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Wie praxistauglich ist die Theorie?

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Niklas Luhmann war hinsichtlich der konkreten Anwendbarkeit von Theorien äußerst skeptisch. „Ich habe nicht die Vorstellung, dass es wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, die auf die Praxis angewendet werden könnten“, sagte er in einem Interview: „Die Praxis, zum Beispiel ein Ministerium, ist für mich ein nach eigener Logik funktionierendes System“ (Baecker/ Stanitzek 1987, 135). Dieser Praxispessimismus gründet vor allem darin, dass die Systemtheorie im Wissenschaftssystem operiert: Die Theorie beobachtet, wie sich die Gesellschaft selbst beobachtet. Sie liefert also keine Lösungsvorschläge, sondern „nur“ ein distanziertes Beobachtungsinstrumentarium.

Gerade aufgrund ihrer abstrakten Flughöhe hat sich die Systemtheorie aber zugleich als besonders anschlussfähig erwiesen für benachbarte wissenschaftliche Disziplinen – und sogar dezidiert „kritische“ Auslegungen erfahren (vgl. etwa Amstutz/Fischer-Lescano 2013). Ein zentraler Ansatzpunkt liegt dabei im „äquivalenzfunktionalistischen“ Ansatz der Theorie: dem Vergleich verschiedener möglicher systemischer Lösungen für ein und dasselbe Problem – und dem Aufdecken der blinden Flecken anderer Beobachtungen. Die Grundfrage der Systemtheorie (Wie entstehen und evoluieren soziale Systeme?) lässt sich deshalb immer auch ergänzen um die Frage: Welche alternativen Optionen tun sich dabei auf?

Diese komparatistische Komponente macht es auch plausibel, den Beobachtungsapparat der Systemtheorie dezidiert „konstruktiv“ zu nutzen: als analytisches Fundament für eine komplexere Beobachtung – und Gestaltung – möglicher Zukünfte. Dies gilt umso mehr, als dass wir heute in einer „unglaublich gegenwartsorientierten Kultur“ leben, wie der Soziologe und Systemtheoretiker Armin Nassehi sagt: einer Zeit, in der wir uns „enorm schwer“ damit tun, „kollektiv zu handeln und vor allem die Zukunft einzubeziehen“ (vgl. Illinger 2021). Der Soziologe Heinz Bude sieht darin sogar den neuen Auftrag der soziologischen Disziplin: „Die Aufgabe der Soziologie heute ist es, die Zukunft zu öffnen“ (Becker 2020).

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