Читать книгу Der Hüter der Sphären - Chris Vandoni - Страница 13

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6.

Sergeant Luis Conchavez von der Traffic Patrol lehnte an seinem Aerobike und inhalierte den blauen Dunst einer synthetischen Zigarette. Während er die Augen schloss und den Rauch durch die Nase wieder entweichen ließ, zerbrach er sich den Kopf darüber, was hier mitten in der Nacht geschehen sein könnte. Er mochte die Nachtschichten lieber als den Tagesdienst, da es nachts auf den Freeways wesentlich ruhiger zuging. Er konnte es nicht mehr hören, wenn seine Kollegen von den vielen Vorfällen erzählten, die sich täglich aufgrund von Fahrlässig- und Leichtsinnigkeit der Verkehrsteilnehmer ereigneten. Die meisten Fahrer waren viel zu sehr mit ihren elektronischen Spielereinen beschäftigt, statt auf den Verkehr zu achten, und stellten daher eine große Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer dar. Auch die Automatisierung der Fahrzeuge mit den modernsten Leitsystemen und Autopiloten hatte die Zahl der Unfälle nicht wesentlich reduzieren können. Lediglich die Unfallursachen hatten sich verändert. Man vertraute zu sehr der Technik oder man bediente und konfigurierte sie falsch, sodass es zu Störungen und Pannen kam.

Es war kurz vor drei Uhr morgens. Auf dem gegenüberliegenden Fahrstreifen stand ein Robo-Transporter. Solche Fahrzeuge wurden über ein satellitengesteuertes Leitsystem auf einer festgelegten Route von einem Ort zum anderen befördert. Die mit modernsten Sicherheitssystemen ausgerüsteten Gefährte wichen jedem Hindernis aus und hielten, wenn nötig, sogar an. Nun stand eines von ihnen mitten auf dem Freeway 40, etwa dreißig Kilometer westlich von Ash Fork, und rührte sich nicht mehr vom Fleck.

Vor gut einer halben Stunde hatte Conchavez den technischen Sicherheitsdienst herbestellt. Nach seinen Erfahrungen dürfte es gut und gerne noch einmal solange dauern, bis von denen jemand hier aufkreuzte. Zum Glück war dies eine wenig befahrene Gegend, sonst wäre es bestimmt schon längst zu einem Verkehrschaos gekommen.

Obwohl es außer ein paar harmlosen Pannen mit solchen Transportern bisher noch nie Probleme gegeben hatte, hasste sie Conchavez. Fahrzeuge, die nicht von Menschen gelenkt wurden, wirkten auf ihn unheimlich und beängstigend. Er traute der Technik nicht. Er hatte auch keine Lust, in das Gefährt einzusteigen, um nachzusehen, was nicht in Ordnung war. Sollten sich doch die Spezialisten darum kümmern.

Conchavez mochte auch die Leute vom technischen Sicherheitsdienst nicht. Alles aufgeblasene Angeber und Möchtegernagenten. Spielten sich groß auf, obwohl sie nur eine kleine Unterabteilung der Bundespolizei bildeten.

Aus purer Neugier überquerte er die Straße, näherte sich dem Transporter und umrundete ihn mit einer Stablampe in der Hand. Plötzlich hielt er inne. In der Seitenwand des Gefährts klaffte ein Loch mit ausgefransten Rändern. Zuerst dachte er an ein Geschoss, das hier eingeschlagen sein könnte. Doch sogleich verwarf er diesen Gedanken wieder, denn die Ränder der Öffnung konnten unmöglich von einer Rakete oder etwas Ähnlichem verursacht worden sein.

Er ging noch näher heran und richtete den Lichtstrahl direkt auf das Loch. Dann zuckte er erschrocken zurück. War da nicht eine Bewegung?

Fast zufällig zeigte der Lichtstrahl auf den Rand des Lochs. Conchavez stockte beinahe der Atem. Rund um die Öffnung krabbelte es, als wäre ein Insektenschwarm am Werk. Aber das konnten unmöglich Insekten sein. Die einzelnen Partikel waren viel zu klein.

Wahrscheinlich das Ergebnis irgendeines chemischen Experiments, mutmaßte er. Sofort trat er zurück, überquerte die Fahrbahn und begab sich wieder zu seinem Aerobike. Kurz darauf entdeckte er am Horizont einen nahenden Fluggleiter.

Na endlich, dachte er. Sollten die sich mit dem Zeugs auseinandersetzen.

Die blinkenden Positionslichter wurden größer und heller. Wenig später setzte der Gleiter mitten auf der Straße zur Landung an. Er hing eine Weile in der Luft und senkte sich langsam auf die Fahrbahn. Als er aufgesetzt hatte, verstummte das Heulen und Summen. Die Positionslichter blieben eingeschaltet. Starke Scheinwerfer tauchten den Ort des Geschehens in taghelles Licht.

»Na, kommt schon, ihr Idioten«, murmelte Conchavez vor sich hin. »Steigt endlich aus und übernehmt den Fall. Ich will weiter.«

Es dauerte noch fünf Minuten, bis zwei Männer und eine Frau in Uniformen ausstiegen und sich ihm mit energischen Schritten näherten.

»Ich bin Special Agent Colette Hastings vom Technical Security Service. Dies sind die Agents Frank Peters und Don Holloway!«, herrschte ihn die Frau sogleich an. »Was ist hier los?«

Anscheinend hatte sie das Sagen. Die beiden Männer blieben schweigend und mit finsterer Miene hinter ihr stehen.

Fehlt nur noch die Sonnenbrille, dachte er belustigt.

»Sergeant Luis Conchavez von der Traffic Patrol«, antwortete er kühl, blieb weiter an sein Aerobike gelehnt und nickte zum Transporter. »Sehen Sie doch selbst nach. Der Scheißklotz soll ein sogenannter Robo-Transporter sein, aber er rührt sich keinen Zentimeter vom Fleck. Laut Kontrollcode gehört das Ding dem Pharmakonzern Norris & Roach. Die haben hier irgendwo in der Wüste eine Niederlassung. Und da ist ein Loch in der Seitenwand.«

»Mir ist bestens bekannt, dass es sich hier um einen Robo-Transporter handelt. Ich bin zwar eine Frau, aber nicht dumm«, blaffte sie ihn an. »Wir haben die Meldung über eine Störung erhalten. Wir wollen wissen, was Sie bis jetzt festgestellt haben.«

So eine eingebildete Zicke.

»Nichts! Außer diesem Loch«, sagte er gelassen. »Es gehört nicht zu meinem Aufgabenbereich, den Grund für liegen gebliebene Fahrzeuge technisch zu analysieren. Meine Aufgabe besteht lediglich darin, solche Fälle zu melden.«

Die Frau schnaubte verächtlich und nickte Agent Peters zu, worauf sich dieser wie von der Tarantel gestochen umdrehte und sich in Richtung Transporter in Bewegung setzte. Er umrundete ihn und kehrte kurz darauf wieder zurück.

»Da ist tatsächlich ein Loch in der Seitenwand«, sagte er mit monotoner Stimme.

»Schauen Sie im Innern nach, was los ist«, befahl sie ihm kühl.

Daraufhin drehte er sich erneut um, öffnete die Noteinstiegsluke und verschwand darin.

Der Transporter besaß keine Führerkabine im üblichen Sinne, sondern nur eine Notfallsteuerkonsole, die sich auf der Seite des Fahrzeugs befand. Damit konnte es manuell zur nächsten Wartungszentrale gelenkt werden.

Conchavez berichtete der Frau mit gleichgültiger Stimme, wie er den Transporter auf seiner Patrouille vorgefunden hatte. Agent Holloway stand währenddessen weiterhin unbeweglich und leicht versetzt hinter ihr und verzog keine Miene.

Vielleicht ein Robo-Agent.

Während Conchavez wiederholt in abfälliger Weise seine persönliche Meinung über diese Art von Fahrzeugen kundtat, erklang aus dem Transporter ein markerschütternder Schrei. Die noch bis vor kurzem so kühle Frau und die Statue des Mannes hinter ihr drehten sich erschrocken um und eilten zur Einstiegsluke. Conchavez lief hinterher. Hastig steckte Colette Hastings ihren Kopf in die Öffnung und zog ihn sogleich wieder zurück. Dann verharrte sie eine Weile und starrte mit aschfahlem Gesicht entsetzt auf die Öffnung.

»Was ist los?«, fragte Agent Holloway verwirrt, der zum ersten Mal menschliche Züge erkennen ließ. »Was haben Sie gesehen?«

Die Frau trat zur Seite und sah ihm in die Augen. Der überhebliche und arrogante Ausdruck war wie weggeblasen. Entsetzen spiegelte sich in ihrem Gesicht.

Conchavez trat an die Öffnung und steckte vorsichtig den Kopf hinein. Obwohl das Licht im Innern sehr spärlich war, konnte er den Grund von Hastings Entsetzen sofort erkennen. Agent Peters’ Körper lag auf unnatürliche Weise gekrümmt auf dem Boden der Kabine. Das Gesicht und die Hände waren mit einer eigenartigen, dunkelgrauen Substanz überzogen. Mund und Augenhöhlen wirkten wie dunkle Krater. Seine Uniform war in sich zusammengefallen, als wäre der Körper, der vor kurzem noch darin gesteckt hatte, verschwunden. Das Eigenartigste war jedoch, dass sich die dunkelgraue Substanz zu bewegen und zu verformen schien, als würde ein Insektenschwarm einen Kadaver vollständig bedecken und zersetzen. Conchavez kannte keine Insekten, die etwas Derartiges in so kurzer Zeit fertigbrachten.

Angewidert trat er zurück und drehte sich zu Colette Hastings um. »Was ist das?«, fragte er verstört.

»Ich weiß es nicht. So etwas habe ich noch nie gesehen. Scheint irgendeine Art von Insekten zu sein.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Insekten einen menschlichen Körper in so kurzer Zeit vernichten können. Zumindest keine, die in unseren Breitengraden vorkommen.«

Abrupt wandte sie sich von ihm ab, trat unbeholfen einen Schritt vor und sagte mit zittriger Stimme: »Sergeant Holloway, benachrichtigen Sie die Seuchenschutzbehörde. Sie sollen ein Team herschicken.«

»Jawohl, Ma’am«, antwortete dieser kurz.

»Sergeant Conchavez, bitte rufen Sie noch weitere Patrouillen hierher und lassen Sie die Gegend weiträumig abriegeln. Niemand darf sich diesem Transporter nähern.«

Conchavez lief zu seinem Aerobike und benachrichtige über den Kommunikator die Leitstelle.

Eine Stunde später wimmelte es von Menschen. Die Leute der Seuchenschutzbehörde erschienen mit drei Gleitern und einem großen Transporter, der ein fahrbares Untersuchungslabor enthielt.

Die Verkehrspatrouille hatte die Gegend hermetisch abgeriegelt. Niemand konnte sich unbemerkt dem Ort des Grauens nähern. Menschen in weißen Schutzanzügen liefen wild durcheinander. Conchavez’ Vorgesetzter der Traffic Patrol und noch ein paar andere anscheinend wichtige Leute waren ebenfalls erschienen und stellten ihm immer wieder dieselben Fragen. Doch auf seine eigene Frage, was mit Sergeant Peters passiert sei, erhielt er keine Antwort. Langsam begann ihm die ganze Sache gehörig auf die Nerven zu gehen. Zudem wurde er über sämtliche Vorkommnisse zu absolutem Stillschweigen verpflichtet.

Gegen Mittag führten ihn Sicherheitsbeamte zu seinem Aerobike und eskortierten ihn anschließend durch die Absperrungen.

Natalia Kirova traute ihren Augen nicht, als sie die Messdaten der Untersuchung auf dem Display sah. Sie hatte den ganzen Nachmittag und die halbe Nacht damit verbracht, die dunkelgrauen Partikel zu analysieren. In ihren zweiundzwanzig Jahren als Mikrobiologin hatte sie schon manche Ungereimtheit erlebt. Bisher hatte sich alles auf irgendeine Weise erklären lassen. Doch dieses Mal zweifelte sie entweder an der Funktionstauglichkeit der Geräte oder an ihrem Verstand. Was sie hier zu sehen bekam, war schlicht und einfach nicht möglich.

Bei den Partikeln schien es sich um Einzeller in Molekülgröße zu handeln. Es stellte sich jedoch heraus, dass sie nicht biologisch, sondern synthetisch waren. Ursprünglich, denn sie fand heraus, dass die Partikel mit den organischen Zellen von Agent Peters Körper eine Verbindung eingegangen waren.

Kurz nachdem sie mit ihrem Team am Unfallort eingetroffen war, hatten sie den Leichnam, oder das, was von ihm noch übrig war, mit Trockeneis besprüht und danach in eine Isolierbox verpackt. Im mobilen Untersuchungslabor wurden Proben entnommen und analysiert. Das Ergebnis hatte das gesamte Team vor den Kopf gestoßen.

Natalia Kirova hatte ein einziges Partikel isoliert und es unter dem Elektronenmikroskop beobachtet. Es passierte überhaupt nichts. Das einzelne Partikel war völlig inaktiv. Als sie jedoch eine ganze Kolonie von Partikeln beobachtete, konnte sie rege Aktivitäten feststellen. Die Partikel funktionierten also nur im Kollektiv!

Sehr eigenartig war, dass Agent Peters’ Zellen anscheinend noch lebten und sich teilten. Kirova konnte allerdings nicht feststellen, ob sie eine eigenständige Existenz führten oder ob sie von den synthetischen Einzellern am Leben erhalten und gesteuert wurden.

Die wohl verblüffendste Tatsache war jedoch, dass die organischen Zellen zwei verschiedene DNS-Codes enthielten. Der eine war mit jenem von Agent Peters identisch. Für den zweiten hatte sie keine Erklärung. Hastig aktivierte sie ihren Kommunikator und wählte die zentrale Datenbank an.

»Natalia Kirova, Identifikationscode SD463-89a23f7, ich benötige die Daten zu folgendem DNS-Code.«

Sie betätigte ein paar Tasten und übermittelte den DNS-Code.

»Zugriff genehmigt und Datenempfang bestätigt«, klang eine synthetische Stimme aus dem Gerät. »Die angeforderten Daten werden sofort übermittelt.«

Kirova leitete den Empfang auf ihren Rechner um, ein längliches Gerät mit einem breiten Display, das um ihren linken Unterarm geschnallt war.

Wenig später erklang ein kurzes Signal und bestätigte den Empfang der Daten. Sie blickte auf das Display und las: »DNS-Code Jennifer Rosenberg, 26 Claremont Street, Boulder City.«

Der Hüter der Sphären

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