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Zu Hause

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Später lagen wir Seite an Seite in dem breiten Holzbett und beobachteten die blauen Linien, die an meinen Unterarmen wie Insekten herumkrabbelten. Ich hatte gehofft, mit der Zeit würden sie erstarren. Doch die Einzigen, die von Augenblick zu Augenblick träger wurden, waren Rose und ich. Seufzend zog ich schließlich die weißen Ärmel meines Nachtgewandes bis zu den Handgelenken hinunter, damit ich den Anblick der wandernden Symbole nicht länger ertragen musste.

Ich schwitzte, und ich war mir nicht sicher, ob das an den Symbolen lag, die vom Hexenbuch zu mir übergesprungen waren, oder nur an den Sorgen, die ich mir deshalb machte. Trotzdem kuschelte ich mich eng an Rose. Ihre Nähe beruhigte mich.

Es hätte wunderbar sein sollen, nach unzähligen Übernachtungen im Wald, auf der Straße oder auf Strohsäcken in irgendwelchen Herbergen endlich wieder ein paar Nächte in einem richtigen Zuhause zu verbringen. Dass ich das jetzt wegen des schiefgegangenen Rituals nicht genießen konnte, ärgerte mich. Ich liebte das alte, knarzende Holzbett, in dem Rose und ich schliefen, wenn wir ihre Familie besuchten. Früher hatten sie und ihre Schwester sich die kleine Dachkammer geteilt. Inzwischen war Leni ausgezogen, und auch wenn Rose viel unterwegs war, so gehörte das Zimmer doch inzwischen ganz ihr. Obwohl nicht allen in ihrer Familie die körperliche Seite unserer Beziehung ganz geheuer war, so hatten sie mich doch mit offenen Armen aufgenommen und ich fühlte mich nicht länger wie eine Fremde. Ich besaß nur wenige Habseligkeiten, an denen mir wirklich etwas lag. Jene, die ich bei der Dämonenjagd nicht bei mir trug, bewahrte ich inzwischen in der reich mit Schnitzereien verzierten Truhe am Fuß unseres Bettes auf.

Wir kamen zwischen unseren Aufträgen sehr unregelmäßig hierher, aber wann immer wir ankamen – ob angekündigt oder nicht –, hatte Rose’ Mutter Helene die Betten gelüftet und kleine Beutelchen mit Lavendel unter die Kopfkissen gelegt. Wenn ich mich in die weichen Federn sinken ließ und den beruhigenden Duft einatmete, fühlte ich mich geliebt und geborgen.

Jedenfalls für gewöhnlich.

Jetzt konnte ich nur an meinen missglückten Zauber denken.

»Es tut mir leid, dass ich darauf bestanden habe, es mit dem Grimoire zu versuchen.«

Rose griff unter der Bettdecke meine Hand und drückte sie fest. »Das muss es nicht. Ich verstehe, warum du es wolltest.«

»Trotzdem macht es dir weniger Angst, ins Zarenreich zu gehen.«

Das war nämlich Rose’ Vorschlag, die Kindsmörderin zur Strecke zu bringen. Die Hexe befand sich im Körper des Mädchens, dem ich versprochen hatte, es zu rächen. Die Hexe hatte Margarete den Körper gestohlen, ehe sie sie getötet hatte. Gemeinsam mit Rose suchte ich seit dem Frühling nach ihr. Gerüchten zufolge hatte sie inzwischen einen Prinzen verführt. Wir wussten nicht, ob das stimmte. Da es uns sonst an Anhaltspunkten fehlte, hatten wir entgegen unserer sonstigen Gepflogenheiten die Dörfer und Wälder hinter uns gelassen und zogen durch die Städte. Doch die Kindsmörderin verwischte ihre Spuren gut. Jetzt hatten wir erfahren, dass im Zarenreich bald eine königliche Hochzeit stattfinden sollte, zu der Vertreter aus sämtlichen umliegenden Ländern eingeladen waren. Seit Tagen versuchte Rose, mich davon zu überzeugen, mit ihr die Grenze nach Osten zu überqueren und an den Feierlichkeiten teilzunehmen.

»Zahlreiche Adelige werden dort versammelt sein«, pflegte sie täglich mindestens einmal zu sagen. »Wenn sie sich wirklich einen Prinzen unter den Nagel gerissen hat, werden wir sie mit hoher Wahrscheinlichkeit dort antreffen. Oder zumindest erfahren, wo sie sich aufhält.«

Anders als Rose beunruhigte mich die Vorstellung, mich mit ihr auf einer königlichen Hochzeit einzuschleichen, zu der wir nicht eingeladen waren. In einem Reich, in dem wir auf dem Scheiterhaufen brennen würden, wenn jemand herausfand, dass wir uns liebten. Hierzulande mochten gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht gern gesehen sein, doch sie wurden immerhin nicht mit dem Tode bestraft.

»Wir werden vorsichtig sein«, wischte Rose auch jetzt meine Gedanken beiseite.

Zärtlich drückte ich ihr einen Kuss in die Halsbeuge. »Das könnten wir dort nicht machen.«

»Es wäre nur für eine Weile. Und du weißt, was du mir bedeutest, auch ohne dass ich dir das ständig zeigen muss.«

»Soll das heißen, das hier würde dir gar nicht fehlen?«, fragte ich unschuldig und begann, an ihrem Ohrläppchen zu knabbern.

Rose drehte ihren Kopf und blickte mich mit funkelnden Augen an.

»Du Biest!«

Langsam beugte sie sich mit ihrem Gesicht näher und näher, öffnete die Lippen – und verzog sie zu einem spöttischen Lächeln. »Du weißt genau, wie sehr ich dich liebe.« Sie wich zurück. »Aber ich kann mich beherrschen.«

Ich musste lachen und spürte, wie sich der Druck auf meiner Brust langsam verflüchtigte. Gemeinsam würde uns schon etwas einfallen, wie ich diese verfluchten Symbole wieder loswurde. Irina würde wissen, was zu tun war.

»Vielleicht sollten wir das Grimoire bei Irina lassen.«

»Vielleicht …« Rose klang nicht überzeugt. »Hältst du es wirklich für eine gute Idee, das Buch bei einer wie ihr zu lassen?«

»Irina wirkt weiße Magie.«

»Letztes Jahr um diese Zeit hätte ich gesagt, so etwas wie weiße und schwarze Magie gibt es nicht. Sondern nur Magie. Dass es keinen Unterschied macht, ob sich jemand als Hexe, Zauberin, Fluchbringer oder Magier bezeichnet.«

»Bevor du erfahren hast, dass meine Mutter eine Selkie war.« Meine Stimme klang traurig.

Rose lehnte ihren Kopf an meinen.

»Ich liebe dich deshalb nicht weniger, das musst du mir glauben.« Sie seufzte tief. »Damals war die Welt … einfacher.«

»Sie war nicht einfacher, Rose. Es kam dir nur so vor.«

»Ich weiß«, sagte sie, und dann schwiegen wir eine Weile.

»Es ist nur …« Sie schlug die Decke zurück und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen aufs Bett, mir gegenüber, damit sie mir direkt in die Augen sehen konnte. »Seit wir im Haus der Hexe waren. Seit deinen Visionen. Du … es gefällt dir, mit der Magie zu experimentieren, habe ich recht?«

Rose’ rote Locken reflektierten das Licht der Kerze auf dem Nachttisch. Ihr Gesicht schien selbst wie in Flammen getaucht und die Sommersprossen auf ihrer Nase und ihren Wangen hoben sich deutlich von der sonnengebräunten Haut ab.

Unschlüssig zupfte ich mit den Fingern an einem der Bänder um mein Handgelenk, ließ das aber gleich wieder bleiben, als es sich zu lösen drohte.

»Als ich Orkney verlassen habe, dachte ich, ich könnte alles hinter mir zurücklassen. All die traurigen Erinnerungen. An meine Mutter, die gegangen ist. An meinen Vater, der ihr auf seine Art folgte. An Tante Raelyn, für die ich einfach nicht die Tochter sein konnte, die sie sich wünschte.« Ich griff nach ihrer Hand. »Eine Zeit lang ist mir das gelungen. Ich habe ein neues Leben begonnen. Mit dir habe ich endlich die Familie gefunden, von der ich immer geträumt habe.«

Rose lächelte und ich drückte ihre Hand fester.

»An jenem Morgen auf dem Grundstück der Hexe, als ich meinen ersten Zauber seit Jahren gewebt habe … Ich habe es nicht sofort bemerkt, aber inzwischen weiß ich, dass ich nicht nur die schlechten Erinnerungen in Orkney zurückgelassen habe, sondern auch die guten.

Ich weiß, ich habe oft davon erzählt, wie wütend ich auf meine Mutter bin. Weil ihr das Meer wichtiger war als ihr kleines Mädchen. Doch damals am Strand, Rose … Wenn sie sicher war, dass uns niemand beobachten konnte, brachte sie Muschelschalen dazu, vor uns im Kreis zu tanzen, und färbte durch einen Handstreich und einen gemurmelten Zauber die Federn einer Möwe von weiß zu rosa. Um mich zum Lachen zu bringen. Es lag nichts Arglistiges in ihrer Magie.«

»Und du meinst, der Möwe hat es gefallen, rosafarbene Federn zu besitzen?«

»Es war doch nur für ein paar Augenblicke«, sagte ich und zog mich von ihr zurück. »Vielleicht habe ich es auch schlecht erklärt.«

»Tut mir leid, wenn ich den Finger in die Wunde lege, Mui­reann. Aber es ist längst an der Zeit, dass wir darüber sprechen. Früher sind wir nur mit Messern und Bögen auf Jagd gegangen. Den letzten Mühlenkobold hast du mit einem deiner Sprüche aus seinem Versteck getrieben.«

»Und es hat uns eine Menge Zeit gespart.«

Rose nickte. »Das hat es. Aber es fühlt sich falsch an, die Dinge so zu erledigen, wenn wir eigentlich diejenigen sind, die Monster, Hexen und Dämonen jagen. Wenn wir uns ihre Methoden zu eigen machen …«

»Gegen einen Schutzkreis hast du allerdings ganz und gar nichts«, unterbrach ich sie beleidigt.

Sie ließ den Kopf hängen. »Da hast du wohl recht. Vielleicht sollten wir auf ihn künftig ebenfalls verzichten.« Sie fuhr sich unschlüssig durchs Haar. »Er erschien mir so harmlos.«

»Er ist nicht nur eine Linie aus Salz, wenn es das ist, was du glaubst.« Meine Stimme klang angriffslustiger, als ich es beabsichtigt hatte. »Ohne den richtigen Spruch und den entsprechenden Einsatz von Magie wäre er vollkommen nutzlos.«

»Vielleicht hast du recht. Vielleicht gibt es wirklich Zauberei, die nicht schadet. Aber ich mag es nicht, wenn du einfach so mit der Magie herumexperimentierst.«

»Ich weiß genau, was ich tue.«

»Tust du das?« Mit hochgezogenen Augenbrauen richtete sie ihren Blick auf meine Unterarme.

»Das ist gemein«, sagte ich und zupfte verlegen an den Ärmel­säumen meines Schlafgewands. »Du warst damit einverstanden, dass wir es versuchen.«

»Das war ich. Und es war ein Fehler.«

In diesem Moment war ich so wütend und enttäuscht von ihr, dass ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte. Dabei hätte mich ihre Reaktion eigentlich nicht überraschen dürfen.

Einen Moment später lenkte sie ein. »Vielleicht war es auch kein Fehler, Muir. Ich will mich nicht mit dir streiten. Ich gebe zu, dass uns deine kleinen Zaubertricks in den letzten Wochen oft geholfen haben. Das ändert nichts daran, dass sie mir Angst machen.«

»Angst? Vor mir?«

»Nicht vor dir! Um dich.«

Sie griff wieder nach vorn und zog meine Hände in ihren Schoß. »Denk daran, was Irina gesagt hat, als wir sie das erste Mal um Hilfe gebeten haben: Magie hat immer ihren Preis.«

»Meine Mutter hat jahrelang …«

»Du bist aber keine Selkie.«

Ich wollte meine Hände zurückziehen, Rose ließ jedoch nicht los. Stattdessen sah sie mir tief in die Augen. »Ihr Blut mag in deinen Adern fließen. Trotzdem bist du keine von ihnen. Du bist ein Mensch. Und jeden Zauber, den du sprichst, bezahlst du mit einem Stück deiner selbst.«

Dem konnte ich nichts entgegensetzen. Nicht viele Menschen konnten Magie wirken. Die, die es taten, wurden vor ihrer Zeit alt und welk, bekamen schmerzende Buckel, triefende Nasen und wässrige Augen. Die Magie war das Feuer, das sie nach und nach auffraß. Es war die eigene Lebensenergie, mit der ein Magiewirker für jeden Spruch bezahlte. Oder die Lebensenergie eines anderen. Das taten die verabscheuungswürdigen Kreaturen, die wir jagten. Sie bezahlten ihre faulen Zauber mit fremder Währung. Sie stahlen die Energie anderer. Sie bluteten Kinder aus, um durch fremdes Leben selbst jung und schön zu bleiben. Wie es die Hexe getan hatte, deren Grimoire bei uns in der Dachkammer lag. Wie ich es aber nie, nie, niemals tun würde. Was bedeutete: Wenn ich Magie einsetzte, alterte ich ein winziges Stückchen schneller, als es die Natur vorsah.

»Ich will dich nicht verlieren«, flüsterte Rose kläglich. »Nicht deshalb.«

Und mit diesen Worten verlosch meine Wut.

»Ich wollte dir keine Angst machen.«

Sie zog mich in ihre Arme und ich vergrub meinen Kopf in ihren Haaren. Normalerweise rochen sie nach Kamille und Frühling. Jetzt hing noch der Rauch der verbrannten Mondraute darin.

»Ich will dir doch gar nicht verbieten, dich mit deinem Erbe auseinanderzusetzen.« Sie streichelte mir sanft über den Rücken. »Ich wünschte mir nur, du würdest dich bei der Jagd wieder etwas mehr auf deinen Silberdolch verlassen und etwas weniger auf deine Magie.«

Ich wagte nicht zu antworten, weil ich nicht genau wusste, was ich sagen sollte. Ich wollte Rose nicht anlügen. Einen Moment lang verharrten wir in unserer Umarmung, dann lösten wir uns langsam voneinander.

»Es ist spät, wir sollten versuchen zu schlafen.«

Ich nickte und ließ mich zurück in mein Kissen fallen.

Rose stand noch einmal auf, um das Fenster einen Spalt zu öffnen, damit frische Luft und die Kühle der Nacht in die Dachkammer strömen konnten.

»Was hältst du davon, wenn ich dich wieder im Stabkampf unterrichte?«, fragte sie, während sie unter die Decke schlüpfte.

Ich zog eine Grimasse. »Das lassen wir lieber. Darin war ich nie sonderlich gut.«

Rose kicherte. »Das kann man so nicht sagen. Da musst du dir nur die Narbe ansehen, die ich von unserer letzten Kampfstunde zurückbehalten habe.«

Die sichelförmige Narbe an ihrer linken Schulter verdankte Rose nicht meinem Kampfgeschick. Als ich sie während einer unserer Übungsrunden einen Waldhügel hinunterjagte, war ich auf nassem Laub ausgerutscht und der Länge nach hingefallen. Den Kampfstab hatte ich dabei dummerweise nicht losgelassen und Rose mit der harten Kante seines oberen Endes die Haut auf dem Rücken aufgerissen. Sie musste mit vier Stichen genäht werden. Und es war die einzige ernsthafte Wunde, die ich ihr beim Stockkampf jemals zugefügt hatte.

»Wir können gern morgen gegeneinander antreten, wenn du Lust auf weitere Narben hast.« Spielerisch boxte ich ihr gegen die Schulter. Dabei rutschte mein Hemdsärmel nach hinten. Die blauen Tinten­linien auf meinem Unterarm bewegten sich nun nicht mehr so schnell, schienen jedoch dunkler geworden zu sein. Täuschte ich mich, oder ging ein sanftes Glühen von ihnen aus? Als ich Rose anblickte, erkannte ich, dass sie es auch bemerkte. Ich schluckte. Rose sammelte sich als Erste und zog mir energisch wieder den Stoff über den Arm.

»Morgen gehen wir als Erstes zu Irina«, sagte sie. »Schlaf jetzt, und mach dir keine Sorgen mehr.«

Das war freilich unmöglich.

Trotzdem ließ ich es dabei bewenden und erwiderte nicht mehr als »Gute Nacht«, als sie mir einen Kuss auf die Wange hauchte. Danach beugte sich Rose über mich, um die Kerze auf dem Nachtschränkchen auszublasen, und zog mich fest in ihre Arme. Mein Kopf lag an ihrer Brust und ich konnte ihren schnellen Herzschlag hören.

In dieser Nacht träumte ich das erste Mal von Schnee.

Palast aus Gold und Tränen

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