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3.2.4 Graduierung der Methodenkompetenzen
ОглавлениеTeilkompetenz Re-Konstruktion:
Die Gruppe FUER stellt die Graduierung der Methodenkompetenz wegen der hohen Zahl denkbarer Verfahren exemplarisch anhand der Basisoperation Re-Konstruktion dar. Sie wurde deshalb gewählt, weil die dafür benötigten Fähigkeiten den Prozess der Erstellung einer historischen Aussage („Narration“) steuern. Zur Entwicklung einer Erzählung bedarf es dreier Komponenten: Fragestellung, Interpretation und Kontextualisierung. Initiiert wird der Prozess durch eine Fragestellung, die die Erschließung des Vergangenen mittels Quellen unter Bezugnahme auf Forschungsergebnisse (Darstellungen) einleitet und in die Konstruktion einer Geschichte mündet. Die Erzählung muss triftig sein, ergo empirisch abgesichert, normativ akzeptabel und plausibel. Die Graduierung hat das Zusammenwirken der Elemente im Prozess zu berücksichtigen.417
Auf „Nullniveau“ befindet sich ein Individuum, wenn ihm nicht bewusst ist, dass Quellen Informationen über Vergangenes liefern, aber keine Fähigkeit oder Bereitschaft besteht, anhand der Relikte Fragen an die Vergangenheit zu richten und mit Hilfe der Erkenntnisse sinnbildende Erzählungen zu konstruieren. Es gelingt nicht, Geschichte zur eigenen Orientierung zu verwenden. Das „basale Niveau“ ist erreicht, wenn einzelne Aussagen von Quellen erkannt und genutzt werden. Es wird nicht zwischen Informationen aus Quellen und Fachliteratur bzw. Produkten der Geschichtskultur unterschieden. Fragen an das Material werden unspezifisch gestellt, kaum reflektiert und sind nicht zwingend an ein Orientierungsbedürfnis gebunden. Daher haben sie auch nicht notwendigerweise das Ziel, eine verfahrensgeleitete Bearbeitung des Materials anzuleiten, der Orientierungsnutzen für die Gegenwart ist limitiert. Auf „intermediärem Niveau“ befindet sich das Individuum, sobald es über einen konsistenten Quellenbegriff verfügt und die Quellen, unter Berücksichtigung ihrer gattungsspezifischen Merkmale, inhaltlich selbstständig auswerten kann. Dazu bedarf es der Fähigkeit, Fragen erkenntnisleitend zu stellen und sich über deren Perspektivität sowie die Partikularität der erwarteten Ergebnisse im Klaren zu sein. Aus ihr erwächst die Fertigkeit, Inhalte analytisch zu erheben und sie mit Hilfe der Ergebnisse der Forschung zur Konstruktion einer Narration heranzuziehen. Es wird das Bewusstsein evident, dass historische Erzählungen Konstrukte sind. „Elaboriertes Niveau“ ist erreicht, sobald der konventionelle Quellenbegriff relativiert, der Nutzen und der Charakter der Quelle selbstständig eingeschätzt und das Material autonom erschlossen werden kann. Nötig ist die Fähigkeit, Fragen so zu stellen, dass das Erkenntnisinteresse eine Reflexion eigener Identität und persönlichen Weltverständnisses ermöglicht. Es erwächst die Einsicht, dass unterschiedliche Kontextualisierungen erfolgen können, die differente Narrationen zur Folge haben. Wesentlich sind Bezüge zum Orientierungsbedürfnis und Triftigkeit.418
Kontextualisierungs- („Narrations“-) Kompetenz:
Das Vermögen, Geschichte sinnbildend zu erzählen, wird von FUER nicht als eigener Kompetenzbereich gesehen, sondern als eine Fähigkeit und Fertigkeit der Re-Konstruktionskompetenz. Laut FUER berührt das alle Kompetenzbereiche. Im Fokus der Kontextualisierungsfähigkeit steht das Vermögen, für die Konstruktion eigener historischer Erzählungen den Forschungsstand und die Ergebnisse von wissenschaftlicher Material-Analysen kritisch reflektierend zu berücksichtigen und das Resultat mit den Ergebnissen eigener De-Konstruktionsvorgänge sinnbildend zu einer historischen Erzählung zu verbinden. Für deren Erstellung sind die Wahl der Gattung, die Berücksichtigung der epistemologischen Prinzipien und die Triftigkeit der Erzählung von Bedeutung.419
Auf „Nullniveau“ befindet sich die Fähigkeit der Kontextualisierung bzw. Narrationsbildung, wenn kein Bewusstsein über die Notwendigkeit der Einbeziehung von Aussagen von Quellen und Darstellungen in die eigene Erzählung vorhanden ist. Historische Aussagen sind Zufallsprodukte ohne Orientierungsbedürfnis und leitende Fragestellung. „Basales Niveau“ ist erreicht, wenn Informationen aus Quellen oder Darstellungen willkürlich für die eigene Erzählung herangezogen werden, wobei zwischen den beiden Kategorien nicht unterschieden wird und die Auswahl der Inhalte eher zufällig erfolgt. Die Narration hat fragmentarischen Charakter und ist ansatzweise plausibel. Auf „intermediärem Niveau“ entsteht ein denkmögliches Produkt der Sinnbildung, wenn es unter einer Fragestellung steht, einem Orientierungsbedürfnis folgt, eine Gattung nutzt und sich das Individuum der Partialität und Perspektivität des verwendeten Materials bewusst ist. Fachbegriffe werden korrekt verwendet, eine Geschichte wird schlüssig erzählt. „Elaboriertes Niveau“ ist erreicht, sobald die Theorie Einfluss auf die Konstruktion der Erzählung nimmt und es gelingt, die Triftigkeit der Narration, gemessen an der Fragestellung und der Intention, nachzuweisen. Außerdem müssen Bereitschaft und Fähigkeit gegeben sein, Ergebnisse und Konsequenzen zu diskutieren sowie alternative Perspektiven und daraus erwachsene Erzählungen kritisch zu reflektieren. Es gibt die Einsicht, dass Vergangenes bei unterschiedlicher Kontextualisierung differierende triftige Narrationen zur Folge haben kann, weil es einen ursächlichen Konnex zwischen Fragestellung und Art der Kontextualisierung gibt. Ein „Maximalniveau“ wurde nicht beschrieben.420