Читать книгу Der Hüter der Sphären - Chris Vandoni - Страница 17
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Als Christopher aufwachte, stellte er fest, dass er in Cabin Point in seinem Bett lag. Von draußen schien die Sonne zwischen den Lamellen hindurch und verbreitete eine angenehme Wärme im Raum. Er spannte seine Muskeln an und streckte sich. Als er den Kopf nach links drehte, sah er, dass Michelle nicht neben ihm lag. War sie bereits aufgestanden? Da er einen leichten Schlaf hatte, hätte er dies eigentlich bemerken müssen.
Er schlug die Denke zurück, schob die Beine über die Bettkante und stellte die Füße auf den Boden. Ein kurzer Blick nach unten vermittelte ihm für einen Augenblick den Eindruck, als hätte sich etwas bewegt. Doch als er sich darauf konzentrierte, konnte er nichts Ungewöhnliches erkennen.
Er erhob sich und wollte nach seinen Shorts greifen, die für gewöhnlich auf dem Sessel neben dem Bett lagen. Doch sein blinder Griff ging ins Leere.
Da war kein Sessel.
Halb gebückt richtete er seinen Blick auf diese Stelle. Aber sein Blick traf direkt den Fußboden, auf dem er wieder eine winzige Bewegung beobachten konnte. Doch als er sich erneut darauf konzentrierte, war da wieder nichts.
Als er sich umdrehte, um dem Wandschrank ein paar frische Kleidungsstücke zu entnehmen, starrte er entsetzt an die kahle Wand. Wo eigentlich der Schrank hätte stehen müssen, war nichts. Was war hier los? Träumte er?
Der Traum! Jetzt fiel es ihm wieder ein. Er hatte einen sehr deutlichen Traum gehabt. Michelle und er waren mit der hochschwangeren Neha ins TONGA-System geflogen und am Nordpol des dritten Planeten gelandet. Sie hatten sich mit Kevin Steffen getroffen und waren zusammen im Tauchboot zur Sphäre hinuntergetaucht, die auf dem Grund des untereisischen Sees lag. Dort waren sie von der Sphäre ins Innere transferiert worden. Er konnte sich noch daran erinnern, in die große, blaue Höhle gegangen zu sein. Aber dann war der Traum plötzlich zu Ende.
Wieder drehte er sich um und sah sich auf der Suche nach Kleidungsstücken im Zimmer um. Es gab jedoch keine. Auch das Tischchen, das sonst vor dem Fenster stand, war verschwunden. Er machte drei Schritte in die Richtung und zog die Fensterstore hoch.
Als er nach draußen blickte, traf ihn beinahe der Schlag. Wo normalerweise die Wellen an die Küste der Whiting Bay brandeten, klaffte ein riesiges, dunkles Loch. In diesem Loch gab es rein gar nichts. Nicht das geringste Körnchen irgendeiner Materie. Kein Fünkchen Licht. Einfach nur tiefste Schwärze.
Spontan erinnerte sich Christopher an das Abenteuer auf MOLANA-III, als sie in einer Sphäre mit den aggressiven Partikeln konfrontiert worden waren. Diese Partikel hatten jegliche Materie assimiliert. Wie er aus den Berichten seiner Freunde erfahren hatte, hatte sich die Sphäre am Ende selbst zerstört. Zurück blieb auch damals nur dunkelste Schwärze.
War es möglich, dass diese aggressiven Partikel zur Erde gelangt waren? Oder bestand die Möglichkeit, dass es auf der Erde selbst derartige Partikel gab? War dies die Bedrohung, vor der ihn Ahen gewarnt hatte?
Falls dies zutraf, war alles verloren. Nichts konnte diese Partikel aufhalten. Allerdings wusste niemand, was passieren würde, wenn die Partikel sämtliche Materie assimiliert hatten und es nichts mehr gab. Würden sich die Partikel dann selbst vernichten? Würde danach nur noch ein schwarzes Loch zurückbleiben?
Christopher riss das Laken vom Bett und band es um seine Hüften. Dann ging er zur Tür und öffnete sie mit einem mulmigen Gefühl. Was würde ihn draußen im Flur erwarten?
Ein Blick durch den Türspalt vermittelte ein völlig normales Bild. Vor ihm lag der Flur im Halbdunkeln, wie er ihn seit jeher kannte. Trotzdem hatte er das Gefühl, als wäre etwas nicht so, wie es sein sollte. Es dauerte nicht lange, bis er den Grund dafür erkannte.
Es war totenstill.
Langsam ging er den Gang entlang, an den anderen Zimmertüren vorbei, die alle offen standen. Aber es war niemand da. Auch die geräumige Wohnküche fand er verlassen vor. Der Tisch war leer und sauber. Das Spülbecken wirkte unbenutzt, als wäre es eben erst eingebaut worden.
Als er den Glaserker betrat und nach draußen blickte, bot sich ihm dasselbe Bild wie vorher. Doch dann erkannte er, dass sich das Loch in der Whiting Bay vergrößert hatte.
»Michelle? Neha? Ernest? Keyna?«, rief er in Richtung Wohnzimmer. Aber als er es betrat, fand er es ebenso leer vor, wie alle anderen Räume. »Wo sind die alle hin?«
Er verließ das Wohnzimmer und öffnete die Tür nach draußen. Kühle Luft schlug ihm entgegen. Aber auch hier war etwas nicht so, wie es sein sollte.
Für gewöhnlich wehte der Wind von der Whiting Bay hinauf zum Cabin Point. Doch jetzt spürte er kühle Luft am Rücken. Die Luft schien von dem schwarzen Loch angezogen zu werden. Und das Loch selbst wurde größer und größer.
Christopher spürte Panik in sich aufsteigen. Was passierte hier? Wo waren seine Freunde?
Ein weiterer Blick hinunter in die Whiting Bay ließ ihn frösteln. Seine schlimmste Vermutung schien sich zu bestätigen. Am Rand des dunklen Lochs, auf dem Geröll des Strands, erkannte er ein ihm vertrautes Phänomen. Ein Phänomen des Grauens.
Jeder Stein, jeder Felsbrocken, sogar der feine Sand dazwischen, wurde nach und nach von einer grauen Substanz überzogen und umgeformt. Zurück blieb eine hässliche Brühe, die sich langsam und zähflüssig auf das dunkle Loch zubewegte und darin verschwand.
Die aggressiven Partikel!, schoss es Christopher durch den Kopf. Sie sind hier!
»Was machst du denn hier draußen? Und was soll das Laken?«
Erschrocken drehte sich Christopher um und sah Michelle unter der Tür stehen, in der Hand ihr Kommunikator.
»Ich hab dich mehrmals angerufen, aber du hast nicht geantwortet.«
Christopher wandte sich kurz der Bucht zu, um sich zu vergewissern, dass dort unten noch immer dasselbe geschah wie vor ein paar Sekunden. Und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er tatsächlich, die Whiting Bay in völlig normalem Zustand zu sehen. Doch gleich darauf änderte sich das Bild wieder. Das dunkle Loch hatte sich weiter vergrößert.
Als er sich wieder dem Haus zuwandte, war Michelle verschwunden. Eben, als er sie unter der Tür gesehen hatte, war diese vollständig geöffnet gewesen. Doch nun stand sie nur noch so weit offen, wie er sie vor einer Minute verlassen hatte.
»Michelle?«, rief er. Doch er erhielt keine Antwort.
Verzweifelt kehrte er ins Haus zurück und durchsuchte sämtliche Räume. Aber er fand niemanden. Überall herrschte Ordnung. Er fand auch keine persönlichen Gegenstände seiner Freunde. Der ganze Bungalow erweckte den Eindruck, als wäre er unbewohnt.
Christopher verstand überhaupt nichts mehr. War dies ebenfalls nur ein Traum? Aber er war doch vorhin aus einem anderen Traum aufgewacht. Dann müsste er sich nun in der Wirklichkeit befinden.
Hastig verließ er das Haus wieder.
Als er ins Freie trat, standen Michelle, Neha, Ernest und Keyna vor der Tür und starrten ihn verblüfft an.
»Warum läufst du in einem Laken in der Gegend herum?«, fragte Ernest erstaunt.
Christopher blieb stehen und blickte seine Freunde erstaunt an. »Was geschieht hier?«
»Was soll Besonderes geschehen?«
Christopher blickte zwischen ihnen hindurch zur Bucht und konnte kaum glauben, was er sah. Die Whiting Bay zeigte sich ihm in völlig normalem Zustand. Die üblichen Wellen bedeckten in regelmäßigen Abständen Steine und Felsen. Nirgendwo waren graue Partikel zu sehen und nirgendwo ein riesiges, schwarzes Loch.
Er begann, an seinem Verstand zu zweifeln. Langsam trat er zwischen seinen Freunden hindurch bis zum Holzgeländer und starrte gebannt in die Bucht hinunter.
»All das hat vor ein paar Sekunden noch völlig anders ausgesehen«, murmelte er vor sich hin.
Doch er bekam keine Antwort.
Als er sich erneut umdrehte, musste er zu seinem Schrecken feststellen, dass er wieder alleine war. Ein weiterer schneller Blick in die Bucht hinunter zeigte ihm abermals das Schreckensszenario mit den grauen Partikeln und dem schwarzen Loch.
Langsam ließ er sich auf die Knie nieder und presste seine Hände an den Kopf. Er schloss die Augen, in der Hoffnung, es wäre alles in Ordnung, wenn er sie wieder öffnete. Doch er spürte den kühlen Wind in seinem Rücken, was ihm bestätigte, dass die Luft weiterhin vom dunklen Loch angezogen wurde.
Sich am Geländer festhaltend rappelte er sich wieder hoch und öffnete die Augen. Zu beiden Seiten, sich ebenfalls am Geländer festhaltend, standen seine Freunde und starrten entsetzt in die Whiting Bay hinunter.
»Seht ihr es auch?«, rief er ihnen zu. Aber sie beachteten ihn nicht.
Er machte eine Drehung und wollte Michelles Handgelenk umfassen. Doch der Griff ging ins Leere, worauf er beinahe das Gleichgewicht verlor hätte und zu Boden gefallen wäre. Im letzten Moment konnte er sich mit der anderen Hand am Geländer festhalten und den Sturz verhindern. Dabei hätte er unweigerlich mit Michelle zusammenstoßen müssen. Aber er war durch sie hindurchgedrungen, als wäre sie nur eine Projektion.
Christopher war nun nahe daran, den Verstand wirklich zu verlieren. Wie konnte das alles sein? Vorhin hatte sie noch mit ihm gesprochen. Aber da war die Umgebung auch in Ordnung gewesen.
Kurz darauf sah er, wie sich seine Freunde umdrehten und ohne ihn zu beachten zum Haus zurückgingen. Auf ihren Gesichtern spiegelte sich das blanke Entsetzen. Anscheinend konnten sie nun auch sehen, was sich unten in der Bucht abspielte.
Plötzlich streckte Michelle ihre Hand aus und zeigte mit dem Finger in Richtung des Geschehens.
Christopher drehte sich um und erkannte den Grund dafür. Die grauen Partikel bedeckten mittlerweile die Steilküste und breiteten sich auf der kargen Wiese immer weiter in ihre Richtung aus. Das Loch hatte sich weiter vergrößert. Zudem konnte er an dessen Rand erkennen, wie die grauen Partikel hineingezogen wurden. Der ganze Vorgang beschleunigte sich zusehends.
Sie mussten sofort von hier verschwinden! Es fragte sich lediglich, ob sie sich schnell genug entfernen konnten, um von dem sich ausbreitenden Loch nicht eingeholt zu werden.
»Wir müssen abhauen!«, schrie er seinen Freunden zu, obwohl er vermutete, dass sie ihn weder sehen noch hören konnten.
Doch als ob es diesen Aufruf nicht gebraucht hätte, wandten sich seine Freunde nach Osten und rannten über den Vorplatz, anschließend den Weg hinauf zur Hochebene und von dort aus weiter ins Landesinnere. Christopher folgte ihnen umgehend.
Als er sich nach einigen Metern umdrehte, musste er mit Entsetzen feststellen, dass das Dach des Bungalows bereits mit grauen Partikeln überzogen war. Die Oberfläche begann sich zu verformen. Wenig später stürzte der Bungalow in sich zusammen und verschwand vollständig von der Bildfläche. Als nächstes erging es der Böschung hinter dem Bungalow ebenso. Die grauen Partikel hatten die Hochebene erreicht und breiteten sich immer schneller aus.
Christopher drehte sich um und rannte weiter. Seine Freunde hatten in der Zwischenzeit einen beträchtlichen Vorsprung herausgeholt. Er beschleunigte und holte sie nach kurzer Zeit ein.
Ernest bekundete am meisten Probleme. Sein Atem ging schwer. Als er den Anschein erweckte stehenzubleiben, wurde er von Michelle und Keyna an den Oberarmen gepackt und weitergezogen.
Christopher rannte nun gleichauf mit seinen Freunden, obwohl sie ihn nicht wahrnahmen. Es sah aus, als lebten sie in zwei verschiedenen Welten.
Ein erneuter Blick zurück ließ ihn zusammenfahren. Von der Bucht, ja sogar von der gesamten Küste, war nichts mehr zu sehen. Die grauen Partikel hatten sich weit in die Hochebene hineingefressen und näherten sich ihnen immer schneller. Ihr Vorsprung verringerte sich zusehends.
Christopher rannte unerbittlich weiter, spürte aber mehr und mehr ein Brennen in seinen Lungen. Es war hoffnungslos. Bald würde ihnen allen die Kraft fehlen weiterzurennen.
Noch ein Blick zurück. Und wieder hatte sich ihr Vorsprung verringert.
Er mobilisierte seine letzten Kraftreserven und versuchte zu beschleunigen. Ein Seitenblick zeigte ihm, dass seine Freunde langsamer wurden. Wie gerne hätte er ihnen geholfen, aber er wusste, dass dies nicht möglich war.
Plötzlich begann der Boden zu vibrieren. Erschrocken blickte er zurück und stellte fest, dass die grauen Partikel unmittelbar hinter seinen Freunden waren. Er selbst hatte sich mittlerweile einen kleinen Vorsprung erarbeitet, kam jedoch zur bitteren Erkenntnis, dass ihm dies nicht viel helfen würde.
Als erste erwischte es Keyna, die leicht zurückhängend neben Ernest lief. Gleich darauf traf es ihn.
Verzweifelt musste Christopher mitansehen, wie die beiden von den grauen Partikeln erfasst wurden und sich langsam auflösten. Er sah das Entsetzen in Michelles und Nehas Gesichtern, als die beiden realisierten, dass es ihnen gleich auch so ergehen würde.
Christopher verlangsamte seinen Lauf und ließ Michelle und Neha herankommen. Instinktiv wollte er beide zum letzten Mal in die Arme nehmen.
Doch dazu kam es nicht mehr. Kaum zwei Meter von ihm entfernt wurden sie von den Partikeln eingeholt. Langsam kroch das hässliche Grau an ihren Beinen empor aufwärts. Die beiden Frauen blieben stehen, konnten sich nicht mehr bewegen. Die Partikel krochen weiter nach oben, erreichten Schultern und Hals und begannen, sich auf den Gesichtern zu verteilen.
Christopher blickte ihnen abwechselnd in die Augen und erkannte darin blankes Entsetzen. Er machte einen Schritt auf sie zu, doch Michelle hob langsam ihren Arm, oder das, was noch davon übrig war, als wollte sie ihm mitzuteilen, er solle sich auf Distanz halten.
Er stand unmittelbar vor ihnen, als sich ihre Blicke zum letzten Mal trafen. Als er kurz darauf in die dunklen, leeren Augenhöhlen seiner Freundinnen sah, stieß er einen markerschütternden Schrei aus, sank auf die Knie und wurde von Weinkrämpfen erschüttert. Durch den Schleier seiner tränenerfüllten Augen sah er den hässlichen grauen Teppich, der an seinen Beinen emporkroch.