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3.2 Kompetenzgraduierung nach FUER 3.2.1 Graduierungslogik und Graduierungsparameter

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Die unbefriedigenden Resultate bei der Suche nach Graduierungsparametern im Umfeld der empirischen Forschung, der Fachdidaktik Geschichte und politischen Bildung sowie der praktischen Vermittlungsarbeit führten innerhalb der Gruppe FUER zur Erkenntnis, dass die Entwicklung eines speziellen, am Kompetenz-Strukturmodell ausgerichteten Graduierungssystems unumgänglich war, wollte man den Ansprüchen des eigenen Modells genügen. Den wegweisenden Impuls dazu lieferte die konstruktivistische und entwicklungspsychologisch beeinflusste Unterscheidung von Stufen historischen Denkens bei Dagmar Klose,367 deren Modell auf ein Stufungssystem von Lawrence Kohlberg rekurriert.368 Laut Körber beschreibt Klose drei Stufen historischen Denkens: (1) „Präkonventionelles historisches Denken“ meint die „Homogenisierung von historischen und lebensweltlichen Urteilen unter Dominanz des lebensweltlichen Konzepts.“369 Körber ortet hierin das Fehlen einer Unterscheidung von Gegenwart und Vergangenheit.370 (2) „Konventionelles historisches Denken“ meint „(…) Historisierung: Orientierung im historischen Kontext“.371 Die Konvention folgt aber nicht dem Zeitbegriff, sondern genetischem Denken. Das sei als Basis historischen Denkens problematisch, denn es werde die „[…] Gültigkeit des westlich-genetischen Sinnbildungstyps als universale Konvention […]“372 voraussetzt, was (zu) wenige Sinnbildungen zulasse. (3) „Postkonventionelles historisches Denken“ sei definiert, die Kriterien für die Einstufung würden aber unklar sein und somit ist die Beschreibung nicht brauchbar. Zur Anwendung auf die Erfordernisse des Kompetenz-Strukturmodells von FUER hält Körber Kloses Modell für ungeeignet, weil es allgemein, umfassend und „grundlegend entwicklungslogisch konzipiert ist“.373 Sein Wert liegt darin, FUER gezeigt zu haben, dass Stufungen von Niveaus historischen Denkens nicht naturgegeben sind,374 sondern als kulturelle Formungen verstanden werden können.375

Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse gingen die Wissenschaftler der Gruppe FUER daran, ein eigenes Graduierungssystem zu erarbeiten. Es wurde festgelegt, dass das Konzept nicht Entwicklungen darstellen soll, sondern die „Logik der Unterscheidung von Niveaus“.376 Ihre Folgerichtigkeit und Schlüssigkeit sollte den „gemeinsamen Graduierungsparameter“ ausmachen. Man einigte sich weiters darauf, in Anlehnung an Kohlberg und Klose, fünf Niveaus zu definieren. Es wurden zwei ideelle, realiter nicht existente „Begrenzungsniveaus“ („Nullniveau“ und „Maximalniveau“), und drei „Grundniveaus“ („basales Niveau“, „intermediäres Niveau“ und „elaboriertes Niveau“) mit Zwischenniveaus beschrieben377 (Tabelle 2). FUER hat den Zugang zur Graduierung gewählt, „[…] die Niveaus der Kompetenzen nach der Art und Weise der Verfügung über gesellschaftliche Konventionen ihrer Ausprägung […]“378 zu differenzieren.

Ausgangspunkt der Niveaustufen-Beschreibung ist die Überlegung, dass Denkende prinzipiell über alle historischen Kompetenzen verfügen, deren Qualität aber unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Das „Nullniveau“ ist de facto inexistent, weil jede Form der Beschäftigung mit Vergangenem Denkprozesse auslöst und jeder mentale Vorgang über null hinausgeht. Ein „Nullniveau“ wäre nur dann „erreicht“, wenn es keinen einzigen wie immer gearteten Gedanken gibt, was selbst bei einem Kleinkind kaum der Fall ist. Die Beschreibung dieser Niveaustufe dient der Abgrenzung des folgenden basalen Niveaus nach unten.

„Basales Niveau“ wird nicht – wie bei Klose – als prä-konventionell bezeichnet, sondern FUER verwendet die Definition „a-konventionell“, weil historisch Denkende hier gesellschaftlich übliche Formen des Verfügens über Konzepte, Kategorien, Operationen und Verfahren nicht erreichen, sondern situativ bedingt eigene, spontan entwickelte und nicht an Systematiken gebundene Konzepte etc. parat haben und nutzen. Die mentalen Prozesse sind fragmentarisch ausgeprägt. Es gelingt, bei Fragen an die Vergangenheit zwar Unterscheidungen in zeitlicher Hinsicht zu treffen und Schlussfolgerungen aus der Beschäftigung mit der Vergangenheit zu ziehen, die Vorgänge geschehen aber nicht auf der Ebene allgemein anerkannter Konzepte. Denkleistungen anderer werden kaum in persönliche mentale Prozesse integriert und Kommunikation über eigenes Denken erfolgt nicht. Kennzeichen basalen Niveaus sind Spontaneität und unsystematische, nicht gefestigte Denkvorgänge ohne Rückgriff auf allgemein anerkannte Verfahren. Die Entwicklung vom basalen Niveau Richtung intermediäres erfolgt mittels aktiver Suche nach Konzepten und deren Erprobung, indem man eigene Konzepte mit denen der Gesellschaft abgleicht. Die Zwischenstufe ist getragen vom Wunsch, das gesellschaftlich übliche Verständnis zu erreichen und die Fähigkeit zu erlangen, eigenständige Einsichten in Konzepte, Begriffe und Operationen zu integrieren und zu systematisieren.379 Körber nennt das, was in dieser Intervallphase erreicht werden kann, „Niveaus partieller und unvollständiger Konventionalität“.380

Auf „intermediärem Niveau“ ist man in der Lage, anerkannte Konzepte, Kategorien und Operationen anzuwenden und das eigene historische Denken auf sie zu beziehen. Man kann persönliches Orientierungsinteresse und daraus erwachsende Fragen selbstständig bearbeiten und Aussagen sowie Deutungen nachvollziehen. Kennzeichnend für intermediäres Niveaus ist die Eigenständigkeit beim Umgang mit Verfahren. Sobald Individuen in der Lage sind, sich partiell von Konventionen zu lösen und singuläre Erkenntnisbedürfnisse, die nicht in ein bekanntes Konzept passen, autonom zu befriedigen, wird der Weg zur nächsten Stufe eingeschlagen. In dieser Intervallphase erkennt man die Konventionalität eigener Begriffe, Konzepte, Kategorien und Operationen und sucht bereits nach persönlich konstruierten Alternativen, kann sie aber noch nicht in allen Bereichen selbstständig entwickeln, verändern bzw. fundiert kritisieren. Man hat die „Niveaus partieller Konventionsreflexion“381 erreicht, eine Zwischenstufe auf dem Weg zu elaborierten Niveaus. Das Individuum „[…] wird mit seinem Denken dadurch passiv wie aktiv anschlussfähig.“382 Idealtypische Konventionen werden in dieser Phase zumindest partiell überschritten.

Haben historisch Denkende schließlich „elaboriertes Niveau“ erreicht, verfügen sie über die gesellschaftlich üblichen Formen von Konzepten, Kategorien, Operationen und Verfahren, sind bereit, sie anzuwenden und haben erkannt, dass sie keine feststehenden Regeln, sondern Übereinkommen sind, deren Limitationen man begründet verändern kann. Kennzeichen dieser Niveaustufe ist die Fähigkeit zu kritisieren, abzuwandeln, neu zu formieren, sich zu distanzieren und über sie und ihre Funktion nachzudenken. Dazu tritt das Vermögen zur Entwicklung und Anwendung eigenständiger Verfahren, die Kommunikation und der Diskurs darüber.

Das „Maximalniveau“ ist, ähnlich dem Nullniveau, eine Begrenzung, die es in der Realität nicht gibt. Es ist insofern illusionär, als es das Verfügen über historische Kompetenzen beschreibt, „[…] die ein idealer historisch Denkender aufweist“.383 Es meint die vollständige Ausbildung historischen Denkens, die umfassende Lebens- und Orientierungserfahrung. De Facto handelt es sich dabei um ein utopisches theoretisches Limit. „Ein unteres ‚Null‘-Niveau oder gar ein oberstes Niveau, bei dessen Erreichen keine Fortentwicklung mehr möglich wäre, lassen sich wohl nur theoretisch denken, aber empirisch nicht finden.“384 (Tabelle 1).

Es ist darauf hinzuweisen, dass nach den Vorstellungen von FUER die entscheidenden Adaptionen zwischen den Niveau-Stufen während des Unterrichts erfolgen, also den Lernprozess markieren385 und dass die Graduierung nicht Standardsetzung bedeutet. Es gehe um die diagnostische Erfassung von Unterrichtsentwicklungen, damit es gelingt, den Kompetenzaufbau qualitativ gesichert zu gestalten. Graduierung ist als Hilfsmittel für die Planung von Unterricht zu verstehen, denn die Niveaubeschreibungen liefern Lehrer*innen Kriterien, aber keine umfassende Darlegung zu erreichender „Zustände historischen Denkens“.386 Allfällige Standardisierungen auf der Basis des Struktur-Modells müssten erst eingehend fachlich und bildungspolitisch diskutiert werden.387 Daher sind die dargestellten Kompetenzniveaus keine Input-Regelungen, sondern „Minimalkriterien im Sinne der Output-Orientierung“.388 Der Begriff „Konventionen“ meint „gesellschaftlich übliche(n) mentale(n) Instrumente(n) zur Erfassung und Deutung sowie Kommunikation von Phänomenen der geschichtlichen Welt mit je spezifischen Stärken und Schwächen, Reichweiten und Grenzen.“389 Deutlich sollte werden, dass kompetenzorientierte Aufgaben nicht nach dem Schema „erfüllbar“ versus „nicht erfüllbar“ zu konstruieren sind, sondern dass eine „Erfüllung auf verschiedene Weise“ möglich sein muss. Die Art der Lösung ist der Indikator des Kompetenzniveaus. FUER erwartet im Falle des Gelingens einer Reflexion darüber die Entwicklung praktikabler didaktischer Konzepte, Ansätze einer Individualdiagnostik und das Ermöglichen professioneller Systemevaluation. Daher versteht FUER die Niveaubeschreibungen nicht als Endpunkt der Kompetenzentwicklung, sondern als Türöffner für den Weg der Kompetenzorientierung in die Unterrichtspraxis.390 Die Graduierungstheorie hat die Kompetenzbereiche, Orientierungs-, Methoden- und Sachkompetenz konkretisiert. Das wird nachfolgend dargestellt.

Parameter Niveaustufe I Niveaustufe II Niveaustufe III
Formale Logik der Niveau-Unterscheidung basal intermediär elaboriert
Konkrete Logik der Niveau-Unterscheidung a-konventionell konventionell trans-konventionell
Definition Keine Kenntnis von Konventionen, keine Standardisierungen Kenntnis und Nutzung der Konventionen, es gibt Standardisierungen Hinterfragen und Überschreiten von Konventionen
Indikatoren Spontanität, fehlende Systematik Anwendung gängiger Methoden und Muster Eigenständigkeit, Plausibilität
Überprüfung keine Standardisierte Aufgaben samt Erwartungshorizont Nicht standardisierte Aufgaben

Tabelle 1: Logik der Niveau-Unterscheidung (Quelle: Körber et. all.: Kompetenzen, S. 465).

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