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2.3.7.3 „Wissen“ im FUER-Modell: Sachkompetenz als „intelligenter Wissenserwerb“

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„Der Historiker weiß nie genug“.288 Von diesem Ondit ausgehend, entwickelt Bodo v. Borries seine Vorstellung davon, was „Wissen“ im kompetenzorientierten Unterricht sein kann. Es sei keinesfalls auf Daten („Gegebenes“) und Fakten („Handlungen“) reduzierbar, sondern müsse „Kenntnisse“ umfassen, die evidente Vergangenheitspartikel in „akzeptierte Ordnungssysteme“ (z. B. Abläufe, Begriffskonzepte, Kontextualisierungen etc.) integrieren.289 FUER orientiert sich an diesem Axiom, wenn es seinem Kompetenz-Strukturmodell sowohl die Theorie der Basiskonzepte zu Grunde legt,290 als auch Anderson et all. folgt, indem die drei Formen kognitiven Wissens (Konzeptwissen, Verfahrenswissen und metakognitives Wissen) in den Fokus der theoretischen Betrachtung genommen werden und das Modell deren integrative Anwendung in der Mechanik des Kompetenzaufbaus (Lernen) empfiehlt. Weil es FUER um die „[…] erinnernde Vergegenwärtigung in ihrer theoretischen Struktur, kategorialen Fassung und sprachlichen Form“291 geht, hat man einen eigenen Kompetenzbereich entworfen, der Wissen gewidmet ist (Sachkompetenz). Man verweist aber nachdrücklich darauf, dass Sachkompetenz ein integraler Bestandteil jedes Kompetenzbereichs ist und somit Wissen keinen separaten Kompetenz-Status aufweisen kann. Es gehe um das Verfügen über Begriffe, um die Kenntnis von Strukturen und Kategorien, deren Logiken, deren Klassifizierung und deren Nutzung. Ziel sei nicht eine Ansammlung von deklarativen oder prozeduralen Wissenspartikeln, sondern die Unterstützung historischen Denkens durch das Ermöglichen von Erfahrungen und Entdeckungen und von mentalen Orientierungsprozessen.292 Die beiden Kernkompetenzen der Sachkompetenz (Begriffs- und Strukturierungskompetenz) sollen Menschen in die Lage versetzen, „[…] die Domäne mit Hilfe dafür relevanter Begrifflichkeiten in Bezug auf Theoretisches, Subjektbezogenes, Inhaltliches und Methodisches zu strukturieren. […]. Als historisch strukturierungskompetent hat also der zu gelten, der über zur Strukturierung genutzte historische Begriffe auf unterschiedlichem Abstraktionsniveau verfügt und sich ihrer funktionalen Bedeutung für die Systematisierung der Domäne bewusst ist.“293 Borries erscheint dieser Zugang zweckdienlich, weil es der individuellen Entscheidung des Lehrenden unterliegt, anhand welcher Themen historisches Denken eingeübt wird. Die Auswahl ist notgedrungen der Willkür unterworfen, sodass eine zu konstruierende Erzählung stets neu durch die Aspekte Partikularität, Selektivität und Perspektivität determiniert sein wird. Der eigentliche Wissensaufbau sei die „,[…] Herstellung von Zusammenhang und Gewichtung des gesicherten Materials, […], dessen Verknüpfung und Vergleichung mit der Umgebung und anderen Themen“.294 Die Rolle des Wissens besteht darin, Einsichten zu ermöglichen, indem Schüler*innen Erkundungen vornehmen können, die aus einem „[…] Mix herkömmlicher Thematisierungen […] und völlig überraschenden Erkundungen […] mit sicheren Verfahrensweisen und offenen Kategorien“295 bestehen.296 Waltraud Schreiber spricht in diesem Zusammenhang von „intelligentem Wissenserwerb“297 und Bernhardt et all. vom Aufbau von „individuellen historischem Wissens“.298 Schüler*innen würden auf diese Weise lernen, historische Erzählungen zu konstruieren, die an persönlichen Orientierungsbedürfnissen Maß nehmen, sodass die Narrationen in einem wachsenden Maß Lebensbezüge aufweisen. Die Rolle der Schule besteht in der Vermittlung der „Erschliessungskompetenz“,299 also in der Unterstützung der Entwicklung der Fähigkeit zur Aneignung von Wissen und in der Heuristik. Waltraud Schreiber erscheint es akzidentiell, ob die Schaffung von Lerngelegenheiten via Problemorientierung (pädagogischer Zugang), Aufgabenstellungen (methodischer Zugang) oder als Reaktion auf Lernstanderhebungen (didaktischer Zugang) erfolgt. Von zentraler Bedeutung ist stets, dass „[…] Wissensaufbau und Förderung der Kompetenzen Hand in Hand gehen sollen […]“, indem darauf geachtet zu werden hat, „[…] dass Reproduktion – Transfer – Reflexion nicht als aufeinander folgende und in den Niveaus unterschiedliche Stufen verstanden werden, sondern dass sie als nebeneinander liegend und vernetzt gesehen werden.“300 Alle Wissenschaftler betonen, dass es keine Interpretation ohne ausreichendes deklaratives Fachwissen geben kann und dass Orientierung ohne metakognitives Wissen oder Methodenkompetenz ohne prozedurales Wissen nicht existieren.301

Die Kritik am Zugang von FUER zur Funktion historischen Wissens im kompetenzorientierten Unterricht zeigt, dass das Thema auf der Agenda der Theoriearbeit bleibt. Ziegler und Gautschi anerkennen zwar, dass FUER die Kompetenzprogression als Wechselwirkung von Wissen und Können sieht, vermissen aber genauere Angaben über die Mechanik Prozesses. Es sei evident, dass Kompetenzaufbau ohne Wissen unmöglich ist, die Funktion von Wissen erscheine aber diffus, wenn nicht sogar ungeklärt. Am ehesten fassbar ist für Ziegler und Gautschi das deklarative Fachwissen als Element des kategorialen Wissens. Es ist in die Progression der Kompetenzentwicklung integrierbar und kann im Zuge der Kompetenzstufung sichtbar gemacht werden.302 Wissen „[…] hat seine Funktion darin, dass an ihm mit den Kompetenzen die Verfügung über Wissen aufgebaut werden kann, wobei der Aufbau von historischem Wissen zu kategorialem und nicht zu deklarativem Wissen führt. Solches Wissen wird in FUER Geschichtsbewusstsein als in den Kompetenzen enthalten gesehen und zusammengefasst als Sachkompetenz beschrieben.“303 Im Gegensatz dazu kritisiert Sander am FUER-Modell die Existenz eines eigenen Kompetenzbereichs „Sachkompetenz“, denn er erwartet, dass dessen Modellierung zu einer separierten Betrachtung des Fachwissens verleiten könnte. Außerdem würde das Kompetenz-Strukturmodell nur über ein einziges genuin historisches Basiskonzept verfügen, nämlich das der Kategorie „Zeit“.304 Hellmuth greift in seiner Beurteilung des Wissens im FUER-Modell die Kritik Pandels an den Begriffskreationen auf und wirft der Gruppe Willkür bei der Definierung der zentralen Termini Re-Konstruktion, De-Konstruktion und Sachkompetenz vor. Aus seiner Sicht könnten Re- und De-Konstruktion jeweils eigenständige Kompetenzbereiche bilden, während die Dimensionen des Kompetenzbereichs Sachkompetenz dem Grunde nach Arbeitswissen umschreiben und daher Bestandteile der Methodenkompetenz seien.305 Resümee: Die Diskussion erweckt den Anschein, als sei die „Gretchenfrage“: „Wie hältst du’s mit dem Wissen?“, vorerst wissenschaftlich nicht zufriedenstellend beantwortbar, sodass die Lehrer*innen weiterhin gefordert sind, in Eigenverantwortung damit umzugehen. In der Entwicklung eines allfälligen Progressionsmodells wird die Klärung der „Wissensfrage“ jedoch eine entscheidende Rolle zu spielen haben.

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