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6.3 Forschungsinteresse und Forschungsfragen
ОглавлениеDie Entscheidung der österreichischen Bildungspolitik dem Geschichtsunterricht und der Politischen Bildung das FUER-Modell zugrunde zu legen ist erfolgt, obwohl eine Modellierung der Kompetenzprogression ausständig gewesen ist. Dieses Theoriedefizit kann als Einwand gegen das Ansinnen ins Treffen geführt werden, fachliche Kompetenzentwicklung an einem Punkt des Implementierungsprozesses zu untersuchen, an dem ein anerkanntes didaktisches System zum Kompetenzaufbaus noch nicht zur Verfügung steht. Dem sind fünf Argumente entgegenzuhalten. Zum Ersten findet, ungeachtet des Fehlens eines Progressionsmodells, (kompetenzorientierter) Geschichtsunterricht statt. Kompetenzen werden mit Schüler*innen eingeübt und gefördert. Das geschieht durch individuelle, von den Lehrpersonen selbst konzipierte Progressionspläne. Es ist daher von Interesse, Nachschau zu halten, ob es dem Unterricht gelingt, den Erwartungen der Wissenschaft und der Gesellschaft zu entsprechen. Zum Zweiten ist eine kompetenzorientierte Reifeprüfung mit dem Ziel verordnet worden, die Evidenz fachlicher Kompetenzen einzuholen. Wenn Fähigkeiten und Fertigkeiten dargestellt werden, ist es eine logische Folge und ein berechtigtes wissenschaftliches Interesse zu fragen, auf welcher Niveaustufe dies geschieht. Obwohl das AFB-System eine Kompetenzmessung nach FUER nicht im Fokus hat, existieren unterschiedliche Qualitätsstufen der Leistungen in den drei Bereichen. Laut Körber ermöglich auch diese Art der Aufgabenstellung es, „[…] taxonomisch komplexere Denkformen einzufordern.“630 Zum Dritten existiert eine Graduierungstheorie zum FUER-Modell und somit wissenschaftlich explizierte Vorstellungen davon, welche Kriterien zu beachten sind, um festzustellen, wie weit jemand auf dem Weg der Kompetenzentwicklung vorangekommen ist.631 Viertens entspricht es dem Selbstverständnis von FUER, dass der Prozess der Kompetenzprogression nicht an Schulunterricht gebunden ist. Kompetenzen werden ein Leben lang entwickelt, mitunter trotz Unterrichts. Schließlich können die Ergebnisse einer Kompetenzanalyse gerade im Implementierungsprozess wertvolle Erkenntnisse für die Konzeption von Systemen eines zielgerichteten Kompetenzaufbaus und der Messung der Fähigkeiten liefern. Die erhobenen Daten können Aufschlüsse darüber liefern, ob das gewählte Kompetenzmodell als theoretische Grundlage der Unterrichtsarbeit in Österreich taugt.
Daher erfasst das Forschungsinteresse fünf Aspekte: (1) Zu klären ist, ob sich das verordnete Prüfungsdesign dafür eignet, fachspezifische Kompetenzen sichtbar zu machen. (2) Zu erfassen sind jene Fähigkeiten und Fertigkeiten des FUER-Modells, die unter den Bedingungen der Reifeprüfung evident werden können. (3) Die Niveaus der Fähigkeiten sind zu bestimmen. (4) Weiters ist zu ergründen, ob sich das von FUER entwickelte Graduierungsmodell als Orientierungshilfe für den Unterricht eignet. (5) Da es sich bei der Reifeprüfung um eine mündliche Form von Kompetenzanalyse handelt, ist dem Aspekt der bildungssprachlichen Fertigkeiten (Umgang mit Mündlichkeit in der Manifestation historischen Bewusstseins) analytisches Interesse zuzuwenden. Diese Gesichtspunkte münden in zwei Forschungsfragen:
• Welche (Teil-)Kompetenzen des FUER-Modells werden in der Reifeprüfung sichtbar?
• Erreichen die Kompetenzausprägungen das von der Wissenschaft erwartete intermediäre Niveau?
Die von der Fachdidaktik bislang ausprobierten Verfahren, um Kompetenzen bzw. historische Denkprozesse zu untersuchen, eignen sich für die Beantwortung der Forschungsfragen dieser Studie nur bedingt. Es angezeigt gewesen, ein eigenes Methodeninstrumentarium zu entwickeln.