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1.2.4 Zusammenhänge von Wortschatzfähigkeiten und anderen sprachlichen Teilfertigkeiten

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„Spracharmut“, so Ulrich (2014: 1), sei vor allem „Wortschatzarmut“, mangelnde Sprachfähigkeiten sind demnach in großen Teilen auf mangelnde Wortschatzkompetenz rückführbar. Ergebnisse der empirischen Bildungsforschung deuten darüber hinaus darauf hin, dass eine zu geringe Wortschatzkenntnis ursächlich generell für Lernschwierigkeiten in unterschiedlichen Kompetenzbereichen ist (Kilian 2011: 161) – so, wie es spätestens seit der ersten PISA-Studie im Jahre 2000 als nachgewiesen gilt, dass mangelnde Lesefähigkeiten zu Defiziten beim Lernen auch in den Sachfächern führen. Nun wird aber die Lesefähigkeit ihrerseits partiell mitbestimmt durch die Wortschatzkenntnis. Eine „systematische Sprachförderung im Bereich ‚Wortschatz und Semantik‘ im Regelunterricht des Deutschen als Erstsprache“ mit dem Ziel der Förderung einer lexikalisch-semantischen Kompetenz (ebd.) ist also eine unabdingbare Basis für jegliche Sprachförderung. Wortschatzarbeit wirke, so Steinhoff (2013: 12) „per se integrativ“, da der Wortschatz „für das Sprechen, Zuhören, Lesen und Schreiben gleichermaßen relevant und folglich für die Förderung aller sprachlichen Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen von großer Bedeutung“ (ebd.) und damit die „Schaltstelle für das Sprachwissen und den Spracherwerb“ und „Bindeglied der verschiedenen Teilgebiete des Deutschunterrichts“ sei (Steinhoff 2009: 3, 24). Kinder und Jugendliche, die über einen umfangreichen Wortschatz verfügen, sind eher dazu in der Lage, die sprachlich-fachlichen Erwartungen der einzelnen Unterrichtsfächer zu erfüllen als Kinder und Jugendliche, die einen schwächeren Wortschatz aufweisen (Steinhoff 2013: 16).

Schon wenn 3 % der Wörter eines Textes nicht verstanden werden, kann das Textverständnis insgesamt blockiert werden (Apeltauer 2008). Der enge Zusammenhang zwischen Wortschatzfähigkeiten und Leseverständnis ist schon länger recht gut untersucht und nachweisbar (Philipp 2012; Bangel 2015; Polz 2016a). Die Rolle des Wortschatzes für das Lesen wird dabei deswegen so hoch angesetzt, weil das Wissen über Wortbedeutungen die Grundlage für das Verstehen von (Sach-)Texten bildet und eine gute Lesefähigkeit assoziiert wird mit einem sicheren, schnellen und kontextunabhängigen Zugriff auf Wortbedeutungen (Ulrich 2014: 1). Philipp/Efing (2018: 200) führen diverse querschnittlich als auch längsschnittlich angelegte Studien aus dem englischsprachigen Raum an, die – insbesondere für das Alter des Übergangs in die Sekundarstufe I – die hohe Bedeutsamkeit des (produktiven wie rezeptiven) Wortschatzes für das Textverstehen nachweisen. Umgekehrt ist jedoch auch das Leseverstehen ein Prädiktor des Wortschatzes, sodass (kompetente) Leser ihren Wortschatz lesend erweitern können, indem sie Lexeme aus Texten aktiv erwerben (ebd.). Interventionsstudien zur Förderung der Leseflüssigkeit weisen nach, dass sich leseschwache Schülerinnen und Schüler durch Wortschatzerweiterung „von der Wortebene lösen, die Lesegeschwindigkeit erhöhen und die Leseanstrengungen minimieren, um sich schließlich hierarchiehöheren Leseprozessen zuzuwenden und ihr Textverstehen deutlich zu verbessern“ (vgl. Steinhoff 2013: 20; vgl. auch Mathiebe 2018: 186). Es lässt sich für den Zusammenhang von Wortschatz- und Lesekompetenz also resümieren: Wer über einen großen produktiven wie rezeptiven Wortschatz verfügt, hat größere Chancen, Texte zu entschlüsseln und diese zu verstehen; auch die Schnelligkeit beim Lesen von Texten erhöht sich, wenn Wörter sicher phonologisch, morphologisch und semantisch im mentalen Lexikon gespeichert sind (Vasylyeva/Kurtz 2015: 239). Umgekehrt gilt: Ist der Wortschatz gering, beeinträchtigt das die kontextfreie Worterkennung, die Lesegeschwindigkeit und das Leseverstehen, da die Rekodierung, also das „Erkennen von Buchstaben-, Wörter- und Phrasenkombinationen und ihre semantische Zuordnung“, mehr Zeit benötigt und nicht automatisiert abläuft (Meireles 2006: 308).

Im Vergleich zum Lesen ist das Schreiben weniger gut untersucht. Eine Studie mit englischsprachigen Schülerinnen und Schülern (Olinghouse/Wilson 2013, zitiert nach Philipp/Efing 2018) ergab, dass die Verwendung von domänenspezifischen Fachwörtern textsortenunabhängig ein Prädiktor für die Qualität von Sachtexten ist. Andere Wortschatzvariablen differierten in ihrer Bedeutung je nach geschriebener Textsorte, aber generell war zu erkennen, dass der – insbesondere bildungssprachliche – Wortschatz im Sekundarschulalter wichtig für die Schreibkompetenz bei expositorischen Texten sowie zentral für die Wahrnehmung und Beurteilung der Textqualität durch die Lehrkräfte ist und deshalb auch gefördert werden sollte (ebd.: 201).

In einer Studie mit deutschen Schülerinnen und Schülern untersuchte Mathiebe (2018) den Zusammenhang von (bildungssprachlichem) Wortschatz und Schreibkompetenz in Schülertexten der Sekundarstufe I. Zentrale Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen (Mathiebe 2018: 184–188, 198, 206):

 Je vielfältiger die Lexeme eines Textes, umso höher die Textqualität.

 Je höher die Wortschatzleistung, umso höher die Textlänge – und umso adäquater der Einsatz bildungssprachlicher Mittel. Die Ergebnisse aus dem Wortschatztest können sowohl als Prädiktor für die in den Texten gezeigte Bildungssprachlichkeit als auch für die globale Textqualität angesehen werden.

 Je mehr angemessene Verben (als Indikator für bildungssprachlichen Wortschatz), umso höher die Textqualität. Generell scheint die adäquate Auswahl an Verben mit den allgemeinen lexikalischen Fähigkeiten zusammenzuhängen.

 Wer zügig und sicher liest, verfügt eher über eine höhere lexikalische Vielfalt und verfasst längere Texte.

 Je besser die Leistungen im Wortschatztest, umso höher der Anteil an angemessenen Textbausteinen.

 Die Anzahl verwendeter bildungssprachlicher Mittel sagt nichts über deren Angemessenheit aus.

Insgesamt gibt es aber wenige Studien und uneindeutige, wenig aussagekräftige Ergebnisse dazu, ob, und wenn ja: welche Art von Wortschatzförderung (eher domänenspezifischer, inhaltsbezogener Grundwortschatz oder bildungssprachlicher Wortschatz?) die Schreibkompetenz verbessern hilft. Die Vermittlung speziell von Verben scheint dabei als eine erfolgversprechende Möglichkeit, bildungssprachlichen Wortschatz und Textqualität gemeinsam zu fördern, wobei im Fokus der Förderung nicht allein die Vermittlung der Verben, sondern deren angemessener Einsatz stehen sollte (Mathiebe 2018: 213f.).

Für den Bereich der Mündlichkeit referiert Steinhoff (2013) weitere empirische Ergebnisse, die die Relevanz der Wortschatzkompetenz belegen. So zeigen Studien die bedeutende Rolle des Wortschatzes im Kompetenzbereich Sprechen und Zuhören beim mündlichen Argumentieren (ebd.: 19). Untersucht wurden Jugendliche aus achten Klassen aller Schularten. Festgestellt wurden „enge Zusammenhänge zwischen der argumentativen Kompetenz einer/eines Lernenden und der Anzahl der von ihr/ihm geäußerten unterschiedlichen Autosemantika“ (ebd.). Schülerinnen und Schüler, die selbstständig ein großes Spektrum von Autosemantika gebrauchten, brachten eigeninitiativ komplexe Gesprächsbeiträge ein. Dagegen verhielten sich Schülerinnen und Schüler, die Autosemantika verwendeten, die durch die Aufgabenstellung bereits vorgegeben waren, viel passiver und partizipierten oft nur formal an der Konversation; es fiel ihnen schwerer eigeninitiativ Gesprächsbeiträge einzubringen. Dies änderte sich, wenn vor den Gesprächen eine intensive, auf der Lektüre thematisch relevanter Texte beruhende Wortschatzarbeit (Worterklärungen, Vernetzungen, Zusammenfassungen) betrieben wurde, an deren Ende die Erstellung eines Stichwortzettels stand, an dem sich die Schülerinnen und Schüler während des Gesprächs orientieren konnten. Unter diesen Voraussetzungen waren auch wortschatzschwache Schülerinnen und Schüler in der Lage, eigeninitiativ und gehaltvoll zu argumentieren (ebd.).

Und Wortschatzfähigkeiten hängen nicht nur kognitiv nachweisbar mit anderen sprachlichen Teilfertigkeiten zusammen, sondern es wird auch im Bereich der Unterrichtsmethoden ihr Vorhandensein, d.h. „die Existenz lexikalisch-semantischer Strukturen im mentalen Lexikon von Schülerinnen und Schülern[,] in zahlreichen modernen sprachdidaktischen Ansätzen vorausgesetzt“ (Kilian 2011: 156) – zumindest implizit. Beispiele hierfür im Bereich Schreiben sind etwa die Cluster-Bildung zu Beginn eines Schreibprozesses oder jegliche Form des Schreibens, die mit Reiz- oder Schlüsselwort sowie Kontext operiert; im Bereich Lesen wird bei der gängigen Strategie der Voraktivierung vorhandenen Wissens regelmäßig auf lexikalisch-semantische Strukturen zurückgegriffen, die damit für Kilian eine „Schlüsselfunktion […] beim sprachlichen Lernen“ (ebd.) einnehmen.

Übung 124a

Laut Steinhoff (2013: 16) sind Kinder und Jugendliche, die über einen umfangreichen Wortschatz verfügen, eher dazu in der Lage, die sprachlich-fachlichen Erwartungen der einzelnen Unterrichtsfächer zu erfüllen. Überlegen Sie, inwiefern sprachliche Wortschatzkenntnisse und inhaltlich-fachliches Lernen zusammenhängen.

Semantik für Lehrkräfte

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