Читать книгу Giuseppe Verdi. Leben, Werke, Interpreten - Christian Springer - Страница 31
I masnadieri
ОглавлениеB
evor Verdi den Macbeth in Angriff nahm, hat er, wie erinnerlich, mit der Arbeit an den Masnadieri begonnen. Er hat eine Prosafassung des Librettos entworfen und Andrea Maffei mit dessen Umformung in Verse beauftragt und einen Teil der Komposition fertiggestellt. Mit dem Impresario Benjamin Lumley wurde vereinbart, daß er die Oper im Frühjahr oder Frühsommer 1847 selbst einstudieren würde.
Verdi kehrt sofort nach der Premiere des Macbeth nach Mailand zurück und stellt die Komposition der Masnadieri beinahe fertig. Die Instrumentation wird er, wie gewohnt, erst an Ort und Stelle vornehmen. Ende Mai 1847 bricht Verdi mit Muzio von Mailand über Paris nach London auf. Die Reise nach Paris ist umständlich und erfolgt mit verschiedenen Verkehrsmitteln wie Eisenbahn, Pferdewagen und Dampfschiff (auf dem Vierwaldstätter See und dem Rhein); sie nimmt mehr als neunzig Reisestunden in Anspruch.
Verdi bleibt einige Tage in Paris: Er nimmt den Kontakt zu Giuseppina Strepponi wieder auf, die hier lebt und Gesang unterrichtet. Hier wird ihm mitgeteilt, daß die berühmte Jenny Lind, die die Amalia in den Masnadieri singen soll, sich angeblich weigere, neue Opern zu studieren. In diesem Fall würde Verdi, wie Muzio berichtet, einen Protest gegen die Impresa einlegen und nicht nach London fahren.[354] Er schickt deshalb (den der englischen Sprache unkundigen) Muzio zur Erkundung der Situation und zum Quartiermachen nach London voraus. Dort erfährt Muzio, daß, wie so oft bei Theatergerede, gerade das Gegenteil der Gerüchte wahr ist: Jenny Lind kann es kaum erwarten, ihre Rolle in Händen zu halten, um sie studieren zu können, und Verdi endlich persönlich kennenzulernen.[355] Muzio ist von London überaus beeindruckt: „Mailand ist nichts; Paris ist schon etwas im Vergleich zu London; aber London ist einzigartig auf der Welt; man braucht sich nur fast zwei Millionen Einwohner vorzustellen; da kann man sich vorstellen, welch immense Stadt das ist. Um von einem Ende der Stadt zum anderen zu gelangen, muß man drei Poststationen passieren und drei Mal die Pferde wechseln.“[356] Muzio findet eine Wohnung, nicht ohne Schwierigkeiten:
Hier bezahlt man nicht in Francs, [sondern] alles in Sterling; das Geld, das ich hier an einem Tag ausgegeben habe, reicht mir in Mailand für 10 Tage, und das ist nicht übertrieben. [...] Für drei Zimmer, die ich nehmen wollte, wollte man 5 Pfund Sterling die Woche, und ein halbes Pfund für die Aufwartung. Ich habe nur zwei Zimmer genommen; und im Salon habe ich für mich ein Bett aufstellen lassen, das tagsüber wie ein wunderschöner Diwan aussieht und in der Nacht zum Bett wird; wenn es Verdi so gefällt, gut; wenn es ihm nicht gefällt, wird er drei [Zimmer] nehmen und 5 Pfund bezahlen, denn so wie es jetzt ist, würde er nur 3 zahlen, und es ist ganz nahe beim Theater.[357]
Verdi will aber doch die Dreizimmerwohnung. Muzio beklagt sich ausführlich über die kleinen Zimmer, „in denen man erstickt“ sowie über die englischen Dienstboten, die „nur Englisch sprechen“ und überdies mürrisch sind. Er berichtet im selben Brief aber auch über die Arbeit:
Wir stehen um 5 Uhr früh auf und arbeiten bis 6 Uhr abends (zur Abendessenszeit); dann gehen wir ein wenig ins Theater und kommen um 11 nach Hause und gehen gleich zu Bett, um früh aufstehen zu können. Die [Arbeit an der] Oper geht voran; zwei Akte sind schon bei den Kopisten und kommenden Montag wird sie vielleicht ganz fertig sein; es bleibt noch die Instrumentation. Ich bin der Meinung – merken Sie gut auf –, daß dies nach dem Ernani die populärste Oper ist, die Verdi gemacht hat, und daß sie am meisten zirkulieren wird.
Im selben Brief (er ist viereinhalb Buchseiten lang) berichtet Muzio auch ausführlich über Jenny Lind.
Ich habe die Lind in der Figlia del reggimento, in der Sonnambula, in Roberto il diavolo gehört, und ich sage Ihnen, daß sie eine Künstlerin in der ganzen Bedeutung des Wortes ist. Sie ist in allen drei genannten Opern großartig. In Roberto il diavolo ist sie unvergleichlich. Ihre Stimme ist in der Höhe ein wenig scharf, in der Tiefe schwach, aber mit viel Übung ist es ihr gelungen, sie in der Höhe geschmeidig zu machen, um die schwierigsten Passagen ausführen zu können. Ihr Triller ist einzigartig; sie singt mit unvergleichlicher Leichtigkeit und um ihre Gesangskunst zu zeigen, ergeht sie sich immer in Verzierungen, in Koloraturen, in Trillern, Sachen, die im vergangenen Jahrhundert gefielen, aber nicht 1847. Wir Italiener sind nicht an dieses Genre gewöhnt; und wenn die Lind nach Italien käme, würde sie diese Manie, die sie für die Verzierungen hat, sein lassen und auf einfache Art und Weise singen, da sie eine ausgeglichene und geschmeidige Stimme hat, um eine Phrase in der Manier der Frezzolini zu singen.[358]
Die „schwedische Nachtigall“ ist keine dramatische, und nur mit Einschränkungen eine lyrische Sängerin: Sie ist ein virtuoser Koloratursopran. Aus Muzios Bemerkungen über ihren unzeitgemäßen Gesangsstil spricht eindeutig Verdi, der einerseits den zum Selbstzweck verkommenen Ziergesang verabscheut, andererseits aber Jenny Lind bewundert. Ungeachtet dessen weisen Verdis Partiturautograph und das Notenmaterial der Sopranistin zahlreiche Änderungen auf, die der Komponist für die Sängerin anbrachte und die ihrem Vortrag entgegenkamen. Dies geschah wohl nicht aus Gefälligkeit einer Berühmtheit gegenüber, sondern deshalb, weil Verdi die Stimme der Sängerin zur Zeit der Komposition nicht aus eigener Wahrnehmung gekannt hatte und ihre stimmlichen Vorzüge erst bei den Proben kennenlernte. So finden sich in der Arie der Amalia „Lo sguardo avea degli angeli“ zahlreiche Verzierungen und Triller, die Verdi nicht sonderlich liebte. Welche zusätzlichen Verzierungen Jenny Lind dann noch bei den Vorstellungen aus eigenem Antrieb anbrachte, ist nicht überliefert.
Muzio hat die berühmte Sängerin genau in Augenschein genommen:
Für morgen ist alles vorbereitet, um die Klavierproben mit allen Sängern zu beginnen; diese sind: (Amalia) die Lind, (Carlo) Gardoni, (Francesco) Coletti, (Massimiliano) Lablache; – ich war schon bei jedem, um die Rollen durchzugehen. Bei der Lind war ich öfter als bei den anderen, nicht wegen der Schwierigkeit der Musik, sondern wegen der Worte, da sie nicht besonders mit dem Italienischen vertraut ist. Ich habe die Lind sehr nett, freundlich, manierlich und höflich gefunden. Sie ist eine vollendete, tief empfindende Musikerin; sie liest jede Gesangsnummer vom Blatt. Ihr Gesicht ist häßlich, ernst und es ist etwas Nordisches darin, das sie in meinen Augen unsympathisch macht; sie hat eine überaus dicke Nase [...], eine nordische Hautfarbe, riesige Hände und ebensolche Füße; ich habe sie mir genau angeschaut, bis ins kleinste, wie man zu sagen pflegt, und so muß man mit allen Berühmtheiten vorgehen – man muß sie genau betrachten. Sie führt ein ganz zurückgezogenes Leben: sie empfängt niemanden (und sie tut gut daran, denn so wird sie keine Unannehmlichkeiten haben); sie lebt für sich; sie haßt, so sagte sie mir, das Theater und die Bühne; sie sagt, daß sie unglücklich ist, und daß sie erst dann Zufriedenheit und ein wenig Freude finden wird, wenn sie nichts mehr mit Theaterleuten und dem Theater an sich zu tun haben wird. Diesbezüglich stimmt sie sehr mit den Meinungen des Maestro überein, der das Theater ebenfalls haßt und es kaum erwarten kann, sich zurückzuziehen.[359]
Abb. 29 – Die Sopranistin Jenny Lind (1820-1887)
J
enny Lind (geborene Johanna Maria Lind, ab 1852 verehelichte Goldschmidt) wurde 1820 in Stockholm geboren. Ab 1829 wurde sie am Stockholmer Konservatorium ausgebildet und debutierte in ihrer Heimatstadt 1838 als Agathe in Webers Freischütz. Im selben Jahr trat sie als Pamina und Euryanthe auf. 1839 fügte sie ihrem Repertoire die Sopranrollen in Spontinis La vestale und Meyerbeers Robert le diable (1839) hinzu, 1840 die Donna Anna und die Lucia di Lammermoor, 1841 Bellinis La straniera und Norma. Als ihre Stimme, speziell in der Mittellage, Anzeichen von Überanstrengung zu zeigen begann, studierte sie nochmals bei Manuel García jr. in Paris, der ihr zuerst eine stimmliche Ruhepause verordnete und dann ihre gesangstechnischen Fehler korrigierte. Die Pariser Opernhäuser zeigten kein Interesse an ihr, weshalb sie später nie in Frankreich auftrat. Bei ihrer Rückkehr nach Stockholm war evident, daß sich die Stimme erholt hatte und ihre Gesangstechnik wesentlich verbessert war. Obwohl ihre Mittellage schwach blieb und verschleiert klang (möglicherweise erzielte sie durch diese Stimmcharakteristik jene „elegische“ Qualität des Vortrags, die immer wieder an ihr gerühmt wurde), war die obere Oktave der Stimme durchschlagskräftig und gleichzeitig virtuos beweglich; ihre Höhe reichte bis g³ (ein Ganzton über dem hohen F der Königin der Nacht).
1842 und 1843 trat sie als Valentine in Les Huguenots, als Ninetta in Rossinis La gazza ladra, als Gräfin Almaviva und als Amina in La sonnambula auf. 1844 baute sie ihr Repertoire mit Rossinis Il turco in Italia, Glucks Armide und Donizettis Anna Bolena aus. In diesem Jahr debutierte sie auf Empfehlung Giacomo Meyerbeers mit sensationellem Erfolg an der Königlichen Oper in Berlin (Norma). Dort sang sie Ende 1844 in dessen Ein Feldlager in Schlesien.
In Wien debutierte sie 1846 als Norma – auch hier war ihr ein triumphaler Erfolg beschieden: sie hatte 30 Hervorrufe, und Franz Grillparzer huldigte ihr in Versen. Als sie die Amina in La sonnambula sang, warf ihr die österreichische Kaiserin ihr Bouquet zu, eine bis dato beispiellose Form begeisterter Zustimmung. Diesen Auftritten folgte eine Deutschland-Tournée (Hamburg, Köln, Koblenz, Leipzig), im Jänner 1847 die Rückkehr nach Wien (La fille du régiment) und Auftritte in Schweden. Im selben Jahr debutierte sie in London am Her Majesty’s Theatre. Ihre Antrittsrolle war die Alice in Robert le diable, im Beisein von Queen Victoria und Prinzgemahl Albert. Danach trat sie in den von Muzio erwähnten Rollen auf. Sie machte ihre Ankündigung wahr: Nach der Masnadieri-Premiere sang sie die Susanna in Le nozze di Figaro, absolvierte 1848 noch eine zweite Saison in London, und verabschiedete sich 1849 im Alter von nur neunundzwanzig Jahren in Stockholm von der Bühne.
Ihr Ruhm als Opernsängerin war geographisch begrenzt (auf Schweden, Deutschland, Wien und London) und auf wenige Partien gegründet, was aber ihrer Leistung keinerlei Abbruch tat. Die „schwedische Nachtigall“ setzte ihre Tätigkeit als Oratorien- und Konzertsängerin fort, wobei sie in ihre Konzertprogramme öfter Opernausschnitte aufnahm. Neben ihren Konzertreisen war sie ständiger Gast bei den großen englischen Musikfestivals und vergleichbaren Veranstaltungen in Deutschland. Auf ihrer großen Tournée durch Nordamerika 1850-52 gab sie über hundert Konzerte, die ihr ein Vermögen eintrugen, dessen Großteil sie der Wohlfahrt spendete (Philanthropie und Religiosität waren ihre hervorstechenden Eigenschaften). Von 1852 bis 1855 lebte sie in Dresden, ab 1856 in England (sie erhielt 1859 die britische Staatsbürgerschaft). Sie pflegte freundschaftliche Kontakte mit Robert und Clara Schumann und mit Felix Mendelssohn Bartholdy, der sie überaus bewunderte und für sie eine Oper komponieren wollte. Das Projekt kam nie zustande, er komponierte stattdessen für sie die Arie „Hear ye Israel“ in seinem Oratorium Elijah.
Sie beendete ihre Gesangskarriere 1870 in Düsseldorf mit einem Auftritt in einem Oratorium ihres Gatten, des Dirigenten und Komponisten Otto Goldschmidt. Von 1883 bis 1886 unterrichtete sie am Royal Conservatory of Music in London. Jenny Lind starb 1887 auf ihrem Landgut in Herfordshire und wurde in Westminster Abbey an der Seite von G.F. Händel begraben.
A
m 17. Juli ist noch immer nicht alles restlos fertig. Verdi klagt trotz des Hochsommers über „Rauch, Nebel und dieses teuflische Klima, die mir jede Lust zum Arbeiten nehmen“. Er hat zwei Orchesterproben abgehalten, „und wenn ich in Italien wäre, könnte ich Ihnen ein nüchternes Urteil über die Oper geben, aber hier verstehe ich gar nichts. Schuld des Klimas ... Schuld des Klimas!“[360]
Am 22. Juli gehen die Masnadieri trotz der widrigen Umstände wie geplant zum ersten Mal über die Bühne. Verdi ist der erste große Komponist des 19. Jahrhunderts, der eine Oper eigens für London schreibt, die Erwartungshaltung ist dementsprechend groß und die Premiere wird zum gesellschaftlichen Ereignis: Nicht nur die Königin mit Prinzgemahl Albert nimmt an der Premiere teil, auch der Hochadel ist vertreten, ebenso wie der Herzog von Wellington und die Parlamentsabgeordneten in vollem Ornat. Verdi, der ursprünglich abgeneigt ist, die Premiere selbst zu leiten, wird vom Russischen Botschafter und einer Abordnung englischer Adeliger dazu überredet. Muzio berichtet tags darauf:
Die Oper hat Aufsehen erregt. Vom Vorspiel bis zum letzten Finale gab es nur Applaus, Hochrufe, Rufe nach Wiederholungen. Der Maestro dirigierte das Orchester selbst, auf einem erhöhten Stuhl sitzend, und mit seinem Dirigentenstab in der Hand. Sobald er im Orchester erschien, gab es einen Applaus, der eine Viertelstunde dauerte. Man hatte noch nicht zu applaudieren aufgehört, als die Königin, der Prinzgemahl Alberto, die Königinmutter und der Herzog von Cambridge, der Onkel der Königin, der Prinz von Wales, der Sohn der Königin und die ganze königliche Familie sowie eine unendliche Reihe von Lords und Herzögen eintrafen, die kein Ende nehmen wollte. Die Logen waren voll von Damen in großer Toilette und das Parkett so überfüllt, daß man sich nicht erinnern konnte, jemals so viele Leute gesehen zu haben. Um 4 ½ [Uhr] wurden die Tore geöffnet und die Leute drängten mit nie gesehenem Ungestüm ins Theater. Es war ein neues Erlebnis für London, und Lumley ließ das Publikum teuer dafür bezahlen. Der Eintritt ins Theater kostete 6000 Lire, damit wurde der Preis übertroffen, den man an dem Abend verlangte, als die Königin in großer Gala im Theater erschien. Der Maestro wurde gefeiert, auf die Bühne gerufen, allein und mit den Darstellern, es wurden ihm Blumen zugeworfen, und man hörte nichts als: es lebe Verdi! bietifol[361] ... [...]
Die Oper endete unter Applaus. Alle Sänger wurden hervorgerufen und auch Verdi mußte mitten im frenetischesten Applaus erscheinen. Die Aufführung war gut; das Orchester wunderbar: es konnte nicht anders sein, da Verdi dirigierte. Die Sänger machten ihre Sache alle gut, waren aber sehr aufgeregt. Die Lind und Gardoni hatten noch nie neue Opern gesungen, es war das erste Mal für sie. Lablache war wunderbar und Coletti ebenfalls. Der Maestro war sehr zufrieden; die Impresa war so zufrieden, daß sie ihm durch mich ein Engagement für alle Jahre, die er nur will, anbieten ließ, zu 60.000 Francs pro Oper; und das ist der größte Beweis dafür, ob eine Oper gefallen hat oder nicht.
Die Zeitungen, die Times, die Morning Post, der Morning Chronicle etc. sprechen alle sehr gut von der Musik und auch vom Libretto, das ebenfalls gefallen hat.
Morgen, Samstag, ist die zweite Vorstellung; wenn der Maestro das Orchester nicht auch Dienstag dirigiert, werden wir am Montag abreisen.[362]
Die Presse teilt Muzios Enthusiasmus: Die „Times“ lobt sogar Maffeis Libretto. Nur der bereits erwähnte Henry Chorley fällt wieder aus dem Rahmen und stänkert unqualifiziert: „We take this to be the worst opera which has been given in our time at Her Majesty’s Theatre. Verdi is finally rejected. The field is left open for an Italian composer.“ Auch Queen Victoria, die mehr an Kostümen denn an musikalischer Gestaltung interessiert zu sein scheint, kann die allgemeine Begeisterung nicht teilen:
Wir gingen in die Oper, wo wir die Aufführung von Verdis I masnadieri in vier Akten sahen, die denselben Inhalt wie I briganti von Mercadante hat. In dieser neuen Verdi-Oper nach der Vorlage von Schillers Die Räuber ist die Musik weit schwächer und platter. Lablache spielte den Part des Maximilian Moor, in dem er zwar gut aussah, aber zu fett war für den hungernden alten Mann. Gardoni spielte den Part des Carlo Moor & war wunderschön angezogen. Die Lind als Amalia sang und spielte ganz vorzüglich & sah sehr gut & attraktiv aus in ihren verschiedenen Kostümen. Sie erhielt riesigen Beifall.[363]
Muzio hatte sich bereits vor der Premiere über Lablaches Figur geäußert:
Wenn Sie den alten Lablache mit diesem Bauch, der ein Berg zu sein scheint, sähen, würden Sie sich wundern; er hat aber noch immer die schönste Stimme, die man sich nur vorstellen kann.[364]
D
er Bassist Luigi Lablache (Neapel 1794-1858) war zu seiner Zeit der berühmteste Vertreter des Baßfaches. Er wurde als Sohn eines französischen Kaufmanns und einer Irin in Neapel geboren und begann dort als Zwölfjähriger seine musikalische Ausbildung am Conservatorio della Pietà dei Turchini. 1809 sang er (vor dem Stimmbruch) die Altpartie in Mozarts Requiem bei einer Gedenkfeier anläßlich des Todes von Joseph Haydn. 1812 begann er seine Karriere als Baßbuffo in Fioravantis La molinara. Nach weiteren Studien und einem Engagement als Buffo in Messina debutierte er in Palermo in Pavesis Ser Marc-Antonio und wurde aufgrund seines enormen Erfolges für fünf Jahre als seriöser Baß an das dortige Opernhaus verpflichtet. 1817 debutierte er als Dandini in La cenerentola an der Mailänder Scala, an der er sechs Spielzeiten lang blieb. 1821 sang er in der Uraufführung von Mercadantes Elisa e Claudio die für ihn komponierte Baßpartie.
Abb. 30 – Der Bassist Luigi Lablache (1794-1858), einer der herausragenden Vertreter seines Faches.
Nach Auftritten in Rom, Turin und Venedig wurde er 1824 von dem Impresario Domenico Barbaja nach Wien geholt. Auch hier verzeichnete er triumphale Erfolge. 1827 sang er bei Beethovens Begräbnis, Schubert widmete ihm seine Drei Gesänge[365] op. 83, DV 902 auf Texte von Pietro Metastasio. 1829 eröffnete er das Teatro Regio in Parma mit Bellinis Zaira, 1830 sang er in der Uraufführung von Donizettis Il diluvio universale. Im selben Jahr feierte er sein bejubeltes London-Debut im King’s Theatre als Geronimo in Cimarosas Il matrimonio segreto (in derselben Rolle wurde er, ebenfalls 1830, in Paris gefeiert). 1831 erregte er in London Aufsehen, als er als Enrico VIII in Donizettis Anna Bolena auftrat. Er hatte sein Kostüm nach dem berühmten Holbein-Portrait Heinrichs VIII. anfertigen lassen und seine Maske genau nach dem historischen Vorbild gestaltet. Seine hünenhafte Gestalt und sein bedrohlich dröhnendes Organ machten auf das Publikum einen unauslöschlichen Eindruck. 1836 sang er in der Uraufführung von Mercadantes (von Queen Victoria erwähnten) I briganti. 1843 sang er in Paris in der Uraufführung von Donizettis Don Pasquale die Titelrolle, zusammen mit Grisi, Mario und Tamburini. Als 1847 in London die Royal Italian Opera, Covent Garden, eröffnet wurde, gehörte er zu den wenigen Sängern, die dem Her Majesty’s Theatre treu blieben. An diesem Haus kreierte er 1843 den Podestà in Linda di Chamounix und 1850 den Caliban in Halévys La tempesta. Erst 1854 trat er erstmals an Covent Garden auf. Seine Karriere konzentrierte sich in der Folge hauptsächlich auf London und Paris.
Er gehörte dem berühmten, aus Giulia Grisi, Giovanni Battista Rubini und Antonio Tamburini bestehenden Quartett an, das 1835 (im Todesjahr des Komponisten) in Paris Bellinis I puritani aus der Taufe hob. Diese vier Sänger sangen im selben Jahr bei Bellinis Begräbnis am Pariser Père-Lachaise ein Lacrymosa auf ein Thema aus den Puritani. Lablaches Repertoire umfaßte u.a. Partien wie den Leporello, den Baldassarre in Donizettis La favorita, zahlreiche Baßrollen in Rossini-Opern (Tancredi, La gazza ladra, Mosè in Egitto, La cenerentola, L’italiana in Algeri, La donna del lago, Semiramide, Otello usw., aber auch den Guglielmo Tell, den Figaro[366] und den Dr. Bartolo in Il barbiere di Siviglia), die Titelpartien in Donizettis Marin Faliero und Don Pasquale, den Oroveso in Norma. 1839 schrieb Richard Wagner für ihn eine zusätzliche Arie für diese letztere Rolle, die zu singen Lablache aber ablehnte.
Der dankbare Impresario Lumley beschrieb Lablache als „the greatest dramatic singer of his time“, der für seine kompetenten Kommentare über Sänger bekannte englische Kritiker und Komponist Richard Mount Edgcumbe hielt ihn für einen „bass of uncommon force and power. His voice was not only of deeper compass than almost any ever heard, but when he chose, absolutely stentorian, and he was also gigantic in his person; yet when he moderated its extraordinary strength, he sang pleasingly and well.“ – eine Einschätzung, angesichts derer eine heute nur von Baritonen gesungene Partie wie der Figaro im Barbiere erstaunt. Weshalb Muzio den in der gesamten Literatur in jeder Hinsicht als überlebensgroß beschriebenen Künstler als vecchietto, als altes Männlein – Lablache war 1847 noch keine dreiundfünfzig Jahre alt und setzte seine Karriere ohne Stimmprobleme bis 1856 fort – bezeichnete, bleibt unklar. Obwohl seine Stimme über mehr als zwei Oktaven reichte, eine ausgezeichnete Höhe hatte und für Verdi-Baßrollen prädestiniert gewesen wäre, blieb der alte Moor in den Masnadieri seine einzige Verdi-Rolle.
D
er Carlo Moor der Premiere ist der Tenor Italo Gardoni (Parma 1821 – Paris 1882), ein interessanter Sänger mit einem Repertoire etwas abseits der italienischen Tenorroutine. Er debutierte 1840 in Viadana (in der Nähe von Mantua) in der Titelrolle von Donizettis Roberto Devereux, sang im selben Jahr bereits in Turin und Berlin und wurde nach nur dreijähriger Karriere an die Mailänder Scala engagiert: Dort trat er 1843 in La sonnambula und Lucia di Lammermoor, 1844 in Linda di Chamounix auf. Ab 1844 hatte er Erfolge in Paris, zuerst an der Opéra, wo er u.a. an der Uraufführung von Pacinis La fidanzata corsa (1846) mitwirkte, ab 1847 am Théâtre Italien.
Abb. 31 – Der Tenor Italo Gardoni (1821-1882). Photographie, 1874.
Der Auftritt als Carlo Moor war sein London-Debut. Hier sang er den Pylades in Glucks Iphigénie en Tauride, den Don Ottavio, den Tamino, den Florestan und den Faust. 1855 trat er erstmals in Covent Garden auf: er sang Rossinis Comte Ory, den Nemorino, den Danilowitz in Meyerbeers L’Étoile du Nord und den Corentin in Dinorah (beides englische Erstaufführungen). Er trat bis zum Ende seiner Karriere (1874) regelmäßig in London und Paris auf. Weitere wichtige Partien seines Repertoires waren die Tenorrollen in Cimarosas Il matrimonio segreto, Rossinis La cenerentola, L’italiana in Algeri, Otello und La gazza ladra, Bellinis La sonnambula, I puritani, Aubers Fra Diavolo und Verdis La traviata. Gastspiele führten ihn nach St. Petersburg, Madrid und Amsterdam.
Gardonis Stimme wird als tenore di grazia, als leichter, koloraturfähiger Tenor mit ausgezeichnetem Stimmsitz beschrieben; er war als Vokalist und Stilist ebenso vielseitig wie als Schauspieler. Verdi hatte die Partie des Carlo auf die vokalen Fähigkeiten seiner ursprünglichen Wunschbesetzung Gaetano Fraschini zugeschnitten, weshalb manche Passagen baritonal gefärbt sind und für Gardoni zu heroisch gewesen sein mochten. Wenn Verdi dennoch die leichtere Stimme Gardonis für die Rolle akzeptierte, muß seine Stimme über eine etwas kompaktere Komponente verfügt haben, worauf auch eine Partie wie der Florestan hinweist.
D
ie Masnadieri werden in Italien und im Ausland bis zu Beginn der 1860er Jahre aufgeführt, danach verschwindet auch diese Oper von den Spielplänen.
Nach der zweiten Vorstellung übergibt Verdi den Taktstock an Michael William Balfe (den Dirigenten, Sänger und Komponisten von The Bohemian Girl) und reist nach Paris, um in den kommenden Wochen seine dortige Verpflichtung zu erfüllen. Um als italienischer Komponist im 18. und 19. Jahrhundert als arriviert gelten zu können, ist ein Erfolg in Paris erforderlich. Meister wie Cimarosa, Paisiello, Guglielmi, Bianchi, Zingarelli, Paër, Cherubini oder Spontini hatten die Strapazen der Alpenüberquerung in Kauf genommen, um für Paris zu schreiben. Wie erfolgreich ein italienischer Komponist in seinem Heimatland auch sein mochte, wenn er die Weihen eines Pariser Erfolges nicht vorweisen konnte, wurde er von seinen Landsleuten als unverbesserlicher Provinzler betrachtet (das nemo propheta in patria ist geographisch ungebunden und hat durchaus europäische Tradition). Rossini und Bellini, Donizetti und Verdi, aber auch Gluck und Wagner wußten dies und richteten sich, mit unterschiedlichem Erfolg, danach.
Wünschenswert, nicht aber unabdingbar, war für diesen Zweck die Komposition einer neuen Oper. Manchmal tat es auch die Umarbeitung eines früheren Werkes zu einem dem Pariser Geschmack angepaßten Bühnenstück: Gluck arbeitete Orfeo ed Euridice in Orphée et Euridice um, seine italienische in eine französische Alceste, Rossini seinen Maometto II in Le Siège de Corinthe und Mosé in Egitto in Moïse et Pharaon, ou Le passage de la Mer Rouge, Donizetti hatte dem Musikgeschmack der Franzosen mit Les Martyrs, einer Umarbeitung des Poliuto, Tribut gezollt. Die erste Einladung nach Paris erhält Verdi 1845: Bald nach der Premiere von Giovanna d’Arco überbringt Léon Escudier die frohe Nachricht. Aber Verdi steht unter enormem Arbeitsdruck und muß Verträge in Italien und England erfüllen.