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Schwanensee

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Was ist das?«, fragte ich. Die Geräusche klangen surrend, eindeutig nicht menschlich, doch voller Emotion. Die Härchen in meinem Nacken richteten sich auf. Rose umgriff ihren Kampfstab und zuckte mit den Schultern. »Sehen wir nach.«

Zügig schritten wir zwischen den Bäumen hindurch, meine Finger schlossen sich fest um den Dolchgriff – Rose’ Dolch. Als wir in der Abenddämmerung aus dem Schatten der Bäume traten, bot sich uns ein seltsamer Anblick. Ein See lag wie ein glitzernder Lapislazuli im Talkessel. Der Abhang vor uns war, anders als die anderen um das Wasser herum, völlig frei von Baumbestand und mit Gras bewachsen. Am Ufer des Sees, wo der Boden abflachte, hatte jemand einen notdürftigen Lagerplatz aufgeschlagen: eine kleine Gruppe Männer und Frauen in kostbaren Gewändern, die um eine Feuerstelle herumstanden und mit in den Nacken gelegten Köpfen in den Himmel starrten. Dort kreisten sieben Schwäne in der Luft. Sie waren nicht weiß wie die meisten ihrer Artgenossen, und auch nicht schwarz wie manche von ihnen, sondern silbern. Die Strahlen der untergehenden Sonne glänzten auf ihren Federn und verwandelten die Vögel in gleißende Lichtgeschöpfe. Sie streckten die langen Hälse aus und stießen mit ihren Schnäbeln jene Geräusche aus, die wir als klagende Laute wahrgenommen hatten. Das Seltsamste an ihnen war jedoch weder die Färbung ihres Gefieders noch ihre schaurig-berührenden Rufe, sondern die ungewöhnlich langen Schnäbel, die sie im Flug leicht geöffnet hatten. Sie waren fast so lang wie die von Störchen und ich fragte mich, ob sie ebenso lange Beine hatten oder wie sie sonst ihr Futter suchten. Dann jedoch war dieser Gedanke vergessen und ich verlor mich in der Schönheit des Augenblicks, im Anblick dieser majestätischen Vögel, die fliegenden Edelsteinen gleich über dem Wasser kreisten.

Wie die Menschen am Ufer, standen Rose und ich einfach nur da und lauschten ihrem seltsamen Gesang. Tränen stiegen mir in die Augen. Ob das daran lag, dass ich so berührt von der Begegnung mit den wilden Tieren war oder am strahlenden Licht, das ihre Federn reflektierten, wusste ich nicht.

Erst als dieses Strahlen langsam nachließ, wurde mir bewusst, dass die Sonne bereits fast hinter den Bäumen untergegangen war.

Ohne Vorwarnung wurde das Klagen der Schwäne schriller. Einer der Vögel löste sich aus der Kreisformation und flog im Sturzflug auf die Wasseroberfläche zu. Die anderen schlossen sich ihm an. Ihr Gesang verstummte. Im ersten Moment glaubte ich, sie wollten sich wie Taucher aus großer Höhe in den See stürzen. Dann wieherten Pferde erschrocken auf und ich begriff, dass die Vögel nicht auf das Wasser zustürzten, sondern die Menschen dort anvisierten.

»Muireann!« rief Rose in diesem Moment.

Sie hatte bereits ihren Kampfstock in beide Hände genommen und rannte den Abhang hinunter.

Die Schwäne stürzten sich auf die Menschen. Ihre langen Schnäbel erinnerten mich plötzlich an Schwerter. Die Fremden schienen noch immer wie in Trance, begriffen nicht, was um sie herum wirklich geschah.

»Achtung!« brüllte ich, doch sie hörten mich nicht. Wie der Wind flog auch ich bergab. Ich musste den Drang unterdrücken, Rose’ Dolch aus der Scheide zu ziehen. Stattdessen angelte ich nach der Schleuder und dem kleinen Säckchen, die Seite an Seite an einer meiner Gürtelschlaufen angebracht waren. Noch im Laufen löste ich den Verschluss und holte eine Handvoll spitzer Steine hervor. In die Menschen am Ufer kam endlich Bewegung.

»Deckung!«, rief einer der Männer und griff in die Lagerfeuerstätte, um einen schweren Ast emporzureißen. Ein anderer zerrte derweil ein Kurzschwert aus der Scheide und stellte sich schützend vor eine hochgewachsene Frau in einem atemberaubenden Gewand. Da waren die Schwäne allerdings auch schon heran. Der erste stürzte sich auf den dritten Mann, der wie vom Donner gerührt dastand. Verzweifelt beobachtete ich, wie der Schwan seinen Schnabel tief in seine Brust stieß und wieder herausriss. Blut spritzte in pulsierenden Strömen aus dem Oberkörper des Mannes und er sank wie ein Stein zu Boden. Zwei junge Frauen, die etwas abseits von den anderen standen, schrien laut und das Gras färbte sich um den Gefallenen herum rot, während der Schwan sich mit kräftigen Flügelschlägen in den Himmel erhob. Auch sein Schnabel glänzte rot. Das sollte gar nicht möglich sein! Woher nahm der Vogel die Kraft, seinen Schnabel so tief in den Brustkorb eines ausgewachsenen Mannes zu stoßen, das Leder und den Stoff seines Hemdes und die Haut zu durchstoßen, Fleisch, Sehnen und Muskeln zu durchdringen und dann aus eigener Kraft den Schnabel wieder zurückzureißen?

Der halbe Abhang lag zwischen mir und der Stelle, an der der Mann gestürzt war, aber ich blieb stehen. Schnell verlagerte ich mein Gewicht auf mein hinteres Bein und packte den ersten Stein in die Schleuder. Mit kräftigen Armbewegungen brachte ich sie zum Kreiseln und konzentrierte mich auf eine der mörderischen Bestien, die von dem Mann mit dem Kurzschwert verjagt worden war und gerade zu einem Sturzflug auf die beiden kreischenden Frauen ansetzte.

Ich ließ den Stein fliegen.

Ich hatte auf die Brust des Vogels gezielt, das Geschoss schlug jedoch zu weit rechts ein. Der Schwan wurde aus seiner Flugbahn gerissen und sackte nach unten. Einer seiner Flügel hing kraftlos herunter, der Vogel trudelte hilflos dem Boden entgegen. Der erste Kämpfer fackelte nicht lange. Kaum war das Tier auf dem Boden aufgekommen, packte er den Ast, den er aus der Feuerstelle gezogen hatte, mit beiden Händen und schlug der Bestie kräftig auf den Kopf. Das Knacken konnte ich bis hier hören. Der Vogel regte sich nicht mehr.

Inzwischen war Rose am Ufer angelangt und stellte sich neben den Schwertträger und die prächtige Dame, hinter deren Rücken die beiden anderen Frauen geflüchtet waren. Drohend hielt sie ihren Eschenstab erhoben und wehrte damit einen der Silberschwäne ab. Der Schwertkämpfer trennte derweil einem anderen den Kopf vom schlanken Hals. Das Blut, das diesmal das grüne Gras verdunkelte, stammte von einem der Monster. Stumm zollte ich dem Fremden meinen Respekt. Es konnte gar nicht so einfach gewesen sein, die kurze Schwertklinge am langen Schnabel des angreifenden Vogels vorbeizumanövrieren und dem Biest den Garaus zu machen.

In meiner Hand kreiselte unterdessen die Schleuder, beladen mit einem weiteren Stein. Der Schwan, auf den ich zielte, hatte einen rot glänzenden Schnabel. Ich ließ den Stein fliegen, als sich der Schwan auf die Gruppe am Seeufer stürzte. Ich traf ihn nicht. Stattdessen musste ich hilflos beobachten, wie sich ihm zwei seiner Gefährten anschlossen. Ihre messerscharfen Schnäbel durchschnitten surrend die Luft. Der Schwertträger und Rose kämpften mit einem weiteren Vogel, der abwechselnd auf sie einstach. Der Mann mit dem Ast sprang zu den Frauen. Mit seiner provisorischen Waffe gelang es ihm, zwei der Vögel abzuwehren, aber der dritte fand ein Ziel. Eine der Frauen schrie auf. Ihr erschreckter Ruf wurde jedoch bald zu einem Gurgeln und verstummte dann ganz. »Veronique!« Ihre Gefährtin sank verzweifelt auf die Knie, während die Dame zu ihnen herumfuhr. Blut strömte in solchen Mengen aus dem Hals der verwundeten Frau, dass klar war, dass jede Hilfe zu spät kommen würde. Wenigstens gelang es dem Kämpfer mit dem Ast, dem Schwan den Garaus zu machen. Leider waren immer noch drei weitere übrig. Rose wirbelte wie ein Derwisch am Ufer entlang und hieb immer wieder mit ihrem Eschenstab nach den fliegenden Bestien. Ich war froh, dass ihre Waffe lang genug war, um die Vögel mit den langen Schnäbeln auf Abstand zu halten. Die Biester wichen allerdings gekonnt ihren Stockschlägen aus. Mit dem Kampfstab würde sie nicht viel ausrichten können. Als mein dritter Stein sein Ziel verfehlte, stieß ich einen Fluch aus und huschte näher ans Ufer heran. Es sah nicht gut für uns aus. Unweit der Feuerstelle lag zwar ein Jagdbogen und ein Köcher mit Pfeilen. Die Männer und Rose waren allerdings so sehr damit beschäftigt, die Schwäne auf Abstand zu halten und die Frauen zu beschützen, dass sich niemand von der Gruppe lösen konnte, um danach zu greifen. Die Frau kniete heulend neben ihrer Gefährtin, die sich nicht mehr regte. Die Dame beugte sich schützend über sie und suchte hektisch den Himmel ab. Inzwischen war auch der Mann mit dem Kurzschwert in die Knie gegangen. Er blutete aus einer Wunde. Die verbliebenen Schwäne schienen hingegen fast unverletzt.

Mein vierter Stein fand endlich ein Ziel. Ich hatte sogar einen Volltreffer gelandet und einen der Vögel am Kopf getroffen. Wie ein Felsbrocken stürzte er aus dem Himmel und kam mit einem lauten Platschen auf der Seeoberfläche auf, wo er noch einen Moment lang trieb, ehe er in der dunkelblauen Tiefe versank. Noch drei, dachte ich, und dann zwei, als ich sah, dass die Männer sich gemeinsam auf eines der Tiere gestürzt hatten und mit ihren Waffen darauf einhackten. Der Mann mit dem Ast musste lebensmüde sein. Er hatte die Kreatur an den Füßen gepackt und ließ nicht los, bis sie sich nicht mehr regte. Mein fünfter Stein flog durch die Luft, als die letzten beiden Schwäne auch endlich meiner gewahr wurden. Sie flogen direkt auf mich zu. Mist, dachte ich, und nestelte so schnell ich konnte einen weiteren Stein aus meinem Beutel. Jetzt musste jeder Wurf sitzen. Gleichzeitig konnte ich mir nicht die Zeit nehmen, genau zu zielen, denn wenn ich zu lang wartete, wären die Biester heran und dann würde mich zumindest ein Schwan erwischen. Ich spürte, wie mir Schweiß in die Augen lief.

Da gab es diesen Spruch, den meine Mutter mir als Kind beigebracht hatte. Eigentlich war er dazu gedacht, Muscheln zum Tanzen zu bringen.

»Lauf weg!«, hörte ich Rose schreien.

Meine Konzentration war unterbrochen.

Die Vögel setzten bereits zum Sturzflug an.

Ich ließ meinen Stein fliegen. Er traf sein Ziel und warf einen der Schwäne aus der Flugbahn.

Ich fingerte nach einem weiteren Stein, wusste jedoch bereits, dass es zu spät war. Also hob ich den Silberdolch aus dem Gras, während sich der Schwan mit ausgestreckter Schnabelspitze auf mich stürzte. Ein dumpfes Geräusch ertönte und der silberne Körper vor mir wurde in die Höhe gerissen. Ungläubig sah ich, wie der lange Schwanenhals zur Seite geschleudert wurde. Etwas Heißes tropfte mir ins Gesicht. Der Vogelkörper flog über mich hinweg und landete hinter mir im Gras, von einem Pfeil durchbohrt, aber noch flatternd. Überrascht keuchte ich auf und wandte den Kopf. Rose kniete neben dem Lagerfeuer, den Bogen in der Hand. Hinter ihr stand die schöne Dame in ihrem hellgrünen Kleid. Das blonde Haar hing ihr wirr in die Stirn, die Hände umschlossen fest Rose’ Eschenholzstab. Sie sah nicht so aus, als ob sie wirklich wüsste, was sie damit anfangen sollte, wirkte jedoch entschlossen, den Stab einzusetzen, wenn von irgendwoher noch ein Schwan auftauchen sollte. Als Rose erkannte, dass es mir gut ging, ließ sie erschöpft den Bogen fallen und drehte sich zu dem Schwertkämpfer um, der von dem anderen Mann gestützt neben der weinenden Frau stand und sich einen abgerissenen Stoffärmel auf die Schulterwunde presste. Er schwankte gefährlich.

Grimmig presste ich die Lippen zusammen, drehte mich um und stieß den Silberdolch mit kalter Wut in die Bestie vor mir. Der Schwan öffnete seinen gewaltigen Schnabel wie zu einem letzten Schrei, doch kein Laut erklang mehr. Warmes Blut quoll zwischen den silbernen Federn hervor, als ich meine Waffe wieder herausriss. Endlich trübten sich die Augen des seltsamen Wesens und sein Zittern erstarb. Der Schwan war tot.

Als ich zu den anderen rannte, begriff ich erst, dass die Schlacht geschlagen war. Vor den Männern auf dem Boden lag ein toter Schwan. Sein Kopf war eine breiige Masse, wo der Ast ihn in die Erde gestampft hatte. Sie hatten dem Monster zusätzlich mit dem Kurzschwert den Hals durchtrennt.

Bis auf unser Schnaufen und Keuchen und das Weinen der Frau war es still. Der Schreck saß allen tief in den Knochen. Die fremde Dame gab Rose den Kampfstab zurück und kniete sich neben ihre Gefährtinnen.

»Sie ist tot.« Zärtlich strich sie der Leiche über die Wange.

»Claude auch«, murmelte der Astträger geschlagen und die Dame stöhnte auf.

Rose kam bis auf Armlänge auf mich zu und sah mir fest in die Augen. »Das war knapp.«

»Danke«, sagte ich schlicht. Mehr nicht.

Gern wäre ich ihr sofort in die Arme gefallen und hätte mich versichert, dass es ihr auch gut ging. Aber wir waren nicht allein.

»Wer seid ihr?«, fragte der Schwertträger, legte seine Waffe zu Boden und presste sich die Hand auf die blutende Wunde. »Danke für eure Hilfe.« Er redete in der Gemeinen Zunge, eine Sprache, die über die Ländergrenzen hinweg verwendet wurde. Vielleicht stammte er auch nicht aus dem Zarenland. Er war ein Hüne mit schulter­langem Haar und gestutztem Bart, die Verletzung beeinträchtigte ihn, aber er wirkte wachsam.

»Mein Name ist Rosenrot«, sagte Rose und deutete dann auf mich. »Das ist Schneeweißchen. Wir sind … Kämpferinnen.«

Der Mann hob eine Augenbraue. Ehe er antworten konnte, trat die schöne Dame neben ihn. »Auch ich danke Euch sehr für Eure Hilfe. Seid Ihr Reisende?«

Wir nickten.

»Dann seid heute Nacht an unserem Lagerfeuer willkommen, wenn Ihr mögt.« Sie lächelte verhalten. »Ruht Euch aus und pflegt Eure Wunden.«

»Wir sind nicht verletzt.«

»Dann esst zumindest mit uns und stärkt Euch.«

Rose und ich blickten einander an. Hinter den Baumwipfeln im Westen ging die Sonne unter.

»Verratet Ihr uns Eure Namen?«, fragte ich und die Fremde nickte.

»Mein Name ist Ilena. Ich bin die Königin von Burgund.«

Palast aus Gold und Tränen

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