Читать книгу Vier Pilger - ein Ziel - Christian Rutishauser - Страница 17

Wallfahren heißt für mich: pilgern zu einem geheiligten Ort

Оглавление

Jerusalem wird von den Juden als „heiliger Ort“ betrachtet, denn König David hat die Bundeslade hierherbringen lassen (vgl. 2 Sam 6,12). Sie war Zeichen für die Gegenwart Gottes unter seinem Volk. Als Salomo den Tempel gebaut hatte, wurde die Bundeslade in das Allerheiligste des Tempels übertragen, der damit zu einem geheiligten Ort wird. Bei der Zerstörung des Tempels und der Bundeslade weicht allerdings die Gegenwart Gottes nicht mehr von diesem Ort, sagt der Talmud.

Die Erfahrung des Exils lehrt das Volk Israel, dass Gott überallhin mitzieht: Er zog mit ihnen aus Ägypten durch die Wüste ins Verheißene Land, dann weiter ins Exil und wieder nach Hause. Er ist nicht an einen Berg gebunden, er wohnt nicht in einem Haus, er ist nicht „eingesperrt“ in einem Tempel, der auch zu klein ist – er ist immer bei seinem Volk, sei es in der Wolke oder in der Feuersäule (Ex 14,19–24), sei es unter dem Zelt: Alles sind Zeichen der mitgehenden Gegenwart Gottes. Der Gedanke, dass Gott mit seinem Volk überallhin mitzieht, ist sehr tröstend. Jesus selbst sagt nach dem Johannesevangelium, dass Gott überall „im Geist und in der Wahrheit angebetet“ werden kann (Joh 4,21). Auch die Wallfahrt zu noch so heiligen Stätten macht den Pilger nicht automatisch heiliger, sondern nur ein tugendhaftes Leben – und das kann jeder zu Hause üben (so der Kirchenlehrer Hieronymus).

Warum gibt es dann aber geheiligte Orte, die nicht verrückbar sind, sondern fix und unbeweglich? Und warum ist gerade Jerusalem ein solch geheiligter Ort? Für mich lautet die Antwort: Weil dort Jesus Christus gelebt hat, gestorben und auferstanden ist. So wie die Zeit seines Lebens nicht versetzbar ist, so sind auch die Orte, an denen er gelebt hat, nicht austauschbar. Diese Ereignisse haben hier „statt“-gefunden und nicht woanders, diese zeitlich bestimmten Vorgänge lassen sich auch nicht anderswohin verschieben oder kopieren.

Jerusalem ist ein von Gott „geheiligter“ Ort, nicht naturhaft, animistisch heilig. Zugleich ist er ganz irdisch – nicht eine geistige, göttliche Wirklichkeit, er ist und bleibt eine irdische Wirklichkeit. Im Himmel wird es keine bestimmten „geheiligten“ Orte mehr geben, denn alles ist geheiligt (Offb 21,22–23).

Christlich ist kein Ort unberührbar, kein Platz unantastbar. Alles ist antastbar, denn die ganze Schöpfung ist von Gott gemacht und von ihm gesegnet – ohne Ausnahme. Auch Jesus lässt sich berühren (vgl. Mk 5,30–34; 1 Joh 1,1). Er berührt blinde Augen (Joh 9,5); er nimmt an der Hand, er segnet Kinder. So können auch wir zu diesen sinnlich fassbaren Steinen und Stätten pilgern, das Leben Jesu betrachten und ihn um seinen Segen bitten.

Jerusalem ist für mich zugleich auch eine Metapher für einen großen Traum, für eine Vision, wie sie sich beim Propheten Jesaja (Jes 24,6–8) findet oder im letzten Buch des Neuen Testaments, wo vom „neuen Jerusalem“ erzählt wird (Offb 21,2): die Vision von der Vollendung bei Gott, wo er mitten unter den Menschen wohnen wird (Offb 21,3), die Stadt, die erfüllt sein wird von der Herrlichkeit Gottes (Offb 21,11), wo es „keine Nacht mehr geben wird“ (Offb 22,5) und keine Sonne, „denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm“ (Offb 21,23). Jerusalem steht als Bild für dieses Ziel meiner Sehnsucht nach Heilsein, nach Frieden und Gerechtigkeit. Die aktuelle Realität steht aber gerade im krassen Gegensatz dazu. Man kann daher dieses irdische Jerusalem nicht mit dem „himmlischen Jerusalem“ der Vision verwechseln. Deshalb gefällt mir dieses Bild so gut. Wäre dieses irdische Jerusalem eine friedliche prosperierende, wohlhabende Stadt, könnte vielleicht jemand auf die Idee kommen, das wäre jetzt schon das „Paradies auf Erden“. Und gerade das ist nicht der Fall. (fm)

Vier Pilger - ein Ziel

Подняться наверх