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Vorwort

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Vor genau 40 Jahren forderte der Philosoph Hans Jonas in seinem Werk Das Prinzip Verantwortung, der Mensch müsse angesichts seiner enorm gewachsenen technologischen Fähigkeiten die Unversehrtheit seiner Welt vor den Übergriffen seiner eigenen Macht bewahren. Damals zeigte vor allem das ungeheure Zerstörungspotenzial der Atomkraft, wie begründet Jonas‘ Appell an die Menschheit war, nicht alles ins Werk zu setzen, zu was sie fähig ist. Schon 7 Jahre zuvor hatten die Mitglieder des Club of Rome vor den Konsequenzen eines ungebremsten Wachstums und des damit verbundenen Ressourcenverbrauchs gewarnt, und noch einmal 10 Jahre davor hatte Rachel Carson den „stummen Frühling“ prophezeit, der auf den unverantwortlichen Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide folgen würde. Zur gleichen Zeit hatte das Global Footprint Network das Konzept des Erdüberlastungstags entwickelt. Damals waren schon kurz vor Jahresende alle globalen Ressourcen verbraucht, die der Menschheit für ein Jahr zur Verfügung stehen. 2019 fiel der World Overshoot Day bereits auf den 29. Juli.

Es ist erschütternd, dass damals eine winzig kleine und bis vor Kurzem eine immer noch nicht maßgebliche Minderheit wahrgenommen hat, was sich da abspielt; dass es eines Kollapses der biologischen Vielfalt, einer nicht mehr rückholbaren Überkrustung der Ökosysteme mit Plastik und einer bis in die letzten Winkel der Erde spürbaren Klimakrise bedurft hat, damit jetzt eine Mehrheit in immer mehr Gesellschaften der Erde wahrnimmt: Wir müssen unseren Umgang mit den Ressourcen des Planeten radikal verändern – und damit auch die Art und Weise, wie wir auf ihm leben.

Ich will ein kleines Beispiel anfügen, das noch wenigen Menschen bewusst ist, und damit klarmachen, was wir ändern müssen. Seit ein paar Jahren breitet sich epidemisch eine Zahnkrankheit bei Kindern aus: Kreidezähne – wissenschaftlich „Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation“ genannt. Immer mehr Kinder leiden unter dieser schmerzhaften Schmelzbildungsstörung der Zähne; jedes dritte zwölfjährige Kind ist mehr oder weniger stark davon betroffen. Für die Betroffenen handelt es sich um eine Katastrophe, um eine Abfolge zahnärztlicher Eingriffe, um Schmerzen und um den Verlust des Selbstwertgefühls. Synthetische endokrine Stoffe verschiedenster Herkunft vermutet man als Ursache.

All diese Katastrophen – die globalen wie auch die individuellen – sind eines ganz sicher nicht: Sie resultieren nicht aus der Nicht-Anwendung technologischer Fähigkeiten, sondern daraus, dass wir unseren Organismus – unseren Körper ebenso wie unsere Ökosysteme – mit Substanzen und Wirkungen konfrontieren, auf die ihn die Evolution nicht vorbereitet hat. Die Konsequenz daraus ist eindeutig: Wenn wir die Bewohnbarkeit unseres „gemeinsamen Hauses“, wie es Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato si‘ bezeichnet, erhalten wollen, dann müssen wir einen radikal anderen Weg einschlagen. Statt immer größere Teile unserer Umwelt – und unserer Nahrung – zu synthetisieren, müssen wir unsere Innovationskraft darauf konzentrieren, kreativ und effizient das zu nutzen, was uns die Natur zur Verfügung stellt.

Wenn ausgerechnet heute Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen die Lösung der globalen Probleme darin sehen wollen, mithilfe der Technik immer tiefer in die Bausteine des Lebens – unsere Gene – einzugreifen, sich die Natur so zusammenzubasteln, wie sie das für nötig halten, dann zeigt das, wie viele Lektionen immer noch nicht gelernt sind. Wenn diese Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zudem jede Kontrolle ihres Tuns für eine Zumutung halten und wenn die Unternehmen, für die sie arbeiten, immer mehr Pflanzen und auch Tiere per Patent zu ihrem Eigentum machen wollen, dann ist die Zivilgesellschaft herausgefordert, das zu tun, was Hans Jonas gefordert hat: die Unversehrbarkeit unserer Welt vor den Übergriffen unserer technologischen Macht zu schützen. Damit das gelingt, bedarf es einer Debatte. Gerade die Propagandisten der Gentechnik würden diese Debatte lieber mit den Hochglanzprospekten ihrer Heilsversprechen zudecken. So wie schon vor Jahrzehnten – und immer noch genauso unhaltbar – kündigen sie das Ende von Hunger und Krankheit durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt der Genmanipulation an.

Es ist wichtig, die Hintergründe dieser Debatte aufzuzeigen, wie es Christian Salvesen in diesem Buch unternommen hat. Es ist wichtig, die Risiken zu benennen, die mit Hinweis auf die Unfehlbarkeit der Forschungspräzision negiert werden. Denn auch ein Zweites gilt bis heute, was Jonas formuliert hat: dass es angesichts der Reichweite von Technologien, deren Wirkungen nicht mehr rückholbar sind, dem Prinzip Verantwortung entspricht, eher Unheilspropheten als Heilsversprechern zu folgen. Und dies umso mehr, als das Potenzial längst sichtbar geworden ist, mit dem wir die globale Umweltkrise beenden und ein gutes Leben für alle Bewohnerinnen und Bewohner der Erde sichern können, indem wir intelligent die uns zur Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen nutzen.

Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, August 2019

GENveränderte Nahrungsmittel

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