ihm und blickte ihm besorgt in die Augen. Langsam richtete er sich auf. Dann erkannte er auch Kevin in seiner Nähe.

»Wo ist Neha?«, fragte er.

»Vor einigen Sekunden verschwunden«, antwortete Michelle. »Die Sphäre hat sie anscheinend woandershin transportiert.«

»Nur sie?«

»Wie es aussieht, ja.«

Plötzlich erinnerte sich Christopher wieder an seine schlimme Projektion. »Wir müssen sofort zur Erde zurück­kehren.«

»Was ist los?«

»Die Menschheit ist in großer Gefahr!«

Der Hüter der Sphären

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