Читать книгу Palast aus Gold und Tränen - Christian Handel - Страница 17

Die Gemahlin des Steinernen Königs

Оглавление

Ich musterte die Fremde überrascht. Ilena von Burgund? Alle Welt kannte die Geschichte der Königin, deren Mann durch den Fluch einer Fee in eine steinerne Statue verwandelt worden war und der nur durch den Kuss der wahren Liebe gerettet werden konnte.

Und nun stand sie vor uns – eine der schönsten Frauen, denen ich bisher begegnet war. Sie war hochgewachsen mit fein geschnittenen Gesichtszügen, umrahmt von honigblonden Haaren.

Während wir am Seeufer ein Feuer entzündeten und die Verwundeten versorgten, erfuhren wir auch die Namen ihrer Begleiter: der Schwertkämpfer hieß Viktor, der Mann mit dem Ast Etienne. Die junge Frau, die so laut geschrien hatte, hieß Lynette und war Königin Ilenas Hofdame. Die beiden Gefallenen hatten Claude und Veronique geheißen. Zu Hause hatte ich einen kleinen Tontopf mit Heilsalbe zu meinen Sachen gepackt. Nun holte ich ihn hervor, um dabei zu helfen, die Verletzten zu versorgen. Aufgrund der Vielzahl unserer Wunden schrumpfte mein Vorrat allerdings rasend schnell zusammen.

Viktors Wunde erwies sich als schwerer, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Die Königin opferte ein frisches Kleid aus einer ihrer Truhen, die sich in einer Kutsche oben auf dem Hügel befanden. Wir schnitten den Stoff in Stücke, um daraus Verbände anzufertigen.

Ich war beeindruckt von Königin Ilena, die sich nützlich machte, wo sie nur konnte. Ohne zu murren presste sie die klaffende Wunde an Viktors Arm zusammen, damit ich sie nähen konnte, während mein Patient auf ein Stück Holz biss, um nicht zu laut zu schreien. Es würde eine Narbe zurückbleiben, doch er würde überleben – sofern sich die Wunde nicht entzündete.

Rose und die Hofdame, Lynette, kümmerten sich um Etiennes Kratzer. Ihn hatte der Schwan nicht ganz so schlimm erwischt.

Als ich den letzten Stich gesetzt hatte, waren meine Hände in Blut getaucht. Gemeinsam mit der Königin ging ich ans Seeufer, wo ich mich im kalten Wasser so gut wie möglich säuberte. Erst jetzt erlaubte Königin Ilena es offenbar der Angst, sich Bahn zu brechen. Ihre Schultern begannen zu zittern. Als wir zurück zum Feuer kamen, drückte Rose ihr wortlos einen Becher heißes Wasser in die Hand, in dem getrocknete Kräuter schwammen. Hopfenblüten, erkannte ich am süßlich-herben Duft. Sehr gut. Das würde die Königin beruhigen.

Mit Etienne machten Rose und ich uns daran, die Vogelkadaver im See zu versenken. Anschließend ließen wir nach einer heftigen Diskussion auch die Leichen von Claude und Veronique von den dunklen Fluten verschlingen. Es war zu spät, um die beiden zu bestatten, und wir hatten ohnehin keine Grabwerkzeuge dabei.

Es war eine hässliche Arbeit und sie dauerte lange. Ich hoffte, ihre Angehörigen konnten uns irgendwann verzeihen, dass wir ihren Lieben kein anständiges Begräbnis geben konnten.

Ilena und Lynette kümmerten sich um ihre Pferde, die den Angriff der Schwäne wie von Zauberhand unbeschadet überstanden hatten und auch nicht vor den Vogelmonstern geflohen waren.

»Was waren das für Kreaturen?« Die Königin nippte vorsichtig an ihrem Getränk, als wir später am Lagerfeuer saßen. Ihre Hofdame hatte sich bereits in den Schlaf geweint und Viktor schien auch vor sich hin zu dämmern. Nur Etienne beobachtete uns schweigend.

»Ich weiß es nicht«, gab Rose zu.

»Ich habe solche Wesen noch nie gesehen. Oder von ihnen gehört.« Ich durchwühlte meinen Beutel nach etwas Essbarem. Neben ein paar Rüben fand ich einen kleinen Laib Brot, den Helene erst am Vortag gebacken hatte. Ich riss ein Stück davon ab und streckte es Ilena entgegen. Sie schüttelte den Kopf.

»Ich habe keinen Hunger.« Ihre Stimme klang dumpf.

»Ihr solltet etwas essen.«

»Ich muss immerzu an Veronique und Claude denken.«

Ich seufzte und ließ den Arm sinken. Ich konnte sie verstehen. Vermutlich hatte sie noch nicht viele Menschen im Kampf fallen sehen. Schatten gruben sich in ihr Gesicht, verursacht vom Flammen­spiel des Lagerfeuers. Der Rauch trieb mir Tränen in die Augen, aber der harzige Geruch des verbrennenden Holzes besaß etwas Tröstliches. Plötzlich stellte Ilena den Becher vor sich ab und heftete ihren Blick auf uns.

»Erzählt mir von Euch. Weshalb könnt Ihr so gut kämpfen?«

»So verdienen wir unseren Lebensunterhalt«, sagte ich, und Rose ergänzte. »Seit mehreren Jahren. Wenn Ihr ein Problem mit einem Werwolf oder einer Koboldplage habt, können wir Euch helfen.«

»Weibliche Hexenschlächter?«

»Dämonenjägerinnen«, korrigierte Rose die Königin. »Wir bekämpfen magische Geschöpfe.« Nach einer kurzen Pause schob sie »Eure Majestät« hinterher.

Königin Ilena lächelte erschöpft. »Anders als mancherorts ist Magie etwas, das in Burgund zum Leben dazugehört. Die Patin meines Gemahls ist eine Fee.«

Feen wurden in vielen Ländern verehrt, vor allem in den Regionen südlich und westlich von Rose’ Heimat. Sie waren Wesen der Anderswelt, Geschöpfe der Luft, zauberkundig und erhaben. Das, was Hexen niemals sein würden. In all den Jahren, die Rose und ich bereits als Schneeweißchen und Rosenrot durch die Lande zogen, hatten wir nie eine Fee gejagt.

Wir waren allerdings auch nie einer begegnet.

»Ihr kennt eine Fee?«, fragte ich deshalb fasziniert.

Die Königin lächelte. Täuschte ich mich, oder huschte auch ein bitterer Ausdruck über ihre Züge? »Jaharyde ist die Patronin der königlichen Familie.«

»Haben alle Königskinder von Burgund eine Fee zur Patin?« Rose forderte Ilena mit einer Geste dazu auf, ihr den leeren Becher zu reichen, und füllte ihn erneut mit heißem Wasser.

Die Königin schüttelte den Kopf. »Nein. Nicht alle. Die Patin meiner Tochter ist ein gewöhnlicher Mensch.«

»Warum?«

Ilena seufzte. »Hat sich die Geschichte vom Feenfluch und dem Steinernen König nicht bis zu Euch herumgesprochen?«

»Wir geben nichts auf Gerüchte«, erklärte Rose. »Sonst hätten wir schon längst einen Unschuldigen unter die Erde gebracht. Und ein Trollmädchen hätte einen Prinzen geheiratet.«

Ich schmunzelte, als ich an diese verrückte Episode dachte.

»Als der König noch ein kleiner Junge war«, erklärte die Königin, »verhängte Jaharyde einen Zauber über ihn, auf Wunsch seiner Großmutter. In der Nacht auf seinen fünfundzwanzigsten Geburtstag verwandelte Alain sich in eine Marmorstatue. Sein lebendes Fleisch erstarrte zu Stein.«

Obwohl ich die Geschichte kannte, fröstelte ich.

»So ging der Fluch in Erfüllung«, fuhr Ilena fort. Sie blickte weiter ins Feuer. Ich hatte das Gefühl, sie konnte uns nicht ins Gesicht sehen.

»Seine Großmutter hat sich das gewünscht?«, fragte Rose ungläubig.

»Vielleicht nicht genau das. Ihr wisst, wie Zauber sind: trickreich und trügerisch. Sowohl Alains Großmutter als auch Jaharyde wollten nur sein Bestes. Nur der Kuss der wahren Liebe sollte den Zauber brechen können. Sie wollten sicherstellen, dass er seinem Herzen folgte, nicht seinem Verstand. Oder dem Rat seiner Minister.« Ilenas Stimme klang jetzt belegt. »Wir waren ungefähr ein Jahr verheiratet, als der Fluch Alain traf. Ich war gerade mit unserer Tochter schwanger geworden. Damals glaubte ich, er sei meine große Liebe.«

Ein Kloß bildete sich in meiner Kehle. Ich spürte, dass es der Königin nicht leichtfiel, über ihre Vergangenheit zu sprechen, und ein Teil von mir wollte ihr sagen, dass sie nicht weiterzuerzählen brauchte. Ein anderer Teil allerdings brannte darauf zu erfahren, was damals genau geschehen war.

Auch Rose blieb stumm. Ging es ihr ähnlich?

»Ich habe ihn geküsst, doch er wachte nicht auf. Stein blieb Stein und der König eine reglose Statue, mit einem schlagenden Herz unter dem Marmor.«

»Was ist dann passiert?«, fragte Rose, ihre Stimme ein tonloses Flüstern.

»Der ganze Hofstaat hat es gesehen«, fuhr Ilena fort. »Sie sahen ihre Königin, die vor nicht allzu langer Zeit in Samt und Seide gehüllt mit ihrem wunderschönen König vor den Altar getreten war. Sie sahen, dass diese Liebe, die sie alle gefeiert und auf die sie angestoßen hatten, nicht ausreichte, ihren König zu retten. Ich hatte mir etwas vorgemacht. Alain hatte falsch gewählt.«

»Ihr habt ihn geliebt«, sagte ich, und verbesserte mich dann. »Ihr liebt ihn.«

Die Königin stieß ein kurzes, freudloses Lachen aus und wischte sich mit einer fahrigen Bewegung über die Wangen. »Es ist nicht wichtig, was ich gefühlt oder geglaubt habe. Alain war nie mein. Er hatte sein Herz bereits verschenkt.«

»An einen Mann«, sagte Rose und ich biss mir auf die Lippen.

Ilena holte tief Luft. »Ja. Valerions Kuss hat den König erlöst. Er hat ihn zurückverwandelt.«

Rose suchte mit ihren Fingern meine Hand und drückte sie. »Es … tut mir leid. Für Euch, Majestät.«

Ilena schüttelte den Kopf. »Das muss es nicht«, sagte sie fest. »Es ist niemandes Schuld. Wir waren befreundet, alle drei. Val war mein bester Freund seit Kindertagen. Und es gab einen Sommer, einen wunderbaren süßen Sommer, in dem wir glaubten, Alain könne uns beide lieben.« Sie lachte auf, es klang bitter. Mir stieg Hitze in die Wangen.

»Und er liebt uns sicher auch beide, auf seine Weise. Aber Valerion – er ist Alains Seelenverwandter.«

Ich nahm an, Ilena sei am Ende ihrer Geschichte angelangt, doch sie fuhr fort. »Wir glaubten, das Volk würde das nie verstehen, müsst Ihr wissen. Wir glaubten, ein König brauche eine Königin. Deshalb beschlossen wir damals, dass Alain mich heiraten und Valerion vergessen musste. Wir beschlossen es alle drei. Zusammen. Alain und ich heirateten und Valerion verließ den Hof. Wir glaubten, wir würden trotz allem glücklich werden, irgendwie.

Wir hatten die Rechnung ohne Jaharyde und ihren Fluch gemacht.«

»Magie.« Die Stimme von Rose troff vor Bitterkeit und Abscheu.

Die Königin jedoch schüttelte den Kopf. »In Burgund leben wir nicht in dieser abergläubischen Furcht vor Hexen und Schwarzmagiern.«

Rose schnaubte. »Ihr habt gesehen, was diese Schwäne heute angerichtet haben.«

»Ja. Doch nicht jede alte Frau, die sich auf Kräuterkunde versteht, ist eine Hexe. Und nicht jeder eigenbrötlerische Mann, der einen Raben als Haustier hält, ist Fluchwirker.«

Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich zu Rose etwas Ähnliches gesagt. Das war in der Nacht gewesen, bevor ich erfahren hatte, zu was Hexen wirklich imstande waren. Dass sie die Körper von Mädchen raubten, deren Seelen in Eisenöfen einsperrten und sich am Fleisch unschuldiger Kinder vergingen. Mir stieg die Galle im Hals empor, wenn ich an diejenige dachte, die wir jagten. Der das Zauberbuch gehörte, das Rose in ihrem Rucksack aufbewahrte. Der ich in der Feenwelt fast begegnet war. Das musste ich Rose erzählen. Aber ich wollte es nicht hier vor der Königin tun. Stattdessen kam mir eine andere Idee.

»Ihr reist zur Hochzeit am Zarenhof?«, fragte ich stattdessen.

Ilena nickte. »Ich bezweifle, dass der Zar mich wirklich hierhaben will, auch wenn wir miteinander verwandt sind.«

»Wir sind auch auf den Weg an den Hof«, sagte ich vorsichtig.

Ilena hob eine Augenbraue und Rose blickte mich überrascht an. Aber dann drückte sie erneut meine Hand. »Vielleicht können wir Euch dorthin begleiten?«, schlug ich vor. »Zusammen wäre es für uns alle etwas sicherer.« Mit dem Kopf nickte ich in die Richtung von Etienne, der inzwischen leise zu schnarchen begonnen hatte.

»Er ist mein Kutscher«, antwortete Ilena. »Er saß den ganzen Tag auf dem Kutschbock und nun am Abend dieser Kampf. Viktor und Claude sind … waren meine Leibwächter.«

»Ein Grund mehr, uns in Eurem Tross aufzunehmen.« Rose legte demonstrativ die Hand auf den Dolch an ihrem Gürtel.

Mit unbewegter Miene musterte die Königin uns. Sie hatte uns ihre Geschichte erzählt. Wenn wir wollten, dass sie uns vertraute, mussten wir uns dieses Vertrauens als würdig erweisen. Das Feuer knackte und schickte tanzende Funken wie Glühwürmchen in die Nacht, während ich mich fragte, was ich tun sollte. Dann setzte ich alles auf eine Karte. »Meine Mutter ist eine Selkie.«

Rose spannte sich an, doch Ilena schien mehr verwirrt als überrascht. »Eine Selkie? Was ist das?«

»Eine Robbenfrau. Sie leben in der salzigen See und ähneln Seehunden. Wisst Ihr, was Seehunde sind?«

Ilena nickte.

»Ihr müsst wissen, dass Selkies im Meer in der Gestalt von Seehunden leben. Aber wenn sie an Land kommen, können sie ihr Fell ablegen und Menschengestalt annehmen. Meist tun sie das nur für eine Nacht. Manchmal allerdings auch für länger.«

»Euer Vater …?«

»War Fischer. Er traf meine Mutter am Strand, mehr als einmal. Sie verliebten sich und sie beschloss, ihr Fell ganz abzulegen. Sie verließ nicht nur ihre Familie, sondern ihr ganzes Volk, um bei ihm sein zu können. Zumindest für eine Weile. Ich war noch ein kleines Mädchen, als sie uns doch verließ und ins Meer zurückkehrte.«

»Sie hat Euch verlassen?«

»Ja. Mich und meinen Vater.«

»Habt Ihr sie jemals wiedergesehen?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Also endet auch diese Geschichte traurig. Seid Ihr auch eine Selkie?«

»Nein. Ich besitze kein Fell. Ich bin ein Mensch. Aber meine Mutter brachte mir ein paar Zaubertricks bei.«

Ilena klappte den Mund auf, doch ehe sie etwas sagen konnte, fuhr ich fort: »Ich habe nicht viel Macht.«

Die blauen Symbole auf meinen Unterarmen kribbelten, als wollten sie mir widersprechen.

Die Königin wandte sich mir zu, blickte kurz zu Rose und konzentrierte sich dann wieder auf mich. »Eure Geheimnisse sind bei mir sicher.« Sie wirkte ernst und aufrichtig. »Nennt mich bitte Ilena. Beide. Wir haben heute so viel durchgemacht und uns so viel anvertraut, ich glaube, wir können auf weitere Förmlichkeiten verzichten.«

»Ihr nehmt uns also auf?«, fragte ich. »In Euren Tross?«

»Hatte ich euch nicht gebeten, mich mit Du anzusprechen?«

Rose zögerte keine Sekunde. »In deinen Tross.«

Ilenas Mundwinkel zuckten kurz, dann wurde sie wieder ernst. »Was genau habt ihr am Zarenhof vor?«

Als Rose und ich eine Stunde später mit dem Reden aufhörten, schluckte Ilena schwer. »Das ist schrecklich.«

Ich nickte. Es hatte gedauert, ihr von der Kindsmörderin zu erzählen. Zwar hatten wir weder das Grimoire noch die Symbole auf meinen Unterarmen erwähnt, doch ich war endlich dazu gekommen, Rose von meiner seltsamen Begegnung in der Anderswelt zu berichten.

»Und ihr glaubt, diese Hexe wird auch auf der Hochzeit des Zarewitsch zugegen sein?«, fragte Ilena.

»Zumindest ist es unser bester Anhaltspunkt.«

»Wie wollt ihr sie dort aufspüren?«

»Wir nehmen an, dass angesichts der vielen Gäste jede helfende Hand gebraucht wird. Wir werden versuchen, uns als Dienerinnen zu verdingen.«

»Ich fürchte, die wenigsten Dienstleute im Zarenpalast sprechen die Gemeine Zunge. Man wird euch nicht glauben, dass ihr von hier stammt. Man wird misstrauisch werden«, gab Ilena zu bedenken.

»Ich spreche sie ein wenig«, räumte Rose ein. Über diesen Teil unseres Plans hatten wir uns auch bereits Gedanken gemacht. Wir hofften einfach, dass Hilfe wirklich so dringend benötigt wurde, wie wir glaubten. Falls nicht, mussten wir uns etwas anderes überlegen.

»Was wäre, wenn ihr euch vergleichsweise frei im Palast bewegen könntet?«, fragte Ilena und beugte sich zu uns vor.

Wir blickten sie neugierig an.

»Was haltet ihr davon, meine Hofdamen zu werden?«

Palast aus Gold und Tränen

Подняться наверх