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Das Frühstück mit der Ziege

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Am nächsten Morgen waren die Tintensymbole immer noch da. Mit einem Seufzen schlüpfte ich in ein violett eingefärbtes Leinenhemd, dessen Ärmel eng anlagen und so meine Unterarme bedeckten. Die roten Bänder versteckte ich so gut wie möglich unter den Bünden. Beim Waschen hatte ich sorgfältig darauf geachtet, sie nicht mit Wasser zu benetzen, auch wenn ich keine Ahnung hatte, ob das wirklich nötig war. Dann gingen Rose und ich nach unten, um ihrer Familie bei der Hofarbeit zu helfen. Normalerweise liefen wir jeden Morgen einige Meilen, um in Form zu bleiben. Bei der Dämonenjagd kam es oft darauf an, schnell zu sein, und ich hatte keine Lust, mich von einem Moorgeist fressen zu lassen, weil ich aus Bequemlichkeit meine Körperertüchtigung einmal zu oft hatte ausfallen lassen.

Weil wir nicht wussten, wie die Symbole auf meinen Armen auf körperliche Anstrengung reagieren würden, beschlossen wir dennoch, heute eine Ausnahme zu machen. Die Arbeit auf dem Gehöft war vermutlich ohnehin ein angemessener Ersatz. Zumindest für Rose, die losging, die Kühe zu melken und dann ihrem Vater und zwei ihrer Brüder zur Hand zu gehen. Ich ging in den Hühnerstall, um die Tiere in die eingezäunte Freifläche auf der Obstwiese zu lassen, ihren Wasser- und Futtertrog aufzufüllen und nach frisch gelegten Eiern zu suchen.

Mit einem Dutzend Eiern kehrte ich ins Haus zurück. Helene stand am großen Tisch in der Wohnküche und schnitt Brot in Scheiben. Hinter ihr auf dem Herd stand eine Kupferkanne, in der sie Wasser erhitzte. In einem weich gepolsterten Schaukelstuhl am Fenster saß Ursula, Eckharts Frau, ihren neugeborenen Sohn an die Brust gedrückt. Sie schien über dem Stillen eingeschlafen zu sein.

Helene drehte den Kopf in meine Richtung, als ich hereinkam, und lächelte mich an. »Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?«

Das hatte ich nicht, aber das konnte ich ihr kaum sagen. Also quälte ich mir ein Lächeln ins Gesicht, eilte quer durch den Raum und öffnete die Tür zur kleinen Vorratskammer, wo ich die Eier in einem Weidenkorb verstaute.

Danach ging ich zum Schrank, um erst einige Holzbretter und Besteck hervorzuholen, danach ein Glas von Helenes selbst gemachtem Mus. Die Butter holte ich aus dem Keller, in den man durch eine außerhalb des Hauses angebrachte Luke kam.

Ich war gerade dabei, eine Rübe in Scheiben zu schneiden, als lärmend die Tür aufflog und unter großem Gelächter Rose und ihre Brüder in die Wohnküche stolperten. Lasse, Rose’ jüngster Bruder, hing an ihrem Arm und ließ sich von ihr hinterherschleifen. Er war vor Kurzem zehn geworden, das jüngste Kind von Lennard und Helene, ein Nachzügler.

»Jetzt sag schon, Rosalie«, bettelte er. »Wie habt ihr den Bergtroll besiegt?«

»Nicht so laut!«, herrschte ihn Ursula an, die offenbar doch wach war. »Die Kinder sind noch im Bett. Und das Kleine ist gerade endlich eingeschlafen.«

Die Männer wurden augenblicklich leiser. Rose verdrehte die Augen.

»Schon gut«, sagte sie mit gesenkter Stimme. »Du musst deshalb nicht so einen Aufstand machen.« Sie setzte Lasse auf dem Boden ab und strubbelte ihm durch die Haare. »Ich erzähl’ es dir später, versprochen.«

»Ach nein, erzähl es jetzt. Bitte.«

»Lasse«, mahnte nun auch seine Mutter streng. Mehr musste sie nicht sagen. Gehorsam, wenn auch unzufrieden, fügte er sich in sein Schicksal und schlurfte zur Bank, um sich auf seinen Platz zu setzen.

»Hast du dir auch die Hände gewaschen?« fragte Helene.

»Freilich!«, erklärte er entrüstet, nur um sich eine weitere spitze Bemerkung von Ursula einzufangen. Jetzt verdrehte auch ich die Augen. Es gab schon einen Grund, weshalb Rose und ihr ältester Bruder Björn Ursula nur die Ziege nannten. Wenn sie es nicht hören konnte.

Eckhart, Rose’ mittlerer Bruder, stellte den tönernen Milchkrug ab, den er von draußen mitgebracht hatte, und ging hinüber zu seiner Frau, um ihr einen Kuss auf den Scheitel zu drücken und mit verzückten Augen auf sein Jüngstes hinunterzugucken. Merkte er nicht, was für einen Besen er geheiratet hatte? Vermutlich nicht. Dass ausgerechnet diese beiden eines Tages den Hof von Lennard und Helene übernehmen würden, darüber war ich nicht gerade begeistert. Im Grunde genommen war Eckhart kein schlechter Kerl. Er war nur ein Jahr älter als Rose und stand ihr damit altersmäßig von all ihren Geschwistern am nächsten. Trotzdem war er derjenige, mit dem ich am wenigsten anfangen konnte. Und ihr ging es da genauso.

Als Rose’ Vater Lennard in die Wohnstube kam, setzten wir uns um den großen Esstisch und begannen mit dem Frühstück.

»Was habt ihr beide heute vor?«, fragte Lennard Rose, als wir uns dem Ende der Mahlzeit näherten.

Rose und ich sahen uns über den Tisch hinweg an. Ich saß auf einem der Stühle, neben Helene, damit ich schnell aufstehen und zum Vorratsschrank gehen konnte, wenn etwas fehlte. Rose saß zwischen ihre beiden Brüder eingekeilt auf der Eckbank.

»Wir werden wohl Irina einen Besuch abstatten«, sagte sie schließlich.

Lennard hob die Augenbraue.

»Es haben sich während unserer letzten Aufträge einige Fragen angesammelt, von denen wir hoffen, dass sie die Antwort kennt.«

»Was für Fragen?«, wollte Lasse wissen.

Rose verzog das Gesicht zu einer Grimasse, krümmte ihre Finger zu Krallen und stieß ein Knurren aus. »Das werde ich dir doch nicht auf die Nase binden, argloses Menschenkind.«

Lasse blieb unbeeindruckt. »Hat es mit Hexerei zu tun?«

Ich verschluckte mich fast an einem Bissen Brot und trank schnell etwas Milch, um nicht antworten zu müssen.

»Oder mit Dämonen?« fragte er mit weit aufgerissenen Augen. »Ich will auch auf Dämonenjagd gehen.«

Neben mir erstarrte Helene. Ich konnte mir vorstellen, was in ihrem Kopf vor sich ging. Das Dämonenjagen war eine ehrenhafte, wenn auch sehr gefährliche Angelegenheit. Es genügte ihr sicher, dass sie sich bereits um zwei ihrer Kinder Sorgen machen musste. Björn war schon als junger Kerl Hexenschlächter geworden, und Rose war in seine Fußstapfen getreten. Jetzt fehlte es noch, dass auch Lasse diesen Weg einschlug.

Lennard setzte zu einer Erwiderung an, aber Ursula war schneller. »Du, ein Dämonenjäger? Letzte Woche hast du dich noch vor einer Ratte im Keller gefürchtet.«

»Gar nicht wahr!«

»Ursula«, mahnte Eckhart seine Frau sanft.

»Diesen Sommer werden jedenfalls keine Dämonen gejagt, mein Lieber«, mischte sich Lennard ein. »Diesen Sommer wirst du mir auf den Feldern helfen. Bis zur Ernte ist es nicht mehr lang.«

»Wusstest du, dass es im Zarenreich einen Korngeist gibt, der den Bauern auf den Feldern auflauert?«, fragte Rose scheinheilig. Lasse riss die Augen auf und hing an ihren Lippen.

»Es ist ein weiblicher Geist. Man nennt ihn die Mittagsfrau. Sie trägt eine riesige Sense bei sich. Wenn die Mittagshitze am größten ist …«

»Rosalie.« Helene trommelte bedeutungsschwanger mit ihrem Zeigefinger auf den Tisch.

»Es ist wahr.«

Lasse ließ sich nicht einschüchtern. »Was passiert, wenn die Mittagshitze am größten ist?«

»Eckhart«, drängte die Ziege.

Eckhart räusperte sich. »Musst du deine Gruselgeschichten hier am Frühstückstisch erzählen, Rosalie?«

Ich sah, wie sich Rose’ Miene wütend verzog und sie zu einer Antwort ansetzte, aber Lennard war schneller. »Dein Bruder hat recht, Lockenköpfchen. Heb dir deine Geschichten für später auf.«

»Es ist keine Geschichte«, schmollte Rose.

»Wir müssen ohnehin gleich gehen.« Ich wandte mich zu Helene um. »Wir lassen dich ungern mit der ganzen Arbeit allein, nur sollten wir früh zu Irina aufbrechen. Wir wissen nicht, was sie heute geplant hat.«

Helene lächelte warm und legte ihre Hand auf meine. »Mach dir darüber keine Gedanken. Mit dem bisschen Geschirr komme ich schon zurecht. Und Lasse wird mir helfen. Nicht wahr?«

»Ja, Mama«, sagte dieser schicksalsergeben und biss in sein Brot. Pflaumenmus färbte die Winkel seines Mundes dunkel.

Ich schob meinen Stuhl zurück und stand auf. Rose steckte sich schnell einen letzten Bissen Käse in den Mund, ehe sie sich über ihrem Holzbrett die Krümel von den Händen rieb und ebenfalls aufstand.

»Zeit zum Aufbruch.«

»Schade, dass Björn noch nicht zurück ist. Ich bin mir sicher, er hätte euch gern zu Irina begleitet.« Helenes Mundwinkel zogen sich in der Andeutung eines Lächelns nach oben.

»Björn?«, fragte Rose misstrauisch.

»In den letzten Wochen hat er sie das eine oder andere Mal besucht«, sagte Helene schlicht und widmete sich wieder ihrer Mahlzeit. Rose blieb überrascht im Türrahmen stehen und sah sie verwundert an. Als ihre Mutter jedoch nichts weiter hinzufügte, zuckte sie mit den Schultern und öffnete mir die Tür, die zur Treppenstiege nach oben führte. Wenn wir uns auf den Weg zu Irina machten, durften wir das Grimoire nicht vergessen.

Palast aus Gold und Tränen

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