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III. Strafzwecke – Sinn und Zweck der Strafe

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Strafe ist subsidiärer Rechtsgüterschutz.[6]

- Keine Bestrafung bloßer Moralwidrigkeiten. Allerdings steht dem Gesetzgeber nach Auffassung des BVerfG bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Strafbarkeitsbedingungen ein weiter Gestaltungsspielraum zur Verfügung.[7] Aus diesem Grund hat das BVerfG in einer Aufsehen erregenden Entscheidung[8] die gesetzlich vorgesehene Strafbarkeit des Geschwisterinzests nach § 173 II S. 2 StGB nicht als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG betrachtet. Ausdrücklich hat das BVerfG dabei festgestellt, dass das Strafrecht als ultima ratio des Rechtsgüterschutzes eingesetzt werden kann, wenn ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich, seine Verhinderung besonders dringlich ist. Die strafrechtliche Rechtsgutslehre lasse daher keine weitergehenden Beschränkungen des Gesetzgebers erkennen.[9] Weder eine normative noch eine naturalistische Rechtsgutslehre könne hier stärkere Bindungen des Gesetzgebers erzeugen. Denn eine normative, d. h. wertende Rechtsgutstheorie sei ohnehin nur als Ausformung der ratio legis, d. h. einer Strafzweckbestimmung zu verstehen. Aber auch eine naturalistische Rechtsgutstheorie, der zufolge die schützenswerten Güter jenseits gesetzgeberischer Festlegung vorfindlich und anerkannt sein müssten, finde in der Verfassung keine Grundlage. Denn dann müsste die Verfassung von vornherein bestimmte Zwecke eines strafrechtlichen Schutzes ausschließen, wofür jedoch im Grundgesetz keine Anhaltspunkte zu finden seien. Insofern rechtfertige sich § 173 II S. 2 StGB vor dem Hintergrund einer kulturhistorisch begründeten, nach wie vor wirkkräftigen gesellschaftlichen Überzeugung von der Strafwürdigkeit des Inzests, wie sie auch im internationalen Vergleich festzustellen sei. Darüber hinaus sei die Vorschrift geeignet, einen Schutz der Familie im Kernbereich zu gewährleisten (d. h. auch dann, wenn Randbereiche, wie etwa beischlafähnliche Handlungen oder geschlechtlicher Verkehr von Adoptivgeschwistern nicht erfasst werden). Auch sei eine Strafdrohung erforderlich, da vormundschaftsgerichtliche bzw. familiengerichtliche Maßnahmen keine gleiche Wirksamkeit aufwiesen. Schließlich sei die Strafdrohung auch angemessen, da sich das Strafmaß in Grenzen halte und auch die Möglichkeit einer Einstellung des Verfahrens nach prozessrechtlichen Grundsätzen gegeben sei. Die Entscheidung ist in der Literatur auf Kritik gestoßen und hat auch den Senatsvorsitzenden Hassemer zur Abgabe eines Sondervotums bewogen. Vor allem wurde der Entscheidung entgegengehalten, dass kein Rechtsgut erkennbar sei, das eine Strafbarkeit gerechtfertigt erscheinen lasse, sodass in Wahrheit eine Moralwidrigkeit bestraft würde. Auch wurde die Verhältnismäßigkeit der Norm in Zweifel gezogen, da Fälle des Inzests in Deutschland derart selten zu verzeichnen seien, dass auf eine Strafdrohung verzichtet werden könne.
- Bestraft werden keine Ordnungswidrigkeiten, weil bei ihnen der Gegenstand des Verbotes oder Gebotes durch den Staat erst geschaffen wurde, also nicht (naturrechtlich) vorgegeben und daher kein Rechtsgut ist (str.).

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Überblick über die Strafzwecktheorien:[10]

1. Nach den sog. absoluten Straftheorien besteht der Zweck der Strafe vor allem in der Antwort auf die Tat; Strafe ist daher ausschließlich Reaktion auf eine Verfehlung (punitur quia peccatum est[11]). Strafe wird also als „Negation der Negation des Rechts“ verstanden (Hegel[12]) bzw. ihr Sinn im Unrechtsausgleich[13] zur Durchsetzung von Gerechtigkeit gesehen (Kant).

Strafe ist danach „eine an der Tatschuld ausgerichtete und damit rückwärtsgewandte Sühne oder Vergeltung“.[14] Anklänge hierfür finden sich auch in der Rspr. So heißt es etwa in BGHSt 18, 278: „Die Gerechtigkeit gebietet, Schuldige sühnender Strafe zuzuführen“.

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Kritik an den absoluten Straftheorien: Die Vergeltungs- bzw. Sühneidee vermag als Strafzwecktheorie schon deshalb zu wenig zu leisten, weil sie die Strafsanktion nur als einen auf die Vergangenheit bezogenen Unrechts- und Schuldausgleich begreift, ohne die täter- bzw. gesellschaftsbezogenen Auswirkungen der Strafe für die Zukunft in den Blick zu nehmen. Die Strafe ist danach also nicht auf einen sozialen Zweck gerichtet, sondern erfüllt allenfalls einen (gesellschaftlichen) Selbstzweck.

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2. Im Unterschied zu den absoluten Straftheorien begreifen daher die relativen Straftheorien die Strafe nicht mehr nur als repressives Instrument im Sinne eines bloßen Unrechts- und Schuldausgleichs, sondern als präventives Mittel zur Erzielung konkreter sozialkonstruktiver Zwecke.[15]

a) Die generalpräventiven Theorien rücken dabei die Auswirkungen der Strafe auf die Gesellschaft in den Vordergrund und sehen ihren Zweck daher vor allem in der Abschreckung der Allgemeinheit bzw. sonstiger potentieller Täter oder ganz allgemein in der Bestätigung der Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung. Sie gehen zurück auf Feuerbach, der eine psychologische Zwangstheorie entwarf, wonach durch die Strafdrohung ein Übel in Aussicht gestellt wird, das sich auf den Bürger psychologisch so auswirkt, dass bei ihm der Antrieb zur Tatbegehung unterdrückt werde. Strafe ist danach also ein präventives Vorbeugungsmittel (punitur ne peccetur[16]) – also Strafe nicht wegen der Tat, sondern damit künftige Taten verhindert werden.[17]

Im Rahmen der Generalprävention werden dabei heute grundsätzlich zwei Wirkweisen der Strafe unterschieden:

aa) Die negative Generalprävention[18] → Abschreckung der Allgemeinheit bzw. anderer potentieller Täter (letztlich hat nur sie ihren Ausgangspunkt bei Feuerbachs psychologischer Zwangstheorie).

bb) Die positive Generalprävention → Bestätigung der Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung, wobei sich diese auf die Allgemeinheit bezogene Strafwirkung wiederum untergliedert in den:

- Lerneffekt (Einübung der Rechtsordnung)
- Vertrauenseffekt (Bürger sieht, dass sich das Recht durchsetzt) sowie
- Befriedungseffekt (allgemeines Rechtsbewusstsein beruhigt sich und sieht den Konflikt mit dem Täter als erledigt an; Roxin spricht hier von Integrationsprävention[19]).

Kritik an den generalpräventiven Theorien: Wird der Zweck der Strafe allein in der Abschreckung der Allgemeinheit und der Bestätigung der Bestandskraft des Rechts gesehen, so besteht immer die Gefahr, dass der Täter zum Objekt staatlichen Strafens degradiert wird, weil der Täter bei einem solchen Konzept durch seine Bestrafung letztlich allein in den Dienst der Allgemeinheit gestellt wird. Zugleich ist damit auch eine gefährliche Tendenz zur Verhängung unangemessen harter Strafen verbunden, zumal die generalpräventiven Theorien keinen geeigneten Maßstab für eine Begrenzung der Strafdauer zu liefern vermögen.[20]

b) Die spezialpräventiven Theorien rücken dagegen den Täter ins Zentrum der Strafzwecküberlegungen. Dabei lassen sich auch hier wieder zwei Strafeffekte unterscheiden:[21]

aa) Die negative Spezialprävention, d. h. Abschreckung des Täters (Abschreckungsprinzip) bzw. Ausschaltung des Täters, soweit er weder abschreckbar noch besserungsfähig ist (Sicherungsprinzip).

bb) Die positive Spezialprävention, d. h. Besserung des Täters, damit er nicht mehr straffällig zu werden braucht (Resozialisierungsprinzip).

Bahnbrechend für die spezialpräventiven Theorien war in Italien die von Enrico Ferri begründete „scuola positiva“ sowie in Deutschland Franz von Liszt mit seinem Marburger Programm von 1882. Dort befürwortete Liszt eine nach Tätertypen gestufte Behandlung von Straftätern:

- Unschädlichmachung der weder abzuschreckenden noch zu bessernden Gewohnheitsverbrecher,
- Abschreckung bloßer Gelegenheitstäter,
- Besserung der Besserungsfähigen.

Kritik an den spezialpräventiven Theorien: Trotz ihres sozialkonstruktiven Ausgangspunktes[22] besteht die Gefahr, dass die Strafe das Verhältnismäßige übersteigt, nur um den Täter in besonderer Weise abzuschrecken oder zu bessern. Franz von Liszt, der diese Gefahr erkannte, verlangte daher auch, dass das Strafrecht die „Magna Charta des Verbrechers“ zu sein habe, womit er nicht nur die Forderung gesetzlich eindeutig bestimmter Straftatbestände, sondern auch den Ruf nach bestimmbaren Rechtsfolgen verband.

Selbst wenn man von der Gefahr übermäßig harter Strafen absieht, laufen die spezialpräventiven Theorien jedenfalls in solchen Fällen leer, in denen der Täter zum Zeitpunkt der Verurteilung als voll sozialisiert gelten kann und wegen fehlender Wiederholungsgefahr nicht notwendig abgeschreckt, gebessert oder gesichert werden muss (Bsp.: SED-Unrecht; NS-Verbrechen etc.).

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3. Aufgrund der jeweiligen Schwächen der soeben behandelten Theorien ist heute die sog. Vereinigungstheorie vorherrschend. In ihr sind neben dem Vergeltungsaspekt vor allem general- und spezialpräventive Elemente enthalten. Dieser Theorie geht es um die Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen absoluten und relativen Straftheorien. Richtig dürfte an ihr sein, dass es bei der Strafzweckfrage zumindest mittelbar stets auch um die Frage nach der Verwirklichung von Gerechtigkeit geht. Will man in diesem Sinne die Auferlegung von Strafe zweckhaft begründen, so kann dies umfassend nur unter Einbezug von Tat und Täter sowie Gesellschaft und Opfer geschehen. Wer dies anerkennt, wird einen gewissen tatbezogenen Vergeltungsaspekt der Strafe genauso wenig leugnen können wie ihren notwendigen Täter- und Gesellschaftsbezug.[23]

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4. Welche Strafzwecke dem geltenden Strafrecht vorschweben, ist schwer auszumachen. Aus dem Gesamtgefüge der §§ 38 ff. StGB lässt sich jedoch entnehmen, dass das geltende Recht auf dem Boden der Vereinigungstheorie steht.[24] Eser/Burkhardt führen dafür unter anderem folgende Gesichtspunkte an:[25]

- Strafe ist kein Schuldausgleich um seiner selbst willen → Absage an reines Vergeltungsstrafrecht.
- Strafe erfüllt eine präventive Schutzaufgabe → Zweckstrafe.
- Innerhalb der präventiven Zielsetzung ist ein Vorrang der Spezialprävention i. S. des Resozialisierungsgedankens zu verzeichnen, vgl. §§ 46 I S. 2, 47 I, 56 I StGB.
- Dem spezialpräventiven Ziel dienen der Vorrang der Geldstrafe vor der Freiheitsstrafe sowie die Bewährungsmöglichkeiten bei der Freiheitsstrafe, vgl. §§ 47 I, 56 I StGB.
- Für generalpräventive Erwägungen bleibt nur insofern Raum, als dies zur Verteidigung der Rechtsordnung notwendig ist, vgl. § 56 III StGB.
- Nach § 46 I S. 1 StGB bildet die Schuld des Täters die Grundlage für die Zumessung der Strafe. Das Schuldprinzip bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Strafe, anders als die Maßregeln, s. o. Rn. 3, Schuld voraussetzt und das Maß der Schuld nicht überschreiten darf.
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